l.
Bedingter Respekt der souveränen Staaten voreinander beherrscht normalerweise die Szene der Diplomatie und der internationalen Politik. Staaten pflegen die Alleinzuständigkeit auswärtiger Herrschaften innerhalb der festgelegten Grenzen anzuerkennen; und sie tun das aus Berechnung. Die Macht, die souveräne Staaten über ihr Volk ausüben und gegen Dritte mobilisieren können, und den Reichtum, über dessen Quellen und Früchte sie innerhalb ihres Herrschaftsbereichs verfügen, versuchen auswärtige Regierungen für ihre weltpolitischen Anliegen und die ökonomischen Interessen ihrer entsprechend potenten und engagierten Bürger nutzbar zu machen. Das schließt die Anerkennung der fremden Hoheit ein - als formelle Voraussetzung für das beständige Bemühen, sie durch erpresserische Kooperationsangebote, durch "Vorteilsgewährung" und die Zufügung von Nachteilen den jeweils eigenen nationalen Anliegen geneigt zu machen; deswegen gehört es ebenso zu den völkerrechtlich vorgesehenen Gepflogenheiten des Verkehrs souveräner Staaten miteinander, daß sie gelegentlich den Respekt vor der Hoheit des anderen aufkündigen, um auf einer neuen Basis wieder mit ihm einig zu werden.
Einen Verkehr dieser Art pflegt Israel mit seinen arabischen Nachbarn nicht. Nicht, daß diese sich solchen Ausnutzungsverhältnissen prinzipiell verweigern: auf dem Weltmarkt sind sie längst ihre "Abhängigkeiten" eingegangen. Israel hat von ihnen nie jene Partnerschaft auf der Grundlage von Geschäft und Gewalt erbeten. Der einzige Umgang, den Israel mit ihnen pflegt, ist die ständig praktizierte Konkurrenz mit ihren militärischen Machtmitteln. Israel will seine Nachbarn nicht ausnutzen bzw. der Ausnutzung durch seine Unternehmer und Geschäftsleute politisch erschließen; es will sie auch nicht militärisch unter Kontrolle halten, damit der normale geschäftliche und diplomatische Verkehr sich nach seinen Interessen gestaltet und unter den von israelischer Seite gesetzten Bedingungen. Die arabischen Staaten militärisch im Griff zu halten, ist Israels oberster außenpolitischer Zweck, kein Mittel, das durch vorteilhafte Friedensbedingungen, sogar einschließlich auswärtige Garantien, ersetzt werden soll oder überhaupt vom israelischen Standpunkt aus, angemessen zu ersetzen wäre. Israel hat keine aktuellen ökonomischen Anliegen an die souveränen Herrscher der arabischen Länder, für die es seine Macht einsetzt - nur das eine: es will Gewalt über sie haben, und zwar mit den ihm verfügbaren militärischen Mitteln.
So hat, was Israels jüngsten Krieg betrifft, Syrien mit seiner jahrelang praktisch bewiesenen Willfährigkeit in der "Palästinenserfrage" auf Israels Kriegsherren keinen Eindruck gemacht. Mit einem Blitzkrieg aus der Luft hat die israelische Invasionsarmee im Libanon die syrischen Streitkräfte total ausgeschaltet, die doch immerhin über Jahre hinweg eine weitgehende Einschränkung palästinensischer Macht garantiert und Verhältnisse aufrechterhalten hatten, die für Israel alles andere als eine Bedrohung waren. Vom Standpunkt des Krieges aus betrachtet ist ein solches Vorgehen zwar durchaus normal:
Eine kriegführende Macht verläßt sich bei einem auch nur potentiellen Gegner nicht oder höchstens notgedrungen auf dessen erklärte Bereitschaft stillzuhalten; wo sie kann, nimmt sie sich auch das Recht, jede denkbare Gefahrenquelle auszuräumen. Zu den Gepflogenheiten des Kriegszustandes gehört auch die fraglose Selbstgerechtigkeit, mit der das israelische Oberkommando den syrischen Streitkräften jedes Recht abgesprochen hat, Raketen zu besitzen, geschweige denn in Stellung zu bringen, die die unbeschränkte Luftherrschaft Israels über den Libanon und über dessen Luftraum hinaus allenfalls hätten gefährden können. Bemerkenswert ist allerdings, daß Israel nicht bloß im Verlauf eines Krieges so handelt, sondern daß es, und zwar schon längst vor dem Einmarsch in den Libanon, die syrischen Flugabwehrraketen zu einem ausreichenden Kriegsgrund erklärt hat. Ganz unabhängig von der Frage, welches israelische Interesse durch solche Waffen denn überhaupt zu behindern wäre, maßt Israel sich damit ein oberhoheitliches Urteil über das Maß an Verteidigungskapazität an, das Syrien allenfalls zugestanden werden könne, und gelangt zu dem Ergebnis: Eine wirksame Luftverteidigung kommt diesem Staat nicht zu. Syrien hier im Zustand der Wehrlosigkeit zu halten, das ist für Israel ein Anliegen, das ihm allemal eine Schlacht wert ist! Und mit der Herstellung dieses Zustands wachsen ganz konsequent auch die Ansprüche an syrisches "Wohlverhalten". Schließlich steht Israels Militär 30 km vor Damaskus!
