Die Goldhagen-Debatte
Bonns willige Vollstrecker

von Freerk Huisken

 

1. Das Buch von D.J. Goldhagen "Hitlers willige Vollstrecker" ist und wird nat�rlich kein p�dagogischer Hit. Dazu ist es erstens zu dick und geht zweitens den Deutschen zu sehr gegen den Strich. Aber daf�r beginnt die "Goldhagen-Debatte" sich zu einem neuen Hit zu mausern. Lehrer vollziehen im Unterricht der h�heren Klassen per Video die �ffentlichen Diskussionen nach, die auf mehreren Kan�len liefen. Sie reichern den Unterricht mit Artikeln aus der ZEIT und dem SPIEGEL an. Die ersten Lehrerarbeitshefte zum Thema sind - analog zu "Schindlers Liste" - mit Sicherheit in Arbeit. Und die Empfehlung, besonders eindringliche Passagen aus seinem Buch, wie etwa die Kapitel �ber die Todesm�rsche, gek�rzt in k�nftige Leseb�cher aufzunehmen, liegt bereits auf dem Tisch. Es gibt Schulen, in denen �ffentliche Goldhagen-Streitgespr�che mit geladenen G�sten stattfinden. Ausgewogen wird dort gestritten: In der Regel sind sich alle darin einig, da� einerseits die Thesen von D.J. Goldhagen nicht v�llig von der Hand zu weisen sind, aber andererseits der Sachverhalt doch zu komplex ist, als da� man ihn auf einen einfachen Nenner bringen k�nnte.

2. Da� Goldhagens schlichten Thesen eine Aufregung in Wissenschaft und �ffentlichkeit hervorgerufen haben, verdankt sich dem Umstand, da� Goldhagen eine heilige Kuh geschlachtet hat, von der nicht nur die Faschismusforschung lebt, sondern die auch der �ffentlichen Vergangenheitsbew�ltigung und der antifaschistischen Erziehung zugrundeliegt. Da m�gen die Deutschen sich noch so sehr bezichtigen, viel Schuld auf sich geladen zu haben; sie meinen damit nie, da� die Deutschen unter dem Faschismus mehrheitlich als Resultat einer politischen Entscheidung, also mit Willen und Bewu�tsein dem F�hrer gefolgt sind und seinen Antisemitismus geteilt haben. Das Schuldanerkenntnis ging den Deutschen nach 1945 gerade deswegen so glatt �ber die Lippen, weil jedermann davon �berzeugt war, da� sie f�r ihre Schuld nat�rlich nichts konnten. Sie haben sich eigentlich nur platonisch oder im Gefolge einer v�lkischen Sippenhaftung schuldig gemacht. Als Deutsche h�tten sie eben f�r die Taten von Deutschen Verantwortung �bernehmen m�ssen. Dabei seien die Massenmorde an Juden und anderen weniger willentlich von Deutschen als vielmehr in deutschem Namen begangen worden. F�r den Beweis, da� die Deutschen nicht gewollt haben, was da von ihnen, mit ihrer Beteiligung oder Duldung betrieben worden ist, haben sich emsige Wissenschaftler seit rund 50 Jahren einen Haufen falscher Theorien ausgedacht. (1) Da stehen eine zum Gehorsam neigende Menschennatur, historisch �berkommene Denkmuster, Hitlers Terror und Manipulationswesen, Konformit�tsdruck, die angebliche Geheimhaltung des Holocaust usw. f�r den Befund, da� die Deutschen ... (S. 27) All diese "Deutungen laufen", wie Goldhagen richtig feststellt, "auf die Frage hinaus, wie man Menschen dazu bringen kann, (willentlich) Taten zu begehen, denen sie innerlich nicht zustimmen". (S. 27)

Er weist diese "Deutungen", einschlie�lich der sich daraus ergebenden absurden Frage nach der Genese eines Willens, der laufend gegen sich selbst verst��t, zur�ck: "Es gibt keine Gr�nde f�r die Annahme, da� der moderne abendl�ndische und sogar christliche Mensch nicht in der Lage sein sollte, lebendigen Menschen ihren Wert abzusprechen und ihre Vernichtung zu fordern. Das haben im Laufe der Geschichte V�lker mit den unterschiedlichsten religi�sen, kulturellen und politischen Anschauungen vertreten, etwa die Kreuzfahrer und die Inquisitoren, um nur zwei Beispiele aus der Geschichte des christlichen Europa zu erw�hnen. Wer zweifelt daran, da� in Argentinien und Chile die M�rder derjenigen, die den autorit�ren Regimen der j�ngsten Zeit Widerstand leisteten, tats�chlich glaubten, da� ihre Opfer den Tod verdienten? Wer zweifelt daran, da� die Tutsi, die in Burundi die Hutu, oder die Hutu, die in Ruanda die Tutsi niedermetzelten, da� die libanesischen Milizen, die die zivilen Anh�nger der jeweils anderen Seite umbrachten, da� die Serben, die die Kroaten oder die bosnischen Moslems t�teten, dies jeweils in der �berzeugung taten, ihre Opfer h�tten ihr Schicksal verdient? Warum sollte das f�r die deutschen T�ter nicht gelten?" (S. 29) (2)

Dem ist zuzustimmen. Warum wollen deutsche Wissenschaftler, Erzieher und Politiker f�r die Deutschen des Dritten Reichs partout nicht gelten lassen, was sie mit gr��ter Selbstverst�ndlichkeit bei der Befassung mit allen �brigen vergangenen und aktuellen Metzeleien auf dem Globus unterstellen, n�mlich da� die T�ter ihre Gr�nde f�r ihre Taten gehabt haben? Kein Mensch, der den Holocaust f�r unerkl�rbar oder f�r das Produkt finsterster Triebe und ung�nstigster Zeitumst�nde erkl�rt, m�chte bezweifeln, da� mit den "ethnischen S�uberungen", die Serben wie Kroaten oder bosnische Moslems durchgef�hrt haben, auch genau dies von ihnen bezweckt worden ist, n�mlich rassereine Territorien herzustellen, auf denen sich eine ethnisch reine Staatsmacht etablieren und �ber ein ethnisch ges�ubertes Volk regieren soll, das sich hat einreden lassen, ab sofort keine Minute l�nger mit denjenigen Angeh�rigen eines "fremden Volkes" zusammenleben zu k�nnen, mit denen es bekanntlich unter Tito Jugoslawien aufgebaut hat. Doch f�r die eigene, die deutsche Mannschaft und ihr Treiben in exakt 12 Jahren ihrer Geschichte darf dies nicht gelten. Die Deutschen - immer mit Ausnahme der engeren F�hrungsmannschaft - gelten hinsichtlich des Antisemitismus nicht als "verantwortlich Handelnde, die durchaus in der Lage waren, sich zu entscheiden, und die insofern auch als Urheber ihrer eigenen Taten betrachtet werden m�ssen". (S. 12) Sie gelten mehrheitlich als "willenlose R�dchen", als Mitmacher wider Willen.

