Soziologen an die Front!

Antwort von Prof. Priester

Unsere Antwort auf die Antwort

Drei Wochen nach Kriegsbeginn überraschten Professoren des Fachbereichs Sozialwissenschaften ihre Studenten mit sehr persönlichen Stellungnahmen zu den NATO- Einsätzen im Kosovo. In Form eines ,,Teach-Ins" wandten sieh die Autoritäten Sigrist, Krysmanski, Werner, Priester, Reichwein und Wienold der Aufgabe zu, das Kriegstreiben ins Licht der Soziologie zu rücken und den Unwissenden die Geschehnisse "vor unserer Haustür" zu erklären.

Als erstes macht Sigrist seiner Enttäuschung und Empörung Luft. Besonders hart traf ihn, daß die Grünen (die Partei seines Vertrauens) und insbesondere sein ehemaliger Student Nachtwei sich am Krieg beteiligen. Aufgrund dieser Enttäuschung hat ihn das Abstimmungsverhalten der PDS so sehr beeindruckt, daß er es mit einem Dankesbrief würdigte. Um seine Haltung gegen den Krieg zu begründen, erschien ihm der Hinweis auf seine persönliche Kriegserfahrung notwendig.

Für ihn ist der serbische Nationalismus, den Milosevic für seine Interessen (welche auch immer das sein mögen!) schürt, die Hauptursache für den Krieg im Kosovo. Nachdem wir nun umfangreich über Zwecke und Ursachen des Krieges informiert sind (und uns schon auf weitere Anekdoten aus Afghanistan freuen!) wirft er die bedeutungsschwangere Frage auf: Was tun?

Der Professor, der schließlich der einzige im Raum ist, der selber schon mal Krieger sein durfte, läßt uns nicht in Unwissenheit verharren. Die NATO, verkündet er, müsse Rußland viel stärker in ihr kriegerisches Treiben einbeziehen. Die EU soll sehen, daß sie die Amis irgendwie loswird und ansonsten wäre es immer noch besser Flüchtlinge aufzunehmen als Bomben zu schmeißen.

In seinem Statement geht es Sigrist nicht darum, aufzuzeigen, warum sich Staaten bekriegen. Er hat keine Kritik an den Zielen der NATO, hält es bloß für fraglich, ob sie mit den zur Zeit angewandten Methoden erreicht werden können. Wer, wie übrigens auch die PDS, der NATO bloß vorwirft, sie hätte nicht genug auf eine politische Lösung zur Durchsetzung ihrer Interessen gedrungen. hat an den Zielen des politischen

Handelns der imperialistischen Staaten dieses mächtigsten Militärbündnisses der Welt nichts auszusetzen. Eine solche Kritik wendet sich immer an die Staaten mit der Forderung, sie sollten ihre Gewalt angemessen gebrauchen. Dies ist automatisch eine Anerkennung der staatlichen Gewaltverhältnisse. Anstatt zu sagen, daß da, wo Staaten sich in einem Verhältnis der Konkurrenz gegenüberstehen, Krieg notwendig auf der Tagesordnung steht, immer da, wo ein anderer Staat sich den gewaltfreien Etpressungsversuchen von Diplomatie und Außenpolitik nicht beugen mag, verhält sich eine solche Kritik affirmativ zu den Ursachen des Krieges.

Obwohl auf diesen Umstand hingewiesen, will sich der Freund nationaler Befreiungsbewegungen, der stolz ist, demselben Sprachkreis wie Brecht, Marx und Goethe anzugehören, den Vorwurf des Nationalismus auf keinen Fall gefallen lassen.

Werner erkennt, daß auch die von der NATO als Einmischungsgrund gebrauchte UCK keine weiße Weste in Sachen Demokratie vorweisen kann. In aufwendigen Aufzählungen, gespickt mit Zitaten aus dem Grundsatzprogramm der Grünen, weist er insbesondere der Bundesregierung nach, daß sie sich nicht an die Ideale hält, die sie verkündet. Selbst das Grundgesetz sieht er in Gefahr, wenn nicht sogar schon aufgehoben.

Die ziemlich simple Feststellung, daß der Staat sieh in seinem Handeln nicht von den Zielen leiten läßt, die seine Vertreter vorgeben, ist für Werner jedoch kein Grund zu überlegen, was an diesen Idealen überhaupt dran ist. Noch weniger stellt er sich die Frage, ob die Beschaffenheit einer Institution, wie sie der Staat darstellt, diesen Widerspruch, der bei ihm so große Empörung auslöst, nicht in sich selbst birgt. Somit verharrt Werner, der seine Ausführungen mit persönlichen Erfahrungen aus der Friedensbewegung spickt und sich sogar mal überlegt hat, ob er sich nicht vor den CASTOR auf die Schienen setzen soll, bei der Forderung an den Staat, er möge doch wenigstens seine eigenen Regeln einhalten, wenn er schon Krieg führt.

