Einige studentische Aktionsgruppen haben seit kurzem den Weltmarkt zu ihrem Thema gemacht. Ihre Weltmarktkritik macht sich fest an einem Vertragswerk der OECD zur Frage der Liberalisierung multilateraler Investitionen (MAI). Mit nicht mehr zu überbietender Emphase - das Vertragswerk würde "schlimmere und tiefgreifendere Folgen als alles, was es bisher gab" (Peoples Global Action Bulletin, Nr.0) haben - verweisen sie auf einen angeblichen Geheimvertrag, den nun ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt zu haben, ganz das Verdienst ihres Durchblicks ist.
1. Die Rezeption des MAI
Der Sache nach geht es bei dem MAI-Vertrag um eine Verabredung der OECD-Staaten über die Meistbegünstigung beim Kapitalexport. Der Kernsatz des Vertragsentwurfs, der übrigens inzwischen wegen unauflöslicher Gegensätze auf die lange Bank geschoben ist, lautet:
"III.1. Jeder Vertragspartner darf Investoren eines anderen Vertragspartners und deren Investitionen keine weniger günstige Behandlung zukommen lassen, als er [unter gleichen Umständen] ihren eigenen Investoren und deren Investitionen zukommen läßt." (Entwurf 6.10.97)
Gemeint ist damit, daß auf jede "günstige Behandlung", die z.B. Deutschland einem nationalen Konzern wie etwa BMW angedeihen läßt, wenn der sich zum Aufbau eines neuen Werks in Deutschland-Ost entscheidet, auch ein ausländisches Unternehmen wie etwa General Motors oder Volvo Anspruch hat, wenn sie Kapital in der Heimat der DM investieren. Was mit "günstiger Behandlung" gemeint ist, das ist kein Rätsel. Darunter fallen Steuervergünstigungen und Forschungsbeihilfen, der kostenlose Gleisanschluß und großzügige Umweltauflagen, staatliche Kreditbürgschaften, eine Vorzugsbehandlung durch die staatliche Bürokratie, politische Hilfe beim Erwerb von passenden Immobilien usw..
Das polit-ökonomische Interesse, das diesen Kernsatz diktiert, liegt auf der Hand. Es lebt vom Ideal des "freien Welthandels", auf das sich Nationalstaaten immer dann berufen, wenn sie entdecken müssen, daß einem ihrer Multis im Ausland Vorteile versagt werden, die dem ausländischen Kapital eingeräumt werden. Das ärgert sie, weil das eigene Unternehmen in der Konkurrenz schlechter abschneidet und ihrem Nationalreichtum auf diese Weise weniger Mittel zufließen. Daß es sich bei dem Beschwerdegegenstand um eine Konkurrenztechnik zwischen Nationalstaaten handelt, die an der Tagesordnung ist, wissen sie sehr gut. Denn immerhin wenden sie das monierte Verfahren selbst an, wenn sie mutmaßen, daß aus dem Ausland importiertes Kapital einem nationalen Unternehmen oder gar einer ganzen einheimischen Branche, an der ihnen etwas liegt, die Marktposition bestreitet oder gar das Überleben schwer macht. Die Forderung nach einer Gleichstellung inländischer und ausländischer Konzerne formuliert folglich den Standpunkt, daß nationale Egoismen bei der politischen Betreuung von Kapitalinvestitionen zurückzustehen haben, obwohl es bei der um nichts anderes geht als um die Frage, wie der jeweilige Nationalstaat davon profitiert, daß sich das Kapital der Welt bei ihm anlegt. Soweit die Sache und ihr ziemlich heikler Gehalt.
So wie die Widerstandskomitees gegen das MAI sich des Vertragswerks kritisch annehmen, erkennt man diese Sache allerdings kaum wieder. Es fällt schwer, ihre Kritik zurückzuweisen, weil sie sich gar nicht erst dem Gegenstand widmet, um den der Vertrag kreist. Sie erfinden ihn schlicht neu. So heißt es z.B. in einer Entschließung der PGA (Peoples Global Action vom 30.4.98) in freier Übersetzung:
"Das MAI geht über WTO und IWF noch weit hinaus. Es wird inszeniert von den privilegierten Ländern, um die Rechte auswärtiger Investoren auszuweiten weit über das in den meisten Ländern übliche Maß hinaus. Es wird die Rechte und die Macht von Regierungen in bezug auf den Zugang, die Niederlassung und das Wirken auswärtiger Unternehmen bedeutend einschränken. ... Das MAI würde die Macht und legitimen souveränen Rechte des Volkes abschaffen, seine eigene ökonomische, soziale und kulturelle Politik durchzusetzen."
Zunächst einmal fällt auf, daß Subjekte und Objekte des Vertrags einfach ausgetauscht sind. Die Macher des Vertrages, die OECD-Staaten, denen man zumindest konzedieren sollte, daß sie schon wissen, warum sie an diesem Vertrag basteln, werden zu ohnmächtigen Opfer ihres eigenen Werks erklärt. Und umgekehrt erscheinen die Objekte des Vertrages, die Konzerne, denen die Nationalstaaten "gleiche Bedingungen" schaffen sollen, als allmächtige Größen, deren Anliegen es ist, mittels des MAI die Macht der beteiligten Regierungen "bedeutend einzuschränken".
Deswegen darf es nicht wundern, daß an die Stelle der Kritik dieses Unternehmen der OECD-Staaten eine Parteinahme zugunsten der angeblichen Opfer, der vom Kapitalimport "auswärtiger Investoren" betroffenen Staaten tritt: Wo sich doch transnationale Konzerne über nationale Rechte von Regierungen hinwegsetzen, sie damit zur Ohnmacht verdammen und ihnen jede Intervention zugunsten nationaler Anliegen untersagen können, da muß man doch auf der Seite des Bedrängten und Unterdrückten, des Nationalstaats, stehen. Aus einem Vertragswerk der führenden kapitalistischen Staaten wird ein Staatsentmachtungsprogramm durch die Multis gedrechselt. Und der bürgerliche Nationalstaat, der bei der Linken doch bisher nie sehr gut weggekommen ist, kann sich der "Solidarität" durch die Anti-MAI-Gruppen sicher sein.
