Inhalt

Die bundesdeutsche Öffentlichkeit:
Nationaldemokratische Anteilnahme an einem nützlichen Krieg

Das war einmal eine schöne Aufgabe für die bundesdeutschen Zeitungsmacher und Fernsehfritzen. Gleich zwei Kriege wollten im Sommer '82 recht vermittelt und gedeutet sein. Kriege, die von besten Verbündeten der Nation angezettelt und gewonnen wurden - eine traumhafte Konstellation für die Betätigung der drei journalistischen Haupttugenden Moral, Problembewußtsein und Sachverstand.

l.

Die Selbstgerechtigkeit der verbündeten Regierung bot die unangefochtene moralische Grundlage jeder Begutachtung des Geschehens. "Aggression must not pay!" - an diesem tugendhaften Grundsatz weltweit durchgesetzter imperialistischer ,,Ordnungs"-Gewalt, in dessen Namen die britische Oberbefehlshaberin ihrer Flotte militärisches Durchgreifen befahl, konnte und wollte kein westdeutscher Kommentator vorbeigehen. Er wurde mit einer prinzipiellen Parteinahme für Großbritanniens Kriegszweck honoriert. Ob deswegen gleich ein Krieg "sein mußte"; ob es nicht preiswertere Möglichkeiten gegeben hätte, Argentinien in seine imperialistischen Schranken zu verweisen; ob Großbritannien über seinen ehrenwerten, vom deutschen Standpunkt aus aber reichlich nebensächlichen Rechtsanspruch auf die Falklands nicht seine viel gewichtigeren NATO-Pflichten vernachlässigte; ob Englands Krieg nicht am Ende die treuen Verbündeten belasten müßte: So beschaffen waren die scharfsichtigen Bedenklichkeiten, die der bundesdeutsche Journalismus sich im Rahmen seiner europäischen Solidaritätspflichten allenfalls herausnehmen mochte. Schließlich war es ein teurer Krieg, aber gar nicht der gegen den Hauptfeind - da mußte ja die Befürchtung laut werden, das »Sterben für Port Stanley" könnte, wie gerecht auch immer, doch unter den höheren Gesichtspunkten des NATO-Imperialismus in seiner westdeutschen Lesart per saldo ausgesprochen "sinnlos" sein.

Nach haargenau demselben Muster wurde der Libanonkrieg Israels publizistisch verarbeitet - was ohne ein paar Widersprüche im einzelnen, beispielsweise die ehernen Grundsätze des Völkerrechts betreffend, die der israelischen Armee kaum so zugutegehalten werden konnten wie der britischen Flotte, nicht abging; aber so viel "Flexibilität" bringt ein nachdenklicher westdeutscher Weltbeobachter allemal mit.

Prinzipielle Einigkeit herrschte zunächst einmal hinsichtlich des Kriegszwecks, den die hiesige Öffentlichkeit dem Kriegsgeschehen und seiner offiziellen Interpretation durch die israelische Regierung entnahm und an dessen Unanfechtbarkeit sie um so entschlossener glaubte, je blutiger sich seine Verwirklichung gestaltete. Zwar war allgemein bekannt und wurde auch überhaupt nicht verschwiegen, daß die in Jerusalem ausgegebenen Begründungen für die unaufschiebbare Notwendigkeit des Krieges gegen die Palästinenser nichts als Vorwände und selbstgerechte Sprachregelungen waren: Ohne souveränen israelischen Entschluß, mit den Flüchtlingen in seinem nördlichen Nachbarland ein für allemal aufzuräumen, gibt weder - wie man eine Zeitlang glauben sollte - ein Attentat auf einen israelischen Diplomaten in London, von dem die PLO sich zudem gleich distanziert hatte, einen Kriegsanlaß her, noch war - wie die Parole "Frieden für Galiläa" glauben machen wollte - Israels Nordprovinz in Gefahr: Die israelischen Bombenangriffe auf ihre Lager im Libanon hatten die Palästinenser kaum noch mit gelegentlichen Artillerieschüssen beantwortet. Dies zu wissen, war für bundesdeutsche Kommentatoren aber überhaupt kein Grund, das "israelische Sicherheitsbedürfnis" nicht mehr als guten oder doch zumindest plausiblen Grund für Israels Feldzug gelten zu lassen; es war ihnen allenfalls Anlaß, ihre eigene Parteinahme dafür methodisch zu formulieren, d. h. als eine Einstellung, die man auch wider besseres Wissen nicht verweigern konnte:

"An die 40 km Pufferzone im Libanon hätten die Europäer, und namentlich die Deutschen, den Israelis aus schlechtem Gewissen noch gutgebracht." -

und nicht nur die, wie der "Spiegel" selbst sogleich mit seinem einfühlsamen Verständnis dafür bezeugt, daß Israel sich an diese hypothetische Konzession des Gewissenswurms Augstein nicht gehalten hat:

"Doch der knapp 40 km breite Sicherheitskordon, auf den sich der Waffengang nach heeresamtlicher Mitteilung beschränken sollte, war schnell durcheilt ... Wichtiger noch: Die strategisch wichtige Landstraße zwischen Beirut und Damaskus ... lag im Bereich israelischer Artillerie. Solche Chancen läßt ein Kriegsherr ungern ungenutzt." -

was der "Spiegel" ihm genauso wenig verdenken mag wie die "Süddeutsche", die in allerlei günstigen Umständen des israelischen Feldzugs - Reagan in Europa, Golf-Krieg, Spannungen zwischen Irak und Syrien, die Weltöffentlichkeit durch die Fußball-WM beschäftigt! - gute Gründe dafür entdeckte, ihn gerade zum gewählten Zeitpunkt anzusetzen; gerade so, als wüßten die Schreiber dieses Weltblatts nicht sonst lässig zwischen Gelegenheit und Berechtigung zu unterscheiden!

Noch von den "kritischsten" Kommentatoren wurde Israel zugestanden, was die imperialistische Moral der "freien Welt" sonst niemandem zugesteht - dem Feind sowieso nicht; sich selber nicht, weil (und solange!) sie dieses Mittel dank einer wohlarrangierten Weltordnung nicht braucht; ihren Vasallen sonst nicht, sofern die das schöne Arrangement stören könnten -: Eroberung aus Sicherheitsinteressen. Und auch der noch viel weiterreichende israelische Anspruch, gleich ganz und gar für "geordnete Verhältnisse" in seinem Nachbarland, ja für die Souveränität selbst des libanesischen Staates zuständig zu sein und diese Zuständigkeit gewaltsam vollstrecken zu "müssen", fand eine jenseits aller Differenzen einhellig wohlwollende Würdigung. Mit der "Diagnose": "Chaos", "Ruin" und "bürgerkriegsähnliche Zustände im Libanon" war ganz im Sinne des israelischen Oberkommandos eine eindeutige Invasionsbedürftigkeit des Landes abgeleitet; der israelische Einmarsch galt als Aktion zur "Stabilisierung des Libanon". Als wäre "Stabilität", dieser vornehme Methodenbegriff politischer Herrschaft, getrennt von jedem Inhalt und der Frage des Personals der Herrschaft für irgendeine politische Partei, und gar für eine Bürgerkriegsfraktion, ein respektabler Zweck! In Wahrheit ist "Stabilität" nichts als der formale Ehrentitel desjenigen streitenden Interesses, das sich gegen die anderen durchsetzen und unangefochten behaupten soll; für Israel bestand die beklagte "Instabilität im Libanon" in nichts als der relativen Bewegungsfreiheit der PLO. Auch dieser Klartext wurde der bundesdeutschen Öffentlichkeit von Fernsehen und Presse vorgelesen - aber nicht etwa, um Israels angebliche Selbstlosigkeit bei der "Befriedung" des Libanon zu blamieren, sondern um die "Chaoten" namhaft zu machen, die den Libanon ruiniert hätten, also keine Zweifel in der Schuldfrage aufkommen zu lassen:

"Bewaffnete Palästinenser im Libanon hätten nie geduldet werden dürfen"; deswegen ist "gegenwärtig für den Frieden die Wiederherstellung eines stabilen Libanon noch wichtiger als das Schicksal der Palästinenser. " (Frankfurter Allgemeine)

2.