Dieser nationale Rechtsanspruch, absolute militärische Überlegenheit über sämtliche arabischen Gegner nichts erst im Kriegsfall herzustellen, sondern ihre Sicherung gegen jede nur mögliche Infragestellung zum Kriegsfall zu machen, hat Israel in seinen sämtlichen fünf Kriegen geleitet - und auch zwischendurch seine Streitkräfte so gut wie ununterbrochen beschäftigt. Ägyptens Luftwaffe, einschließlich Radarstationen, ist mehrfach mitten in Waffenstillstandszeiten zerstört worden - einfach weil es sie gab. In einer perfekten Blitzaktion haben israelische Bomber den fast fertigen französischen Atomreaktor in Bagdad zerstört und damit gegen den Irak dem "Grundsatz" Geltung verschafft, daß Kernkraftwerke in arabischer Hand "unzulässig" sind - weil damit immerhin die entfernte Möglichkeit einer arabischen Atombombe gegeben wäre. (Daß Israel selbst Atomwaffen besitzt, ist eines der offensten Geheimnisse im nahöstlichen Militärwesen!) Und gegen Saudi-Arabien, das als US-Schützling und -Vasall vor der israelischen Kriegsmaschine einigermaßen sicher ist, sucht die Regierung Israels ein selbstverständliches Vorrecht auf uneingeschränkte militärische Oberhoheit in der gesamten arabischen Welt bei der amerikanischen Administration einzuklagen, indem sie gegen die geplante Lieferung militärischer Flug- und Radargerätschaften interveniert, die ihre eigene Wehrmacht längst besitzt; Zwar ist dieses Militärgerät eindeutig und ausschließlich gegen die angebliche "sowjetische Gefährdung der Golfregion" gerichtet, könnte aber immerhin ein Stück militärischer Ebenbürtigkeit auf arabischer Seite begründen und besitzt schon allein deshalb für Israel die Qualität einer militärischen Herausforderung.
Seinen Umgang mit den arabischen Staaten richtet Israel so nach einem Kriterium ein, das ansonsten erst im Krieg maßgeblich wird: Über jeden dieser Staaten will Israel eine unbedingte Kontrolle behalten; keinem sollen in bezug auf militärische Machtmittel souveräne Entscheidungen unabhängig von israelischer Erlaubnis gestattet sein; so bestreitet Israel ihnen ihre Souveränität. Andersherum heißt das: Indem es jedes arabische Machtmittel, das seiner eigenen Wehrmacht gefährlich werden könnte, ganz selbstverständlich als Kriegsgrund nimmt, befindet Israel sich in einem Dauerkrieg gegen die arabischen Nachbarstaaten; dieser Kriegszustand ist der Normalzustand dieser Nation.
2.
Die offizielle israelische Begründung hierfür bedient sich des einfachen Fingerzeigs auf die andere Seite: Israel muß sich gegen die Absicht seiner arabischen Nachbarn, den Judenstaat zu zerstören, doch wohl schützen, und zwar durch eine wirksame militärische Vorsorge! Dergleichen gilt als ziemlich plausibel, obgleich die Schuldzuweisung recht offensichtlich vorgenommen wird. Denn gute Gründe für diese Art Vorsorge könnten die arabischen Gegner Israels längst massenhaft für sich in Anspruch nehmen. Ihre Erfahrung" erstreckt sich auf militärische Schläge, die das von Israel besetzte Territorium um einiges erweiterten und die einst so großspurig beschworene "arabische Sache" zur Farce machten.
Allerdings kommt das Verständnis für die kriegerischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten der Wahrheit über den Gegensatz der beteiligten Parteien vor Ort auch nicht näher, wenn es das "legitime Interesse an Selbsterhaltung" für beide Seiten gelten läßt. Mehr als ein sich überparteilich gebendes Bewußtsein von der "Verfahrenheit der Situation" dort hinten kommt nämlich nicht zustande, wobei nicht zu übersehen ist, daß dieses "Problembewußtsein" sich auf keinen Fall einen Einwand gegen die politischen Zwecke von Staaten anmaßen will, die Krieg miteinander führen. Eher versteigt sich ein auf diese Weise "neutraler" Beobachter zur moralischen Albernheit, das Ganze für eine Metapher aus der Welt des Theaters, für eine »Tragödie" eben zu halten, als daß er den politischen Subjekten des Krieges mit einem Vorwurf zu nahe tritt: mit dem nämlich, daß ihre Kriege und Siege das berechnend eingesetzte Mittel ihrer politischen Vorhaben sind und deshalb auch ein schlechtes Licht auf ihren Staatszweck werfen. Im Gegenteil feiert der Idealismus der Politik seine größten Triumphe dort, wo er die Gegnerschaft mehrerer Staaten abstrakt - getrennt von ihrem Grund im jeweiligen Staatsprogramm - als Problem anerkennt und dessen "Lösung" erstens für schwierig befindet, zweitens aber ganz in die Zuständigkeit der Politik legt - ganz als ob diese im Krieg nicht am Werk wäre!
Nützlich als Beitrag zur "politischen Willensbildung" bei aufgeklärten Untertanen von demokratischen Weltmächten ersten und zweiten Ranges sind solche Betrachtungen auf jeden Fall. Immerhin gestatten sie die Übernahme der diplomatischen Heuchelei derer, die die eigene Nation und deren ("unsere") Interessen gerade in Kriegen der Marke "Nah-Ost" sehr massiv ,,ins Spiel" gebracht haben und zugleich ihr Engagement nicht in Geld und Waffen beziffern mögen. Engagiert wollen sie allesamt für "Lösungen" sein, friedliche und gerechte zumal! So ersparen sich westliche Politiker nicht nur häßliche Töne gegenüber Israel, das als fester Partner und im eigenen Interesse seine Dienste tut, sondern auch Kritik an den arabischen Machthabern, deren Nützlichkeit ebenfalls und über alle ihnen zugefügten Niederlagen hinweg erhalten und vergrößert wird. Wenn im freien Westen mit seiner demokratischen Presse kritische Einwände fallen, dann ist "unser Interesse" der verbindliche Maßstab - und den verletzen die Akteure im Nahen Osten immer nur sehr bedingt; und mit bleibendem Respekt vor ,,legitimen" Rechten, die man zu gewähren und zu beschwören bereit ist, werden sogar die Feinde Israels bedacht. Warum sie solche sind, was ihre Anliegen so blutig unvereinbar mit denen Israels macht, ist dabei genauso wenig ein Thema für "ausgewogene politische Stellungnahmen" wie bei "unserer" Haltung zu Israel.
