Das Pech, in einer Weltgegend zu hausen, die von den Zionisten zum künftigen Staat für alle Juden auserwählt worden war, hat den diesseits und jenseits des Jordan lebenden Arabern das Schicksal eingebracht, Palästinenser zu sein. Das aufgezwungene gemeinsame Los, das hinter diesem Namen steht, hat nichts mit jahrhundertealten Lebensgewohnheiten und kulturellen Traditionen zu tun, also dem, was der rassistische Blick eines über Nation und Menschennatur belehrten Bürgers in allen Winkeln der Welt als liebenswerte oder verabscheuungswürdige Eigenschaften eines "Volkscharakters" entdeckt. Es hat auch nichts zu schaffen mit einem besonderen politischen "Schicksal", das eine herrschende Gewalt gerade mit ihnen veranstaltet und durch das sie ihnen die Ehre aufgezwungen hätte, sich als kollektiver Untertan zu bewähren, also zum Volk zu werden. "Palästinenser" zu sein: das ist ein an den Bauern und Händlern Samarias und Galiläas vollzogenes negatives Urteil, zu dem sich die Gründer des jüdischen Staates durch ihren militärischen Erfolg bei der Okkupation des britischen Mandatsgebiets Palästina berechtigt sahen. Eine politische Identität als "Volk" wurde ihnen durch die Zionisten auferlegt und bestand in der Ruinierung ihrer ökonomischen Lebensgrundlagen durch den Aufbau einer überlegenen exklusiv jüdischen "Volkswirtschaft" im Lande, in der Zerstörung ihrer angestammten Lebensweise und, logischer Endpunkt der zionistischen Staatsgründung, in der Gemeinsamkeit, daß für die Mehrheit von ihnen die Flüchtlingslager zur bleibenden Heimat wurden. Denn das Projekt einer , .nationalen Heimstatt für das Jüdische Volk" war nun einmal von Anfang an nicht auf das bescheidene Ziel berechnet, den verfolgten Glaubensgenossen in aller Welt zu einem besseren Leben zu verhelfen - dafür wären die alttestamentarischen Wüsten- und Felsgegenden auch die ungünstigste Bedingung gewesen -, womöglich in schiedlich-friedlicher Koexistenz mit den arabischen Einheimischen. Geschaffen werden sollte ein völkischer Staat aus Juden für Juden, also eine nationale Staatsgewalt von gleicher Machart wie diejenige, unter deren Rassismus die Juden so oft hatten leiden müssen. Sich für dieses Unternehmen nützlich zu machen, als Arbeiter, Bauer und Soldat, galt als höchstes Recht, das nur Volksjuden nach den Maßstäben des Oberrabbinats in Jerusalem zugebilligt wurde. Die vorgefundenen Araber wurden demgemäß mit offensiver Nicht-Achtung behandelt. Nicht einmal das harte Schicksal, sich als Heloten für die jüdische Wirtschaft nützlich zu machen, sollte ihnen zugestanden werden; da waren die Gründer des Staates Israel in ihrem völkischen Fanatismus noch entschiedener als das Apartheid-Regime in Südafrika. Im Interesse einer ganz und gar jüdischen Einheit von Volk und Staat räumten die zionistischen Kämpfer das ausersehene Staatsgebiet mit den Waffen des Geldes und des Terrors von allen nichtjüdischen Elementen frei. Mit der Ausrufung des jüdischen Staates Israel hat diese Gründungsgeschichte kein Ende gefunden. Jede territoriale Erweiterung Israels, dessen militärischer Macht - ausgehalten und finanziert durch die Staatenwelt des "freien Westens" - kein arabischer Staat standhalten konnte, hat den Politikern in Jerusalem die Aufgabe beschert, aus den eroberten Gebieten jüdisches Land zu machen. Sehr souverän schaffen sie dabei die "ethnischen Besonderheiten", die nach gängigem Urteil ein Volk ausmachen sollen: Palästinenser sind alle, die der beschlossenen Judaisierung des Landes im Wege stehen; sei es durch Widerstand, sei .es durch bloße Anwesenheit auf einem unpassenden Gelände. Der maßgebliche israelische Befund über eine palästinensische Volkszugehörigkeit ist eben kein theoretisches Urteil, sondern eine sehr praktische Angelegenheit - wie jüngst erst wieder im Libanon bewiesen: Wer in den zu "Nestern" der PLO erklärten Flüchtlingslagern hauste und wer auch nur in einer Gegend lebte, die von "Terroristen" zu säubern war, bekam das Urteil, Palästinenser zu sein, mit israelischen Bomben und Granaten zudiktiert.