Immerhin hat der journalistische Sachverstand der Republik sich nur ausnahmsweise - nämlich soweit er auf Axel Springers Gehaltslisten steht - ganz umstandslos auf den Standpunkt der Selbstgerechtigkeit der israelischen Kabinetts- und OKW-Beschlüsse gestellt, wonach das "Palästinenserproblem" im Libanon "ausgemerzt" gehört. Er hat sich Umstände gemacht und Israels Vernichtungsfeldzug auf ein angeblich vorgegebenes "Problem" bezogen, für dessen "Lösung" die Regierung sich ihr Militär hätte einfallen lassen.

Dieses "Problem" sollen erstens die von Israel heimatlos gemachten Palästinenser sein - und deren Deutung als Israels Problem ist das gerade Gegenteil einer Klarstellung der Tatsache, daß Israel selbst die Palästinenser überhaupt erst zu einer "Frage" gemacht hat und deren Inhalt sehr souverän definiert, ganz unabhängig jedenfalls von den politischen Reaktionen der Palästinenser, die von ihrer alten Hoffnung, die Zionisten eines Tages ,4ns Meer zu werfen", schon längst Abstand genommen haben. Israels völkische Exklusivität, seine Funktion als westlicher Vorposten und die leichenträchtigen Erfolge der entsprechenden Politik werden gerade unigekehrt als Dilemma interpretiert, in das Israel samt Politik und Militär verstrickt wäre; jede Gewaltaktion liefert einen neuen Beweis für die Tragik der Konstellation:

" Wenn die PLO-Palästinenser dem Judenstaat das Lebensrecht bestreiten, tun die Israelis nicht ähnliches?" (Spiegel). "Die Palästinenserfrage scheint unlösbar ... Es sieht so aus, als hätte Israel sein Lebensrecht gesichert, indem es das eines anderen Volkes vernichtet." (Stern)

Daß sich der israelische Staat durch die Vertreibung und Dezimierung der ortsansässigen Araber etabliert und damit Feinde geschaffen hat, gegen die er sein "Lebensrecht" durch Fortführung seiner Gründungspraktiken in immer größerem Maßstab "sichern muß", erscheint so als Schwierigkeit, Araber und Juden zwischen Mittelmeer und Jordan neben- und miteinander leben zu lassen. Daß Völker sich bloß deswegen nicht vertragen, weil sie einer ausschließlichen Gewalt über sich folgen, die sie für ihre Durchsetzung und fortdauernde Selbstbehauptung antreten läßt, das wird da gar nicht einmal geleugnet. So geläufig und selbstverständlich ist deutschen Journalisten die "Verwechslung" von Staatsgewalt und Bevölkerung, daß sie glatt die Expansion Israels für das elementare "Lebensrecht" des Menschenmaterials dieser Nation nehmen und jeden Unterschied zur Not der Palästinenser und ihrer Gegenwehr durchstreichen, die ihnen für die Konstruktion eines Dilemmas hier auch gleich noch zusammenfallen mit der Politik, die die PLO-Führer damit machen. Zwei Menschensorten können da angeblich nicht übereinkommen, einander in Ruhe leben zu lassen - eine Ideologie, die zu den schönsten pessimistischen Geschichtsbetrachtungen Anlaß gibt und sich schon gar nicht dadurch beirren läßt, daß schließlich Staatschef Begin sein Volk im Libanon mit etlichen hundert eigenen Toten und einigen tausend Krüppeln für sein "Lebensrecht" hat einstehen lassen (soviele Opfer hätte der Zustand, dem die Aktion "Friede für Galiläa" ein Ende gemacht hat, die Israelis in Jahrzehnten nicht gekostet!). In dem Hauptpunkt ihrer Interpretation, darin nämlich, die betroffenen Völkerschaften durch die Interessen und Taten ihrer Politiker gleich vollständig definiert zu sehen, unterscheiden diese "problembewußten" Dilemmatiker der israelischen Kriege sich im übrigen gar nicht von ihren rechten Journalistenkollegen, die ihre offensive Parteinahme für Israels Vernichtungsfeldzug damit begründen, daß es sich bei den politischen Führern der Palästinenser ja noch nicht einmal um die Repräsentanten eines anerkannten Staatswesens handelt, ihr Anspruch auf staatliche Gewalt also als Terror zu gelten hat - und folglich ihr "Volk" als ein einziges großes Terroristennest. Wer einem Volk den ihm auferlegten politischen Gehorsam als sein Lebensrecht zuschreibt, der findet es eben auch allemal in Ordnung, die Leute für die Taten derer, die sich dieses Gehorsams bedienen, haftbar zu machen - was keine theoretische, sondern allemal eine sehr blutige Angelegenheit ist!