Da überdies Staatsmacht mit Volksmacht gleichgesetzt wird, geht die Entmachtungsstrategie durch die "auswärtigen" Multis noch weiter und landet bei "uns", dem "Volk". Jetzt sind "wir alle" es, die eigentlich von der Beschränkung des Nationalstaats betroffen sind. Ganze Völker werden demzufolge von "auswärtigen" Konzernen entmachtet und um ihre legitimen Rechte gebracht. Aus einer Frage der Meistbegünstigung beim Kapitalexport durch Nationalstaaten wird auf diese Weise ein Volksentrechtungsprogramm. Das verwundert weniger, da Linke hierzulande schon immer große Liebhaber "des Volkes" waren, und über den staatlichen Umgang mit ihm immer vergessen wollten, wie es sich jeweils aufgeführt hat. Nur avanciert das ehemalige Subjekt der "Volksentrechtung", das war bekanntlich immer der Staat, nun zum Leidensgenossen des Volks, obwohl sich weder an der Machtfülle des bürgerlichen Staates gegenüber dem Volk noch am Einsatz dieser Macht für "sozialen Frieden" , Ordnung und eine Sorte Armut, die für die kapitalistischen Produktionsweise gebraucht wird, etwas geändert hat.
Der polit-ökonomische Gehalt des MAI ist damit vollständig getilgt. Er ist ersetzt durch ein Szenario, dessen Muster aus der Aufbereitung der Globalisierungsdebatte durch linke Gruppen und kritische Wissenschaftler bekannt ist: Multis dehnen ihre Macht weltweit aus und verdammen die Nationalstaaten zur Ohnmacht. Innerhalb der Multis wird selbst noch einmal eine Hierarchie errichtet. Ganz oben steht das internationale Finanzkapital, das zwingt den internationalen Industriekapitalen das Prinzip des "shareholder value" auf, so daß die doch tatsächlich an nichts anderes als an ihren Gewinn und die Bedienung der Interessen ihrer Gläubiger denken müssen. Die Nationalstaaten sind dann ihrerseits hilflos den beiden Abteilungen von transnationalen Konzernen ausgeliefert, müssen tun, was die wollen und kommen deswegen nicht mehr zu dem, was ihr eigentliches nationales Anliegen ist. Was das ist, muß man immer negativ erschließen: Es muß auf jeden Fall irgend etwas Volksfreundliches sein.
Das Muster dieser ganzen Debatte läßt sich auf ein Prinzip reduzieren, das die Welt moralisch sortiert: Ganz oben regiert das böse Finanzkapital, genauer das transnationale, gemeint ist damit das auswärtige Finanzkapital. Darunter agiert dann das transnationale Industriekapital, das deswegen ziemlich aus dem Schneider ist, weil es vom Finanzkapital, dem es nur ums Geldraffen geht, auf einen Weg genötigt wird, der angeblich nicht der seine ist. Statt die Menschheit mit Gütern zu versorgen, wie das wohl vor dem Zeitalter der "Globalisierung" das Anliegen von Daimler und Siemens, Bayer und Hochtief gewesen sein wird, muß es jetzt das Finanzkapital bedienen.(1) Darunter rangiert der ziemlich gute Nationalstaat, der wegen der Multis nur noch Sachzwängen ausgeliefert ist und deswegen leider gegen seinen erklärten politischen Willen große Teile des Volkes verarmen muß, wo er es doch lieber mit Reichtum verwöhnen würde.
In dieses Muster hat sich die MAI-Rezeption der Komitees eingefädelt. Sie haben damit einen Feind: Das ist das transnationale Kapital. Sie haben ein Opfer: Das sind sie selbst und alle sonst noch betroffenen Völker. Und sie haben ihren Freund - so etwas heißt dann "Bündnispartner": Das ist der heimische Nationalstaat, den sie ihn auffordern, seine ganze parlamentarische Macht gegen das MAI zu mobilisieren und gegen das Vertragswerk zu stimmen, wo er doch wie sie selbst Opfer ist und deswegen die Sache eigentlich genauso sehen müßte wie die Komitees - wenn er denn nicht schon zur ohnmächtigen Marionette der transnationalen Multis geworden ist.
2. Die Widersprüche der MAI-Rezeption
Zwangsläufig muß sich diese Sichtweise des MAI und der Globalisierung des Kapitalismus in ihren eigenen Widersprüchen verheddern.
