Inhalt

3. Kapitel

Israel und seine Freunde:
Zionistische Ordnungsmacht der "freien Welt"

l.

Je mehr der Libanon-Feldzug Israels sich in die Länge zog, je brutaler die Invasionsarmee vor allem in Beirut zuschlug, je deutlicher Israels weitgestecktes Kriegsziel - die Endlösung des "Palästinenserproblems" - und, vor allem, seine erfolgreiche Realisierung sich abzeichnete, um so heftiger wurde in der westlichen Öffentlichkeit das Gerücht verbreitet, Amerika sei "verstimmt" und ein "ernstes Zerwürfnis" zwischen den USA und Israel bahne sich an. Von beiden Seiten wurde dieses Gerücht nach Kräften gefördert. Die amerikanische Regierung ließ jede kritische und mahnende Anmerkung zum israelischen Vorgehen ausführlich ankündigen und als "ernste Vorhaltung", ja "fast als Drohung" interpretieren; ihr Präsident gab "Verärgerung" und sogar ein ,,Gefühl, getäuscht worden zu sein", zu Protokoll; am Ende ließ sie sogar im UN-Sicherheitsrat einen - zuvor entscheidend entschärften und verallgemeinerten - Tadel an Israels Intransigenz passieren. Das Massaker von Beirut quittierte das Weiße Haus mit Erregung, die fast gereicht hätte, in einer UNO-Verurteilung der Menschenschlächterei nicht als einziger Staat mit Israel dagegen zu stimmen. Umgekehrt nahm der israelische Regierungschef die Bemerkung eines amerikanischen Senators, notfalls müsse man Israels Kriegsherren diplomatisch "in die Knie zwingen", zum Anlaß für einen melodramatischen Schwur, stellvertretend für sein ganzes Volk vor einer Versammlung entsprechend begeisterter amerikanischer Juden abgelegt, ein Jude knie vor niemandem »als vor Gott"; und nach vollbrachtem Sieg, während gerade die letzten palästinensischen Kämpfer aus Beirut weggeschafft wurden, ließ der zuständige Kriegsminister, ebenfalls auf USA-Reise, wissen, er wäre mit den "Terroristen" erheblich schneller und unkomplizierter fertiggeworden, hätte die US-Regierung nicht das Abschlachten durch ständige Interventionen behindert und der amerikanische Vermittler nicht mit seinen Verhandlungen das Geschehen erst in die Länge gezogen. Was von der so nachdrücklich publik gemachten amerikanischen "Verärgerung" tatsächlich zu halten ist, das zeigen die ungeschmälert weiterfließenden Finanz- und Militärhilfen und die "den Umständen entsprechend" gesteigerten Nachschublieferungen für die kämpfende Truppe zur Genüge. Um den ersten Schritt zu einer Aufkündigung des Zustands, daß die USA Israel als Militärstaat finanziell und per Aufrüstung aktionsfähig machen, kann es sich nicht im entferntesten gehandelt haben. Was vom Inhalt jener diplomatischen Mahnungen an die israelische Regierung, die für die Öffentlichkeit als Beinahe-Zerwürfnis hingestellt worden sind, bekannt geworden ist, das hat ohnehin mit dem, was sonst "politischen Druck" ausmacht, nichts zu tun. Von Drohungen, wie sie beispielsweise in Sachen Handelsembargo, Kreditbeschränkungen etc. gegen die Sowjetunion wegen mißbilligter Anwendung der Militärgewalt in Polen vollzogen werden, oder gar von etwas Ähnlichem wie einem Ultimatum findet sich da nichts. Im Gegenteil: Was das Publikum als die schärfste amerikanische Reaktion verstehen sollte, nämlich der Kommentar des Präsidenten Reagan zur schwersten Bombardierung Beiruts während des gesamten Krieges zu einem Zeitpunkt, als die Kapitulation der Palästinenser schon so gut wie perfekt war, enthielt als erstes den Hinweis an die PLO, nun müsse sie doch endlich um des lieben Friedens willen die Zerstreuung ihrer Kämpfer auf Lager in der weiten arabischen Welt beschleunigen - die Israelis wurden mit der Bemerkung "gerügt", die neuesten Verwüstungen und das Blutvergießen seien "sinnlos" und möchten deshalb doch unterbleiben. Eine auch nur geringfügige Distanz zum politischen Zweck des israelischen Feldzugs ist darin nicht zu erkennen; die Humanitätsheuchelei dieser Sorte Kritik, ihr billiger Rot-Kreuz-Moralismus des "Nicht Zuviel" - wenn denn schon Krieg "sein muß"! -, springt dafür um so deutlicher ins Auge. Der paßt ja auch sehr gut zu der ebenso offen geäußerten Genugtuung amerikanischer Waffenlieferanten sowie einer kriegsgeilen Öffentlichkeit von professionellen wie Amateur-Strategen über die militärische Perfektion des israelischen Vorgehens und die Effektivität und Überlegenheit des eingesetzten freiheitlichen Kriegsgeräts. Am gelungensten waren Waffenstolz und Mitleidsheuchelei vereinigt in der kurzfristig aufgetauchten Klage über die verheerenden Wirkungen der Splitterbombe, die die USA dem israelischen Militär doch "bloß" zu Verteidigungszwecken geliefert hätten. So kam das pflichtschuldige "Entsetzen" zu seinem Recht - und brauchte doch noch nicht einmal den Errungenschaften der amerikanischen Rüstungstechnologie selbst zu gelten, geschweige denn die Begeisterung über die geglückte Beute an bislang geheimen sowjetischen Waffensystemen zu trüben.