Wenn nun Goldhagen seine erste Feststellung, da� "die antisemitischen Auffassungen der Deutschen die zentrale Triebkraft f�r den Holocaust" waren, mit einer zweiten verbindet, derzufolge der "Antisemitismus vieler Tausende `gew�hnlicher` Deutscher veranla�te, Juden grausam zu ermorden", und an sie drittens die Schlu�folgerung kn�pft, da� "auch Millionen anderer Deutscher nicht anders gehandelt h�tten, w�ren sie in die entsprechenden Positionen gelangt" (S. 22), dann ist dies den Deutschen von heute einfach zuviel und sie verzeihen es nicht einmal bzw. erst recht nicht einem deutschst�mmigen Juden, so �ber das deutsche Volk zu urteilen.

Das aber hat Goldhagen, seinem eigenen Bekunden zufolge (S. 13), gar nicht vorgehabt. �ber das deutsche Volk wollte er gar nicht urteilen, sondern den Holocaust erkl�ren. Er wird deshalb in den Debatten auch nicht m�de zu betonen, da� die deutschen Demokraten von heute mit den Antisemiten von damals nichts mehr gemein haben: "Man kann die antij�dischen Ansichten und Handlungen vieler, wenn auch nicht aller Deutschen in der NS-Zeit verdammen und gleichzeitig die politischen und kulturellen Leistungen der Bundesrepublik und ihrer B�rger anerkennen. Liegt das nicht auf der Hand?" (Dossier, S. 13)

Das n�tzt nicht, denn er hat es nicht mit Diskutanten zu tun, die ein St�ck Geschichte nur etwas anders erkl�ren wollen, sondern mit deutschen Nationalisten, die als Publizisten, Historiker, Politiker und Betroffene verkleidet zur Debatte erscheinen und sich solche Urteile �ber die Deutschen von "Leuten, die davon nun wirklich nichts verstehen" (Augstein) (2) bzw. von diesem "amerikanischen Judenbengel, der nicht einmal dabei war" - so der von Fernsehteams auf der Stra�e aufgeschnappte gesunde Menschenverstand -, nicht bieten lassen wollen. Sie kennen nur ein Thema und wollen nur eine Frage verhandeln: Welches Bild vom deutschen Volk wird hier gezeichnet? (3) Und weil sie dem Buch eine Theorie �ber den Volkscharakter der Deutschen entnehmen, die ihnen nicht schmeckt, werfen sie Goldhagen ihren eigenen Rassismus vor. (4) H�tte er ein freundliches Bild von den Deutschen gezeichnet, dies gar noch aus ihrer Geschichte und Wesensart begr�ndet, w�re ihnen der Rassismus-Vorwurf nie �ber die Lippen gekommen.

Folglich verlaufen die Debatten nicht als Streit �ber eine These, sondern als Tribunal. In ihm sitzen �ffentliche Deutsche, die sich angeklagt f�hlen, aber gar nicht angeklagt sind, einem Wissenschaftler gegen�ber, der gar nicht klagen wollte, sich nun aber als Kl�ger vorgef�hrt sieht. Das hindert die vermeintlich Angeklagten nicht daran, die angenommene Rolle umzukehren, so da� aus dem Kl�ger, der keiner sein will, ein Angeklagter wird, was er dann erst recht nicht verstehen kann. Die Anklage bem�ht sich, dem Angeklagten mitzuteilen, da� er sich in der Zeit geirrt hat. Denn die Debatte, "ob Auschwitz nun ein einmaliges Verbrechen war, ... (sei) erledigt", wie der SPIEGEL-Herausgeber apodiktisch anmerkt. Damit hat er �brigens insofern recht, als sie sich f�r die deutsche Politik erledigt hat, die meint, die Deutschen seien lange genug in Sack und Asche herumgelaufen, wie das Phillip Jenninger einmal ausgesprochen hat. W�re Goldhagen in den 50er oder 60er Jahren mit seinen Thesen an die �ffentlichkeit getreten, h�tten die Deutschen schuldbewu�t dreingeschaut und sich beschimpfen lassen. Sie h�tten gewu�t, was sich f�r sie geh�rt, und w�ren dennoch zugleich davon �berzeugt gewesen, da� Goldhagen sich irrt. Letzteres an die gro�e Glocke zu h�ngen, w�re damals jedoch nicht opportun gewesen. Als Ma�stab f�r zul�ssige Beschimpfung oder Natur der Deutschen - und nur die wird in dem Buch entdeckt - gilt allein die heutige Stellung Deutschlands in der Welt. Und da "wir wieder wer sind, m�ssen wir uns so etwas nicht mehr gefallen lassen". Punktum! Ein bemerkenswertes nachtr�gliches Eingest�ndnis, da� sich Schuldanerkennung, Scham und �bernommene Verantwortung f�r NS-Verbrechen politischer Opportunit�t verdanken und keinem anderen Gesichtspunkt!