Das "Volk" der Palästinenser, dessen Lebensrecht nach jeder gebilligten Heldentat des jüdischen Staates weltöffentlich beschworen wird, hat also eine einzige Gemeinsamkeit: das Los, das Israel an ihnen als Nicht-Juden exekutiert hat.
Während der Jahrzehnte der zionistischen "Landnahme" und bis zu den Feldzügen des Jahres 1948, in denen Israel seinen Herrschaftsbereich absteckte, war das Leben der arabischen Einheimischen hauptsächlich bestimmt durch die Dorfgemeinschaft und ihre gemeinsame Abhängigkeit als miserable Pächter von fernen Großgrundbesitzern und als abgabenpflichtige Untertanen von 'einer noch ferneren Kolonialmacht - da brauchte keiner auch nur zu wissen, daß inzwischen Großbritannien an die Stelle der osmanischen Herren getreten war. Ein ökonomischer und politischer Zusammenhang zwischen ihnen, wie er zu einer modernen Nation gehört, existierte allenfalls in der Phantasie einiger von der neuen Kolonialmacht herangezogener Intellektueller sowie als Wunsch einer Handvoll Clan-Oberhäupter, die gar zu gern von den Briten mit der Würde eines halbautonomen Statthalters bedacht worden wären und nun stattdessen einigen Aufruhr gegen die zionistenfreundliche Kolonialmacht anzettelten. So haben die Führer der jüdischen Einwanderergemeinde bzw. des israelischen Staates denn auch nicht einem palästinensischen Staat den Krieg erklärt und dessen Volk vertrieben; sie sind mit der Selbstgerechtigkeit des wohlerworbenen, durch die koloniale Obrigkeit geschützten Eigentums, eines international verbrieften Anrechts auf eine "nationale Heimstätte" und schließlich einer souveränen nationalen Gewalt gegen die politisch unorganisierten Landesbewohner vorgegangen, weil für sie in einem jüdischen Gemeinwesen kein Platz war. Für die Betroffenen kommt das zwar so ziemlich auf dasselbe hinaus - allerdings mit einem Unterschied: In den Auseinandersetzungen zwischen Staaten werden die Untertanen der feindlichen Herrschaft bekämpft und niedergemacht, um diese zur Kapitulation zu zwingen; nach dem so durchgesetzten neuen Verhältnis der Staaten zueinander reißt gewöhnlich wieder Frieden ein. Der zionistische Anspruch dagegen, ein ganz und gar volksjüdisches "Erez Israel" einzurichten und durch die gewaltsame Beseitigung jeder nur möglichen Bedrohung zu sichern, kennt solche "Kompromisse" nicht und brauchte sie auch nie zu kennen, da seinem Programm kein palästinensisches Volk und eine darauf begründete Staatsgewalt entgegenstand.