Abgesehen von den Terrorspezialisten der westdeutschen Journaille hat man sich hierzulande also Israels Kriegsgründe als ziemlich ausweglose "Problemlage" vorzustellen beliebt; und unter diese Deutung wurden nicht bloß die Palästinenser subsumiert. Mit seinen Feldzügen geht Israel schließlich immer gegen die Machtmittel seiner souveränen Nachbarn vor, kündigt also kriegerisch den Respekt vor ihrer staatlichen Selbständigkeit auf; doch auch das weiß ein wohlgesonnener Sachverstand sehr "überparteilich" zu besprechen. Die völkerrechtlich-moralischen Gesichtspunkte, die noch wenige Wochen zuvor bloß zitiert zu werden brauchten, um Argentinien mit seinem "Überfall" auf die Malvinas ins weltpolitische Abseits zu stellen, traten hier auf einmal ganz hinter dem gereiften politischen Problembewußtsein des bundesdeutschen Presse- und Rundfunkwesens zurück - und das heißt alles andere, als daß man den außenpolitischen Zweck kritisiert hätte, der sich da durch einen Massenmord empfahl. Diesmal wollte man die politische Absicht gerade nicht schon dadurch hinreichend denunziert sehen, daß sie sich gewaltsam gegen eine herrschende Machtverteilung richtete. Mehr noch: Vom brutalen Mittel sollte jetzt überhaupt kein schlechtes Licht mehr auf den so verfolgten Zweck fallen. Wie auf Befehl oder gemeinsamen Beschluß ist die freie westdeutsche Meinungsmache der selbstgerechten israelischen Sprachregelung, der Krieg sei als Friedenstat zu würdigen, mit dem Gestus des moralfreien sachverständigen Durchblicks beigesprungen und hat "das Nahost-Problem" als Israels wahren und eigentlichen Kriegsgrund aufgetan. Noch weniger als die "Palästinenserfrage" verträgt dieses , .Problem" eine ernsthafte Betrachtung dessen, worin es denn eigentlich bestehen soll - das ganze Ding gäbe es schließlich gar nicht, hätten nicht die imperialistischen Mächte Israel als permanente praktische Widerlegung aller arabischen Großmachtbestrebungen eingerichtet. Die schlichte Tatsache, daß Israel Feinde hat - was von den arabischen Nachbarn Israels ja weiß Gott auch gilt! -, erschien den vorurteilsfreien Betrachtern beispielsweise der "Süddeutschen Zeitung" schon als "Problem" genug, um Israel einen Krieg als "Lösungsversuch" geraten scheinen zu lassen:

"Aber außer Ägypten hat kein arabisches Land Israel Frieden angeboten. Ist es da nicht gezwungen zu kämpfen?"