Es kann doch niemandem entgehen, daß es Vertreter von Nationalstaaten sind, die dieses Werk beraten, verabschieden und ratifizieren wollen, nicht aber Vertreter von Multis. Da Nationalstaaten zur Gleichbehandlung aufgefordert werden, müssen sie wohl zustimmen. Ohne ihre jeweilige Zustimmung würde nichts von dem Vertrag national in Kraft treten. Und wenn sie ihm zustimmen, werden sie dafür wohl ihre Gründe haben, dann werden sie wohl davon ausgehen, daß der Vertrag ihnen nützt. Würde das Komitee mit seiner Sichtweise recht haben, dann säßen Staatsvertreter zusammen, um ein Vertragswerk zu ihrer eigenen Entmachtung beschließen! (2)
Als Beleg für diese abenteuerliche Konstruktion wird regelmäßig das eifrige Wirken von Lobbys angeführt. So soll der erste Text von einer mächtigen internationalen Lobby des Großkapitals (der ICC) vorformuliert sein und hinter jedem Regierungsvertreter werden einflußreiche Konzernmanager als machtvolle Einflüsterer entdeckt. Solchen Sachverhalten soll gar nicht widersprochen werden. Wenn es um die Belange von Konkurrenzbedingungen für Kapitalexport geht, dann werden die Exporteure wohl alles unternehmen, um ihren Anliegen Gehör zu verschaffen. Doch dafür ist es wirklich nicht nötig, die Regierungsvertreter unter Druck setzen. Für deren Anliegen haben die jeweils großes Verständnis, weil sie wissen, daß ihre eigenen Anliegen - Wachstum und Steuern, Verschuldungsfähigkeit und Wert der Währung, Abbau von Arbeitslosigkeit und sozialer Frieden - am Erfolg hängen, den das bei ihnen angelegte Kapital weltweit einfährt. So müssen gar nicht Airbus-Vertreter bei den Europäern und Boeing-Manager bei den USA den Aufpasser spielen. Die Regierungsmenschen haben von sich aus das Interesse, daß ihre nationalen Kapitalprunkstücke, die für die Stärkung der us-amerikanischen Dollarmacht oder der deutschen DM- bzw. EURO-Macht sorgen, möglichst unbeschädigt bleiben, ihren Konkurrenzstand erhalten und zum Wohle des nationalen Standorts ausbauen.(3)
Die Sicherheit ihres Urteils über den von Multis denaturierten Nationalstaat entnehmen die MAI-Komitees besonders jener Änderung nationaler Innenpolitik, die unter dem Namen Standortpolitik läuft und nicht zuletzt in einer Umkremplung des sozialen Systems besteht. Da sie sich in zunehmender Volksverarmung äußert, sind sie felsenfest davon überzeugt, daß der hiesige Staat diese seine Politik nicht wollen kann. Zum Inhalt nationaler Politik kann so etwas nur werden, lautet ihre ziemlich heimatverbundene Schlußfolgerung, wenn Ausländer, in diesem Fall also die transnationalen Konzerne dahinterstecken. Auf diesen Einfall kann nur kommen, wer schon die Hochphase staatlicher Sozialpolitik als Dienst an der Bevölkerung, als Beitrag zur Versorgung aller in Not geraten Menschen gründlich mißverstanden hat. Dabei hat sich das Prinzip dieser staatlichen Massenbetreuung von einst zu heute gar nicht geändert. Schon immer ging es dem Nationalstaat im Sozialen darum, seinem Staatsvolk jene physische und geistige Verfassung zu verpassen, die es instand setzt, den Anforderungen der Lohnarbeit und der Staatsbürgerschaft zu entsprechen und sich ihnen ganz aus freien Stücken zu unterwerfen. Deswegen war es auch staatliches Anliegen, etwa die periodisch aus der Arbeitswelt aussortierten Arbeitskräfte für die nächste Boomphase der Konjunktur als Reserve für den Arbeitsmarkt disponibel zu halten. Daß dieses, letztlich aus Lohnabzügen finanzierte System der Versorgung des Kapitals mit Arbeitskraft, mehr einem Erpressungsakt glich und gleicht als einem Unternehmen zur Linderung materieller Not, wissen die Betroffenen aus der eigenen Erfahrung, die mit 2/3 des Lohnes auskommen zu müssen, der schon ohne Abzüge zu allerhand Sparkunststücken zwang. Heute, wo keine Boomphase zur Absorption von 7 Millionen Arbeitslosen erwartet wird, sieht der Staat keinen gleichgearteten Handlungsbedarf und konzentriert sich vielmehr darauf, seinen Standort durch allgemeine Verbilligung der Lohnkosten für jedes anlagewillige Kapital der Welt attraktiv zu machen. Es bedarf also schon einer gehörigen Portion Vertrauen in die Anliegen eines Nationalstaats, um eine staatliche Volksbetreuung, die Maß nimmt an der Mehrung von Kapitalwachstum und -erfolg, in eine staatliche Volksbeglückung zu verwandeln.
Dieselbe Parteilichkeit für die heimatliche Staatsmacht diktiert die Verwechslung von ökonomischen Abhängigkeiten, denen ein auf dem Weltmarkt mit seiner Währung nicht gerade erfolgloser Nationalstaat unterliegt, mit einer Unterdrückung seiner angeblich wahren Anliegen, also mit Sachzwängen, denen der ausgelieferte Staat seine angeblich menschenfreundlichen Absichten gegen seinen Willen opfern muß. Natürlich ist der Nationalstaat vom Erfolg seiner Unternehmen abhängig; und natürlich stellen Multis wie Daimler-Benz - jetzt Daimler-Chrysler(4) - mit ihrer Kapitalmasse eine Macht dar, die keine nationale Regierung übergehen kann. Das will aber auch keine Regierung. Jede von ihnen ist doch begeistert über so ein erfolgreiches Stück Kapital und gestaltet die "Abhängigkeit" zu einer gedeihlichen Partnerschaft aus, da sie sich umgekehrt mit ihrer politischen und Geld-Macht als Erfolgsmittel dem Kapital präsentiert. Dabei auftretende Differenzen betreffen nie das Prinzipielle. Die staatlich ins Werk gesetzte Subsumtion der Gesellschaft unter die Raison der kapitalistischen Produktionsweise ist unumstritten - übrigens auch bei den Wählern, die sich mit überwältigender Mehrheit nicht daran stören, daß ihnen in der Wahl keine andere Produktionsweise als Alternative geboten wird. Unstimmigkeit zwischen dem Nationalstaat und seinen Lieblingsbürgern tauchen nur dort auf, wo das jeweilige Verhältnis von Nutzen und Kosten einen der Partner unzufrieden macht. Der Staat will schon seinen nationalen Nutzen in der einen oder anderen Weise - von der Stimulierung der nationalen Kaufkraft bis zur kostengünstigen Rüstung - bedient sehen, wenn er etwa zugunsten des Kapitals auf Steuereinahmen verzichtet. Und umgekehrt gefallen dem Kapital etwa die rein das Soziale betreffenden Lohnnebenkosten gar nicht mehr, wenn es doch so fleißig Steuern zahlt und bei jedem Umweltschutzvergehen pünktlich das Bußgeld überweist.