3.
Der arabische Nationalismus bzw. die unter diesem Titel ausgetragene Konkurrenz der arabischen Staaten ist in keiner Nation zum maßgeblichen Subjekt der Weltpolitik geworden; nirgends findet sich ein autonomer Urheber und Vollstrecker materieller nationaler Interessen an anderen Ländern und ihrer Herrschaft; und entsprechend belanglos ist auch die Gemeinsamkeit ihrer Bündnisse, zu der sie es auf dieser Grundlage allenfalls bringen.
Immerhin will die Öffentlichkeit der "freien Welt" seit den Ölpreissteigerungen nach dem vierten israelisch-arabischen Krieg vom Oktober 1973 von einer weltpolitischen Hauptrolle zumindest eines Teils der arabischen Staaten wissen, der Ölexportländer nämlich auf der arabischen Halbinsel und in Nordafrika. Deren nationaler Rohstoff wurde auf ein paar Jahre so interessant und teuer, ihr Besitz an , .Petrodollars" schwoll so rasch und dermaßen an, daß gesunder imperialistischer Sachverstand darin nur eine gewaltsame Zweckentfremdung des guten Geldes und redlich erarbeiteten Reichtums der "westlichen Industrienationen" erkennen mochte und die gar nicht vorgesehenen auswärtigen (Mit-)Nutznießer des Erdölgeschäfts als "Erpresser" anklagte, die mit einem Mal nach Gutdünken über die ökonomische und damit auch politische Zukunft der "Ölverbraucherländer" verfügen könnten. Dieses abschätzige Urteil über die Einnahmen einiger arabischer Regierungen aus dem Ölgeschäft - so als stünde denen das Bemühen um höchstmögliche Erlöse für ihren "Exportschlager" überhaupt nicht zu - verrät allerdings schon einiges über die angebliche Erpresserrolle der "räuberischen Ölscheichs", wie sie damals auf einige Jahre tituliert wurden. Im Falle der - gerechterweise so genannten - "Ölstaaten" drängt ja nicht ein im Land selbst produzierter Reichtum nach Verwendungsmöglichkeiten im Ausland, also nach Gelegenheiten zur geschäftlichen Nutzbarmachung des Auslands. Umgekehrt: Der nationalen Souveränität "untersteht" nichts als ein Naturstoff, der einzig und allein durch seine Verwendung in den und durch die Volkswirtschaften anderer, in allererster Linie der ,,entwickelten" kapitalistischen Staaten den Rang eines Rohstoffs für wirklichen Reichtum bekommt, den "man" sich überhaupt etwas kosten läßt. In den Nationen, deren Führer gemeinsam den "Weltwirtschaftsgipfel" ausmachen, verfügt die souveräne Gewalt über einen Produktionsapparat und ein Volk, die wirklichen Reichtum schaffen, und über ein nationales Geld und ein staatlich garantiertes Kreditwesen, die die schrankenlose Mehrung des Privateigentums und der staatlichen Mittel zum obersten "Sachzwang" der nationalen Reichtumsproduktion machen. Umgekehrt ist für die Erdöl-Souveräne nichts als ihre blanke Souveränität über ihr Staatsgebiet und dessen Bodenschätze Grundlage und Quelle ihrer Finanzmittel - dadurch nämlich, daß sie sich die Hergabe ihres geologischen Segens an auswärtige Interessenten von diesen entgelten lassen. Das maßgebliche ökonomische Verhältnis der erdölexportierenden Staaten zu ihrer Kundschaft steht damit auf alle Fälle insoweit fest: Die lohnende Verwendung des Erdöls durch die kapitalistischen Nationalökonomien, lohnend nämlich für deren Kapitalakkumulation, ist die fraglose, bleibende Bedingung für jedes Stück Geld, das den Ölstaaten zufließt, und damit die materielle Grundlage ihrer Souveränität selbst, die sie in Form von Konzessionen oder des Verkaufs an auswärtige Unternehmen zu Geld machen. Über wie viele und wichtige Mittel umgekehrt kapitalistische Nationen verfügen, um sich die natürlichen Rohstoffe unter auswärtiger Hoheit zum weitgehend frei verfügbaren Geschäftsmittel zurechtzumachen, haben die Ölstaaten in jeder Phase ihrer Geschichte zu spüren bekommen. Es waren die kapitalistischen Ölgesellschaften, die durch einen Monopolpreis auf Ölprodukte weit oberhalb ihrer Gestehungskosten und deutlich unterhalb der Preise anderer Energierohstoffe das Erdöl als wichtiges Mittel im kapitalistischen Geschäftsleben durchgesetzt haben. Sie waren es auch, die für höhere Ölpreise gesorgt haben, als der von ihnen ausgeweitete Erdölabsatz an die Grenzen der zum bisherigen Minimalpreis auszuschöpfenden Lieferkapazitäten zu stoßen drohte. Sie haben mit ihren Geschäftsausweitungskalkulationen den ökonomischen Spielraum geschaffen, den die OPEC-Staaten 1973 und noch auf ein paar Jahre hinaus mit den von ihnen vereinbarten und verfügten Ölpreissteigerungen nie hätten herstellen, nur haben ausnutzen können. Und sie sind es auch, die mit ihrer Politik der Erschließung neuer, zum gestiegenen Monopolpreis lohnender Erdöl- wie auch sonstiger Energiequellen sowie der langsameren oder rascheren Verteilung des geförderten Öls die Illusion manches Förderstaates widerlegen, der Ölpreis wäre eine Einkommensquelle, über die er verfügen könnte, deren Erträge von seiner Geschäftspolitik abhingen - und die