Arbeitsgruppe: 

Rassismus – die moralische Sicht auf die staatliche Menschen-Sortierung

Alle Welt scheint derzeit gegen Rassismus und Antisemitismus zu kämpfen. Vom Bundeskanzler über die Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen bis hin zu Gremliza mit seiner konkret sind die Leute mit der Entlarvung von Rassisten und Antisemiten befasst. 

Um Entlarvungen dieser Art soll es in unserer Arbeitsgruppe nicht gehen. Wir wollen die Frage stellen (und beantworten): Was ist eigentlich Rassismus? Dazu fünf Thesen als Ausgangspunkt für die Diskussion:

  1. Der aktuelle Streit über Antisemitismus ist typisch dafür, wie in der BRD-Öffentlichkeit über Rassismus diskutiert wird: Rassismus wird „entlarvt“ und „verurteilt“ – aber völlig ohne jedes Argument. Möllemann wird z. B. allen Ernstes vorgeworfen, er habe mit seinen Äußerungen ein Tabu gebrochen und gegen den seit 50 Jahren bestehenden Grundkonsens der BRD verstoßen (1) . Daß er etwas Verbotenes getan hat – das ist also der ganze Vorwurf. Eine begründete Kritik rassistischer Auffassungen ist dagegen in der öffentlichen Debatte nicht üblich. Kein Wunder:
    Wenn Möllemann z. B. behauptet, Friedmann und Sharon würden den Antisemitismus befördern, dann findet er es anscheinend einleuchtend, dass man aus der Politik von Sharon und aus den Äußerungen von Friedmann Schlüsse über die Juden zieht. Das ist schon ein rassistischer Gedanke (2) – bloß: Wie sollen Leute diesen Gedanken kritisieren, die es gleichzeitig einleuchtend finden, daß man aus der besonderen deutschen Geschichte Schlüsse über eine besondere historische und moralische Verantwortung der Deutschen zieht? Daß überhaupt immerzu "wir" als Deutsche betroffen sind, vom Amok-Lauf in Erfurt, vom Nitrofen-Skandal oder wovon auch immer? Wie sollen Leute Möllemann kritisieren, die genauso in nationalen Kollektiven denken wie er?
  2. Das Denken in nationalen Kollektiven ist der logische Ausgangspunkt des Rassismus. Bevor Rassisten mit dem Ausgrenzen beginnen, haben sie kräftig eingegrenzt: Rassisten sind Nationalisten, die eigene Nation gilt ihnen nicht einfach als das, was sie ist, nämlich als die zwangsweise Unterwerfung einer Gruppe von Menschen unter eine staatliche Gewalt, die ihnen die Lebensbedingungen vorschreibt, sondern die Nation stellen sie sich gerne als etwas „höheres“ vor als dieses banale Gewaltverhältnis. In der moralischen Sichtweise von Patrioten ist die Nation eine große Gemeinschaft, die jeden an seinen Platz stellt, und die gut funktioniert, wenn alle anständig an ihrem Platz ihre Pflicht tun. In dieser verqueren Sichtweise erscheint der Staat als so etwas wie ein „Gemeinwesen“.
  3. Dieses eingebildete „Gemeinwesen“ kennt allerdings jede Menge Unterschiede zwischen den Menschen, die es bevölkern: Es gibt eine „Elite“ auf der einen Seite, die „kleinen Leute“ am anderen Ende der Skala. Es gibt Leute, die eine umfassende Ausbildung über Gymnasium und Hochschule genießen, und auf der anderen Seite eher „einfache Menschen“, für die es auf der Hauptschule eine Ausbildung in elementarer Rechtschreibung und den vier Grundrechenarten gibt. Schließlich gibt es anständige Bürger, die ihre Pflicht tun, und Verbrecher und Lumpen auf der anderen Seite, die sich nicht an die Regeln halten.
    Und es gibt die härteste Unterscheidung, die so ein wohlgeordnetes Gemeinwesen an den Menschen vornimmt: Zwischen denen, die überhaupt dazu gehören dürfen, und den Ausländern. Für letztere Kategorie von Menschen hat jeder Staat sein spezielles Ausländerrecht, daß selbst den bloßen Aufenthalt auf dem Staatsgebiet unter den Vorbehalt einer besonderen Genehmigung stellt. Der Staat hat bei Ausländern nämlich immer einen ganz grundsätzlichen Zweifel an ihrer Staatstreue: Sie gehören ja immer noch zu einem anderen Staat, sind also niemals bedingungs- und alternativlos ihm gegenüber loyal.
  4. Diese Sortierung der Menschheit, ihre Einteilung in Kategorien, die jeweils unterschiedlichen Nutzen und Schaden beinhalten, ist die materielle Grundlage jedes Rassismus. Die Leute werden von „oben“, von Staat und Wirtschaft, auf verschiedene Positionen der Gesellschaft sortiert, und diese Sortierung wird durch ein Menschenbild gerechtfertigt, das die Position, die jeder bekommt, als seiner Natur gemäß rechtfertigt. Der Hauptschüler ist sowieso von klein auf eher praktisch begabt, der Verbrecher hat die Asozialität in den Genen, und die Ausländer gehören schon deshalb nicht dazu, weil sie nicht schon immer hier waren, auch etwas anderes kennen, als von Natur/Geburt aus zu Deutschland gehören, und womöglich sogar nur wegen materieller Berechnungen hier sind, und nicht, wie „wir“, weil es ihre Natur wäre, deutsch zu sein.
    Das ist Rassismus: Die moralisch verklärende, legitimierende Sichtweise auf die von Staat und Kapital praktisch hergestellten Unterschiede innerhalb der Menschheit. Es ist die Art und Weise, wie der Staat möchte, daß seine Menschensortierung gesehen wird.
  5. Eine falsche Kritik am Rassismus ist es deshalb, ihn selbst für eine Form von „Unterdrückung“ oder gar für ein „Herrschaftsverhältnis“ zu halten. Die Sortierung der Menschheit: in arm und reich, dumm und schlau, deutsch und ausländisch ist nicht die Folge eines rassistischen Gedankens, sondern die Folge eines staatlichen Kalküls, sie folgt dem staatlichen Interesse am Umgang mit seinem Menschenmaterial. Ausländer unterliegen nicht deshalb dem Ausländerrecht, weil sie für minderwertig gehalten werden. Umgekehrt: Das staatliche Interesse an einer Sonderbehandlung für Ausländer braucht den Rassismus zu seiner Rechtfertigung.

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(1) So z. B. NRW-Ministerpräsident Clement am 6.6. im Landtag.

(2) Die Taten/Äußerungen von Sharon und Friedmann hängen nach dieser Logik nämlich mit ihrem jüdischen Nationalcharakter zusammen – anders geht der Umkehrschluß von den Taten bzw. Äußerungen auf einen dadurch geförderten Antisemitismus nicht. 


Veranstalter dieser Arbeitsgruppe ist die Gruppe destruktive kritik.