Freerk Huisken
Gute Taten für Deutschland
Ist der neue Anti-Rassismus ein Akt vorauseilenden Gehorsams? Ein Beitrag
zur Kritik einer bornierten Bewegung
Wer sich hartnäckig weigert, aus seinen Fehlern zu lernen, für den sind es eben
keine:
Da gab es hierzulande eine Bewegung, die mahnte bei ihrer Herrschaft den Frieden an. Der
stünde Deutschland besser zu Gesicht als der Krieg, weswegen das Land auch keine
Pershings brauche und nicht schon wieder Schlachtfeld werden dürfe. Der Streit über die
anständigste Sicherheitspolitik für die Heimat führte »auf der Straße« zu
zahlreichen Mißverständnissen, die inzwischen längst behoben sind. Der Schulterschluß
zwischen alter/neuer Friedensbewegung und denen, die noch in jeden Frieden Bewegung
bringen, ist während des Golfkriegs endgültig vollzogen worden: Deutsche Politik, so
sieht man die Dinge, ist Friedenspolitik, die sich nur in gerechte Kriege einmischt; was
wir unserer Vergangenheit bekanntlich schuldig sind - mag sich das neue Großdeutschland
auch so unverschämt aufführen, wie immer es will.
Da gab es eine Bewegung, die setzte sich für eine saubere »Umwelt« ein. Die sei für
den deutschen Wald, die deutschen Gewässer, deutsche Luft und sogar für die Deutschen
selber gesünder, weswegen das Land auch keine AKWs, keine Stinke-Autos und keine
unkontrollierte Müllbeseitigung brauche. Auch hier inzwischen dasselbe Bild: »Umwelt« -
das ist ein anerkannter Titel und Inhalt von Politik, in der sich die grünen Blockierer
von einst bewähren dürfen. Der Streit von damals spielt dort, wo er seiner Qualität
nach auch hingehört, im Parlament. Und selbst die Atomlobby zollt Joschka Fischer
mittlerweile Beifall für seine Fähigkeit, Lücken in der Gesetzgebung zu erspähen - die
dann natürlich geschlossen werden müssen.
Jetzt beginnt das Theater von neuem: Eine Bewegung gegen Rassismus in Deutschland bricht
los, findet Fremdenhaß unmoralisch und meldet Einwände gegen die offizielle
Ausländerpolitik an. Und erneut wird sie umgehend von der großen Politik eingeholt; was
sich nicht einem Naturgesetz des Protestierens in demokratischen Staaten, sondern erneut
einzig und allein dem Inhalt des Protestes verdankt.
Dabei sah zunächst alles ganz anders aus: Deutsche Ausländerpolitiker schienen keine
Skrupel zu haben, sich bei ihrer Abschreckungspolitik gegenüber Asylbewerbern der
tatkräftigen Hilfe von Skins und Rechtsextremen zu bedienen. Mit dem verlogenen Argument
von der polizeilichen Ohnmacht tauchten die Hüter der Ordnung immer erst dann am Tatort
auf, wenn die neonazistischen Banden sich bereits ausgetobt hatten. Nicht ganz zu Unrecht
warfen ihnen die Antifa- und Antirassismus-Gruppen daher Kumpanei mit den rechtsradikalen
Totschlägern vor. Doch handelte es sich weder um eine Kumpanei im politischen Anliegen,
noch um eine Zustimmung zu den Gewalttätigkeiten des Mobs. Brauchbar war vielmehr und
allein die Wirkung seines Vorgehens auf die Moral von Aus-, aber auch auf die von
Inländern. Flüchtlinge wurden vor die hübsche Wahl gestellt, entweder gleich in der
Heimat oder aber im Asylland verfolgt und angezündet zu werden. Den Inländern wurde die
»Gefahr einer drohenden Asylantenflut für Deutschland« drastisch ausgemalt. Daß sich
inzwischen die Skins an eine härtere Gangart der staatlichen Ordnungsdienste haben
gewöhnen müssen, liegt daran, daß es kein Staat - und der deutsche schon gleich gar
nicht - zuläßt, daß Bürger seine Anliegen in ihre Hände nehmen und sich sogar,
bestätigt durch die Ausländerpolitik, im staatsmoralischen Recht wähnen, wenn sie
Gewalt gegen unerwünschte Fremde gleich selbst exekutieren. Dies steht bekanntlich nur
den politischen Organen zu; und es ist wirklich nur noch eine Frage der Zeit, bis an der
jetzt von der BRD errichteten neuen Mauer zum Osten die ersten Opfer von bewaffneten
Grenzschützern mit Schießbefehl anfallen.