Was umgekehrt Israels Führer an Beschwerden über die USA von sich gegeben haben, das würde, nähme man das Gerücht vom "ernsten Zerwürfnis" ernst, in die Rubrik der diplomatischen Unverschämtheiten fallen, wie sie sich sonst nur die USA ihrem sowjetischen Hauptfeind gegenüber erlauben. Oder was sollte man davon halten, wenn der israelische Außenminister - nach der offiziellen Interpretation - ins Weiße Haus geladen und auf Waffenstillstand festgelegt wird, wenn dann nur Stunden später ein Dauerbombardement Beiruts einsetzt, bis die amerikanischen "Schlichtungs"-Verhandlungen vor Ort kurzfristig unterbrochen werden, und wenn das dann noch mit dem Hinweis kommentiert wird, ohne solchen "militärischen Druck" wären doch die ganzen Verhandlungen nichts wert? Das wäre in der Tat, wofür die öffentliche Meinung hierzulande es fast einhellig erklärt hat, nämlich ein Vertrauensbruch gegenüber Amerika - wenn nur die Voraussetzung 3timmen würde, in den Gesprächen zwischen Reagan und Schamir wäre es um eine Verpflichtung Israels zu strikter Waffenruhe gegangen. Dabei sprechen Israels Aktionen auf der einen Seiten, die überdeutlichen Kommentare auf der anderen Seite doch eindeutig für sich - und für eine ganz andere Verabredung. In jeder Phase hat die amerikanische Regierung die israelische Schlächterei im Libanon erstens genehmigt und zugleich zweitens für eine möglichst glaubwürdige, jedenfalls diplomatisch wirksame Distanzierung davon Sorge getragen. Mit bemerkenswerter Raffinesse - aber hierzulande hält man die US-Administration ja lieber für einen Haufen ahnungsloser Trottel! - haben die USA sich auch noch als Schutzmacht der Opfer ihres Vasallen in Szene gesetzt!

2.

Mit dem gelungenen Nebeneinander von amerikanisch-arabischen Waffenstillstandsverhandlungen und israelischen Bombardements - einer ebenbürtigen Neuauflage des friedensnobelpreiswürdigen "Verhandlungsgeschicks" des seinerzeitigen Vietnam-Unterhändlers Kissinger, der immer das für den Verhandlungsfortschritt gerade erforderliche Quantum Bomben auf Hanoi abrufen konnte - kam eine Politik zu ihrem neuesten Erfolg, die die USA seit Beginn der von ihnen ins Werk gesetzten Kriegsgeschichte Israels mit bemerkenswerter Ausdauer und Rücksichtslosigkeit verfolgt haben.