Deswegen ist die Debatte gekennzeichnet durch Unterleibsschl�ge der folgenden Art: Er sei damals nicht dabei gewesen, noch so jung, Ausl�nder, Jude, von seinem Vater, einem Holocaust-�berlebenden, manipuliert, der deutschen Sprache nicht m�chtig, unwissenschaftlich, perfide, charmant, f�rchterlich arrogant, nicht distanziert genug, was wiederum typisch sei f�r junge Forscher usw. Auch die Anklagen der Wissenschaft sind bemerkenswert: Das Feld sei viel zu komplex, als da� man es auf diese eine These reduzieren k�nne - was Goldhagen nicht trifft, denn wer f�r die Ausbreitung der Tautologie (5) vom willentlichen Handeln der Menschen 700 Seiten braucht, hat es sich wirklich nicht zu einfach, sondern schwer gemacht. Goldhagen habe viele Faktoren vergessen - was nicht stimmt, denn er klappert mehr oder weniger �berzeugend alle "Faktoren", die in der Literatur genannt werden, ab. (S. 439ff) Er pauschaliere - was zutrifft, aber kein Einwand ist, da er von den Deutschen als Staatsvolk redet. Er sei ein "Super-Intentionalist" - was als Kritik gedacht ist, aber ganz ohne Argument nur seine These in eine Schublade packt und sie damit f�r befassungsunw�rdig erkl�rt. Er k�nne keine exakten Zahlen dar�ber vorlegen, wie viele T�ter es denn nun gewesen seien - wo es ihm darauf gar nicht ankommt. Da� er eigentlich gar nichts Neues gebracht hat, denn Ch. Browning habe vor ihm alles schon dargelegt - was zutreffen kann, aber dann erst recht nicht die Aufregung erkl�rt. Seine Thesen seien, auch diese Behauptung findet sich, von demselben Ch. Browning l�ngst widerlegt worden - was nicht stimmt und zudem erst recht den Aufschrei in Deutschland unverst�ndlich erscheinen l��t. Er mystifiziere das deutsche Bewu�tsein und lote in ihm geradezu faustische Tiefen aus - was gleichfalls nicht stimmt. weil er das Gegenteil macht. Er insistiert n�mlich nur darauf, da� die Deutschen von ihren Taten ein Bewu�tsein hatten. Er verwechsele D�monisierung mit Erkl�rung - was nicht stimmt, sondern nur darauf verweist, da� man in seiner Erkl�rung nur eine D�monisierung der Deutschen entdecken m�chte. Er wolle nur provozieren - was ebenfalls nicht zutrifft, weil er argumentiert, wovon sich allerdings deutsche Nationalisten provoziert f�hlen. Er wolle die Kollektivschuldthese wieder auflegen, die l�ngst vom Tisch sei - was nicht stimmt, weder von seiner Absicht her (S. 11) noch von seinem Befund. Usw. So die Debatte, die um die deutsche Leserbriefkultur bereichert worden ist. Sie zeigt eines: Alles lassen sich die Deutschen gefallen, nur die Feststellung nicht, die behauptet, gro�e Teile des Volkes seien dem F�hrer aus eigenem Entschlu� gefolgt. Das trifft die deutschen Kritiker Goldhagens deswegen, weil sie in jenen Kategorien system�bergreifender v�lkischer Identit�t denken, die bereits Hitler zum Ma� f�r die Volksmoral gemacht hat. Und wer so denkt, der ist sofort beim Kern der Aufregung, den der Historiker Hans Mommsen etwas verklausuliert so formuliert: "Die Konsequenzen (des Buches) sind klar. Sie zielen auf die Gef�hrdung auch moderner, fortgeschrittener Gesellschaften, zu einer uneingestandenen Politik der Gewalt und des Verbrechens Zuflucht zu nehmen." (6) Gemeint ist: Wer modernen Gesellschaften, also auch der deutschen, so etwas zutraut, der will auch �ber die Deutschen von heute behaupten, sie w�rden immer noch eine Gefahr darstellen, der will Deutschland das Recht bestreiten, wieder - wie Helmut Kohl das formuliert (7) - "eine seiner gewachsenen Gr��e entsprechende Verantwortung in der Welt zu �bernehmen". An einem St�ck historischer Forschung wird eine Debatte angezettelt, die in allersch�nster Deutlichkeit offenbart, da� sich die deutsche Geisteselite die Ma�st�be ihres Denkens allemal von der Regierungsbank vorgeben l��t. Und so f�hren ihre Vertreter mit Daniel Goldhagen eine theoretische Debatte, in der sie an einem Gegenstand aus der deutschen Vergangenheit um das gegenw�rtige Deutschland und sein Recht k�mpfen, sich mit neu erstarktem nationalen Selbstbewu�tsein in die stattfindende Staatenkonkurrenz einzumischen.

3. Die ganze Aufregung um das Buch wird seiner sachlichen Aussage nicht gerecht. Sollte es Sch�lern und Lehrern gelingen, sich von der �ffentlich vorgegebenen nationalistischen Betrachtungsperspektive freizumachen, dann w�rden sie dem Buch �berm��ig viele Erkenntnisse gar nicht entnehmen k�nnen. Goldhagen hat genau genommen nur einen Gedanken entwickelt und sich dabei sogar einige Fehler geleistet:

* In seiner zentralen Aussage insistiert er darauf, da� die Deutschen auch in der Zeit von 1933-1945 das waren, was ihnen f�r die Zeit davor und danach niemand absprechen will. Willige Vollstrecker der Politik jener staatstragenden Kr�fte, die die Deutschen jeweils an die Macht gew�hlt haben, und von denen sie dann f�r nationale Anliegen in Dienst genommen worden sind. Dies ist ein Beweisanliegen, das - wie erw�hnt - f�r sich genommen fast einen tautologischen Charakter hat. Das ist im �brigen Goldhagens Res�mee selbst zu entnehmen: Das Buch "stellt die Behauptung auf, da� der Wille, die Juden zu t�ten, sowohl f�r Hitler wie f�r jene, die seine m�rderischen Pl�ne ausf�hrten, im wesentlichen aus einer einzigen gemeinsamen Quelle stammte, n�mlich einem b�sartigen Antisemitismus". (Dossier, S. 12) Auf die Frage, warum die Deutschen antisemitisch gehandelt haben, hat Goldhagen also die Antwort parat, sie seien eben Antisemiten gewesen und h�tten antisemitisch gedacht. Der Wille zur antisemitischen Tat entstammt also, Goldhagen zufolge, einem antisemitischen Denken.

Diese Tautologie steigt hierzulande nur deswegen in den Rang eines politischen Skandals auf, weil die deutsche Faschismusforschung und -lehre seit Jahrzehnten vehement und von ihrem politischen S�uberungsauftrag besessen das Faktum bestreitet, da� die Deutschen mehrheitlich gewollt haben, was der Faschismus an den Juden exekutiert hat. Sie behauptet, von einem willentlichen Mitmachertum k�nne keine Rede sein, weil Zwang und Terror, Propaganda, autorit�res Verhalten und historische Sozialisation usw. f�r ihr Tun verantwortlich gewesen seien.

Goldhagen dagegen "gesteht den Handelnden Menschlichkeit zu... (Er) erkennt an, da� die T�ter keine Autonmaten und keine Puppen waren, sondern Menschen, die ihre �berzeugungen hatten und deshalb auch in der Lage waren, die Politik der Regierung zu bewerten und ihre Entscheidungen danach auszurichten". (Dossier, S. 10) Nat�rlich liegt er mit dieser schlichten Feststellung richtig. Denn es ist nun einmal jede Tat, die politische zumal, die Ausf�hrung des vorher Gedachten. Menschliches Handeln ist seiner Natur nach bewu�tes, reflektiertes Handeln. Dies trifft f�r das Schuheputzen und den Gang zur Wahlurne ebenso zu wie f�r den soldatischen Gehorsam oder die Roheiten von Neofaschisten. Da� die �berlegungen, die zur Tat f�hren, gelegentlich nicht dem eigenen Interesse folgen, sondern die �bersetzung von Pflichten in Notwendigkeiten oder gar in Neigungen darstellen, �ndert an dem Befund nichts. Denn �berzeugt sind die Menschen von der Richtigkeit ihres Tuns auch dann, wenn es nur der Pflicht folgt. Denn immerhin legen sie sich - in der Demokratie ebenso wie im Faschismus - ihren Akt der Unterwerfung mit Argumenten zurecht, die ihn als gut begr�ndet erscheinen lassen - hei�t die allgemeinwohlverpflichtete Notwendigkeit nun Vorsehung, Deutschland und Zukunft oder Standort, Wachstum und Zukunft. Es zeichnet sogar die Menschen in b�rgerlichen Gesellschaften aus, da� sie ihren freien Willen eher dazu benutzen, sich �ber die Relativierung ihrer Anliegen den staatlich ins Recht gesetzten Interessen zu akkomodieren, als da� sie ihn dazu benutzen, die Gleichung "staatlich gesch�tzt" = "notwendig" einmal infrage zu stellen.