Entsprechend radikal fiel der Umsturz der angestammten Lebensverhältnisse der arabischen Bevölkerung und die durch die israelische Staatsräson vorgenommene praktische Neudefinition ihres politischen Status aus:
Eine kleine Minderheit, kaum ein Fünftel der zuvor dort ansässigen arabischen Einwohnerschaft, verblieb im Gebiet des neuen Judenstaates. Sie wurde unter militärische Kontrolle gestellt, in ihren Dörfern und Wohnvierteln wie in Ghettos festgehalten und in ihrer Produktionsweise wie in ihrem (vor-)politischen Zusammenhang auf die alten patriarchalischen Verkehrsformen festgelegt; doch bleiben die natürlich nicht die alten, wenn sie für Eingeborenenreservate inmitten einer Nationalökonomie fortbestehen, die auf Staatskredit, freier Lohnarbeit, Zwang zur Rentabilität auf Grundlage von Subventionen, Revolutionierung der Produktionstechniken vor allem in der Landwirtschaft und einem wissenschaftlichen Ausbildungswesen beruht. Um nicht vollends zu Ausstellungsstücken in einem - immer mehr eingeengten - Freiluftmuseum der Rückständigkeit und des Elends zu werden, mußten und müssen die Araber um Berücksichtigung durch die jüdische Obrigkeit und das Zugeständnis einer beschränkten Teilhabe an der israelischen Nationalökonomie sogar noch kämpfen. Die lebensnotwendige Unterstützung arabischer Gemeinden aus dem Staatshaushalt und sonstigen öffentlichen Kassen wird von den israelischen Instanzen seit jeher zum Gegenstand eines dauerhaften Kleinkriegs gemacht. Der individuelle Ausschluß arabischer Untertanen von der freien Konkurrenz findet ganz ohne rassistische Apartheidsgesetze einfach über die alte Sicherheitsmaßregel statt, daß nur Juden - eine Ausnahme bilden die Drusen im Land - zum Militärdienst eingezogen werden: Ohne Entlassungspapiere der Armee findet ein hoffnungsvoller Bürger sich von jeder Karriere und sogar vom Wohnungs- und Heiratsmarkt ausgeschlossen. Andererseits hat der israelische Staat ihnen nach und nach alle bürgerlichen Rechte zugestanden; sie dürfen wählen und die nötige Zahl von Arabern findet auch allemal auf den Wahllisten der jüdischen Parteien ihr Plätzchen. Auf diese Weise sind aus den dagebliebenen Arabern keine Palästinenser geworden, die all ihren untertänigen Materialismus einem künftigen Staat mit umgekehrten völkischen Vorzeichen zuwenden; ebensowenig allerdings Kommunisten, auch wenn sie bei Wahlen ihre Stimme überwiegend der kommunistischen "Rakach" geben, die für den Kampf um gleiche Rechte bei dieser Minderheit leicht fündig wird. Die politische Identität, die die israelische Staatsgewalt ihnen erfolgreich verpaßt hat, ist die von opportunistischen Staatsbürgern zweiter Klasse.
Ein weit größerer Teil der palästinensischen Araber hat sich zwei Jahrzehnte lang dem haschemitischen König von Jordanien als Untertan zurechnen dürfen und lernt seit 1967 den Judenstaat als Besatzungsmacht kennen. Der hat sich im Laufe der Jahre zu einer Regelung der "Palästinenserfrage" im Westjordanland und Gazastreifen nach dem "südafrikanischen Modell" entschieden: Einwandern dürfen die Einwohner aus den besetzten Gebieten nicht - in arabische Staaten auswandern schon! , wohl aber mit einer beschränkten Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis das klassische Prinzip der , jüdischen Arbeit" ein wenig durchlöchern und als ziemlich rechtlose Lohnsklaven die Produktionskosten israelischer Unternehmungen senken helfen. Dabei gesteht Israel seinen beiden "Bantustans" allerdings noch weniger politische Autonomie zu als die Republik Südafrika den von ihr eingerichteten "homelands". Denn schließlich geht sein Interesse nicht auf die nominelle Ausgliederung fiktiver Staatsgebiete für Eingeborene, sondern gerade umgekehrt auf Sicherung der besetzten Landstriche für den völkischen Judenstaat. Nach Besatzungsrecht oder auch ohne Recht und bloß unter dem Schutz der Besatzungsmacht geht daher hier die alte zionistische Siedlungspolitik weiter, für die die Kultivierung des Landes gleichbedeutend ist mit dem Freiräumen des Bodens von seinen überflüssigen, weil nichtjüdischen Bewohnern - nicht unähnlich dem heldenhaften Kampf der westwärts ziehenden amerikanischen Siedler gegen die indianische Urbevölkerung. Mit seinem so praktizierten Besatzungsrecht hat Israel das Seine getan für eine eindeutige nationalistische Politisierung seiner hinzueroberten ungeliebten Untertanen: als Volk unter Fremdherrschaft behandelt, werden sie unter der Fremdherrschaft zum eigenen Volk. Zwar tun die israelischen Behörden alles, um durch die Einschaltung ihnen genehmer lokaler Obrigkeiten bei jedem noch so geringfügigen Anliegen eines Bürgers die alten patriarchalischen Verkehrsformen und damit eine vorpolitische Verfassung in den besetzten Gebieten aufrechtzuerhalten; doch geht das nicht zusammen mit der Ruinierung der alten Wirtschaftsweise durch die offensive Siedlungspolitik sowie durch die überlegene israelische Konkurrenz, die sich der Arbeitskräfte wie des Warenverkehrs dieser Länder bemächtigt. So werden die Araber des Westjordanlandes und des Gaza-Streifens von ihren israelischen Herren zu einem staatsbürgerlichen Opportunismus erzogen, der keine andere Perspektive hat als einen volksarabischen Nationalstaat.