sich womöglich sogar als politische Waffe einsetzen ließe. Als politisches Erpressungsmittel hat der halbe Lieferboykott der arabischen Ölstaaten 1973 überhaupt nicht verfangen, noch haben die dadurch gesteigerten Öleinnahmen diese Länder aus ihrer ökonomischen Position als wichtige Randbedingung des Geschäftsgangs einer Handvoll kapitalistischer Nationen und ihrer Ölkonzerne befreit, im Gegenteil: Mit wenigen Ausnahmen haben sie sich mit ihren ,,Wirtschaftsförderungs"-Projekten bei den Abnehmerstaaten ihres Erdöls so verschuldet, daß schon ein leichter Rückgang ihres Exports gleichbedeutend wird mit internationaler Zahlungsunfähigkeit; inzwischen droht dieses Mißgeschick sogar den finanzkräftigen Saudis - und bei der Handhabung des Geldmangels von Ölstaaten werden die befürchteten Auswirkungen auf die Geschäfts- wie Nationalbanken, auf deren Kreditlinien zum obersten Kriterium des Umgangs mit der Branche. Die berüchtigte "Erdölwaffe" hat immer nur als substanzlose Drohung und als politisches Ideal der arabischen Staaten existiert. Die "Solidarität" eingehaltener Absprachen ist nämlich in schöner Regelmäßigkeit an der Konkurrenz des nationalen Bedarfs an Geld und günstigen Sonderbeziehungen zu den kapitalistischen "Wirtschaftsnationen" gescheitert. Heute fristet die "Ölwaffe" noch nicht einmal mehr ein diplomatisches Scheindasein.
Einigen finanziellen und einen gewissen politischen Einfluß haben die Regierungen der wichtigsten Ölexportländer Arabiens, allen voran Saudi-Arabien, allenfalls auf ihre nicht mit solchen Naturzufällen gesegneten Nachbarstaaten. Auch dieses Verhältnis hat aber mit der imperialistischen Wucht ökonomischer Nutzbarmachung eines Auslandes nichts zu tun. Zu Kapital werden die durch arabische Erdölsouveräne akkumulierten Dollarbestände an westlichen Börsen und "Geldmärkten", nicht durch Investitionen in anderen arabischen Staaten. Deren einheimischer Ökonomie fehlt ja nicht bloß Geld für ein schwungvolles Geschäftsleben, sondern - von einem durchs Lohnsystem zur Leistung erzogenen Proletariat bis zu einem Markt für dauerhafte Großgeschäfte, von gut eingeführten Firmen nebst Experten bis zu einem weltweit konkurrenzfähigen Produktionsapparat für die Erfordernisse einer nationalen Akkumulation - so ziemlich alles, was heutzutage zu den Mindestvoraussetzungen eines lohnenden nationalen Geschäftsgangs zählt. Deswegen sind diese Länder ihrerseits erst recht noch nie als Subjekt ökonomischer und entsprechend wohlfundierter politischer Interessen in Erscheinung getreten, nach denen sich irgendein Ausland richten müßte oder zu seinem Vorteil richten könnte. Nichts ist im internationalen Geschäftsverkehr des Kapitals wie in den Winkelzügen politischer Erpressung belangloser als ihr souveränes Urteil darüber, worauf es ankäme in der Welt von heute - eine politische Tatsache, die sich in der praktischen Folgenlosigkeit ihrer Feindschaft gegen Israel überdeutlich zusammenfaßt. Umgekehrt: Sie selber zählen nur insoweit, wie sie durch ein maßgebliches imperialistisches Interesse für wichtig erachtet werden.
Ein solches Interesse ziehen diese Staaten auf sich als Nachbarn der Ölexportländer, über deren Rohstoff frei und ungehindert verfügen zu können die NATO-Partner längst zu einem erstrangigen Sicherheitsinteresse ihres Kriegsbündnisses erklärt haben; sie unterliegen schon allein deswegen einer beständigen Überprüfung als mögliches Sicherheitsrisiko. Von Interesse ist ferner Ägypten als Inhaber der wichtigsten Zufahrt von Europa zum indischen und hinterindischen Subkontinent sowie zusammen mit einigen anderen Staaten als Anrainer des Indischen Ozeans, der ebenfalls schon längst, seiner wichtigen Schiffahrtswege wegen, zur vorrangigen "Sicherheitszone" der westlichen Welt ernannt worden ist. Interessant sind die arabischen Länder weiter als Nachbarn des erklärten Hauptfeinds der NATO: Deren Anliegen, die Sowjetunion politisch und militärisch auf ihrem "Festlandsockel" ausbruchssichcr einzuzementieren, macht - noch ganz ohne sowjetisches Zutun! - jede Region an und in der Nähe der sowjetischen Grenzen zu einem durch die sowjetische Macht prinzipiell gefährdeten Gebiet, das durch die Schaffung einer möglichst "gleichgewichtigen Abschreckung" gesichert werden muß. Für die westeuropäischen NATO-Partner schließlich faßt diese strategische Würdigung der arabischen Welt sich in dem Anspruch zusammen, in der gesamten Mittelmeerregion über eine gesicherte "Gegenküste" zu verfügen, die die "NATO-Südflanke" nicht nur nicht gefährdet, sondern verläßlich abschirmt. Und diese imperialistische Inanspruchnahme der arabischen Staatenwelt ist nicht bloß ein Interesse, das die zuständigen Souveräne ihrerseits einer freien Würdigung nach Maßgabe eigener nationaler Ansprüche unterziehen könnten, sondern seit jeher die Geschäftsgrundlage ihrer souveränen Macht selbst.
