Arbeitsgruppe:

Arbeit und Armut im Kapitalismus

Dass viele keine Arbeit haben, gilt allgemein als ein gesellschaftliches Problem. Nicht die Armut der Arbeitslosen, sondern dass sie den Sozialkassen zur Last fallen, gilt als Missstand, der abgeschafft gehört. Und die Politik nimmt sich dieses Problems an: An zu hohen Lohn- und Lohnnebenkosten, „überzogenen“ Arbeitsschutzgesetzen, zu hohen Sozialleistungen und zu geringer Lebensarbeitszeit werden lauter „Beschäftigungshindernisse“ entdeckt und abgebaut. Die kritische Öffentlichkeit begleitet alle Maßnahmen mit der Frage, ob auch wirklich das Mögliche getan wird, um Arbeitslose wieder in Beschäftigung zu bringen. 
Über eines muss man sich dabei schon wundern: Wenn es nicht mehr so viel zu tun gibt, das Nötige von weniger Leuten in kürzerer Zeit zu erledigen ist - warum braucht dann überhaupt jeder Arbeit, und auch noch so viele voll gepackte Arbeitsstunden, um leben zu können? Dass weniger Arbeit ersparte Mühe bedeutet: Warum gilt die Gleichung nicht?
Sich die Bedingungen klarzumachen, denen die Marktwirtschaft die Arbeit unterwirft, ist garantiert kein Beitrag zur Lösung der "drängenden gesellschaftlichen Probleme". Das hält uns aber nicht davon ab, die Klärung dieser Sache mit den folgenden Thesen, die hiermit zur Diskussion gestellt sind, in Angriff zu nehmen:


1. In der Marktwirtschaft wird gearbeitet, nicht um die Menschheit mit der benötigten Vielfalt von Gebrauchsgütern, mit materiellem Reichtum zu versorgen, sondern um Geld zu verdienen. In dieser ökonomischen Zielsetzung, Eigentum in Geldform zu erwerben, sind sich die Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft über alle Standesgrenzen und Klassenschranken hinweg einig. Denn für alle gilt unterschiedslos, dass die Befriedigung von Bedürfnissen nicht allein vom Vorhandensein nützlicher Dinge, sondern von einem ausschließenden Verfügungsrecht darüber abhängt - vom Eigentum. Als Eigentum nämlich: als dem materiellen Bedürfnis nach ihnen erst einmal entzogene Objekte einer privaten Verfügungsmacht, kommen die benötigten Arbeitsprodukte in die Welt. 

2. Deswegen entscheidet sich für die Mitglieder dieser egalitären Gesellschaft des Geldverdienens ökonomisch alles daran, ob sie schon Geld haben oder erst welches verdienen müssen. Wer nämlich arbeiten muss, um ein Stück Eigentum zu erwerben, weil der materielle Reichtum der Gesellschaft schon anderen gehört, der braucht jemanden, der Geld hat und ihn für seine Arbeit bezahlt. Und der ist folgerichtig damit konfrontiert, dass seine Arbeit nur sehr bedingt sein Mittel ist, um an wohlverdientes eigenes Geld heranzukommen, das ihm ein bisschen Zugriff auf die Warenwelt gestattet. Um ihm diesen Dienst zu tun, muss sich seine Arbeit unbedingt als Mittel seines Geldgebers bewähren - für dessen gleichlautenden Zweck. Wer für Geld arbeitet, dient dem Eigentum also gleich doppelt: dem eigenen und einem fremden. Umgekehrt umgekehrt: Wer in der Marktwirtschaft genügend Geld hat, der ist in der Lage, ein Geldeinkommen in fremden Händen zu stiften und durch die gekauften Dienste sein Eigentum zu vergrößern. 

3. Beide Seiten zählt die Marktwirtschaft in ihrer unverwüstlichen Gleichmacherei zu ihren "Erwerbstätigen". Dennoch ist sich jeder im Klaren über die unterschiedlichen Leistungen der Arbeit, die die einen "geben" und die andern "nehmen". Sie schafft Eigentum, das dasjenige vermehrt, welches es schon gibt; dem Arbeiter verschafft sie ein Geld, das ihn nie zum Eigentümer in dem Sinn werden läßt. Wo für Geld gearbeitet wird, da dient eben nicht das Geld der Arbeit als nützliches Hilfsmittel, sondern die Arbeit dem Geld als dessen Quelle. Was in der Marktwirtschaft aus der Arbeit wird, ist daher ausschließlich durch den Gebrauch bestimmt, den das als Kapital agierende Eigentum von ihr macht.

4. Wer sich durch Arbeit Geld erwerben muss, ist ein armer Tropf. Denn er ist unbedingt darauf angewiesen, von einem Geldbesitzer „beschäftigt“ zu werden, um Geld zum Leben zu haben, wohingegen jener so frei ist, Leute nur einzustellen, wenn und solange ihre Arbeit zu einer Vermehrung seines Eigentums führt, und andernfalls darauf zu verzichten und Arbeiter arbeits-, also einkommenslos zu machen. Dann ist zweitens auch klar, wer die Macht hat, die Bedingungen des Arbeitsvertrages zu setzen: Wer sich die Anforderungen des Unternehmers: viel arbeiten für wenig Geld, nicht bieten lassen will, kann ja sehen, wo er bleibt.

5. Schließlich ist durch das Geld, welches der Eigentümer dem Arbeiter für die Mehrung seines Eigentums zahlt, klargestellt, dass die Produkte der Arbeit den Arbeiter nichts angehen, sondern dem Eigentümer gehören: Der zahlt den Lohn schließlich bloß deshalb, um aus dem Verkauf der Produkte Gewinne zu machen. Die Produkte seines Bedarfs muss sich der Arbeiter allesamt von Eigentümern zurückkaufen. Sein gesamter Lohn geht an die Unternehmer zurück, die sich damit einen Teil ihrer Produkte zu Geld machen lassen, auf das es ihnen schließlich nur ankommt. 

6. So bleiben die Arbeiter dauerhaft so arm, dass sie gezwungen sind, Monat für Monat und Jahr für Jahr arbeiten zu gehen, ohne jemals genug zu verdienen, um ohne Arbeitgeber leben zu können. Das Elend der Klasse, die lebt um zu arbeiten, ist die notwendige Bedingung für die Anhäufung des Reichtums auf der anderen Seite, der in der besten aller möglichen Welten, die früher einmal „Kapitalismus“ hieß, sämtliche Lebens- und Überlebensinteressen in der Gesellschaft untergeordnet sind.

7. Die Absurdität des "Systems", der Grund seiner Schädlichkeit für die Masse seiner Insassen, liegt also nicht darin, dass Arbeit nicht stattfindet, wenn sie nicht rentabel ist, sondern dass sie stattfindet, weil es um Rentabilität geht. Seine soziale Gemeinheit beginnt nicht damit, dass die Leute, die Arbeit brauchen, oft keine finden, sondern besteht schon darin, dass sie Arbeit brauchen; dass sie dann noch nicht einmal sicher sein können, eine zu finden, folgt daraus von ganz allein.


Veranstalter dieser Arbeitsgruppe ist die Gruppe destruktive kritik.