Und so fanden sich die Antifa- und Antirassismus-Gruppen plötzlich in einer Front gegen
Ausländerfeindlichkeit mit eben den Kräften, die sie gerade als die politischen
Drahtzieher von Fremdenhaß und Rassismus dingfest gemacht und die sie der stillen Duldung
von Angriffen auf Ausländer geziehen hatten. Da begann jeder Politiker seine Rede mit
einer Distanzierung vom Fremdenhaß; es wurde Mode, sich mit Ausländern ablichten zu
lassen, und Blüm erklärte sich sogar selbst zum Ausländerwohnheim. »Wir haben nichts
gegen Ausländer«, heißt inzwischen das Motto, unter dem Schulen ihre antirassistischen
Tage bekommen und in Talk-Sendungen echte Ausländer, die nicht Baker, Jelzin, Mitterand
oder Shamir heißen, sagen dürfen, daß auch sie ein Lebensrecht haben. Die Parolen und
Bekenntnisse der Bewegung - »Alle Menschen sind Ausländer - fast überall«,
»Ausländer, laßt uns mit diesen Deutschen nicht allein«, »Ich bin ein
Ausländerfreund« usw. - wurden für salonfähig und zur politischen Kleinkunst erklärt
und zieren den Abspann des »Weltspiegel« ebenso wie jede Rede des Bundespräsidenten.
All dies ist keineswegs Ausfluß eines taktischen Manövers der Ausländerpolitiker, die
damit nur »ihre wahren Absichten verschleiern« oder bloß einer antideutschen Stimmung
im Ausland begegnen wollen. (Als ob eine deutsche Regierung, die mit ihrer
DDR-Annektierung bei den Konkurrenten in Europa, mit ihrer Jugoslawien-Politik nicht nur
in Serbien und mit ihrem WEU-Engagement in den USA jede Menge antideutscher Ressentiments
erzeugt hat, so etwas nötig hätte.) Daß die Ausländerpolitiker keinen Haß gegen
Ausländer hegen, ist vielmehr eine politische Wahrheit, die keineswegs mit ihrem Urteil
kollidiert, daß »das Boot voll« sei. Vielmehr wird von oben zugleich mit der
Initiierung von Ausländerfeindlichkeit Front gemacht gegen ihre Übertreibung durch brave
Deutsche, die sich als unpraktisch erweisen könnte:
Ein Ausländer, das lehrt ein Blick in die Ausländergesetzgebung, ist nämlich für den
politischen Souverän ein Mensch, der nicht seiner, sondern einer fremdstaatlichen Hoheit
untersteht. Mit dieser imperialistischen Einsortierung ist ein Ausländer weder verurteilt
noch geschätzt. Vielmehr ist als sein Charakteristikum ein recht prinzipieller Mangel
festgehalten: Die Benutzung auswärtigen Menschenmaterials kommt an der Berücksichtigung
jener Staatsgewalt, der es untersteht, nicht vorbei. Ein Ausländer ist also nichts als
ein Mensch, über den der hiesige Staat kein unbeschränktes, natürlich immer Recht und
Gesetz gehorchendes, Verfügungsrecht geltend machen kann. Darin unterscheidet sich der
Auswärtige im übrigen vom Inländer - was durchaus die Frage aufwirft, ob es eigentlich
ein Glück oder ein Pech ist, als Inländer registriert zu sein.
Im Status des Ausländers kommen also zwei Dinge zusammen: Erstens das Interesse eines
Souveräns, ihn - wie auch das fremde Territorium insgesamt - nach Nutzenkriterien zu
betrachten. Mit dem Import von Ausländern kann die Politik z.B. dem Kapital einen Dienst
erweisen, indem sie erlaubt, daß nichtdeutsche Arbeitskräfte die Reihen der
»Reservearmee« füllen. Mit ihm läßt sich aber auch gut Außenpolitik betreiben. Wenn
»politisch Verfolgte« vorübergehend hofiert werden, dann dient das nicht»den
Menschen«, sondern der Ächtung eines »Unrechtsregimes«; was die Betroffenen oft
verwechseln und sich dann bitter über die »unmenschliche Behandlung« durch ihre neue
Heimat beklagen, die doch »bloß« das Resultat eines politischen Kurswechsels in der
alten ist.
Zweitens das Wissen, daß jeder Versuch der Benutzung von fremden Menschen für
eigenstaatliche Anliegen an der fremdstaatlichen Hoheit nicht vorbeikommt. Die mag sich
geneigt zeigen, wie etwa im Fall der »Gastarbeiter«-Abkommen mit der Türkei. Oder sie
mag den fremden Zugriff auf ihre Bürger als unerlaubte Einmischung in die inneren
Angelegenheiten verurteilen, wie dies etwa bei jeder Flucht(hilfe)aktion eines
DDR-Bürgers der Fall war.