So gesehen ist die Frage, warum Menschen wider ihr Interesse handeln oder sich gegen jede Vernunft und Moral am fremden Interesse vergehen k�nnen, nicht nur die Konstatierung eines Paradoxons, sondern in doppelter Hinsicht eine falsch gestellte Frage. Denn zum einen wird der freie Wille dabei als so unbedingt mit einem moral- oder vernunftgeleiteten Inhalt verkn�pft gedacht, da� jeder von g�ltiger Moral und herrschender Vernunft abweichenden Tat gleich die Willentlichkeit des Handelns �berhaupt abgesprochen wird. Zum anderen sollte auffallen, da� so immer nur verfahren wird, wo Menschen dem "b�sen System" dienen oder sich dem "guten System" verweigern. Dagegen gelten der Widerstand gegen das "b�se System" ebenso wie die Unterwerfung unter das "gute System" umgekehrt als Leistungen des g�nzlich freien Willens. Deswegen stellen sich Forscher die Frage, wie es nur m�glich sein konnte, da� damals ganz normale Deutsche in KZs und anderswo zu Vollstreckern wurden. Aber die Frage, wie es nur m�glich ist, da� sich Deutsche heute daf�r hergeben, Ausl�nder an deutschen Grenzen zu jagen oder sie gewaltsam abzuschieben, bewegt diese Forscher nicht.

Nicht selten wird konzediert, da� die theoretische Zustimmung zum "B�sen" vielleicht noch nachvollziehbar ist, sich jedoch seine Vollstreckung durch normale Menschen jeder Erkl�rung entzieht. Offenbar ist dieser Vorstellung die schlechte Gewohnheit des B�rgers, das eigene Urteil nicht zum Ma�stab des Handelns zu machen, sondern es zum unverbindlichen Meinen zu degradieren, so in Fleisch und Blut �bergegangen, da� die selbstverst�ndliche Umsetzung eines Gedankens in die Tat wie eine Abnormit�t erscheint. �brigens ist vom B�rger sowohl das eine wie das andere verlangt: Die Trennung eines Anliegens von seiner Vollstreckung wird ihm hierzulande vorgeschrieben, wenn er eine unerw�nschte Kritik an der Politik vortr�gt. Wird ihm dagegen von seiner politischen F�hrung ein Auftrag erteilt, dann hat der sofort in die Tat umgesetzt zu werden. Beides macht er sich in der Regel zu eigen und verwechselt es h�chst selten. Weder erkl�rt er Gesetze oder Vorschriften zu einer unverbindlichen Meinung des Gesetzgebers, der man folgen oder dies auch lassen kann, noch l��t er sich einfallen, auf seinen eigenen Gr�nden wie auf g�ltigen Ma�st�ben f�r sein Tun auch dann zu bestehen, wenn er mit ihnen aneckt.

* Goldhagen leistet der Gewohnheit der Trennung von politischem Anliegen und politischer Tat dadurch theoretisch Vorschub, da� er die Frage der willentlichen Vollstreckung des Antisemitismus ins Zentrum seiner Untersuchung stellt. Auch er trennt theoretisch den Willen zur Tat von seinem Inhalt, dem Antisemitismus, und konstruiert einen Willen, den es nicht gibt - einen Willen ohne Inhalt. Deswegen meint er auch nie den Willen, wenn er von ihm redet, sondern so etwas wie Willentlichkeit. Als g�be es eine autonome Quelle des Willens ohne das Gewollte! Und nur deswegen interessiert er sich mehr f�r die Umst�nde des willentlichen Handelns - alle Abteilungen von Zwang und Freiheit im Faschismus - als f�r den Willensinhalt von T�tern und Mitt�tern im Faschismus. Der wird �u�erst stiefm�tterlich behandelt. Leider bem�ht er sich nicht nur darum, alle falschen Theorien �ber die "Mitmacher wider Willen" zu widerlegen - dies im �brigen mit Erfolg -, sondern m�chte den Beweis der Willentlichkeit des Handelns von Menschen im Faschismus erbringen. Es reicht ihm nicht zu wissen, da� die Menschen von der "zersetzenden Kraft des Judentums" �berzeugt waren. Er bem�ht historisches Material, mit dem er belegt, da� die Mitglieder eines T�tungskommandos, des Polizeibataillons 110, nicht unbedingt an den Erschie�ungen von Juden h�tten teilnehmen m�ssen. Er zitiert aus Briefen, in denen diese Polizisten davon erz�hlen, und wei� davon zu berichten, da� Angeh�rige von Fronttheatern um Teilnahme an Judenerschie�ungen gebeten h�tten. Und "bewiesen" hat er jedesmal nicht mehr, als da� im Faschismus Menschen von Hitlers Politik �berzeugt waren und sich deswegen an ihr beteiligt haben. (8)

Doch das reicht Goldhagen nicht. Am bestimmten antisemitischen Handeln interessieren ihn weniger die Gr�nde der Menschen, sondern als vielmehr die Frage, inwieweit sie z.B. die Teilnahme an einem Erschie�ungskommando ohne Gefahr f�r Leib und Leben h�tten verweigern k�nnen. In seiner Untersuchung geraten viele F�lle auf diese Weise zu einem inhaltlosen Ensemble von Freiheitsm�glichkeiten und Zwangsma�nahmen. Es ist manchmal fast makaber, wenn er in den Tatumst�nden danach forscht, ob Menschen die Tat h�tten verweigern k�nnen, die sie nun einmal gar nicht verweigern wollten. Statt die ganze 40j�hrige Debatte dar�ber, ob die Deutschen ein Opfer von Zwang, Manipulation und politischer Sozialisation geworden waren oder aus freien St�cken dem Judenvernichtsungsprogramm Hitlers zu Diensten standen, zu kritisieren, statt nachzuweisen, da� bereits die Fragestellung der Historiker falsch ist und sich allein einem politischen Reinigungsbed�rfnis verdankt, f�llt er letztlich auf sie herein. Er stellt in den Mittelpunkt seiner Arbeit nicht die Frage, was den Deutschen eingeleuchtet, was sie zur Zustimmung und zum aktiven Mitmachen gebracht hat, warum sie von welchen Zielen des Nationalsozialsimsu �berzeugt waren. Immer ger�t dabei das von inhaltlicher Zustimmung bestimmte Handeln der B�rger im Faschismus aus dem Blickfeld. Es mu� daher festgehalten werden, da� Goldhagen mit seiner Behauptung und seinem Beweisverfahren �ber weite Strecken seiner Arbeit die Besonderheit seines Gegenstandes, den deutschen Faschismus, nicht trifft.