Die überwiegende Mehrheit der arabischen Bevölkerung im alten Mandatsgebiet Palästina hat Israel 1948 und 1967 zu Flüchtlingen gemacht. Schließlich unterschied die zionistische Siedlungspolitik sich von der Gewinnung "arischen Lebensraums" durch die Nazis von Anfang an darin, daß ihr Zweck nicht die Vernichtung volksfremder Elemente ist, sondern ihre Evakuierung aus dem beanspruchten Land deshalb befinden sich die israelischen Araber-KZs auch außerhalb der Grenzen Israels und sind keineswegs als Todeslager geplant. Als Lagerinsassen haben die vertriebenen Araber es sehr rasch zu weltöffentlichem Mitleid mit ihrem "harten Los" gebracht
noch allemal die leichteste und eleganteste Manier, über den "menschlichen Schicksalen" die Taten des Judenstaates, ohne die es diese Schicksale gar nicht gegeben hätte, vergessen zu machen. Eine Existenzgrundlage ist dieses durch die UNO organisierte Mitleid allerdings nicht; kaum daß es dazu reicht, die Leute halbwegs durchzufüttern. Erst recht können Flüchtlinge von ihrem pflichtschuldigst immer wieder einmal beschworenen "Heimatrecht" nicht leben - es sei denn, eine einschlägig interessierte imperialistische Macht entdeckt darin ein brauchbares weltpolitisches Druckmittel und gibt dem Elend eine "Chance", sich als solches zu bewähren. Vertriebene Afghanen beispielsweise können durchaus allemal als "Freiheitskämpfer" gegen den roten Hauptfeind in westliche Dienste treten; und deutsche Heimatvertriebene brauchen sich dank der weltpolitischen Bedeutung ihrer neuen Heimat nicht einmal wirklich zur Rückkehr nach Ostpreußen oder Schlesien zu entschließen, um sich als lebendige Rechtstitel zur Bestreitung der Westgrenzen des sowjetischen "Blocks" ihren Flüchtlingsausweis zu verdienen. Für die palästinensischen Flüchtlinge allerdings, die sich außerhalb der unmittelbaren Reichweite israelischer Geschütze in Auffanglagern sammelten, hat sich ein solches machtvolles imperialistisches Interesse nicht gefunden. Macht und diplomatische Kunst der arabischen Aufnahmestaaten haben nie zu mehr gereicht, als die ihnen zugetriebenen zusätzlichen Untertanen in ihren Lagern festzuhalten und als matten moralischen Vorwurf gegen Israel zu verwenden. Weder sind sie daran interessiert und dazu in der Lage, die Palästinenser zu "integrieren", also für Macht und Reichtum ihrer Nation nützlich zu machen - das gelingt den Königen, Scheichs und regierenden "Sozialisten" Arabiens ja nicht einmal mit ihrem eigenen Volk! -; noch verfügen sie über die Macht, aus dem verletzten "Heimat"- und ,,Selbstbestimmungsrecht" dieser Leute, die sie nicht als eigene Untertanen anerkennen wollten, eine aussichtsreiche Offensive zu machen. So übersieht denn auch der Vorwurf der PLO, die arabischen Bruderstaaten hätten die Palästinenser verraten, weil sie den im Ölgeschäft verdienten Reichtum nicht für das Leben und den Kampf der Palästinenser eingesetzt hätten, glatt die Tatsache, daß dieser Reichtum ja auch nicht für die Beduinen Saudiarabiens oder die Fellachen Iraks da ist. Umgekehrt haben die arabischen Staatsmänner jeden Versuch, sie zu einer Unterstützung der "palästinensischen Sache" zu zwingen, und jeden Ansatz der politischen Vertreter der Palästinenser, auf die Politik der Bruderländer Einfluß zu nehmen, mit dem Beschluß beantwortet, die im eigenen Land befindlichen Flüchtlingslager als "Staat im Staate" zu betrachten und in Schutt und Asche zu legen. Mit dem "Schwarzen September" 1970, als Hussein die ihm treu ergebenen Truppen ein Massaker in palästinensischen Lagern anrichten ließ, zeigte sich der jordanische König als ebenso gelehriger Schüler israelischer