4.
Die Staaten des Nahen Ostens sind zu Beginn dieses Jahrhunderts überhaupt ins Dasein getreten als Werk in erster Linie des britischen, daneben des französischen Kolonialismus. Bei der Zerschlagung der osmanischen Herrschaft und der Durchsetzung ihrer eigenen Verfügungsgewalt über das gesamte arabische Gebiet haben die beiden europäischen Großmächte einheimische Herrscher herangezogen - im doppelten Sinn des Wortes: Sie haben Beduinenfürsten, ehrgeizige Vizekönige und sonstige lokale Herrscher mit Unterstützung durch Geld, Waffen und Offiziere einen guten Teil der nötigen Kriege führen lassen, um das Gebiet - teils gegen den Willen der türkischen Oberherren, teils in Abstimmung mit ihnen - unter eigene Kontrolle zu bekommen; und sie haben damit die feudalen Obrigkeiten zu Helfershelfern oder sogar zu Sachwaltern ihres Interesses an einer wirklich souveränen Herrschaft gemacht, der es nicht mehr um gelegentliche Beute, sondern um vollständige Verfügbarkeit von Land und Leuten, um ein reguläres staatliches Machtmonopol ging. Als Gebieter über ein Stück britischer bzw. französischer Kolonialmacht und stets unter deren Auftrag und Kontrolle wandelten die feudalen Familienoberhäupter sich zu Staatsmännern mit den Aufgaben und Machtmitteln eines bürgerlichen Souveräns - Aufgaben und Machtmitteln, die ihre ökonomische Grundlage und ihre politische Zweckbestimmung gar nicht in einem entsprechenden Überschuß und in entsprechenden bürgerlichen Interessen der einheimischen Landesbewohner hatten, sondern eben im Herrschaftsanspruch der zuständigen europäischen Mächte und ihrer kapitalistischen Gesellschaften. Und diese neue Qualität ihrer Herrschaft, wie beschränkt und bloß formell deren Souveränität zunächst auch immer war, hatte Folgen.
Im Innern schafft diese Sorte Herrschaft sich eine Gesellschaft einheimischer Funktionäre der zivilen Verwaltung wie des militärischen Gewaltapparats, die einerseits dem beherrschten Volk genauso getrennt und fremd gegenüberstehen wie die Kolonialmacht, der sie dienen: Die Führerfiguren der arabischen Welt sind längst nicht mehr die Inhaber und Nutznießer der vorbürgerlichen Herrschaft, zu der ihr Volk es gebracht hat; umgekehrt hat ihr Volk es zu dem bürgerlichen, klassengesellschaftlichen Zusammenhang und Gegensatz und zu dem entsprechenden Bedürfnis nach einer politischen Obrigkeit gar nicht gebracht, nach deren Maßstäben und "Sachzwängen" die Gewalt eingerichtet ist, der sie dienen. Andererseits entnehmen sie diesen Maßstäben allemal die elementare verkehrte Gleichung der modernen bürgerlichen Staatsgewalt, daß ihr Volk frei und glücklich würde durch eine Herrschaft, die sich den gewaltsamen Anliegen ihrer Klassengesellschaft als den lösungsbedürftigen "Problemen" der Politik verantwortlich weiß. Keiner ihrer Untertanen, dafür um so mehr die von der Kolonialmacht herangezogene militärische und zivile Elite arbeitet sich zu dem nationalen Standpunkt durch, wonach eine eigene Herrschaft der größte Nutzen und das höchste Recht des Volkes sei. Sie setzt sich daher, getrennt von ihrem Volk und gegen dessen "naturwüchsige" Interessen, die Herstellung einer Nation zum Ziel und verfolgt mit und an ihren Untertanen das Projekt, diese zur funktionstüchtigen Basis ihrer nationalen Souveränität zu machen. So wird das Volk auf der einen Seite mit ,,Entwicklungs"-Vorhaben beglückt, die für den Staat eine dauerhafte funktionierende Geldquelle eröffnen sollen, tatsächlich aber regelmäßig die angestammte Produktionsweise der betroffenen Stämme und Völkerschaften ruinieren, ohne eine konkurrenzfähige neue Ökonomie zustande zu bringen - unrentable Investitionsruinen sind auch dort die Regel, wo verlorene Millionenzuschüsse von "Petrodollars" den Schein einer lohnenden industriellen Aktivität aufrechterhalten. Auf der anderen Seite dürfen die ökonomisch so wenig nützlich gemachten Massen - sofern es sie überhaupt gibt: mancher Wüstenstaat hat die für seine Projekte verfügbare Bevölkerung gar nicht - dem Ideal einer souveränen Nation, einer nach außen aktionsfähigen Einheit von Regierung und Volk, militärisch dienen; und so kann sich mancher einfache Mann über eine Karriere in der Armee auch zur Teilhabe an der aparten Gesellschaft politisierender Staatsfunktionäre und zu deren nationalem Standpunkt emporarbeiten.
Denn auf die Armee kommt es in diesen Staaten ganz besonders an, gerade weil sie nicht das Gewaltmittel des politischen Souveräns einer Klassengesellschaft mit materiellen Interessen von globaler Reichweite ist, sondern selber die souveräne Gewalt darstellt und gleich auch noch deren gesamte gesellschaftliche "Basis". Eingerichtet als Teil kolonialer Weltherrschaft, fehlt ihr die Grundlage in noch so bescheidenen imperialistischen Ansprüchen einer bürgerlichen Staatsgewalt, damit aber noch lange nicht die Macht und die Freiheit, im Innern wie vor allem gegen andere Staaten nationale Anliegen zu erfinden und hemmungslos voranzutreiben. Denn vor allem mangelt es diesen quasi-bürgerlichen Militärstaaten nicht an Gegnern, an denen sie Maß nehmen und ihrer Souveränität einen Inhalt geben können.