Mit ihren massiven Hilfszahlungen, den direkten oder als Kredit verbrämten Schenkungen, einzigartigen Handelspräferenzen und den westdeutschen Wiedergutmachungsgeldern haben die USA und ihre NATO-Partner den israelischen Staat in Stand gesetzt, ohne ökonomische Rücksichten, ganz unabhängig von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit seiner Gesellschaft, ganz für seine militärische Macht da zu sein - die verschlingt nach offiziellen Zahlen rechnerisch den aberwitzigen Anteil von rund einem Viertel des "Bruttosozialprodukts" der Nation! Mit der massenhaften Abgabe der jeweils fortschrittlichsten Waffen haben die USA den kriegerischen Erfolg dieser Militärmacht sichergestellt - keine Nation, noch nicht einmal die USA selbst, hat Strategie und Rüstung der westlichen Streitkräfte so ausgiebig praktisch erprobt. Das - unbestreitbare! - NATO-Interesse an einer Erprobung "freiheitlicher" Rüstungsgüter und Einsatzmethoden war aber ebensowenig wie die vorgebliche humanitäre Sorge um das weitere Schicksal der endlich zum Staatsvolk gewordenen Juden jemals der politische Grund und Zweck solcher "Großzügigkeit". Mit seinen ständigen erfolgreichen Kriegen hat Israel gegen die gesamte arabische Staatenwelt den andauernden praktischen Beweis geführt, daß amerikanische Unterstützung und "Freundschaft" einem Staat jede Freiheit gibt, umgekehrt die Gegnerschaft gegen die USA bzw. deren Verbündete einen Staat seine Machtmittel nach außen und insoweit seine Souveränität und weltpolitische Bedeutung kostet - vom Schaden für den nationalen Reichtum und von der Schädigung des betroffenen Volkes noch ganz abgesehen. Daß es für diesen harten Beweis zugunsten amerikanischer Oberhoheit einsteht, brauchten die nationalen Führer Israels noch nicht einmal zu wissen - tatsächlich wissen sie sehr genau darüber Bescheid und berufen sich sehr unbefangen und offensiv darauf, wenn es um Verhandlungen über die Höhe der US-Hilfe geht! -; und sie brauchen sich das vor allem überhaupt nicht zum nationalen Zweck zu setzen. Weil es ihren Staat mit seiner völkischen Ausschließlichkeit gegen das "Arabertum" ohne die machtvolle "Freundschaft" Amerikas und Westeuropas gar nicht gäbe, fällt dessen kriegerische Selbstbehauptung unmittelbar zusammen mit der Erfüllung des westlich-freiheitlichen Auftrags, den arabischen Staaten eine bedingungslose Geneigtheit für eine "Freundschaft" mit den imperialistischen Demokratien als die einzige Chance für nationale Macht und Bedeutsamkeit einzuprügeln und das Bemühen auszutreiben, als arabischer Block zu einem maßgeblichen Subjekt der Weltpolitik aus eigener autonomer Machtvollkommenheit zu werden und sich dafür auswärtige »Freunde" zu suchen.

So perfekt fällt beides ineins, so unbedingt ist auf die Dienlichkeit des israelischen Militarismus für den demokratischen Imperialismus Verlaß, daß die USA mit ihrer Diplomatie der nachträglichen Distanzierung von Israels Gewaltaktionen - die genauso alt ist wie ihre Unterstützung dafür! - noch eins draufsetzen und gewissermaßen eine "Erfolgskontrolle" in ihre Politik der gewaltsamen "Gewinnung" der arabischen "Freundschaft" einbauen können. Das wohlfeile Bedauern amerikanischer "Regierungskreise" oder gar des Präsidenten selbst über so viel "unnötiges Blutvergießen" ist nicht bloß eine auf den Moralismus demokratischer Öffentlichkeiten berechnete Heuchelei. Es ist zugleich ein unmißverständliches diplomatisches Signal an die betroffenen Staaten, daß bei den USA, und nur bei ihnen, allenfalls Schutz vor israelischer Übermacht und Rücksichtslosigkeit zu finden sei. Daß die USA es sind, die Israel seine Freiheit, sich gegen die ganze arabische Staatenwelt als kriegerisches Monstrum durchzusetzen, erst überhaupt verschaffen, ist ja ohnehin bekannt - und das ist der amerikanischen Regierung auch alles andere als peinlich. In einer imperialistisch geordneten Staatenwelt werden haltbare Bündnisse und "Freundschaften" nicht durch bewiesene Tugendhaftigkeit der Partner geschaffen, sondern durch das einzige glaubwürdige "Argument", über das ein Souverän verfügt: die je größere Gewalt, mit der er für andere - für seine Untertanen wie für fremde Herrschaften - seine Interessen als Überlebensbedingungen setzt. Das ist ja auch gerade die "Lektion", die die "freie Welt" durch Israel den arabischen Staaten erteilt: daß gegen ihre Beschlüsse nichts läuft auf der Welt und jeder Souverän gut daran tut, sich mit ihr ins Einvernehmen zu setzen, weil andernfalls seine Souveränität nichts wert ist. Die Kundgabe gewisser moralischer Vorbehalte gegen die Methoden, mit denen dabei zu Werk gegangen wird, ergänzt diese "Lektion" um den zweifachen Hinweis, daß erstens wirklich nur die Westmächte die Freiheiten einschränken können, die sie Israel verschaffen, auf ihr Votum also alles ankommt; und daß sie zweitens unter gewissen Voraussetzungen dazu auch bereit sind, sie also in letzter Instanz die Friedensbedingungen diktieren.