Ähnlich verhält es sich mit der Abhängigkeit vom weltweit agierenden Finanzkapital. Natürlich besteht die und ist ein Ärgernis für jeden Nationalstaat, der nun argwöhnisch kontrollieren muß, ob Geldanleger seine Währung suchen oder meiden. Aber es ist eine frei gewählte Abhängigkeit. Denn in der Bewertung durch die privaten Geldanleger sehen sie das einzige Mittel, mit dem ihr nationales Geld, das immerhin nicht verdient, sondern staatlich geschöpft und nur per Staatsgewalt in Funktion gesetzt ist, in der Konkurrenz der Währungen und d.h. nun einmal gegen die anderen zum Weltgeld avancieren kann.(5) Jene Globalisierungs-Sachzwänge, mit denen die Politiker ihr gewolltes Tun dann als eine von auswärtigen Mächten oder subjektlosen Zwängen diktierte Notwendigkeit ausgeben, wenn sie sich sicher sein können, daß es bei den Leuten nicht auf Zustimmung stößt, sind einfach nicht am Werke. Die Komitees fallen also auf eine politische Sachzwangideologie herein; nicht, weil die so überzeugend ist, sondern weil die Kritiker der weltweiten Verschwörung zur Entmachtung ihrer frei gewählten Staatsmacht sich so gern überzeugen lassen wollen.
So ist es denn auch nicht zufällig, daß ihre Kapitalkritik sich zunächst nur auf "auswärtiges" Kapital bezieht. Die "Rechte auswärtiger Investoren", so klagen sie, sollen zuungunsten der "Rechte und der Macht von Regierungen" ausgeweitet werden. Ihnen soll verwehrt sein, das Wirken "auswärtiger Unternehmen" einzuschränken. Usw. Darf man fragen, wie es mit dem Recht und dem Wirken "inländischer Kapitale" bestellt ist? Handelt es sich bei ihnen hierzulande gar nicht um richtige Kapitale, denen es um Weltmarktgewinne geht? Sind die nationalen Multis produktive Unternehmungen zur Güterversorgung der Menschheit? Oder werden sie von der inländischen Regierung bereits so mit Gesetzen überzogen, daß ihnen die Lust an Entlassungen, an Überstunden, an Lohnkürzungen oder an Arbeitsplätzen, die jeden zweiten Arbeiter zum Frühinvaliden machen, vergeht? Oder soll man glauben daß Nationalstaaten nur an das Wohlergehen ihrer Bürger denken, wenn sie fremdem Kapital Auflagen machen? Ganz so will man das dann doch nicht gemeint haben, obwohl den Komitees jetzt auf einmal ziemlich viel Positives über das Wirken des Staates einfällt. So gehe es vielfach im Inland um den staatlichen "Schutz von Arbeitern und Arbeitsplätzen, der Sozialdienste,... der Umwelt, der Kultur" usw.(6) Dabei macht es für einen hiesigen Lohnarbeiter doch wirklich nichts aus, ob er von inländischem oder ausländischen Kapital erst zu Überstunden genötigt und dann entlassen wird! Beide müssen nämlich Maß nehmen am fortgeschrittensten Standard der Lohnkosteneinsparung - egal ob der in Thailand, Polen oder Großbritannien entdeckt wird.
Überdies würde ein Standpunkt, der seine Stellung zum Kapital von dessen "Heimat" abhängig macht, eine "global action" in fatale Schwierigkeiten bringen. Denn der Kampf der hiesigen Streiter gegen das "auswärtige Kapital" wäre zwangsläufig gegen das "inländische Kapital" der auswärtigen Bündnisgenossen in der "Peoples Global Action" gerichtet, die ihrerseits wiederum....!
3. Rechte Freunde - gar nicht zufällig
Auf jeden Fall sollten sich die linken Komitees gegen das MAI über eines nicht wundern: Daß ihre nationale Aufregung den "rechten Rand" mobilisiert und für ihre Sache so eingenommen hat, daß er sich in das Bündnis einreihen will. Ihm ist nämlich ebenfalls nichts so sehr ein Greuel wie die Ohnmacht des eigenen Staates. Und auch sie sind der Auffassung, daß immer Ausländer, das Ausland oder Ausländisches an der Ohnmacht des eigenen Staates Interesse hat, also an ihr schuld ist. Sie rechnen es sich sogar als ihren Erfolg an - allerdings ganz zu Unrecht - , daß sich der deutsche Staat seit geraumer Zeit gesetzliche Grundlagen dafür geschaffen hat, daß ihm die Ausländer im Inland nicht mehr auf der Nase herum tanzen können. Auch teilen sie die Auffassung, daß alles Böse eigentlich vom - ausländischen - Finanzkapital kommt. Dies verdächtigen sie - wie schon jener deutsche Kanzler, der sich deshalb gleich ganz gegen den Weltmarkt verschloß - , Deutschland finanziell ausbluten zu wollen, um einfach nur Geld wegen des Geldes zusammenzuraffen und damit die "Arbeit" zum Spekulationsobjekt herabzuwürdigen.(7) Selbst die Beschwerde über den "Abbau des Sozialstaats" teilen die Rechten mit denjenigen Linken, die sich weniger für die kapitalistischen Ursachen neuer und alter Armut interessieren, sondern in ihr nur den Indikator für den geknebelten Staat erblicken. Bekanntlich sind auch die Rechten schwer gegen Arbeitslosigkeit, sehen sie doch in "deutscher Arbeit" eine nationale Ressource und in Arbeitslosen deren Vergeudung.(8)
Wenn linke Anti-MAI-Komitees schon über diese Allianz erschrecken, dann sollten sie sich die Frage vorlegen, worüber sie eigentlich erschrecken. Daß rechte Gruppen zu dieser Aktion nicht passen, ist eine Unwahrheit. Sie passen! Denn nichts ist ihnen wichtiger, als die Ohnmacht des Staates anzuprangern und diesem zu Macht und Stärke zu verhelfen. Wenn den Komitees allerdings dieses Anliegen nicht paßt, dann sind sie dort verkehrt. Vielleicht kommen sie sogar auf den Trichter, daß an der Hauptthese von der Ohnmacht der Staaten, die sich in der OECD zusammengeschlossen und dort das Sagen haben, einfach nichts stimmt.