Krysmanski bringt nun endlich die soziologische Ebene ins Spiel, denn, so erfahren wir, der eigentliche Grund, warum Krieg geführt wird, ist, daß Clinton, Scharping. Schröder und Fischer der Baby-Boomer-Generation angehören. Sie haben selber nie erfahren, was Krieg eigentlich bedeutet, nur so läßt sich erklären, warum sie sich gegen den Rat von erfahrenen Soldaten für einen Kampfeinsatz entschieden haben. Wer solch ein ,,Argument" bringt, kommt natürlich um den Hinweis nicht drumrum, daß er selber sowohl den Bombenterror aus der Perspektive des Luftschutzkellers als auch das Elend eines Flüchtlingstrecks am eigenen Leib erfahren hat.

Was Krysmanski bei dem NATO-Angriff Bauchschmerzen bereitet, ist die enorme Verschwendung von Steuergeldem, die der Krieg darstellt (bis jetzt etwa 20 Milliarden ~). Die Begründung dafür soll sein, daß es einen ,,Militärisch-Industriellen-Komplex" in Amerika gibt, also die Verantwortlichen der Rüstungsindustrie maßgeblichen Einfluß auf die Politik haben. Der Krieg ist nichts weiter als die Schaffung eines Absatzmarktes für die Waffenhändler. Um zu erklären, warum gerade die Rüstungsindustrie der Regierung sagt, wo Krieg zu führen sei (es könnte ja auch genau so gut die Filmindustrie sein, die die Fäden in der Hand hält) bedarf es schon einer anständigen Verschwörungstheorie, die auch prompt mitgeliefert wird: Fischer, der eigentlich eine Linker war, trifft sich seit Jahren (!) mit Henry Kissinger (!!!).

Krysmanski macht eine einfachen Feststellung:

Der Krieg lohnt sich wirtschaftlich nicht (schließlich geht es um die ,,Müllhalde des Balkans" (FR)). Das will er aber einfach nicht wahr haben und erfindet ökonomische Gründe, die den Krieg in Jugoslawien nicht erklären können. USA und NATO schmeißen ihre Bomben schließlich nicht einfach so, um damit Geld zu verdienen, sonst würden ihnen noch ein paar andere Ziele einfallen. Die Feststellung, das jeder Krieg bezahlt sein will und das diejenigen, die die Kosten tragen müssen, nicht die selben sind, die sich noch an dem hinterletzten Gemetzel bereichern, ist ja richtig. Trotzdem täte Krysmanski gut daran den Sprecher des Weißen Hauses beim Wort zu nehmen, wenn dieser sagt, die Kosten spielen keine Rolle. Die NATO sicht sich als zuständige Ordnungsmacht und Serbien widersetzt sich diesem Anspruch. Es steht deshalb für die Allianz weit mehr auf dem Spiel als irgend ein realer Profit. Die NATO-Sprecher sagen selbst, es geht um ihre Glaubwürdigkeit und diese Glaubwürdigkeit, daß die NATO bereit ist, ihre Interessen mit Gewalt durchzusetzen, ist die Voraussetzung für das ökonomische Vorankommen der imperialistischen Länder. Alles, was nicht ein totaler Sieg der NATO ist, wird deshalb als Niederlage gewertet. Die bedingungslose Anerkennung der NATO-Zuständigkeit erlaubt keine Zugeständnisse. Das mächtigste Militärbündnis der Welt legt auf seine Rolle als uneingeschränkter Weltordner so viel Wert, daß so profane Dinge wie Geld nicht wirklich zur Geltung kommen. Wer sich das verdeutlicht, braucht dann auch nicht auf die Verschwörung des Weltmonopolkapitals zurückgreifen.

Auf die Position von Priester und Reichwein soll hier nicht eingegangen werden, da sie sich der aus Funk und Femsehen bekannten Kriegspropaganda angeschlossen haben (Auch Priester mußte ihren persönlichen Erfahrungen Geltung verleihen: Sie war in Bosnien und hat die Leiden des Krieges (Ethnische Säuberungen!) gesehen.).

Fazit: Die Veranstaltung war sehr informativ, was die persönlichen Schicksale der Dozenten anbelangt. Persönliche Betroffenheit ist jedoch kein Argument für gar nichts. Das was dann an Analyse gebracht wurde war unzusammenhängend und falsch. Falls es eine Fortsetzung dieses ,,Teach-Ins" gibt, kann nur an die Studenten appelliert werden, diese Realsatire nicht einfach hinzunehmen und wenigstens mit ,,Walk-Outs" darauf zu antworten.