* Er mischt sich zugleich in eine andere von der deutschen Faschismusforschung aufgemachte falsche Frage ein, n�mlich in die Schuldfrage. Mommsen und Co. interessiert brennend, wie viele Deutsche denn tats�chlich T�ter und zwar zurechnungsf�hige �berzeugungst�ter waren. (9) Diese Debatte ist deswegen so �rgerlich, weil sie anstelle der Erkl�rung des faschistischen Denkens und Tuns quasi juristische Urteile ermitteln, also fast gerichtsverwertbare Fakten erheben will. Nat�rlich nicht, um post festum einigen tausend Deutschen nachtr�glich den Proze� zu machen, sondern um mit dem Verweis auf die ermittelte Zahl der "wirklichen T�ter" alle �brigen Deutschen, die Hitler gew�hlt, gefeiert, unterst�tzt und seine Sache als die ihre willig an alle Fronten getragen haben, theoretisch zu entlasten. Goldhagen teilt diese falsche Sichtweise, nicht aber die Befunde, die hiesige Faschismusforscher dabei ans Tageslicht bef�rdert haben. Im Vorwort, das er der deutschen Auflage seines Buches hinzugef�gt hat, bekennt er sich in der Zur�ckweisung des Vorwurfs, er wolle den Kollektivschuld-Vorwurf erneuern, dazu: Es k�nnen "nicht Gruppen, sondern nur Individuen als schuldig betrachtet werden, und zwar als schuldig dessen, was sie pers�nlich getan haben. Der Begriff der Schuld sollte nur dann benutzt werden, wenn eine Person tats�chlich ein Verbrechen begangen hat. Spricht man von der Schuld einer Person, dann schwingt immer die Vorstellung justiziabler Schuld mit, die Schuld an einem Verbrechen. In Deutschland wie in den USA werden Menschen nicht daf�r schuldig gesprochen und entsprechend gesetzlich belangt, da� sie bestimmte Gedanken haben, da� sie andere Menschen hassen oder Verbrechen guthei�en, die andere ver�bt haben... Auch der blo�e Vorsatz oder die Bereitschaft, bei passender Gelegenheit ein Verbrechen zu ver�ben, reichen zu einer Verurteilung nicht aus. Das sollte auch f�r die Deutschen gelten, die w�hrend der NS-Zeit lebten... In diesem Buch bringe ich Nachweise, da� die Mitt�terschaft weiter verbreitet war, als viele bislang angenommen haben." (S. 11)

Dieser "justiziable Schuldbegriff", dieser Inbegriff der Trennung von Gedanke, sprich: Vorsatz, und Tat, liegt im Prinzip seinem ganzen Forschungssujet zugrunde. (S. 15ff u. S. 541ff) Goldhagen will Beweise f�r die "willige Vollstreckung" sammeln, die vor jedem Gericht Bestand haben k�nnen. So wasserdicht soll die Beweiskette sein, da� jeder T�ter, der sich mit dem Terror oder Gruppenzwang herausreden wollte, von Goldhagen nicht etwa mit dem schlichten Hinweis auf das eingerichtete Verh�ltnis von b�rgerlicher Herrschaft und einem Volk, dessen Benutzbarkeit f�r politische Anliegen mit seiner freiwilligen Zustimmung steht und f�llt, theoretisch widerlegt, sondern mit einem knallharten Gegenbeweis konfrontiert und damit der Falschaussage �berf�hrt werden k�nnte.

* Die Untersuchung des politischen Gehalts des Antisemitismus, der sich - wie Goldhagen wei� - keineswegs in eine historisch �berlieferte Diskriminierung von Semiten aufl�st, kommt also bei ihm zu kurz. Da� der nationalsozialistische Rassismus aus einer im Nationalismus begr�ndeten Feindschaftserkl�rung besteht, die im �brigen nicht nur den Juden, sondern dem "verjudeten Bolschewismus" (10) und dem Finanzkapital galt, wei� Goldhagen zwar - er zitiert h�ufig aus "Mein Kampf" -, ohne sich jedoch klar dar�ber zu sein, da� der Grund f�r den faschistischen Antisemitismus ganz ohne die Geschichte des Antisemitismus zu ermitteln ist. Dar�ber da� Hitler im Judentum eine existentielle Gefahr f�r Deutschland als Nationalstaat, f�r das deutsche Volkstum und f�r imperiale deutsche Anspr�che auf der Welt sah, da� dies den Deutschen mehrheitlich eingeleuchtet hat, da� Hitlers Judenfeindschaft gar nicht in dem historischen Antisemitismus, sondern in einem rassistischen Nationalismus begr�ndet war, dar�ber findet man bei Goldhagen wenig. (11) Er w�rde deshalb - wahrscheinlich sogar zusammen mit seinen deutschen Kritikern - vehement bestreiten, da� jeder deutsche Soldat, jede deutsche Mutter, jeder deutsche Pfim, Lehrer, Arbeiter oder Literat, der "von der Sache" �berzeugt war und an der Front, in der Fabrik, in der HJ, in der Schule oder im Wochenbett dem F�hrer bzw. der deutschen Sache zu Diensten war, zu den �berzeugungst�tern im Faschismus, zu den "willigen Vollstreckern" auch dann geh�rt hat, wenn er Juden selbst weder geschm�ht noch verfolgt oder eigenh�ndig ermordet, wenn er den Antisemitismus vielleicht sogar f�r �bertrieben gehalten hat und "nur" die Schmach von Versailles getilgt und das deutsche Recht auf Weltherrschaft verwirklicht sehen wollte.