Was im übrigen dem Vertragsentwurf selbst zu entnehmen ist:
4. Was der MAI-Entwurf über den Weltmarkt aussagt
Wenn man sich den Kernsatz des Vertragsentwurfes etwas näher ansieht - und zwar als das was er ist, nämlich als Auskunft über eine Lage auf dem Weltmarkt, mit der offensichtlich bei Nationalstaaten irgendeine Unzufriedenheit herrscht (sie würden sich sonst nicht zur Beratung zusammensetzen) - , dann ist man gegen die Enthüllungsperspektive der Komitees gefeit. Während die fragen, was kommt mit dem Vertrag auf die Welt oder auf "uns" zu?, gilt es zu fragen: Was ist dem Vertragsgegenstand eigentlich über den Stand des weltweiten Kapitalismus heute zu entnehmen? Ihre Optik ist die der Entlarvung einer Verschwörung von finsteren Mächten, die etwas ausbrüten, das "schlimmere und tiefgreifendere Folgen haben wird, als alles, was es bisher gab." Sie fingieren die die transnationalen Konzerne als Mächte, die schlicht die Welt nach ihren Wünschen gestalten können. Dabei stehen die ohnehin erstens selbst in Konkurrenz zueinander, sind also gar nicht der geschlossene Machtblock. Und zweitens schafft kein Vertrag den Weltmarkt neu. Es verhält sich nicht so, daß sich Manager zusammensetzen, einen Vertrag aushecken und dann nach ihm und mittels seiner Vorgaben die Verhältnisse auf dem Weltmarkt einfach einmal neu ordnen. Sie haben es vielmehr mit eingerichteten Konkurrenzverhältnissen zwischen Staaten und Kapitalen zu tun, mit einer Hierarchie innerhalb der Staatenwelt, mit Reichtumsverteilung, die ihnen paßt oder auch nicht, mit Interessen, die gegeneinander verfolgt werden, mit Differenzen zwischen Absicht und Resultaten usw. Von all dem legt der Vertragstext Zeugnis ab:
4.1. Wenn es um eine gleich günstige Behandlung von ausländischen und inländischen Kapitalinvestitionen gehen soll, dann sind folglich Kapitalimport und -export längst kapitalistische Normalität. Es geht also nicht darum - wie die PGA meint - , daß die Multis jetzt erst so richtig loslegen wollen. Der Begriff Multi sagt ja auch nichts anderes: Kapitale sind weder was die Kapitalanlage und schon längst nicht mehr was den Warenverkauf betrifft auf die jeweilige nationale Ökonomie und den nationalen Markt angewiesen. Weltweit verscherbeln sie ihr Zeug und weltweit reicht ihnen nicht mehr nur der Zugriff auf ausländische Zahlungskraft. Weltweit sind sie scharf auf fremdstaatliche Ressourcen, die schon viel unmittelbarer die Hoheit des Nationalstaates tangieren, als der Warenimport - wenngleich auch der in jedem Fall einer staatlichen Erlaubnis unterliegt. Denn Kapitalimport im industriellen Bereich braucht die Verfügung über ein Stück nationalen Territoriums, verlangt nach der Benutzung nationaler Infrastruktur und nicht zuletzt von Teilen der nationalen Arbeiterklasse. Und sofern der Kapitalexport in ein Land mit einer Gesellschaftsraison stattfindet, die sich noch nicht vollständig der kapitalistischen Rechnungsart unterworfen hat, wird eben auch mehr gebaut als nur eine Fabrik mit ausländischem Eigentümer. Es handelt sich dann um den Einbruch des kapitalistischen Produktionsverhältnisses insgesamt, das Geldverdienen für jedermann zum Zweck erklärt und die Aneignung von Lebensmitteln davon abhängig macht, ob sich das Arbeiten gegen Lohn für das kapitalistische Privateigentum rentiert.
Der Vertragsentwurf legt folglich Zeugnis davon ab, daß das kapitalistische Produktionsverhältnis insgesamt die Welt bereits erobert hat; daß folglich diesem System und seinen politischen Protagonisten, den westlichen Demokratien, gelungen ist, was angeblich das schlimmste Verbrechen des Kommunismus gewesen war, nämlich die "Weltherrschaft" anzustreben. Die Weltherrschaft des Kapitals ist Faktum. Auf ihm gründet das Anliegen, dem der Vertragstext Geltung verschaffen will.
4.2. Die Sache - die Meistbegünstigung bei Kapitalinvestitionen - betrifft überhaupt nur bzw. in erster Linie jene Nationalstaaten, die über inländisches Kapital verfügen, das investiert werden kann und zu dem sich auswärtiges konkurrierend verhält. Irgendeine Form von Markt, und sei es nur die durch Staatskredite geschaffene Nachfrage, existiert in jedem Erdenwinkel und ist auch dort vom Warenkapital, das auf jede Sorte Zahlungskraft scharf ist, längst aufgestöbert worden. Aber über eine nationale Ökonomie, die sich selbst aus Kapitalanlagen zusammensetzt, gar aus solchen, die selbst multinationale Interessen besitzen, verfügen längst nicht alle Staaten, die sich der "Marktwirtschaft" politisch verpflichtet haben. Es sind die erfolgreicheren kapitalistischen Nationen und die sogenannten aufstrebenden, die "emerging markets".
Der Gegenstand des Vertragsentwurfes legt demnach Zeugnis davon ab, daß es sich hier um eine Affäre handelt, die sich zwischen bereits kapitalistisch entwickelten Staaten, besonders den Metropolen und ihren Multis abspielt. Dritte und Vierte Welt sind nicht der Gegenstand. Es geht um die Konkurrenz der kapitalistisch führenden Staaten.