Befriedungsmethoden wie der Staatspräsident Syriens, dessen Truppen zusammen mit libanesischen Streitkräften das Flüchtlingslager Teil Zataar dem Erdboden gleich machten. Dermaßen konsequent von Israel wie von ihren arabischen Zufluchtsländern als fremdes Volk behandelt, sind die vertriebenen Araber im Laufe der Jahrzehnte tatsächlich zu einem "Volk" geworden: zur Manövriermasse nicht einer eigenen souveränen Macht, wohl aber anderer Staaten, die ihnen die Gemeinsamkeit eines fortdauernden Lagerlebens auferlegt haben. Mit aller Gewalt an Gehorsam gewöhnt, aber ohne das Versprechen irgendeiner der Staatsgewalten, denen sie Untertan sind, auf eine auch nur halbwegs gesicherte Existenz, leuchtet ihnen denn auch erst recht die Schlußfolgerung ein, auf die einst die Zionisten ihr jüdisches Volk festgelegt haben: Was ihnen vor allem nottäte, wäre eine Staatsgewalt, die sich ganz um sie kümmert.
2. Die praktischen Vertreter dieser Schlußfolgerung, die in der PLO als Quasi-Volksvertretung organisiert operierenden palästinensischen Politiker, brauchen den erhofften Nutzen eines eigenen palästinensischen Staates für dessen Untertanen weder nachzuweisen noch in alternativen Staatsprogrammen auszumalen. Denn vor diesem "gelobten Land" steht der unbeugsame Wille des jüdischen Staates, eine "nationale Heimstätte für das Palästinensische Volk" nicht zu dulden. Schon der Wunsch danach ist für die zionistische Staatsraison gleichbedeutend mit einem hochverräterischen Anschlag auf Bestand und Sicherheit des Judenstaates - ein Urteil, das so feststeht, daß ihm sogar die blumige Kampfrhetorik arabischer Volksführer nicht als das gilt, was sie ist, nämlich ein fiktives Aufbegehren aus Ohnmacht, sondern als ernsthafter Beweis für eine tatsächliche Existenzgefährdung Israels. So führt der Wunsch nach einem , .Palästina der Palästinenser" auf nichts als die Notwendigkeit, militärisch gegen die regionale Supermacht Israels anzutreten. Und sogar dieses blutige Unterfangen, blutig vor allem für die palästinensische Seite, hat Israel seinen Opfern aufgenötigt. Verdrängung, Terror, Vertreibung, Flucht und Lagerleben hat die Araber zu antizionistischen Palästinensern gemacht. Das wiederum war und ist für Israel Grund genug, es mit der Vertreibung nicht bewenden zu lassen. Jeder - selbstgeschaffene - antizionistische Palästinenser gilt als Bedrohung des jüdischen Staates, der das israelische Militär wirksam vorbeugen muß. Je größer das Lagerelend, je erfolgreicher die palästinensische Agitation gegen Israel, um so weniger waren und sind die Flüchtlinge vor "präventiven" Angriffen der Israelis sicher. Ihren feindseligen Opfern verschafft die israelische Armee so die Erfahrung, daß sie nicht damit rechnen können, in Ruhe gelassen zu werden, und macht die Schlußfolgerung unabweisbar, daß schon ihr bloßes Überleben den Guerilla-Kampf erfordert. Mit dem wiederum laufen die zur "nationalen Befreiung" entschlossenen palästinensischen Kämpfer seit jeher ins offene Messer der israelischen "Sicherheitspolitik" - die andererseits die Notwendigkeit der Gegenwehr immer von neuem drastisch bestätigt. Jüngstes und härtestes Beispiel dafür sind die Palästinenser-Massaker in Beirut: Kaum hatten die Kämpfer der verschiedenen PLO-Fraktionen sich in diverse arabische Länder verfrachten lassen, in der Hoffnung auf ein als Gegenleistung zugesagtes Ende der Verwüstungen und des Mordens in Beirut, da bot die jüdische Armee ihre christlichen Schutzstaffeln auf für ein ausgiebiges Blutbad in den schutzlosen Palästinenserlagern - ein Vorgehen von der Radikalität einer faschistischen "Endlösung der Palästinenserfrage" !