Wenn daher die Gegner Israels an Israels Financiers und Militärausstatter herantreten mit dem Gesuch, sie vor der israelischen Übermacht zu schützen: dann haben sie "ihre Lektion gelernt" und sich den vom Westen in die Welt gesetzten "Kräfteverhältnissen" unterworfen. Und sie sind so angekommen - nach jedem Waffengang vollzähliger und mit weniger Vorbehalten! Selbst am Ende des für die arabische Seite angeblich zunächst siegreichen ,Jom-Kippur-Krieges" vom Oktober 1973 wurde eine militärische Katastrophe für die ägyptischen und syrischen Streitkräfte nur dadurch abgewendet, daß die USA sich bereitfanden, einem Waffenstillstandsbeschluß der UNO Israel gegenüber Gewicht zu verleihen. Ägypten setzt seither nicht mehr auf das Endziel der Gleichrangigkeit arabischer Macht und auf die Sowjetunion als Garantiemacht für diese Perspektive, sondern auf amerikanische Obhut: Statt in Genf gemeinsam mit den anderen arabischen Staaten und der Sowjetunion weiterzuverhandeln, hat Präsident Sadat mit den "Camp David Vereinbarungen" eine Zukunft Ägyptens als US-Vasall eingeleitet. Und das mit bemerkenswerten Folgen, die an Israels Libanonfeldzug deutlich abzulesen sind. Mit Rückendeckung durch den Frieden mit Ägypten hat Israel dort einen Schlag von solcher Wucht geführt, daß der betroffene "Konfrontationsstaat" Syrien so gut wie keinen Widerstand gewagt hat; der arabischen Seite, allen voran der PLO, blieb keine Chance, außer der, auf die "Vermittlungsbemühungen" der USA zu setzen; sie mußte um den Erfolg des US-Unterhändlers Habib bangen und darum nachsuchen, daß seine Mission nicht abgebrochen wurde. Das Resultat sieht entsprechend aus: NATO- bzw. Quasi-NATO-Truppen aus Italien, Frankreich und den USA selbst kontrollieren Beirut sowie die Deportation der palästinensischen Kämpfer - und das läßt der Westen sich noch als Großzügigkeit und Hilfe danken und honorieren! Kein arabischer Staat leistet mehr Widerstand gegen das von Israel durchgefochtene "Prinzip", daß es dauerhaft respektierte Interessen arabischer Staaten, wenn überhaupt, dann allein in der strikten Unterordnung unter die USA gibt; und nach der "Bereinigung" der Lage im Libanon muß man es wohl als eine Frage der Zeit betrachten, bis auch die letzten "Konfrontationsstaaten" und - sofern es sie noch geben sollte - die PLO selbst sich positiv auf den Boden dieses Prinzips stellen und ihre - angestrebte - Teilnahme an der Weltpolitik auf ihre Dienstbarkeit für die "Sache der Freiheit" begründen.

3.