* Goldhagen erkl�rt den Faschismus unter R�ckgriff auf die Geschichte des Antiseminitmus, entdeckt jedoch selbst, da� dies nicht ausreicht, da der Faschismus Besonderheiten - den Holocaust - aufweist, die den historischen Antisemitismus nicht immer auszeichnen. Mit seinem Begriff des "eliminatorischen Antisemitismus" versucht er die L�cke in seiner historischen Forschung zu schlie�en. Sein Argument hei�t: Der deutsche Faschismus unterscheidet sich von den historischen Vorl�ufern des Antisemitismus dadurch, da� er "eliminatorisch" bzw. "exterminatorisch" war. Goldhagen gibt damit zu verstehen, da� er um die neue politische Qualit�t wei�. Doch er trifft sie nicht. Um die besondere B�sartigkeit des faschistischen Antisemitismus zu unterstreichen, bem�ht er allein eine grammatische Steigerungsform. Bei ihm tritt an die Stelle der politischen Einordnung der wahnhaften Ideologie ein Superlativ: (12) "Die entschlossensten, giftigsten Antisemiten" (Dossier, S. 12) brauchte es, um den "virulenten eliminatorischen Antisemitismus" derart konsequent praktisch werden zu lassen. Seine These hei�t also: Ein immer virulenter eliminatorischer Antisemitismus braucht eine besondere Entschlossenheit zur Tat, damit er zur eliminatorischen Tat wird.

Diese Sortierung innerhalb des Antisemitismus - giftig, giftiger, am giftigsten = Faschismus - zeigt, da� Goldhagen nicht anzugeben vermag, woraus sich die Entschlossenheit zur Tat begr�ndet. Nun stimmt es, da� die rassistische Kernaussage ihrem geistigen Gehalt nach immer "virulent eliminatorisch" ist, egal ob sie von B�rgern "nur" gedacht, von Pfaffen gepredigt, (13) von Wissenschaftlern vertreten, von "Sektenf�hrern" zum Programm gemacht, von einem Kirchengericht zum Rechtsgrundsatz erhoben oder von Politikern zum Moment ihrer Staatsraison erkl�rt wird. Different ist in all diesen F�llen von Antisemitismus nicht ihr eliminatorischer Gehalt. (14) Different ist, wie mit ihm verfahren wird, wie er umgesetzt wird, ob bzw. wie er zum Programm von Politik wird. Wie mit Juden umgegangen wird, h�ngt davon ab, ob der Antisemitismus Meinungssache, Glaubenssache oder ob er Staatssache ist, wobei die �berg�nge zwischen diesen Formen erstens durchaus flie�end und zweitens immer mit t�dlichen Folgen f�r Juden verbunden sind bzw. waren.

Und sofern die Judenhetze zur Staatsangelegenheit erkl�rt wird, ist zu unterscheiden, ob sie im Staat zur rassistischen Bebilderung von Au�enpolitik je nach Konjunktur mal benutzt, dann aber auch wieder fallen gelassen wird, oder ob sie zur g�ltigen politisch-programmatischen Erkl�rung f�r nationalstaatlichen Mi�erfolg avanciert. Dann ist endg�ltig die "eliminatorische" Feindschaftserkl�rung zur Politik avanciert, der im Faschismus die Tat auf dem Fu�e folgt. Letzteres zeichnet den deutschen Faschismus aus. Mit moralisch gemeinten Komparationen ist ihm nicht beizukommen. Es haben die Nazis an Juden eben nicht "Geldwucher", "Separatismus" oder "�blen Geruch" entdeckt - ebenfalls lauter rassistische Titel f�r Aussonderungen. Vielmehr haben sie behauptet, Juden wollten die Grundlagen des deutschen Staats zerst�ren und das deutsche Volk zersetzen, also das angreifen, was f�r Faschisten das Allerheiligste ist.

* Goldhagen teilt letztlich mit seinen deutschen Kritikern die hierzulande durchgesetzte Reduktion des Faschismus auf Antisemitismus. Er sagt selber: Im Faschismus "kamen die entschlossensten, giftigsten Antisemiten in der Menschheitsgeschichte an die Macht und beschlossen eine m�rderische Phantasie zum Zentrum (Sperr. - d.A.) der staatlichen Politik zu machen". (Dossier, S. 12; vgl. S. 16) Hier irrt Goldhagen. Nur f�r die Durchf�hrung eines von Judenha� getragenen Ausrottungskonzepts ist Hitler nicht und w�re er auch nicht gew�hlt worden. Die �berwindung der "Schmach von Versailles" und die Abwehr der "j�disch-bolschewistischen Gefahr f�r Deutschland", nationale Ziele, an denen die Weimarer Regierungen gescheitert sind, haben ihm die W�hlerstimmen gebracht. F�r Goldhagen l�st sich der ganze Faschismus in ein staatliches Menschenvernichtungsprogramm auf, an dem der nationalstaatliche Gehalt gar nicht mehr erkennbar ist. Er versteigt sich sogar zu der These, da� "Die NS-Ideologie ... in der Lagerwelt (der KZs) gleichsam zu sich selbst" (S. 538) kam. Da� der Faschismus zun�chst einmal eine b�rgerliche Gesellschaft war, mit einem Staat und einem Rechtswesen, mit einer kapitalistischen Au�enpolitik, das wird vergessen. Da� der Faschismus Au�enpolitik anders begr�ndet als die Demokratie, da� er zum Kapitalismus eine sehr instrumentelle Stellung einnimmt, da� er neben den Kommunisten noch andere Feinde kennt, die er ausrotten will usw. �ndert an dem Befund nichts, da� es sich bei ihm um eine Variante von nationalstaatlichem Imperialismus handelt. Das tritt bei Goldhagen in den Hintergrund. Folglich kann er den Antisemitismus auch gar nicht als Moment von faschistischer Politik einordnen. Der Antisemitismus stand zwar - und steht noch - im Zentrum der theoretischen Aufarbeitung der NS-Zeit durch die Nachkriegsforschung, er stand aber nie im Zentrum der nationalsozialistischen Politik. Die besteht vielmehr in einem Programm, das zun�chst einmal die absolute Einheit von Volk und Staat postuliert und exekutiert, dann aus dieser Einheit das Recht auf Eroberungen ableitet, in dieser Einheit ein Mittel f�r ihre milit�rische Durchsetzung entdeckt und im Judentum bzw. Bolschewismus - dieser, laut Hitler, "j�dischen Erfindung" - die Hindernisse f�r den Aufstieg des deutschen Volkes zu seiner wahren Bestimmung erblickt, die es zu beseitigen gilt. Und da diese Gefahr mit der Minderwertigkeit der "Judenrasse" begr�ndet wird, sehen die Faschisten in der "Endl�sung" die Beseitigung einer Schranke, die der Erf�llung der eigentlichen Ziele nationalsozialistischer Politik im Weg steht.

* Erst diese Gleichsetzung von Faschismus mit Antisemitismus erlaubt Goldhagen die - durchaus verhaltenen, wenngleich verfehlten - Komplimente an die deutsche Nachkriegsdemokratie. Er verteilt sie, um den Vorwurf zu entkr�ften, er mache sich selbst "rassistischer Verallgemeinerungen" schuldig.