4.3. Drittens ist dem Beschwerdegegenstand ganz allgemein zu entnehmen, daß Staaten angesprochen sind, die sich gezielt der Kapitalinvestition annehmen. Ganz offensichtlich geht es um das staatliche Interesse, dem Kapital bei der Ansiedlung zu helfen. Und ganz offensichtlich gehen diese Staaten davon aus, daß die politisch initiierte Verbesserung der Bedingungen für Kapitalrendite Kapital anzieht. Kapitalistische Staaten haben in der Tat von sich aus ein Interesse an der Attrahierung von fremdem Kapital. Erst schaffen sie ihre (Standort-)Bedingungen. Die besichtigt dann das Kapital, unterzieht sie einer Kalkulation, entscheidet sich positiv, fordert Nachbesserungen oder zieht einen anderen Standort vor.
Der Vertragsentwurf hat also eine Lage auf dem Weltmarkt zur Grundlage, in dem Staaten darum konkurrieren, daß sich Kapital bei ihnen und nicht bei anderen anlegt. Sie erwarten sich davon Vorteil in ihrer eigenen Konkurrenz als Standorte. Es geht nicht mehr - allein - darum, daß Staaten ihrem Kapital auswärts die besten Bedingungen verschaffen. Umgekehrt gehört zur "Globalisierung" offensichtlich eine Art Reterritorialisierung. D.h. die weltweite Konkurrenz der Kapitale um Absatz erfolgt als Konkurrenz der Standorte um die besten Kapitalanlagebedingungen.
4.4. Viertens aber - ebenfalls erschlossen aus dem Vertragstext, der "gleich günstige Bedingungen" allererst durchsetzen will - machen Staaten offensichtlich beim Sponsern von Kapitalanlagen Unterschiede zwischen inländischem und ausländischem Kapital. Die ungleiche Behandlung ist offensichtlich ein Mittel, um als Nationalstaat selbst größtmöglichen Nutzen aus der Kapitalattraktion zu ziehen und/oder das einheimische Kapital vor der Kapitalmacht auswärtiger Konkurrenten solange zu schützen, bis es diese Konkurrenz aushält. Solche Staaten wollen nämlich mit den von ihnen geschaffenen günstigen Anlagebedingungen - Lohnstruktur, Lohnnebenkostensenkung, Steuersenkung, Umweltauflagen, Infrastruktur, sozialer Frieden usw. - nicht einfach nur den Kapitalen zu besserem Gewinn verhelfen. Vielmehr soll deren Gewinn sich als Nutzen für die nationalen Bilanzen niederschlagen. Sie agieren nicht uneigennützig, ganz als Diener des Kapitals, sondern sehr um den eigenen national-ökonomischen Vorteil bedacht. Die gesponserte Kapitalinvestition soll sich z.B. in vermehrtem nationalem Steueraufkommen, steigenden nationalen Wachstumsraten, Zunahme der nationalen Kaufkraft, Nachfrage nach Produkten der nationalen Industrie, Einsparung von nationalen Sozialstaatskosten durch Neueinstellung, Schlagkraft inländischer Konzerne usw. niederschlagen. Folglich kann es passieren, daß Staaten all jenen auswärtigen anlagewilligen Kapitalen die vorteilhaftere Behandlung verwehren, deren Erfolge nicht ihre nationalökonomischen Rechnungen bedienen.
Der Vertragstext zeigt mithin, daß Staaten genau zu unterscheiden versuchen zwischen Kapitalanlagen, mit denen die eigenen Ressourcen nur von diesem Kapital genutzt und dessen Erfolge abtransportiert werden, und solchen Kapitalanlagen, die den nationalen Reichtum mehren - egal wo dieses Kapital nun beheimatet ist. Die Konkurrenz der Nationalstaaten geht folglich um die Frage, wer welchen Nutzen aus der politisch geförderten Anlage zieht.
4.5. Fünftens - und nur so kommt es schließlich überhaupt zu dem Anliegen, sich wechselseitig eine gleich günstige Behandlung zu garantieren - sehen das aber die Staaten, aus denen Kapital exportiert wird, genauso. Sie sind für den Export von Kapital in eine andere Weltgegend, wenn besonders sie davon ihren Vorteil haben. Das aber schließt sich aus: Die Steuern, die ein Kapital ohnehin nur ungern zahlt, zahlt es schon gar nicht doppelt, nämlich in dem Land, aus dem es exportiert, und in dem Land, in das exportiert wird. Genauso in allen anderen Fällen: Eine Autofirma, die ein neues Werk im Ausland baut, braucht dafür Teile. Kauft es die im neuen Anlageland, so hat die nationale Ökonomie dort das Geschäft gemacht, und die Produzenten von Sitzpolstern in der "Heimat" dieses Kapitals, die bislang geliefert haben, gehen leer aus. Deren Geschäft geht zurück, ihre Steuerabgabe sinkt, ihre Kaufkraft reduziert sich usw . Deswegen finden sich überall Abmachungen zwischen Staaten und Kapitalen, in denen diesen im Fall einer Anlage günstige Bedingungen in Aussicht gestellt werden, wenn sie sich zu einem Gegendienst verpflichten: nämlich ihren Gewinn im Anlageland lassen, dort ihre Steuern abliefern, ihre Zulieferer im Lande suchen usw.
Der Vertragsentwurf tut folglich kund, daß wir es nicht nur mit einer Lage zu tun haben, in der Staaten um die Anziehung von Kapital konkurrieren. Bei jeder erfolgten oder geplanten Anlage geht es zudem immer darum, daß sich zwei Staaten um den Nutzeffekt einundderselben Kapitalanlage streiten, der Staat, aus dem und der Staat, in den Kapital exportiert wird. Der eine reklamiert sein Recht als Anlegerstaat, der einiges für die Attraktivität seines Standorts tut. Der andere besteht auf seinem Recht als Heimatstaat des Kapitals, der immerhin für die Bedingungen des Exports gesorgt hat.