Gegner Nr. l sind die auswärtigen Urheber, Auftraggeber und Garanten ihrer eigenen modernisierten, politischen Gewalt, mindestens so lange, wie sie noch direkt als Auftraggeber und Kontrolleur in Erscheinung treten. Denn einer nationalbewußten Obrigkeit fällt ja nie der Widerspruch ihrer souveränen Projektemacherei gegen die Subsistenzweise ihres "Volkes" und dessen vorpolitische Interessen auf; sich selbst hält sie vielmehr allein schon deshalb für ein gelungenes Volksbeglückungsprogramm, weil ihre Herrschaft keine auswärtige mehr ist - so als wäre sie damit so gut wie gar keine Herrschaft mehr. So tritt die militärische und zivile Funktionärselite dieser Länder stets als antikolonialistische Kampftruppe an - und hat folgerichtig in den meisten Fällen in den alten feudalen Herrscherfamilien, die die Kolonialmächte zuerst als Verbündete und Teilhaber in ihren Herrschaftsapparat eingebaut hatten, ihren Gegner Nr. 2 gefunden. Gegen die zu quasi-souveränen Herrschern aufgewerteten Könige und Beduinenfürsten haben deren wichtigste Untergebene, in der Regel an britischen und französischen Militärakademien geschulte Offiziere, ihre eigene, nationalbewußte Herrschaft durchgeputscht und dieser Aktion all die Ideale zugeschrieben, die die bürgerliche Gesellschaft einst als moralisches Gütesiegel ihrer gewaltsamen politischen Emanzipation erfunden hat: Eine nationale "Revolution" soll es allemal gewesen sein - auch wenn das "werktätige" Volk noch nicht einmal als Zuschauer zum Geschehen zugelassen war und eine Kritik nationaler Herrschaft schon gleich nicht auf der Tagesordnung stand. Da wird auch unter dem Titel "Sozialismus" die Einigkeit zwischen Volk und Führung beschworen, der bislang nichts als der Eigennutz der alter Herren und ihrer kolonialen Patrone im Wege gestanden hätte Die Gleichung "Sozialismus" = nationale Einheit erhält statt einer materiellen Grundlage einen ideellen Gehalt, den die Herren aus dem historisch überkommenen Schatz an bei den eigenen Untertanen verwurzelten Traditionen entnehmen. Alles soll genuin "arabisch" und "islamisch" sein und bleiben - und da kann der Streit um die Gültigkeit von alten und neuer Besonderheiten gar nicht ausbleiben. Jedes alternative Staat liehe Interesse in der Nachbarschaft wird der grundsätzlicher Überprüfung unterzogen, ob sich da nicht im Namen der eigenen heiligen Prinzipien etwas ganz anderes breitmacht Für arabische Nationalisten haben sich diese Prinzipien schließ lieh nicht an den einst von Kolonialmächten gezogenen Grenzen zu relativieren! So ergeben sich für den arabischen Antikolonialismus ganz folgerichtig als Gegner Nr. 3 die Nachbarstaaten, die sich dem angeblichen ewigen und unveräußerlicher Recht des arabischen "Volkes" auf eine neue, ganz und gar autonome und nationale Herrschaft angeblich widersetzen. Für die Verfechter des "arabischen Sozialismus" sind das keineswegs bloß die übriggebliebenen Feudalreiche - die sich ihrerseits ja auch schon längst zu dem Standpunkt eines nationalen Aufbaus durchgerungen haben und mit ihren Petrodollars be weisen, daß ihr Eintreten für "die arabische Sache" das alleir oder immerhin am meisten glaubwürdige ist. Jede Regierung weiß ja sich als den Inbegriff des angeblichen Volkswunsche; nach arabischer "Wiedergeburt", beansprucht entsprechendes Gehör bei ihren Nachbarn - und verfügt damit über voll ausreichende Gründe, ihre eigene militärische Macht zum oberster Zweck ihrer Politik und zum entscheidenden 'Sachzwang' ihres Nationalismus zu machen.