Zum bewaffneten Kampf gegen Israels Militärmaschinerie bleibt den zu einem Dasein als Volk ohne Staat verurteilten Palästinensern somit kaum eine Alternative; schon gleich nicht, wenn sie sich von der Etablierung einer eigenen Staatsgewalt Schutz und Sicherheit versprechen. Zugleich stand aber von Anfang an fest, daß dieser Kampf praktisch ohne Siegeschancen ist; denn der Gegner ist ein vom "freien Westen" eingerichteter und ausgerüsteter Vorposten, der seine Untertanen zu einem Volk von Soldaten erzogen hat. So mußte der Abwehrkampf zum Beweis der Ohnmacht und eines ziemlich hoffnungslosen bloßen Kampfes- und Siegeswillens geraten. Die palästinensischen Führer haben das auch klar genug begriffen - und ausgerechnet das zur Grundlage und zum Inhalt ihrer militanten Politik gemacht. Zweck des Kampfes war für sie schon gleich gar nicht mehr der Sieg, sondern: "zu kämpfen, zu kämpfen und zu kämpfen" (Habbasch und andere), "bis zum ,.letzten Mann", "zur letzten Patrone" (Arafat und alle anderen); nicht der Erfolg, sondern die Produktion von Märtyrern der eigenen Sache; bis hin zu solchem Aberwitz, daß der prominenteste Führer des Kampfes - und seine Kämpfer taten es ihm allesamt nach! - die katastrophale Niederlage seiner Truppe in Beirut mit zwei gespreizten Fingern für V gleich "victory" in den Auftakt zum Endsieg umdeutete. Ziel dieser Strategie ist nichts als die pure Demonstration, daß es das palästinensische Volk mit einem unveräußerlichen Recht auf eigene Herren in einem eigenen Land nach wie vor und mehr denn je gebe. So viel haben die palästinensischen Volksführer von ihren zionistischen Gegnern also allemal gelernt, daß die pure Deklamation eines solchen Rechtes in der wohlgeordneten Staatenwelt von heute überhaupt nichts taugt; ob die Berufung auf die Propheten und Geschichtsbücher eines antiken Hirtenvolks denen, die sich als ihre modernen Nachfahren bekennen, ein Heimatrecht im "Gelobten Land" sichert oder 1000 Jahre Ortsansässigkeit denen, die nun immerhin schon drei Jahrzehnte vertrieben sind, das wird nicht durch wissenschaftliche Expertisen entschieden, sondern allein durch erfolgreiche Gewalt. Im Unterschied zum zielstrebigen Terrorismus der zionistischen Staatsgründer leiden die Gewaltaktionen der zum Kampf mobilisierten Palästinenser allerdings an dem entscheidenden Nachteil, daß sie ihrem Gegner gar nicht wirklich das Leben schwermachen, sondern den Terror selbst, der doch ihre fiktiven Rechtstitel gültig machen soll, bloß symbolisch einsetzen. Himmelfahrtkommandos von Kämpfern, die sich selbst schon gleich "Fedayin", "die Opferbereiten", nennen, Flugzeugentführungen, die mit ein paar hundert Geiseln Staaten beeindrucken wollen, die gewohnheitsmäßig mit dem Einsatz eigener und fremder Soldaten wie Zivilisten kalkulieren, ungezielte Raketenschüsse über Israels Grenzen hinweg: das alles sind Versuche, eine militärische Auseinandersetzung zu fingieren, die man im Ernst weder führen kann noch will - was, siehe den Libanonfeldzug, den Gegner überhaupt nicht hindert, seinerseits mit all seiner militärischen Macht ganz im Ernst zuzuschlagen. Berechnet ist dieser gewalttätige