4.6. Dieser Streit ist nur aufzulösen, wenn Kompromisse, d.h. Abstriche vom Interesse vertraglich zugestanden werden. Immerhin wollen beide Staaten dasselbe - aber eben gegeneinander: Ihnen und nicht dem anderen soll die Investition zugute kommen. Ihren Standort soll sie stärken und dies gerade gegen den anderen. So erklärt sich der monierte Sachverhalt, daß Staaten jeweils demjenigen Multi die "günstige Behandlung" angedeihen lassen, dessen Anlage den eigenen Standort stärkt; und daß sie umgekehrt die einem anderen verweigern, dessen Anlage dieses Interesse nicht bedient. Warum, sagt sich der Staat, soll ich draufzahlen, wenn der Multi alles, was er zur Produktion braucht, aus dem Ausland mitbringt und die heimischen Lieferanten im Regen stehen läßt?
Dem Vertragsentwurf liegt also eine nationalstaatliche Beschwerde zugrunde, die sich folgendermaßen formulieren läßt: "Wenn der konkurrierende politische Standortverwalter (Staat) dasselbe macht, was ich mir berechtigterweise als Mittel meines Interesses in der Standortkonkurrenz herausnehme, dann verdankt sich ist das nicht derselben Kalkulation, sondern ist glatt ein Verstoß gegen das Prinzip der Meistbegünstigung." Wenn aber so jeder Nationalstaat sein Interesse für legitim, das des Konkurrenten für illegitim erklärt, dann ist jeder Beschwerdeführer zugleich Adressat derselben Beschwerde durch die Konkurrenz.
Deswegen kennzeichnet den Vertragstext eine erhellende "Ungenauigkeit": Denn die "weniger günstige Behandlung" des ausländischen Investors fällt nur an, wenn der weiterhin den nationalen Reichtum seines Heimatstandorts mehren will. Läßt er sich dagegen auf die Bedingungen im Ausland ein, lädt Steuern und Gewinn dort ab, dann kann er sich sicher sein, dort auch eine günstige Behandlung zu erfahren. Das Kapital hätte folglich keinen Grund zur Beschwerde. Nur für den Staat, aus dem der Export stattgefunden hat, ergeben sich nicht die erhofften "günstigen" Bedingungen. Die Rede von der "gleich günstigen Behandlung" der Multis meint folglich gar nicht diese, sondern den Effekt des Kapitalerfolgs für den jeweils betroffenen Staat.
Es geht also letztlich um die Quadratur des Zirkels kapitalistischer Standortkonkurrenz: Alle Staaten mögen, so will es der Text, ausländischen Investoren gleich günstige Bedingungen einräumen wie den inländischen. Aber eben nur, wenn gesichert ist, daß deren Rendite den nationalen, d.h. den inländischen Reichtum mehrt. Gerade diese Behandlung paßt dem (Aus-)Land aber nicht, aus dem der Kapitalexport kommt, weil es dabei selbst in die Röhre guckt; weswegen es sich über Ungleichbehandlung seines Kapitals beschwert, aber überhaupt nur den entgangenen Vorteil von sich als Nationalstaat meint. Wenn ausländische Investoren sich beim Umgang mit ihrem Geschäft ihrer Heimat verpflichtet fühlen, dann gibt es schon mal Auflagen im Investitionsland. Weil die Förderung der Anlage eben nur lohnt, wenn sie den eigenen und nicht den fremden nationalen Reichtum mehrt. Die im Vertragswerk formulierte Text tut nun so, als sei es möglich, per Meistbegünstigung konkurrierende nationalstaatliche. Interessen gleichermaßen zu bedienen. Das geht nun einmal nicht in einer Ökonomie, in der Unternehmen ihren stofflichen Reichtum überhaupt nur in die Welt setzen, um damit den abstrakten, also den Geldreichtum auf sich zu ziehen, ihn folglich allen anderen vorzuenthalten.
4.7. Es kann also weniger verwundern, daß das MAI erst einmal vertagt worden ist. Erklärungsbedürftig ist nach dem Bisherigen eher der Umstand, daß kapitalistische Staaten sich regelmäßig neben ihrer Konkurrenz auf Verträge einigen, in denen sie sich zur Einhaltung von gemeinsamen Prinzipien verpflichten, von Protektionismus selbst Abstand nehmen, statt ihn nur bei anderen zu entdecken. Daß um die Abfassung solcher Verträge lange gerungen wird, daß sie sich durch ein umfangreiches "Schlichtungs"-Regelwerk - wie auch dem MAI-Text zu entnehmen ist - auszeichnen, daß der Bruch solcher Verträge dann offensichtlich eher die Regel als die Ausnahme ist, verweist darauf, daß diese Abmachungen nur als Mittel der Konkurrenz, nicht aber zum Zwecke ihrer Aufhebung abgeschlossen werden. Funktionieren tun sie im übrigen immer dann hervorragend, wo sich die Sieger der kapitalistischen Konkurrenz im gemeinsamen Interesse gegen Dritte, gegen Verlierer-Staaten oder solche, die zu Verlierern gemacht werden sollen, zusammenschließen. Und umgekehrt tun sie sich dort hart, wo ihre Konkurrenz untereinander der zentrale Gegenstand der Vertragsverhandlungen ist. So in diesem Fall: Jeder OECD-Staat - vornehmlich USA und Frankreich - wollte dem Prinzip nur unter der Voraussetzung zustimmen, daß ihm so viele Ausnahmen vertraglich gestattet werden, daß das Prinzip damit außer kraft gesetzt worden wäre.(9)
Aber auch der Vertagung - inwieweit sie das Ende des MAI ist, wird sich zeigen - ist selbst noch etwas Besonderes zu entnehmen. Denn offensichtlich konnten sich die beteiligten Staatsvertreter - noch einmal: die OECD-Staaten sind die führenden kapitalistischen Staaten - nicht darauf einigen, sich wechselseitig Kompromisse abzuhandeln - wie das z.B. in anderen Meistbegünstigungsklauseln (bei Warenexport; s. WTO u. GATT;(10)) der Fall ist, die nun einmal alle denselben Widerspruch aufweisen. Der Wille, in der aktuell bestehenden Standortkonkurrenz Kompromisse einzugehen, war offensichtlich geringer, als der Wille zur Durchsetzung der eigenen Interessen in der Konkurrenz und das Vertrauen auf die Stärke der eigenen Konkurrenzmittel.