Kein Wunder, da� er das heutige Deutschland allein unter einem einzigen Gesichtspunkt w�rdigt: Wie stehen die Deutschen und der deutsche Staat von heute zum Judentum? Er f�llt damit in den Chor deutscher Ideologen ein, die Faschismus als Abwesenheit von Demokratie definieren und es deswegen leicht haben, die Demokratie f�r die Nichtidentit�t mit dem Faschismus zu loben. Bei Goldhagen klingt dasselbe so: "Statt (!) wie die politischen und gesellschaftlichen Institutionen vor 1945 antidemokratische und antisemitische Ansichten zu propagieren und zu best�rken, haben die Institutionen der Bundesrepublik Vorstellungen von Politik und Menschlichkeit gef�rdert, die dem Antisemitismus der NS-Zeit und der Zeit davor entgegenstehen und ihm die Legitimation entzogen haben. ... Der Jugend wurde die allgemeine �berzeugung vermittelt, da� alle Menschen gleich sind; es wurde ihnen nicht mehr beigebracht, da� die Menschheit aus einer Hierarchie von Rassen bestehe ... (All das hat) zum erwarteten Ergebnis gef�hrt: zu einer Abschw�chung und auch zu einem grunds�tzlichen Wandel des Antisemitismus." (S. 13) (15)

Welch vernichtendes Urteil er damit �ber Deutschland f�llt, das f�r ihn "von Grund auf demokratisch" (S. 12) ist, scheint ihm nicht klar zu sein. Zu sehr gibt er sich selbst als �berzeugter Demokrat, der in der Demokratie das Bollwerk gegen den Faschismus erblickt. Da� es sich bei dem deutschen Volk von heute um Adenauers, Brandts, Schmidts, Kohls willige Vollstrecker handelt, wird Goldhagen nicht bestreiten, doch g�nzlich anders einsortiert wissen wollen. F�r ihn sind heute Vollstrecker einer nicht mehr antisemitischen Staatsraison am Werke, die aus der Geschichte gelernt haben.

Dabei k�nnte D.J. Goldhagen der Debatte �ber sein Buch schon entnehmen, f�r welche "Lehren" beleidigte deutsche Nationalisten heute die Vergangenheit bem�hen. Sie lauten: 50 Jahre Vergangenheitsbew�ltigung sind genug! Schlu� mit dem antifaschistischen Schuldbekenntnis. Das deutsche Volk ist lange genug erniedrigt worden. Das alles pa�t nicht mehr zu den Vorhaben des neuen, vergr��erten Deutschland in der Welt. Und er h�tte daraus Lehren �ber die Demokratie ziehen k�nnen.

Sch�ler sollen aus der Goldhagen-Debatte lernen, da� die Zeit vorbei ist, in der "wir Deutschen" uns wegen der Vergangenheit beschimpfen lassen. Daf�r taugt die nationalistische Kritik an ihm. Als �ppige Materialsammlung "gegen das Vergessen" darf sein Buch dagegen positiv gew�rdigt werden. Ausschnitte werden in sp�teren Leseb�chern auftauchen. Aus diesem Umgang mit dem Buch k�nnten Sch�ler lernen, da� sie bei solchen Vorgaben f�r einen Unterricht "wider das Vergessen" glatt vergessen sollen, welche alten Ma�st�be die neue Demokratie wieder an Deutsche und Deutschland anlegt.

Anmerkungen:

(1) Goldhagens Buch greift zwar explizit nur die Holocaust-Forschung an, seine Kritik schlie�t aber viele andere Gebiete ein. Es ist n�mlich wissenschaftlicher Brauch, bei jedem "abweichenden Verhalten", jeder St�rung der �ffentlichen Ordnung, jeder Verletzung von Moral und Pflicht, jedem zum Verbrechen erkl�rten Handeln von Menschen - seien es die �berf�lle von Neofaschisten auf Asylbewerber oder die Randale von Hooligans, seinen es die "Chaostage" von Punks, die mit Waffen ausger�steten Sch�ler oder auch die b�rger der DDR usw. - erst einmal ganz selbstverst�ndlich davon auszugehen, da� hier Menschen nicht gewollt haben k�nnen, was sie getan haben. Wie selbstverst�ndlich gelten die Ausk�nfte der untersuchten Gruppen als zu vernachl�ssigendes Material, auch wenn die von ihnen selbst vorgetragenen Gr�nde noch so sehr den Taten selbst entsprechen. Ganz selbstverst�ndlich gelten die mit den Parolen "Deutschland den Deutschen, Ausl�nder raus!" begleiteten �berf�lle von Skins und Neonazis auf Ausl�nderwohnheime nicht als nationalistisch-rassistische Taten, sondern als Zeichen jugendlicher Orientierungslosigkeit in einer unwirtlichen Zeit, als Protestschrei gegen Jugendarbeitslosigkeit oder als Zeichen f�r eine tief im Menschen verankerte Furcht vor dem Fremden. Auch diese Psychologisierung bzw. Sozialpsychologisierung des wissenschaftlichen Denkens greift Goldhagen an, ohne allerdings seinen Angriff �ber die wissenschaftsimmanente Kritik hinauszutreiben. (vgl. z.B. F. Huisken, Nichts als Nationalismus, Hamburg 1994; ders., Jugendgewalt, Hamburg 1996).

(2) Vgl. auch die Antwort Goldhagens auf seine Kritiker im ZEIT-Dossier 02.08.1996, S. 14 (zit. als Dossier). Diese ausf�hrliche Kritik ist ein bemerkenswerter Schriftsatz, der f�r sich zu w�rdigen ist, insofern er vehement, berechtigt und �ber weite Strecken zutreffend auf schlichten Regeln des wissenschaftlichen Argumentierens insistiert, die hierzulande Rezensenten nicht interessieren. Sie alle h�tten nicht nur die Pflichten eines jeden Rezensenten vers�umt, zu denen geh�rt, da� man "dem Leser das Vorhaben des Autors mitteilt, seine Methoden vorstellt, sich mit seinen Forschungsergebnissen, Erkl�rungen und Schlu�folgerungen auseinandersetzt", sie h�tten vielmehr mit Angriffen "ad hominem" operiert und das Buch "wie ein sch�dliches Traktat, das einem index librorum prohibitorum �berantwortet werden sollte, f�r nicht befassungsw�rdig erkl�rt. (S. 10) Diese gediegene Form der Zur�ckweisung der Kritik wird nicht gerade dazu beitragen, da� ihn die zerrupfte Fachwelt ernsthaft zur Kenntnis nimmt. Im Gegenteil, wird es ihm als unertr�gliche Arroganz ausgelegt werden, wenn er - �berdies begr�ndet - feststellt, "da� bis zum heutigen Tage diejenigen, die �ber ihn geschrieben haben, ihn fehlerhaft dargelegt haben". (Dossier, S. 10) So etwas verzeihen Mommsen, J�ckel, Baring, Frei, Hildebrand und andere nicht.