 

 

 


 

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Auf destruktive Kritik einzugehen lohnt sich nicht, aber Faischinformationen Ihrer Leser/innen müssen klargestellt werden. 

Ich habe nicht gesagt, daß ich in Bosnien war, sondern im Kosovo. Ich habe nicht gesagt, daß ich die Leiden des Krieges gesehen habe, sondern daß vor 12 Jahren schon, dem Zeitpunkt meines Aufenthalts, die Diskriminierung und Drangsalierung der albanischen Bevölkerung im Kosovo zu beobachten war.

Kleine Empfehlung für weitere Veranstaltungen; HINHÖREN!

Offenbar hören Sie nur das, was Sie hören wollen und nehmen nur das wahr, was in Ihr Raster paßt. Behalten Sie ruhig weiter Ihre Scheuklappen; setzen Sie hinter ethnische Säuberungen ruhig weiter ein ironisch-destruktives Ausrufezeichen - das ändert nichts daran, daß genau dies dort z.Zt. stattfindet.

Mit freundlichen Grüßen

K. Priester

 

 


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Prof Dr. Karin Priester

Betr.: Ihre Antwort auf unser Flugblatt ,,Soziologen an die Front!"

 

Es tut uns leid, daß wir Ihre persönlichen Erfahrungen falsch zitiert haben. Nach über einer Stunde Aufregung darüber, daß von Akademikern tatsächlich ihre persönlichen Erfahrungen als Argument hochgehalten werden, ohne damit irgend etwas zu erklären, ist es uns offensichtlich nicht gelungen, ausreichend zuzuhören.

Trotzdem: Persönliche Erfahrungen, ob in Bosnien oder im Kosovo, tragen nichts dazu bei, die Gründe für ethnische Säuberungen oder den sonstigen Krieg zu erklären. An einer Erklärung, aus der sich dann eine Kritik und somit auch eine Handlungsanweisung ableiten ließe, waren weder Sie noch Ihre Kollegen interessiert. Ihre Rede ist als Rechtfertigung des NATO-Krieges verstanden worden. Die Argumentation: Im Kosovo finden ethnische Säuberungen statt, also muß die NATO Bomben schmeißen, ist tatsächlich bekannt aus Funk und Fernsehen.

Aber schön, nehmen wir einmal an, es ginge der NATO wirklich darum, ethnische Säuberungen zu verhindern. Kommt es Ihnen nicht merkwürdig vor, daß die Vertreibung erst durch den NATO-Angriff so richtig in Schwung kam? Finden Sie es nicht seltsam, daß die Flüchtlinge, um die es doch gehen soll, in Lagern an der Grenze festgehalten werden und ihnen nicht die Möglichkeit gegeben wird, anständig zu leben, ihre Heimat zu verlassen, wenn sie das denn wollen? Sind Fallschirmjäger wirklich die besten Helfer für humanitäre Katastrophen? Könnte es nicht sein, daß die NATO mit den Flüchtlingen etwas ganz anderes vor hat, als ihnen zu helfen? Haben Sie mal darüber nachgedächt, daß die Flüchtlinge in ihrem Elend vielleicht ein günstiges Anschauungsmaterial abgeben, um die Greueltaten der Kriegsfeinde aufzuzeigen? Warum werden den Flüchtlingen extra für die Kameras Teddybären in die Hand gedrückt? Wäre Brot nicht angebrachter? Kann es nicht sein, daß die Flüchtlinge an der Grenze bleiben sollen, von Soldaten bewacht, um so die Rechtfertigung für einen militärischen Brückenkopf für Bodentruppen zu schaffen? Und schließlich: Zeigt das Beharren auf einer heimatnahen Lösung nicht, daß die NATO auf genau diesen Menschen besteht, als das Menschenmaterial eines, der Souveränität Jugoslawiens entzogenen Kosovo, das den NATO-Interessen entspricht? Wie sehr hilft die NATO-Politik, die offensichtlich die Flüchtlinge benutzt, den Menschen im Kosovo?

Offenbar sehen Sie nur das, was Sie sehen wollen und nehmen nur das wahr, was in Ihre Ideologie paßt. Verwechseln Sie ruhig weiter die von den Herrschenden ausgegebenen Ideale mit dem Zweck der Herrschaft und erklären Sie sich nicht, wer, wann, warum und wie ethnische Säuberungen betreibt - das ändert nichts daran, daß sich das Eingehen auf Kritik immer da lohnt, wo es um die Erklärung eines Gegenstandes geht und nicht um moralische Empörung.

Mit freundlichen Grüßen, destruktive kritik