Alle arabischen Staaten, nicht nur die "revolutionären", haben ihren nationalen Standpunkt und die damit notwendig verknüpften Feindschaften ausgebildet zu der Auseinandersetzung mit dem Sondereinfall des britischen Kolonialismus, mitten im arabischen Hauptteil des osmanischen Reiches dem zionistischen Siedlungs- und Staatsgründungsprojekt Raum zu verschaffen; dem Kampf gegen den damit geschaffenen Gegner Nr. 4, Israel, sind daher auch alle anderen Streitigkeiten untergeordnet, mit denen sie ihrem Nationalismus einen Inhalt verleihen. Die britische Regierung hatte sich von dem Export eines kompletten jüdischen Gemeinwesens nach Palästina so etwas wie eine dauerhafte, autarke, schon um ihrer Selbsterhaltung willen unbedingt verläßliche Kolonialtruppe versprochen; einen idealen Stützpunkt mit all den Vorteilen, die man an den Siedler-"Staaten" unter britischer Hoheit am Rande des Indischen Ozeans schätzen gelernt hatte. Geschädigt wurden dadurch bloß einige hunderttausend ansässige Araberfamilien, die für ein Weltreich gar nicht zählten; außerdem die politischen Ambitionen einiger feudaler Jerusalemer Großfamilien, denen auch weiter kein Gewicht zukam. Beeinträchtigt sahen sich allerdings auch alle Herrscher der Region, die sich von den europäischen Kolonialmächten für den Kampf gegen das osmanische Reich hatten gewinnen lassen und mit entsprechenden Machtmitteln ausgestattet worden waren. Die Grundlage ihrer Macht, die britische - mit Frankreich geteilte - Souveränität über die gesamte Region und deren Interesse an botmäßigen Verbündeten, trat ihnen hier als harte Einschränkung ihres Herrschaftsbereichs und damit als prinzipielle Zurückweisung ihres Anspruchs auf Autonomie entgegen. Waren den zu halbwegs souveräner Macht gelangten Regierungen schon die vorgegebenen Grenzen ihrer Zuständigkeit ein koloniales Ärgernis - so sehr sie in Wahrheit ihre unangefochtene, halbsouveräne Zuständigkeit überhaupt den Interessen der Kolonialmächte verdankten! -, so mußte um so mehr die zionistische Okkupation Palästinas und der daraus entstandene Staat Israel als Inbegriff kolonialer Oberhoheit erscheinen, an dem ihre Souveränität zur Farce wurde. Folgerichtig findet erst recht der "revolutionär" auftretende arabische Nationalismus seit jeher im "antizionistischen" Kampf gegen Israel den vorrangigen Inhalt seines falschen Antiimperialismus - falsch, weil er sich aus der nationalistischen Fiktion einer Volkssehnsucht ausgerechnet nach einer von arabischen Militärführern ausgeübten Herrschaft ableitet und deren prinzipiellen Gegensatz gegen die schlichten Überlebensinteressen der betroffenen Völkerschaften genau verkehrtherum auf den alten Kolonialismus und den neuen Imperialismus bezieht: so, als wäre nicht ihre durch auswärtige Interessen konstituierte und ausgerüstete souveräne Herrschaft der Grund für das wenig fröhliche Dasein ihrer Untertanen, sondern die Unvollständigkeit der nationalen Autonomie. Am Überleben und machtvollen Aufstieg des Judenstaats haben die arabischen Souveräne die Abhängigkeit vor Augen, der sie ihr eigenes Dasein verdanken; und darüber werden sie, als gediegene Nationalisten, nicht selbstkritisch, sondern zu Feinden Israels.
Dabei ist ihnen die Praktizierung ihrer Feindschaft zu einem einzigen Beweis ihrer Ohnmacht geraten - der Tatsache also, daß sie da gegen eine fortdauernde Geschäftsgrundlage ihrer eigenen Macht aufbegehren und nicht etwa imperialistisch mit einem Hindernis ihrer Interessen umspringen. Israel zu benützen, so wie imperialistische Staaten Freund und Feind behandeln und beispielsweise die BRD ihren ungeliebten realsozialistischen Nachbarstaat auf deutschem Boden, dazu sind die arabischen Staaten schon gar nicht in der Lage. Ihr Nationalismus verfügt über keine andere "Option" als die militärische Feindseligkeit - und genau deswegen ist diese auch eine - an ihrem Gegner gemessen - so matte Angelegenheit. Schon die Beschaffung der dafür nötigen Gerätschaften setzt ökonomische Potenzen voraus, über die die Mitgliedsländer der Arabischen Liga nicht verfügen. Um überhaupt gegen den Schützling der "freien Welt" rüsten zu können, müssen sie sich einen alternativen ausländischen Interessenten suchen. Den haben einige arabische Staaten in der Sowjetunion auch zeitweise gefunden, mit diesem "Partner" allerdings die Erfahrung gemacht, daß dessen weltpolitische Kalkulationen ihrem Kriegsprogramm gegen Israel auch wieder keine ausreichende Grundläge bieten. Der Sowjetunion war nie an der Beseitigung des israelisch-arabischen Streits zugunsten des "arabischen Sozialismus" gelegen - warum auch? -, sondern an dessen Ausnutzung als Mittel, sich dem Westen als unumgänglicher Kontrahent in der Weltpolitik aufzuzwingen. Für den arabischen Nationalismus haben seine entgegengesetzten Kalkulationen zu entsprechend bitteren Niederlagen geführt, so daß seine wichtigsten Vertreter, durch ihre Schädigung bis an den Rand der Vernichtung imperialistisch belehrt, auf ihre tragfähigere Geschäftsgrundlage zurückkommen: das strategische Interesse des Westens, das ihrer Macht allemal mehr Freiheiten bietet und auf alle Fälle israelische Überfälle erspart.
So erweist sich am Ende Israel als die "überzeugende Erinnerung" der arabischen Souveräne an die herrschenden weltpolitischen Zwecke, nämlich die des Westens, gemäß welchen die Staaten allesamt für wichtig oder belanglos befunden, mit Freiheiten ausgestattet oder behindert und geschädigt werden. Indem der Judenstaat tatkräftig für die Nichtigkeit jeglicher Macht sorgt, die die arabischen Staaten sich außerhalb der imperialistischen Weltordnung, von deren Hauptfeind, beschaffen, ist er von der ersten Stunde seiner Existenz an der gewissermaßen negative Garant dafür, daß diese Länder bleiben bzw. immer wieder werden, als was sie vorgesehen sind und vom Westen dann auch mit Krediten und Waffengeschenken gewürdigt werden: botmäßige Teilhaber jener Weltherrschaft der "Freiheit", die in der Sowjetunion ihren einzigen großen Gegner bekämpft.
5.