(3) Spiegel 16/96, S. 32

(4) So stellte etwa Guido Knopp, verantwortlich f�r eine sechsteilige ZDF-Serie �ber Hitler im Jahre 1996, in der er s�mtliche in diesem Buch kritisierten Urteile �ber den Faschismus versammelt, als Moderator einer Debatte mit Goldhagen die Schlu�frage: "Was bedeutet das Buch f�r das internationale Bild von Deutschland und den Deutschen?" Und niemand wies ihn auf die Gegenstandsverfehlung hin. Nicht einmal Goldhagen selbst.

(5) Goldhaben mu� sich allerdings vorhalten lassen, diesem Vorwurf zwar nicht den Grund, aber immerhin Material geliefert zu haben. Wenn er etwa sein Kapitel �ber den historischen Antisemitismus res�miert: Es kann "nicht verwundern, da� es noch niemandem gelungen ist nachzuweisen, da� die gro�e Mehrheit der Deutschen oder auch nur wichtige Minderheiten ... zu irgendeinem Zeitpunkt imstande waren, ihr kulturelles antij�disches Erbe (!) zu �berwinden ..." (S. 105). Wer das "Erbe" der Vergangenheit zum Argument f�r den Rassismus der Gegenwart macht, der mu� sich zumindest die Kritik gefallen lassen, �ber den Nachweis des "Erbes" die Darlegung der Ursachen f�r die andauernde Virulenz vergessen zu haben.

(6) Siehe dazu weiter unten.

(7) SZ vom 20.06.1996

(8) �brigens derselbe Kohl, der zum Zwecke der Verpflichtung der europ�ischen Staaten auf die EU schon mal mit dem Argument kommt, nur die europ�ische Einheit k�nne verhindern, da� von Deutschland erneut eine Gefahr ausgehen k�nnte! Dabei w�re Kohl der letzte, der an die Gefahr einer Wiederauferstehung des Faschismus in Deutschland glaubt. Aber das Kokettieren mit dieser zur Drohung mutierten Anleihe bei alter Antifa-Selbstbezichtigung h�lt er in der Euro-Debatte f�r n�tzlich.

(9) Goldhagen wirft diese Frage selbst nur in sehr verquerer Weise auf: "... mein Buch besch�ftigt sich gar nicht mit der Frage, wie Schuld und Unschuld zu beurteilen (!) seien. Diese Themen geh�ren nicht zu dem wissenschaftlichen Unternehmen der Erkl�rung." (Dossier, S. 13) Er will nur Schuld und Unschuld eindeutig feststellen, sie nicht aber beurteilen. Doch selbst das geh�rt nicht zum "wissenschaftlichen Unternehmen der Erkl�rung".

(10) Dem Zusammenhang zwischen Bolschewismus und Judentum widmet Goldhagen eine Seite (460), in der es ihm auch nicht um den Inhalt geht, sondern darum, da� die deutschen T�ter von der Nazi-Ideologie �berzeugt waren.

(11) Es ist deswegen auch anzunehmen, da� sich f�r Goldhagen die Weltgeschichte in Ideengeschichte aufl�st. Warum sonst h�lt er den Nachweis der Historizit�t des Antisemitismus f�r so wichtig? H�tte er seine eigenen Andeutungen dar�ber, welchem mit Macht ausgestatteten politischen bzw. religi�s-politischen Interesse sich der historische Antisemitismus verdankte, ernst genommen, w�re er auf andere Fragestellungen gesto�en.

(12) Der Superlativ erinnert im �brigen an die Logik der Faschismusdefinition von Dimitroff. Auch bei dem ersetzt der Wort gewordene moralische Abscheu den theoretischen Begriff.

(13) Vgl. dazu die Arbeiten von L. Poliakov.

(14) Er meint "Wandel" und nicht etwa Tilgung. Allerdings f�hrt er nicht aus, worin der Antisemitismus im heutigen Deutschland nach "Abschw�chung" und "Wandel" besteht.

Interessant ist auch eine weitere �u�erung von ihm �ber Deutschland. In einer Debatte in den USA hat er gesagt: "Deutschland hat sich sehr ver�ndert. Seit 1949 sind antisemitistische �u�erungen strafbar. Es ist schwer f�r einen einzelnen, auf einem Standpunkt zu beharren, der in der ganzen Welt als falsch gilt." (In: J. H. Schoeps, Ein Volk von M�rdern, Hamburg, 1966, S. 52) Wollte er nun gesagt haben, da� die Deutschen eigentlich noch Antisemiten sind, aber zugleich Opportunisten gegen�ber der Weltmeinung? Wollte er Deutschland daf�r loben, da� es so dem Antisemitismus zuleibe r�ckt - den es aber dann wohl immer noch geben mu�? Oder wollte er seine eigene Theorie �ber die Genese Volksbewu�tsein kritisieren, wollte er sagen, nicht die Geschichte macht das Bewu�tsein, sondern die "herrschenden Gedanken sind die Gedanken der Herrschenden"?

(15) Ganz besonders kritische Menschen sehen in der aktuellen Debatte um das Buch eine Best�tigung von Goldhagens Thesen. Wie das, wo Goldhagen doch den deutschen Faschismus zum Thema hat? Zu diesem Befund gelangt man nur, wenn man in den Argumenten der Streitfront einen Beleg daf�r entdecken m�chte, da� "die Deutschen" eben aus ihrer Haut nicht heraus k�nnen, da� sie chronisch die Faschisten entschuldigen und die Faschismuskritiker beschimpfen. Das wollte jedoch Goldhagen - wie gezeigt - gar nicht beweisen. Die kritischen Kritiker nehmen also den Befund ernst, der dem Vorwurf von Baring, Mommsen, Augstein u.a. zugrunde liegt. Sie teilen den Betrachtungsma�stab der Historiker, demzufolge es eine deutsche Volksnatur gibt, �ber die Goldhagen "undifferenziert" geurteilt habe. Nur weisen sie die "Nestbeschmutzer" nicht zur�ck, sondern sehen sie durch die Debatte best�tigt. Sie f�hlen sich nach wie vor in Sack und Asche wohler.

Vorstehender Artikel findet sich in: Gutte, Rolf/Huisken, Freerk: Alles bew�ltigt, nichts begriffen! Nationalsozialismus im Unterricht; eine kritische Auseinandersetzung mit der antifaschistischen Erziehung. Berlin: edition ost, 1997, und wurde mit freundlicher Genehmigung des Autors zum Nachdruck mit "kritischen Auseinandersetzung" (so Freerk Huisken in einem Brief an die Redaktion der Kalaschnikow) freigegeben.