Anders gesagt: Das MAI-Werk und seine Vertagung stehen für eine Verschärfung in der Standortkonkurrenz der führenden kapitalistischen Staaten, die die Subjekte des Weltmarkts sind und immer schon waren. Es ist wohl kaum als Zeichen irgendeiner Ohnmacht zu werten, wenn sie sich stark genug einschätzen, sich auf dem "globalisierten Weltmarkt" seiner ökonomischen Konkurrenz-Gesetze zu bedienen, um sich als Dollar-Macht gegenüber der zukünftigen Euro-Macht zu behaupten oder um als Euro-Macht der Dollar-Macht Paroli zu bieten. Und darum geht es zur Zeit auf dem Weltmarkt - mit oder ohne MAI.
Anmerkungen:
(1) Wer sich bei diesem Bild der Welt an eine Sichtweise erinnert fühlt, die es in
diesem Jahrhundert schon einmal gegeben hat, liegt sicherlich nicht ganz falsch.
(2) Verträge zwischen Souveränen sind eben auch welche. Die stimmen ihnen zu, wenn sie
sich etwas davon versprechen, wenn nicht dann nicht. Und eine "Entmachtung" per
Vertrag kommt eben nur zustande, wenn sie der Staat erlaubt. Sie wird sich dann für ihn
auch etwas anders darstellen. Staaten halten sich an Verträge, soweit sie in ihre
Kalkulation passen und wenn dies nicht mehr der Fall ist, kündigen sie den Vertrag,
interpretieren ihn neu oder scheren sich nicht mehr um ihn. Sie wissen eben, daß dem
Vertrag keine übergeordnete Gewalt seine Wucht verleiht - wie dies bei jedem
Privatvertrag der Fall ist -, sondern daß er nur soviel wert ist, wie die Vertragspartner
sich aus freien Stücken an ihn halten. Jedes Insistieren auf der Einhaltung des Vertrages
verläuft dann eben nicht über den Weg zum Gericht, sondern stellt sich sofort als Frage
des Gegensatzes von souveränen Staaten.
(3) Wenn MAI-Komitees hinter den verhandelnden Staatssekretären ohnehin immer nur die
nationale Kapital-Lobby vermuten - daß Boeing dem französischen und Airbus dem
us-amerikanischen Vertreter seine Interessen einflüstern, wollen selbst die Komitees
nicht behaupten -, dann haben sie zugleich dem Urteil den Boden entzogen, das sie damit
belegen wollten. Dann scheint es sich nicht um einen Angriff der Multis gegen die
Nationalstaaten zu handeln, sondern um eine Konkurrenz zwischen letzteren, in die die
jeweiligen nationalen Multis ihr Interesse an bevorzugter nationaler Behandlung
einbringen.
(4) Eine heikle Konstruktion ist da in die Welt gesetzt. Juristisch dem deutschen Standort
zugeordnet versprechen sich doch zwei Nationalstaaten, die sich zu verschärfter
Konkurrenz - vermittels NAFTA und EU - rüsten, gleichermaßen Vorteile von der
"Fusion". Gut wird dies gehen, solange die neue, aus zwei erfolgreichen Multis
zusammengebastelte Wuchtbrumme weiterhin erfolgreich ist. Wenn nicht, dann werden die
Schuldzuweisungen zwischen den Nationalstaaten kaum nur platonischer Art sein. Und da
gerade die allgemeine Überproduktion in der Autoindustrie der Ausgangspunkt für den
Einsatz dieses Konkurrenzmittel "Fusion" ist, darf man noch spannende Zeiten
erwarten.
(5) Vgl. dazu: Der Staatshaushalt, Teil 1, in: GegenStandpunkt 4/97
(6) Aus einer Expertise der CEO, einer "Nicht-Regierungsorganisation, die
europäischen Unternehmen auf die Finger schaut", zum MAI abgedruckt in. PDS
international, 1/1988, S.5.
(7) "Der Kampf gegen das internationale Finanz- und Leihkapital ist zum wichtigsten
Programmpunkt des Kampfes der ... Nation um ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit und
Freiheit geworden." Das steht nicht im Manifest der PGA, sondern in "Mein
Kampf"; es könnte aber auch dort stehen. (zit. Nach: K.Hecker, Der Faschismus,
München 1996, S.119)
(8) Darin sind sie im übrigen einem Urteil streikender Studierender sehr verwandt, die
sich - nach R.Herzog - zur nationalen "Ressource Wissen" erklären und es für
eine Form der Vergeudung dieser Ressource halten, wenn sie per Sparpolitik im
Bildungssektor kurz gehalten und nicht einen ihrer "Ressource" adäquaten
Arbeitsplatz vorfinden. Der Standpunkt der nationalen Dienstbarkeit findet sich hier wie
dort - egal, ob er nun bei denen fanatisch und bei den anderen taktisch gedacht ist. Mit
dem Vergeudungsmaßstab geben sie im übrigen den Sparpolitikern recht. Nur halten die am
Arbeitsmarkt fest und erklären das Studium des "akademischen Proletariats" zu
einer überflüssigen Kost, während die vom Markt für überflüssig erklärten Studenten
an ihrer "Ressource" festhalten und daraus ein nationales Beschäftigungsrecht
einklagen.
(9) Die USA wollten natürlich weder vom antikubanischen Helm-Burton-Gesetz, noch vom
DAmato-Act lassen, der gegen Iran und Lybien und gegen alle mit ihnen handelnden
Staaten gerichtet ist. Die Franzosen hatten nicht vor, die EU-Regelungen, die europäische
Betriebe schützt, fallen zu lassen usw. (vgl. SZ, 28.4.98 u. ND, 28.4.98)
(10) Vgl. dazu: GegenStandpunkt, Die Fortschritte vom GATT zum WTO, 2/94)