Schein eines "nationalen Befreiungskrieges" auf drei verschiedene Adressaten. Erstens konkurrieren so die politischen Führer und Organisationen der Palästinenser um den Rang der tatkräftigsten Verfechter des palästinensischen Staatsprojekts - alle übrigen programmatischen Unterscheidungen, die sie sich in Analogie zu politischen Parteien allenfalls einfallen lassen, sind vor dem gemeinsamen nationalen Anliegen ja sowieso rein akademisch, solange es die Nation selber noch gar nicht gibt. Radikalität und bewiesene Tatkraft wiederum richten sich nach dem Ausmaß und nach den Konditionen ihrer Unterstützung durch die etablierten arabischen Staaten; deren Nationalideologien sind es denn auch, die sich in den konkurrierenden Kampfprogrammen widerspiegeln. Die konkurrierenden arabischen Regierungen, die sich ihre jeweilige Palästinenserorganisation halten und auch die PLO als deren gemeinsames Forum ins Leben gerufen haben, sind ihrerseits nicht nur die Mäzene, sondern zugleich Adressat Nr. 2 der palästinensischen Kampfaktionen. Deren politischen Urhebern geht es nämlich darum, gemeinsame kriegerischeAktionen der arabischen Staaten gegen Israel einzuleiten und ihnen dafür durch eigene Opfer wenigstens entsprechende politische Absichtserklärungen abzuzwingen. Dieser Versuch, die arabischen Herrscher als Araber für eine Unterstützung der palästinensischen Sache zu gewinnen, hat sich allerdings immer wieder der Konkurrenz dieser Herrschaften ein- und untergeordnet. Von der ersten Stunde an hatte die PLO und jede ihrer einzelnen Gruppierungen reichlich Gelegenheit, die Indolenz und "Verräterei" der Regierungen der "Brudernationen" zu beklagen; zeitweise hat sie sich bis zur Idee einer "sozialistischen Revolution" in etlichen ihrer Gastländer als Vorbedingung für einen erfolgreichen antizionistischen Feldzug verstiegen. "Revolution" war damit in Wahrheit aber genausowenig angesagt wie ein Widerstand gegen die berechnenden diplomatischen Manöver, mit denen die verschiedenen arabischen Regierungen den Kampf wie die Beschwerden der PLO bzw. ihrer Fraktionen für ihre Bestrebungen benutzten, im Namen des "Panarabismus" Einfluß aufeinander zu gewinnen: Genau und nur dafür wurden und werden diese Organisationen ja von ihren jeweiligen "Schutzmächten" politisch ausgehalten - und kontrolliert, militärisch ausgerüstet - und gegebenenfalls zerschlagen, finanziert - und erpreßt. Deswegen haben auch sämtliche arabische Regierungen, darin sind sie sich seit ihrer vierten Niederlage in dem als arabischer Erfolg gehandelten ,Jom-Kippur-Krieg" von 1973 tatsächlich einig geworden, dem palästinensischen Aktivismus zunehmend engere Grenzen gezogen. Für sie ging es eben nicht wirklich darum, Israel zur Hinnähme eines palästinensischen Staates, geschweige denn zur Duldung der Palästinenser zu zwingen; so brauchte Israels Armee mit ihren Überfällen auf Nachbarstaaten, die den palästinensischen Organisationen Bewegungsfreiheit gewährten, gar nicht allzuviel "Überzeugungsarbeit" zu leisten, um sie zu einer strengen, bisweilen blutig vollstreckten "Aufsicht" über die Aktivitäten "ihrer" Palästinenser zu veranlassen.