Wenn zur Zeit eine bestimmte Gruppe von Ausländern - z.B. die armen Schlucker aus dem
Osten , als »Flut« perhorresziert wird, die Deutschland überschwemmen und ins Chaos
stürzen könnte, so steht dies zunächst einmal nicht für Fremdenhaß, sondern ganz
nüchtern für das aktuelle Urteil und die aktuelle Praxis der Ausländerpolitik: »Zur
Zeit kein Bedarf an fremden armen Schluckern, weder ein polit-ökonomischer, noch ein rein
politischer!«
Diese Abwägung von fremdem Menschenmaterial nach ihrer Benutzbarkeit und den politischen
Kosten derselben liegt dem inländischen Durchschnittsstaatsbürger fern. Kein Wunder.
Weder stellt er Ausländer als Arbeitskräfte ein, noch verbucht er einen diplomatischen
Erfolg, wenn wieder einem fremden Staat sein Unrechtscharakter dadurch demonstriert worden
ist, daß seine Bürger in der Fremde wie Inländer aufgenommen wurden. Er übersetzt sich
vielmehr die staatliche Fremdenpolitik in seine privaten Gründe, über die er reichlich
verfügt. Und schon ist die »Asylantenflut«, die auf »uns« zukommt, zugleich auch
irgendwie verantwortlich für seine ganz persönlichen Einkommens-, Miet- oder
Gesundheitssorgen. Seinem Heimatstaat traut er nämlich nicht zu, daß der beteiligt ist,
wenn es für ihn Grund zum Klagen gibt. Er bevorzugt den umstandslos sortierenden
Fanatismus, demzufolge ein Ausländer hier nichts zu suchen hat, weil er Ausländer, also
Nichtdeutscher ist.
Dies ist nicht der Standpunkt der hiesigen Führung. Staats- und Bürgerlogik treten an
diesem Punkt auseinander. Kohl, Genscher oder Schäuble können sich sogar vorstellen,
daß der Übereifer der Untertanen nicht nur einer streng staatsmaterialistisch
verfahrenden Kalkulation einen Strich durch die Rechnung macht, sondern manchmal sogar
ihre eigene Vernutzung behindert. Sie sollen schließlich im Inland immer dann mit
Ausländern gut und fruchtbar zusammenarbeiten, wenn es konjunkturell erforderlich ist.
Fremdenhaßausbrüche könnten da schon einmal stören.
Immer müssen Freunde von Feinden nach staatlicher Vorgabe und nicht etwa nach privatem
Urteil unterschieden werden. Dabei hat der Staatsbürger die nötige Flexibilität zu
zeigen: Es kann nämlich sein, daß ein »befreundetes Volk« von heute auf morgen in
Ungnade fällt, weil sich der Standpunkt des hiesigen Staates - nicht etwa gegenüber dem
Volk, sondern - gegenüber der fremden Herrschaft geändert hat (oder umgekehrt: in Gnade,
wie jetzt die Kroaten). So mag es auch mal wieder nötig sein, auf fremdländische
Arbeitskraftreserven zurückzugreifen; weswegen dann das Boot nicht voll ist, sondern noch
viel Platz aufweist. Außerdem machen sich im Augenblick im Inland einige Millionen
Ausländer mehr oder weniger nützlich, denen gegenüber nicht der Privatfaschismus der
Bürger vom Zügel gelassen werden darf, sondern dieeinen Anspruch auf staatliche
Behand-lung nach allen Regeln des je nach Bedarfnovellierten Ausländerrechts haben:
»Raus, wer hier nichts mehr zu suchen hat! Klap-pe halten und möglichst bis in die
Seelehinein deutsch werden, wer hier bleiben darf!«
Aber nicht weil privatfaschistische Übertreibungen der gültigen Ausländerpolitik deren
praktische Anliegen durcheinanderbringen könnten, hat der deutsche Bürger hier stets auf
Linie zu bleiben, sondern weil der großdeutsche Nationalismus, heute als
Internationalismus vorgetragen, auch vom Bürger verinnerlicht gehört. Wo er bereits
pariert, da wird um so mehr Wert auf inneren Gehorsam gelegt.