So ist Israel als Judenstaat, als Ausnahme aus dem Kontext der arabischen Staatenwelt, für jeden der Souveräne, die dort ihre besondere Konkurrenz austragen, per se ein fundamentales Ärgernis - und nicht nur das. Israel will diese Ausnahme ja nicht bloß sein - so wie die zionistische Idylle von der "Heimstatt" für die bedrängte Judenheit es sehen will und der klassische zionistische Pseudovergleich zwischen den Dutzenden zum Teil riesiger arabischer Staaten und dem einen winzig kleinen "Erez Israel" es plausibel machen möchte. Für sich und ihren völkischen Zweck und damit für ihren Ausnahmestatus innerhalb der arabischen Welt verlangt die israelische Staatsgewalt Anerkennung; und das macht erst das ganze Ärgernis für die zuständigen Souveräne aus. Verlangt ist damit ja nicht bloß die "großzügige Geste", den Juden ein paar tausend Quadratkilometer zu überlassen. Daß der regionalen Großmacht, um deren supranationalen Konstitution und nationale Ausnutzung es ihnen geht, jede Einheit, Verbindlichkeit, Durchsetzungsfähigkeit fehlt; daß ihnen in ihrem ureigensten Zuständigkeitsbereich Grenzen gesetzt werden können; daß Gegenstand und Endziel der arabischen Staatenkonkurrenz also kein weltpolitisches Gewicht besitzen: das einzugestehen ist für die arabischen Souveräne der Inhalt der Anerkennung Israels, auf der dieser Staat besteht. Mit der Reklamation seines indiskutablen Existenzrechts mutet der Judenstaat allen Araberstaaten die Preisgabe des Inhalts zu, den jeder von ihnen seiner Souveränität zu geben sucht. Und das ist, überhaupt nicht metaphorisch, ein Kriegsprogramm - worüber die arabischen Staaten Israel auch nie im unklaren, gelassen haben, worüber aber erst recht die nationalen Führer Israels sich von Anfang an im klaren waren und trotz aller "Friedensprozesse" bis heute nichts vormachen. Israels Anspruch, außerhalb der regionalen Konkurrenz der arabischen Staaten zu stehen, ist eben gleichbedeutend mit dem Willen und der Notwendigkeit, über ihr zu stehen, d.h.. den konkurrierenden nationalen Sachwaltern der , .arabischen Sache" und ihrer gemeinsamen Macht überlegen zu sein. Es will in einer Weise souverän sein, die mit der Souveränität seiner Nachbarn schlechterdings nicht vereinbar ist; also kann Israel nicht auf eine berechnende Anerkennung seiner Souveränität zählen, wie sie dem normalen diplomatischen Verkehr seine Geschäftsgrundlage liefert, sondern muß sie sich erzwingen. Dieser Staat schafft sich eine Welt von Feinden - und muß folgerichtig um seiner Selbsterhaltung willen seine sämtlichen Feinde gewissermaßen im Zustand einer permanenten Kapitulation halten. Und deswegen ist seit der Gründung dieses Staates der Kriegsfall sein Normalfall.
Frieden ist für Israels Nachbarn und Gegner nur unter der Bedingung zu haben, daß sie das Ideal einer "arabischen Nation" verabschieden, für das Ziel nationaler Größe und Bedeutsamkeit auf prinzipiell andere Mittel setzen als ihre Einheit, also Abstand nehmen von ihrem Bemühen, jemals aus eigener Machtvollkommenheit in der Weltpolitik eine maßgebliche Rolle zu spielen. Praktisch beweist ihnen der Judenstaat die Ohnmacht selbst ihrer gediegensten Bündnisse - bis sie sich entschließen, ihre politischen Chancen nicht mehr im Zusammenschluß ihrer Region zu einem handlungsfähigen Subjekt zu suchen, sondern "an der Seite", also in Abhängigkeit von anderen Nationen: den Ausstattern und Schutzmächten Israels. Zu deren und zu Israels Zufriedenheit hat bislang schon die gewichtigste Macht unter allen arabischen Staaten, Ägypten, diese prinzipielle Neuorientierung hinter sich gebracht (Saudi-Arabien ist in Geld- und Waffendingen schon seit langem ein Partner und Freund des Westens!) und sich zum willfährigen »Entwicklungsland" und Aufmarschplatz der "freien Welt" gemacht - nicht eher, dann aber schon relativiert der Judenstaat seinen machtvollen praktischen Einspruch gegen eine nicht von ihm kontrollierte Souveränität bei einem arabischen Nachbarn.
So ist Israel, indem es für eine ganze Region den Kriegsfall definiert und die Friedensbedingungen diktiert, die Ordnungsmacht für die arabische Staatenwelt - "Ordnung" im politischen, also im Sinne eindeutiger Unterordnungsverhältnisse verstanden. Es exekutiert diese Ordnungsmacht einerseits im eigenen staatlichen Daseinsinteresse; als völkischer Judenstaat, der sich dadurch eine ganze Weltgegend zum Feind macht, ist Israel entweder ein "Ordnung" schaffender Kriegsstaat oder überhaupt nicht. Damit ist aber andererseits schon klar: Dieser Staat ist das, was er ist, weder aus eigener Macht, noch ist die Erhaltung seiner nationalen Besonderheit als solche das weltpolitisch wesentliche Resultat seiner kriegerischen Selbstbehauptung, also auch nicht der letztlich entscheidende Zweck seiner Erhaltung. Um seiner Selbsterhaltung willen stellt Israel das arabische Streben nach eigenständiger Bedeutung unter eine permanente Kriegsdrohung; es macht diese Drohung wahr, wann immer es auch nur die Möglichkeit entdeckt, ein arabischer Souverän könnte sich seiner Kontrolle entziehen; und damit vollstreckt es einen der Qualität nach weltherrschaftlichen Anspruch, dessen Subjekt und Nutznießer es in letzter Instanz gar nicht ist: Gelder wie Waffen bezieht es aus der "freien Welt", und mit seiner völkischen Intransigenz stellt es nur einen Teil und einen nationalen Abklatsch jener Kompromißlosigkeit dar, mit der der "freie Westen" in seiner Eigenschaft als NATO gegen seinen ausgemachten Hauptfeind, die Sowjetunion, und deren wirkliche wie denkbare Helfershelfer auf seiner weltumspannenden Übermacht besteht.