Die PLO hat diese israelische "Lektion" auf ihre Weise auch begriffen und beherzigt. Tatsächlich waren ihre Aktionen von Anfang an nicht wirklich darauf berechnet und jedenfalls gar nicht dazu angetan, die arabischen Bruderstaaten ernstlich in einen aussichtsreichen Krieg für ihre Sache zu verwickeln. Über das arabische Publikum hinaus zielten und zielen sie auf die Mächte, von denen irgendwo auch die politische Elite der Palästinenser weiß, daß es auf sie ankommt bei Israels unangefochtenen Erfolgen und für ihre eigenen Erfolgschancen: Die USA und ihre NATO-Partner sind seit jeher der dritte und wichtigste Adressat ihrer Schau-Kämpfe. Dabei ging es einige Jahre lang, zwischen 1967 und 1973, um die nachdrückliche weltöffentliche Demonstration, daß an den palästinensischen Interessen nicht vorbeizukommen wäre. Was für dieses Beweisziel an Terror aufgeboten wurde, hat die maßgeblichen Weltmächte allerdings nie zu etwas anderem als dazu gebracht, sich der israelischen Verurteilung der PLO als Bande politischer Krimineller anzuschließen - obwohl dem empörten moralischen Bewußtsein durchaus hätte auffallen können, daß jeder israelische Präventiv- oder "Vergeltungs"-Schlag mehr Menschenleben kostete als aller palästinensische "Terrorismus" zusammengenommen. Seit der endgültigen Beerdigung der arabischen Hoffnungen, Israel militärisch unter Druck setzen zu können, nach dem Oktoberkrieg 1973 hat die PLO daher nur noch die Kehrseite ihres vorherigen "Terrorismus" herausgekehrt, das Versprechen nämlich, den maßgeblichen Interessen keine Schwierigkeiten mehr zu machen. Sie hat voll auf die Illusion gesetzt, durch unerbittliches Wohlverhalten könnte sie sich das Wohlwollen der Weltmacht Nr. l erkaufen, die allein Israel zu zügeln vermag und auf der daher zunehmend alle verbleibenden palästinensischen Hoffnungen auf eine eigene "nationale Heimstätte" ruhen. Der größte Erfolg, den die PLO mit dieser Politik demonstrativer Fügsamkeit erringen konnte, gehört daher allerdings auch ganz in die Welt des schönen diplomatischen Scheins: Der glorreiche Auftritt Arafats vor der UNO-Vollversammlung 1974 war nicht der Durchbruch zur Anerkennung des palästinensischen Staatsprojekts durch die maßgebliche imperialistische Macht; die ist bei ihrem unerschütterlichen Nein zu dem Angebot der PLO-Führung geblieben, sich für einen bescheidenen Platz innerhalb des nahöstlichen "Friedensprozesses" ansonsten in jedes Schicksal zu fügen. Schon der matte diplomatische Scheinerfolg Arafats war für Israel allerdings Grund genug, und die Intransigenz der USA bedeutete den nötigen Freibrief, um die Offensive gegen die organisierten Palästinenser zu forcieren. Indem nunmehr Israel der - inzwischen mit ihren Hauptkräften in den Libanon verlagerten - PLO einen ständigen Kleinkrieg aufzwang, für den es sich eine eigene libanesische Christenmiliz hielt, schaffte es nicht nur alle wünschbaren "Beweise" bei, daß es die Palästinenser zu Recht als tödliche Gefahr für den Bestand der jüdischen Nation behandelte, sondern bereitete auch praktisch die militärische Auseinandersetzung vor, die die endgültige Zerschlagung des bewaffneten palästinensischen Widerstandes bringen sollte.
Der israelische Schlag, dem die PLO-Führung durch ihre Politik des Wohlverhaltens hatte entgehen wollen, kam um so gründlicher und hat auch all die europäischen "Mittelmächte" mit blamiert, die gemeint hatten, es könnte sich doch noch lohnen, mit der PLO als weltpolitischem Faktor zu kalkulieren. So vollständig ist die Vernichtung des organisierten Palästinensertums als irgendwie nennenswerter Macht, daß nach getaner Arbeit schließlich sogar der US-Regierung - im Rahmen ihrer Diplomatie gegenüber den arabischen Staaten - die Möglichkeit eines überhaupt und gar nicht mehr antizionistischen palästinensischen Vasallen-,,Staats" unter garantierter israelischer Oberhoheit einzuleuchten beginnt. Für die israelische Staatsführung ist diese Perspektive allerdings nur ein Grund mehr, erst recht dafür zu sorgen, daß aus einem solchen Gemeinwesen schon mangels Masse nichts Großes werden kann. Für eine friedliche Endlösung der Palästinenserfrage ohne Beeinträchtigung israelischer Sicherheitsinteressen müssen eben noch manche militärischen Zwischen-"Lösungen".