So benützt die freie Welt mit Erfolg den von ihr geschaffenen und unterhaltenen kriegerischen Judenstaat - für Vorhaben, die erheblich weiter reichen als Israels Probleme mit den von ihm vertriebenen oder beherrschten unbotmäßigen Palästinensern und mit den arabischen Staaten. Speziell die "Palästinenserfrage" nimmt sich vom Standpunkt der Schutzmächte Israels wesentlich zufälliger aus als vom völkischen Standpunkt des Judenstaats; das westliche Interesse an Israel als Ordnungsmacht schließt die Definition der organisierten Palästinenser als "Terroristen" nicht notwendigerweise ein, daher eine Anerkennung der PLO als völkerrechtliches Subjekt und das Zugeständnis eines "Heimatrechts" - was noch lange keinen eigenen Staat bedeutet —, beides selbstverständlich zu westlichfreiheitlichen Bedingungen, nicht unbedingt aus. Die westlichen Interessen haben eben nicht das "Existenzproblem" Israels, von dessen gewaltsamer Lösung sie ihren Nutzen haben. Ihr Interesse gilt einer unangefochtenen Weltherrschaft; und das erschöpft sich nicht in dem imperialistischen Anspruch, die arabischen Staaten an der Bildung eines respektablen aktionsfähigen Machtblocks zu hindern. Indem sie dafür sorgen, daß Israel seinen Nachbarn beständig kriegerisch zusetzt und sie in relativer Ohnmacht hält, zielen die engagierten großen Demokratien auf ihren sowjetischen Feind und dessen Bemühungen, wenigstens im Nahen Osten die Eröffnung einer weiteren Front gegen seine Sicherheit zu vermeiden und womöglich sogar seinerseits Verbündete und damit Sicherheitspositionen für sein "sozialistisches Lager" zu gewinnen. Daß es sich nicht lohnt, im Gegenteil existenzgefährdend ist für einen souveränen Staat (und immer wieder tödlich für einen Haufen Untertanen!), mit der Sowjetunion gemeinsame Sache zu machen, statt sich der Sache der Freiheit für eine Politik der Einzementierung des sowjetischen "Blocks" zur Verfügung zu stellen: das ist das entscheidende und maßgebliche imperialistische Prinzip, das Israel mit seinem nationalen "Existenzkampf" durchsetzen soll und um dessentwillen es sich durchsetzen darf.

4.