Die Antirassisten der »Bewegung« sehen - nicht zu unrecht - in der Ausländerpolitik die
Drahtzieher des Bürgerfaschismus und stehen zugleich völlig hilfslos vor den zahlreichen
antirassistischen Bekundungen der Ausländerpolitiker. Sie machen es sich dann in der
Regel sehr einfach und glauben ihnen nicht. Oder sie halten sie gar für ihre
Verbündeten. Im ersten Fall können, im zweiten Fall wollen sie nichts daran ändern,
daß ihr eigener bornierter Antirassismus in die staatliche Aufklärungskampagne über den
»modernen Umgang« mit Ausländern, also in den imperialistischen Rassismus hineinpaßt.
Borniert ist ihr Anliegen, weil sie Rassismus nur dort auszumachen vermögen, wo er sich
fanatisch, im Prinzip faschistisch äußert. Dort aber, wo er sich den weltweiten
Interessen eines Nationalstaates (bzw. seiner Ökonomie) zweckdienlich macht, da können
sie ihn nicht erkennen. Ein Rassismus, der nach Hautfarbe oder anderen Übersetzungen von
fremder Staatszugehörigkeit in Natureigenschaften sortiert und davon das Urteil über die
Brauchbarkeit eines Menschen abhängig macht, ist ihnen vertraut. Wo Rassismus jedoch als
Urteil des imperialistischen Staates über die universelle Benutzbarkeit des weltweiten
Menschenmaterials daherkommt, über die je nach Nationalinteresse zu befinden ist, da
entdecken sie ihn nicht mehr (vgl. F. Huisken, Ausländerfeinde und Ausländerfreunde, VSA
1987, S.55ff).
Dabei ist der noch um einiges härter, weil allgemeiner: Unmodern ist es in den Metropolen
der zivilisierten weißen Welt nämlich geworden, es allein für eine Naturbestimmung der
Schwarzen zu halten, daß sie zu arbeiten haben, und zwar für die Weißen. Und als nicht
mehr zweckmäßig gilt es, das Staatsvolk nach Gottlosen und Gläubigen, nach Ariern und
Nichtariern vorzusortiern, bevor man dann die einen in den »Staatsdienst« nimmt und die
anderen als Staatsfeind mißhandelt. Modern ist es vielmehr, sich bei der Sichtung des
Menschenmaterials nicht mehr durch atavistische Kriterien wie Rasse, Hautfarbe oder
Religion beschränken zu lassen. Am Band, unter Tage, im Büro und in der Kantine ist
zunächst einmal jeder Mensch gleich. Selbst die Einstufung nach Lohngruppen erfolgt nicht
gemäß rassistischer, sondern geschäftlicher Kriterien; wozu sich dann klassische
Rassismen, auch der Geschlechterhaß, sehr wohl nutzen lassen. Mit guter Erziehung kann
schließlich jeder zu einem brauchbaren Arbeiter, Steuerzahler und Wahlbürger gemacht
werden. Der moderne Rassismus kennt nur noch eine Menschennatur: Behandelt wird der
Mensch, als sei es seine Naturbestimmung, sich den Brauchbarkeitskriterien des
kapitalistischen Weltmarkts und der grenzübergreifenden demokratischen Gewalt zu
unterwerfen. Wer das tut, der zeigt bekanntlich seine Reife; wer sich verweigert, der
erweist sich als unreif, faul oder leistungsunfähig.
Solange Antifa-Gruppen nicht begreifen, daß dies die Wahrheit des modernen universellen
Rassismus ist, solange wird ihr Kampf gegen den bornierten Rassismus der deutschen Bürger
von der offiziellen Ausländerpolitik ebenso instrumentalisiert werden können wie das
Abfackeln von Ausländerwohnheimen durch Skins. Die einen sind die - begrenzt -
nützlichen Idioten von staatlichen Abschreckungsstrategien. Die anderen sind die -
unbegrenzt - nützlichen Idioten einer staatlichen Aufklärungkampagne, die klarstellen
will, daß deutsche Politiker wirklich nichts gegen Ausländer haben, weil sie alle
Menschen, die sich in der Reichweite ihres Einflusses befinden, also Inländer sowieso und
Ausländer jenachdem, als Material ihrer nationalen, nicht nur ökonomischen, Interessen
abzuschätzen und einzusetzen gewohnt sind.
Zu befürchten steht aber, daß wieder einmal nicht aus Fehlern gelernt wird, weil es in
der »Bewegung« gar nicht um Aufklärung geht, sondern erneut um gute Taten für
Deutschland. Wer sich nämlich hartnäckig weigert, aus seinen Fehlern zu lernen, für
den...
Freerk Huisken ist Professor für Politische Ökonomie des Ausbildungssektors an der
Universität Bremen
Aus: Konkret 2/92