Der Widerstand der Sowjetunion gegen dieses planmäßige Niederbügeln ihrer arabischen Partner, ihr Einsatz für den Aulbau einer arabischen Großmacht hält sich seit jeher in engen Grenzen. Bekannt sind die bitteren Beschwerden des ägyptischen Präsidenten Sadat über mangelnde Unterstützung seines damaligen sowjetischen Partners bei der Vorbereitung und Durchführung des "Oktoberkrieges" 1973; gleichlautende Anklagen sind in allen israelisch-arabischen Kriegen erhoben - und von den westlichen Freunden Israels begierig als Beweis für die "sowjetische Unzuverlässigkeit" kolportiert worden, ganz unbefangen neben der Beschimpfung der Sowjetunion als Kriegstreiber und Ausstatter für arabische "Terroristen" und "Aggressoren". Die PLO und etliche ihrer "Schutzmächte" machen ihrem sowjetischen Waffenlieferanten immer wieder einmal zum Vorwurf, daß er mit seiner Zustimmung zum Teilungsbeschluß der UNO über Palästina die Gründung des Staates Israel ermöglicht, den neuen Staat sehr bald anerkannt hat und sich beharrlich weigert, ihm prinzipiell ein Existenzrecht abzusprechen. Nun braucht man überhaupt nicht zu unterstellen, in der Weltpolitik hätten die regierenden Sowjets ihr Herz für die Juden entdeckt: Tatsache ist, daß sie ihre Parteinahme für die "arabische Sache" nie bis zu dem Punkt getrieben haben und auch nicht haben treiben wollen, daß sie die arabischen "Konfrontationsstaaten" zu einem Sieg über Israel befähigt hätten. Wie im Falle Chinas, Vietnams, afrikanischer und südamerikanischer Befreiungsbewegungen, so hat die Sowjetunion auch ihre Unterstützung des arabischen Antiimperialismus immer an dem eigentümlich widersprüchlichen Hauptziel ihrer Weltpolitik bemessen, den westlichen Gegner zu einem Mindestmaß an Einverständnis, zur Aufgabe seiner Kampfansage gegen das "sozialistische Lager" und einer Politik der "Koexistenz", zu zwingen. Die Chance, durch Solidarität mit der arabischen Israelfeindschaft Positionen gegen den Westen zu gewinnen und seine Weltherrschaft zu konterkarieren oder wenigstens einzuschränken, hat die Sowjetunion mit Nachdruck ergriffen - aber nicht, um daraus einen Sieg zu machen. Sie wollte dem Westen genau so viele Schwierigkeiten bereiten, daß der sich gezwungen sehen sollte, ihren Anspruch auf Allzuständigkeit für die Affären der Weltpolitik und damit sie selbst anzuerkennen; von allen beteiligten Parteien war sie wahrscheinlich die einzige, der es - aus eben diesem Grund! - völlig ernst war mit den "Genfer Verhandlungen" um eine "Friedenslösung" für den Nahen Osten. Irgendein Erfolg ist dieser Politik nicht zu bescheinigen. Ihre imperialistischen Gegner hat die Sowjetunion sich dadurch nicht geneigt gemacht: Die Macht, die sie entfaltet hat, war und ist zu gering, um die demokratischen Super- und "Mittelmächte" der "freien Welt" zu irgendetwas zu zwingen, und groß genug, um der westlichen Konfrontationspolitik Anlässe und Betätigungsfelder ("offene Flanken") zu bieten - und sogar moralische Vorwände nach Wunsch; ihre Zurückhaltung, sogar die Zügelung ihrer Verbündeten, wurde und wird ihr deswegen noch nicht einmal moralisch honoriert und politisch sowieso nicht, denn so etwas ist in der Welt des Imperialismus ein für allemal kein respektables "Argument". Aus eben diesem Grund mußten und müssen ihr auch die paar Machtpositionen verlorengehen, die sie sich im arabischen Raum aufgebaut und so vorbehaltvoll genutzt hat. Im Vergleich mit den Freiheiten, die Israel aus seiner Benutzung durch die "freie Welt" ziehen konnte und kann, muß ja die Brüderschaft zwischen dem sowjetischen und dem arabischen "Antiimperialismus" als eine matte, für die mit solcher Partnerschaft beglückten Souveräne wenig lohnende Angelegenheit erscheinen - schließlich war dieser Vergleich ja nie ein theoretischer, sondern wird ständig mit Waffen ausgetragen. Der arabische Nationalismus, der der Sowjetunion manche orientalische Verbündete eingebracht hat, ist von ihr nicht erfolgreich genug gepflegt worden - darüber ist die sowjetisch-arabische "Freundschaft" in die Brüche gegangen und inzwischen in allgemeiner Auflösung begriffen.

5.

Auch hier haben die Resultate des israelischen Libanonkrieges einen vorläufigen Höhe- und Endpunkt gesetzt. Für den Westen war der erste entscheidende Erfolg, der Übergang Ägyptens ins "westliche Lager", ja keineswegs ein Grund, es genug sein zu lassen und der Sowjetunion ihre geschrumpfte "Einflußsphäre" nunmehr zuzugestehen. In der Welt des Imperialismus geht es genau andersherum zu. Dieser Erfolg ließ eine Endlösung aller Nahost-Fragen im Sinne westlicher (Unter-)Ordnungsvorstellungen zu; und an die hat Israel sich mit seiner Endlösung des Palästinenserproblems herangemacht. Das ist ja das für den Westen und seinen Moralismus so Bequeme an seinen Gewaltgeschäften im Orient: daß da der Partner Israel aus seinem offensiven Selbsterhaltungsinteresse heraus für die Perfektionierung seiner Übermacht und damit für die Ausdehnung und Befestigung der Weltherrschaft seiner Schutzmächte in dieser Region sorgt - womöglich noch über das von diesen selbst schon auf die Tagesordnung gesetzte Maß hinaus! So hat Israels gewalttätiger Zugriff auf den Libanon zu dem bemerkenswerten Ergebnis geführt, daß die Sowjetunion fast schon offiziell von ihren Ansprüchen auf Mitentscheidung Abschied nimmt. Ihr letzter westlicher Verbündeter, Syrien, hat "versagt", d. h. war der Wucht der israelischen Kriegsmaschinerie nicht gewachsen; also hat sie als Schutzmacht der letzten Israel-Gegner "versagt", nämlich nichts mehr zu sagen über die Geschicke der Region. Auf die Gefährdung der eigenen Südwestgrenze hat Sowjetpräsident Breschnew verwiesen, um der Aufforderung an Israel, seinen Krieg zu begrenzen, Nachdruck zu verleihen - ein Argument, das nicht einmal mehr entfernt an Weltmachtambitionen erinnert: man stelle sich nur vor, die USA wollten ihr Engagement in der arabischen Region auf dermaßen defensive Interessen begründen! Und nicht einmal auf Grundlage dieser unmittelbaren eigenen Betroffenheit durch Israels Vorgehen hat die Sowjetunion sich mit einer Drohung vorgewagt - es hätte ja nicht einmal eine von dem Kaliber zu sein brauchen, die der amerikanische Präsident und seine Kollegen wöchentlich bezüglich Polens der sowjetischen Regierung zukommen lassen! Wie um ihre Machtlosigkeit zu unterstreichen, hat sie die US-Regierung aufgefordert, dem israelischen Treiben in Beirut Schranken zu setzen! Deutlicher läßt sich die Unterwerfung unter den schrankenlosen Zuständigkeitsanspruch der USA gar nicht mehr ausdrücken.

So spielt sich also, "traditionsgemäß" besonders blutig, auch im Nahen Osten das "Ende der Entspannung" ab, das bereits Präsident Carter eingeleitet und sein Nachfolger zum Hauptinhalt seiner Amtszeit gemacht hat. Wie überall, so wird auch in der arabischen Welt aus den Erfolgen der "Entspannungsära", hier: der Umdrehung Ägyptens und dem weiteren Anwachsen der israelischen Übermacht, eine Kritik ihrer Verfahrensweisen verfertigt, nämlich der einvernehmlichen Form des westlichen Umgangs mit der Sowjetunion. Und deren Aufkündigung bedeutet ja keineswegs bloß einen geänderten "Tonfall" der westlichen Weltpolitik, sondern einen fortgeschritteneren weltherrschaftlichen Anspruch. Einflußsphären der Sowjetunion werden als nicht tolerierbare Übergriffe definiert; sie werden nicht mehr formell zugestanden, um sie tatsächlich zu einer ständigen Last für ihre Schutzmacht auszugestalten, sondern dem Gegner offiziell bestritten. Fast so, als wäre die weltweite Front gegen die Sowjetunion schon eröffnet, werden die Souveräne der gesamten Staatenwelt mit einer neuen amerikanischen Unduldsamkeit gegen alles konfrontiert, was wie ein Entgegenkommen gegenüber dem erklärten Feind und Weltbösewicht aussieht. Und das gibt für die Politik mancher Staaten eine ungemein vorteilhafte Geschäftsgrundlage her. Mit seinem Libanon-Feldzug ist Israel der schlagkräftigste Konjunkturritter dieser neuen weltpolitischen Linie radikaler Sortierung der Staatenwelt nach Freund und Feind. Wie schon immer in seiner Kriegsgeschichte, so reizt dieser Staat auch jetzt wieder die Chancen aus, die das neue amerikanische Interesse an "klaren Verhältnissen" ihm bietet - und setzt eben damit dieses amerikanische Interesse ein Stück weiter durch. Zug um Zug wird die Region von störenden Zwistigkeiten und alten Sowjetpositionen bereinigt und für die Aufgabe zubereitet, die die imperialistischen Nationen ihr zudiktiert haben.

Denn daß es dort um den "Schutz lebenswichtiger Interessen des Westens" geht, des Interesses am öl nämlich: dieser schöne Zusammenhang, demzufolge die ökonomische Ausnutzung einer ganzen Region eine fraglose politische und militärische Zuständigkeit für sie begründet, ist längst strategisch ausbuchstabiert. Zu seinem "Schutz" muß dieses Gebiet in einem Maße aufgerüstet werden, daß es eine ganz eigenständige Bedrohung der Südwestflanke der Sowjetunion darstellt - auch hier gilt die "Logik" von der "Nachrüstung zwecks Gleichgewicht". Und diese Aufgabe geht ersichtlich über die militärische Leistungsfähigkeit selbst eines Staates wie Israel hinaus. Als Aufmarschplatz gegen die Sowjetunion ist der gesamte Nahe Osten gerade groß genug - ihn dazu bereit zu machen, das ist der imperialistische Endzweck der neuesten israelischen Kriegspolitik.

Und deswegen fängt mit derartigen "lokalen Konflikten" auch irgendwann die große Endabrechnung selber an, die so vorbereitet wird.