So "wissen" deutsche Publizisten, daß der Staat Israel eine einzige Kriegserklärung an seine arabische Umwelt darstellt - und stellen sich umständlich dahinter: Für Israel ist Frieden dasselbe wie ständig Kriege gewinnen, weil "der Nahe Osten" seine endgültige "Friedensordnung" noch nicht gefunden hat; was schlagend daran zu sehen ist, daß Israel kämpfen "muß"... So geht also journalistisches Problembewußtsein mit einem kriegerischen Verbündeten der eigenen Nation um: Wo es nicht gleich dessen eigene offizielle Interpretation seiner Taten übernimmt, hält es ihm auf Biegen oder Brechen selbstkonstruierte "Problemlagen" und "Verstrickungen" zugute, deren "Bewältigung" und "Lösung" mit seinem gewaltsamen Vorgehen recht eigentlich beabsichtigt sei. Im Lichte solcher "Probleme" findet alsdann eine Würdigung des Kriegsgeschehens statt, die auch dort, wo sie sich zu "schwersten Bedenken" versteigt, ihr prinzipielles, als Sachkunde verkleidetes Wohlwollen nie mehr aufkündigt.

3.

Die Einwände gegen Israels Krieg, die Westdeutschlands publizistischen Wortführern eingefallen sind, waren von entsprechendem Kaliber:

"Menachem Begins Krieg ist unnötig. Er ist unmenschlich. Und am Ende wird er genau das Gegenteil von dem bewirken, was eigentlich (!) in der Absicht des Urhebers lag" - man mag sich kaum noch daran erinnern, daß immerhin von den "eigentlichen" Absichten eines Kriegsherren die Rede ist! Und noch einmal, damit ja kein Mißverständnis aufkommt: "Das Schlimmste (!) aber ist: Der Krieg wird zum Bumerang werden. " (Zeit)

Daß angesichts solch' konstruktiver Sorgen um den Erfolg dessen, was die jüdischen Urheber des Krieges "eigentlich wollten", das Gerücht aufkommen konnte, erstmals nach drei begeistert mitgefieberten Nahost-Kriegen wären die bundesdeutschen Sympathien nicht mehr auf israelischer Seite gewesen, zeigt eindrucksvoll, wie bedingungslos man sich hierzulande mit Israels Kriegsglück zu identifizieren gewohnt ist. Schon der Zeitpunkt, zu dem so wohlwollende Bedenken wie "Wissen die Israelis noch, was sie tun?" (Stern), "Israels Vietnam?" (Spiegel) u. ä. aufkamen, widerlegte alle Zweifel an ihrer pro-israeli-schen Prinzipienfestigkeit. Als die Invasionstruppen ihre militärischen Ziele erreicht hatten und der Abzug der PLO nur noch eine Frage von "tot oder lebendig?" war, das Kriegsgeschehen sich aber immerhin in die Länge zog und die israelischen Erfolge sich nur noch in toten Beirutem und nicht mehr in schnellen Geländegewinnen niederschlugen: Da kamen kritische Deutsche der obersten Heeresführung in Jerusalem mit dem Vorwurf:

"Aus dem Schlag gegen die Palästinenser im Libanon wurde Israels längster Krieg"; Begin hätte sich "in die Ecke gesiegt";

"Das übermächtige Israel war nicht imstande (!), die eingeschlossenen 6000 letzten PLO-Krieger militärisch zu besiegen!" - ein "Unvermögen", das die Regierung sich, da teilt der "Spiegel" voll die vaterländische Kritik des staatseigenen Oppositionsführers Peres, ganz selbst zuzuschreiben hat:

" .Wenn die Regierung Beirut besetzen wollte, hätte sie das nach sechs Tagen ohne viele Opfer tun können'." Israel hat den Blitzkrieg nicht geschafft; diesmal ist es gescheitert mit dem alten deutschen Kriegsideal: kurz und vollständig zuschlagen, dann ist es wenigstens für die sympathisierende Weltöffentlichkeit schmerzlos! So aber müssen zivilisierte NATO-Freunde dem "langen Sterben" zusehen, angeblich ohne sinnstiftende militärische Fortschritte dagegen aufrechnen zu dürfen: " ... der wochenlange Kampf (hat) den waffenmäßig kraß unterlegenen PLO-Kämpfern bei weitem nicht so viele Opfer beigebracht, wie Militärexperten vorausgesagt hatten. Die Leidtragenden sind die Zivilisten." (Stern)

Den militärischen Nutzen einer langdauernden Belagerung, von Flächenbombardements sowie zahlreicher "Opfer unter der Zivilbevölkerung", also eines gediegenen Terrors, wollten die Experten der deutschen Öffentlichkeit nicht zur Kenntnis nehmen. Sie hängen dem Ideal einer absolut überlegenen Gewaltmaschinerie an, die Widerstand nicht erst brechen muß, weil sie ihn von vornherein gar nicht aufkommen läßt. Denn einer solchen sauberen Gewalt möchte man eine saubere »Lösung" all der , .Probleme" zutrauen, deren "Bewältigung" man Begin und seiner Mannschaft als ihre "eigentliche Absicht" unterstellt hat. Verglichen mit diesem Ideal von Gewalt sieht die wirkliche natürlich immer schlecht aus; und so erlaubten bundesdeutsche Journalisten sich auch- Zweifel an der Problemlösungskraft jener "unsauberen" Gewalt, die die israelische Regierung tatsächlich einsetzt. Mit einem solchen Krieg - "Pyrrhussieg" (Stern) - ist doch gar nicht sichergestellt,

"daß Begin die gewünschte Ruhe für sein Land schaffen kann - was das erklärte Ziel des Feldzuges war." (Süddeutsche Zeitung)

Wo Begin und Sharon die PLO als politische und militärische Organisation samt Waffen und Mannschaften vernichten ließen, um eine friedliche Einigung mit ihrem Feind überhaupt nicht mehr in Betracht ziehen zu müssen, da verfällt dieses bayerische Weltblatt auf die profunde Erkenntnis, ihr Feldzug hätte die friedliche Einigung mit den Opfern doch gar nicht vorangebracht: Daß die PLO und Jordanien nunmehr

"den Friedensprozeß unterstützen, dürfte eher ein Wunschtraum sein. Das eigentliche Ziel der Operation .Frieden für Galiläa' wurde damit verfehlt"

- so daß die "Süddeutsche" "die Ausweglosigkeit des israelischen Versuchs einer Gewaltlösung des Palästinenser-Problems" beklagen muß!

Da schlug die kritische Parteilichkeit für Israels "eigentliche" Anliegen gelegentlich geradezu in Häme um:

"Wohl kann die PLO zerbombt werden, nicht aber der palästinensische Nationalismus" (Spiegel)

- was dafür nötig wäre, Begin & Co. aber nicht zustande bringen mit ihren "stümperhaften" Gewaltaktionen, hat der Karikaturist der "Nürnberger Nachrichten" ins angemessene Bild gefaßt:

Begin

Dieselbe Botschaft in wohlgesetzten Worten:

"Eine gedemütigte PLO wird sich zwangsläufig wieder radikalisieren. Sie wird aufs neue den Terror exportieren ... Israels harsche Politik wird im übrigen dafür sorgen, daß den Freischärlern ständig neue Rekruten zuströmen. So leicht (!) ist die PLO nicht umzubringen, und erst recht nicht die palästinensische Idee." (Zeit)

"So leicht" nicht; denn immer bleiben ja noch etliche Palästinenser übrig; und ehe Israel die alle mit "Stumpf und Stiel" umlegt, wären doch "alternative Lösungen" in Betracht zu ziehen: So vorurteilsfrei "kritisierten" deutsche Journalisten Israels Völkermord! In gleichem Sinne kamen Bedenken auf, ob sich so der Libanon "befrieden" ließe, und ob Israel wirklich von einem christlich-falangistischen Vasallenstaat im Norden nur Vorteile hätte:

"Ob diese Rechnung aufgeht, hängt freilich noch von den gut die Hälfte der Bevölkerung stellenden konservativen und radikalen sunnitischen und schiitischen Moslems ab." (Süddeutsche Zeitung)

Sind die Syrer auf diese Weise kleinzukriegen? "Was wird aus der mehr als heiklen ägyptischen Position?" (Spiegel). Schadet Israel nicht am Ende den westlichen Interessen in und an Arabien? Mit solchen Bedenken, die gleich die ganze Region sehr weltherrschaftlich-souverän in den Blick nahmen -

"Israels Verteidigungsminister (scheint) sein Beirut-Erlebnis überzubewerten, wenn er sagt, auf dem Silbertablett bringe er den Amerikanern die Überlegenheit über die Sowjetunion im Nahen Osten." (Süddeutsche Zeitung) -,

bekannten westdeutsche Pressemänner sich schließlich auch offen zu dem interessierten Standpunkt ihrer wohlwollenden Gutachten über Israels Schlächterei - und mußten sich hier von ihren Rechtsaußen-Kollegen zu Recht vorhalten lassen, daß alle Einwände, die sie zusammen mit den zuständigen Diplomaten ihrer Staaten gegen Israels Vorgehen vorbrachten, nichts als moralische Heuchelei darstellten.

"Im stillen sind nämlich Amerikaner, Europäer und auch Araber froh, daß die Israelis ihnen die Schmutzarbeit - die radikale Bekämpfung der Terrornester - abgenommen haben." -

wußte die "Bild-Zeitung", wollte das aber nicht als Kritik an den europäischen, amerikanischen und arabischen Interessen verstanden haben, die derlei "Schmutzarbeit" immer wieder einmal nötig machen, sondern als Aufruf, dem nützlichen Verbündeten auch moralisch die Stange zu halten. Das Intellektuellenblatt der westdeutschen Rechten, die "Frankfurter Allgemeine", ließ ihren Karikaturisten diese Botschaft ins Bild fassen - zwar mit dem Mangel, keinen Bundespolitiker mit ins Bild zu bringen, dafür aber mit dem sehr sachgerechten Einfall, den Präsidenten des "moskauhörigen" Syrien gleich hinter den US-Präsidenten zu malen:

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4.

Was sich in Westdeutschlands Öffentlichkeit an "Kontroverse" um Israels Libanonfeldzug entspann, fand in diesen auserlesenen Sphären der geheuchelten Bedenklichkeiten und ihrer Zurückweisung im Namen der Selbstgerechtigkeit der eigenen imperialistischen Interessen und ihres durch Israel bewerkstelligten Erfolgs statt. Diese letztere Seite feierte ganz umstandslos den israelischen Vormarsch mit: "Bild am Sonntag" kroch mit israelischen Infanteristen in die vordersten Schützengräben am Beiruter Flughafen, ließ sich beschießen und von den jungen Helden sagen, daß man "hier alles verlieren kann, auch das Leben, nur seine Seele nicht!" (hinterher mußten die ,,Bild"-Männer versprechen, den Müttern und Frauen der Fronthelden nichts von der Gefährlichkeit der Lage zu erzählen - nächsten Sonntag waren "wir" nämlich ,bei Israels Frauen zu Gast'); intellektuellere Blätter übersetzten diese Frontagitation in gelehrte Erwägungen über die (selbstverständlich entscheidende!) Rolle des "subjektiven Faktors" im technisierten Krieg von heute! Das Mitleid brauchte dabei nicht zu kurz zu kommen; seine bevorzugten Opfer waren die nicht-palästinensischen Einwohner Westbeiruts. Denn an deren "Leiden" unter dem israelischen Bombenhagel wurde der fürs bundesdeutsche Publikum offenbar sehr plausible Beweis geführt, daß die PLO aus terroristischen Feiglingen bestand, die sich nicht einmal in offener Feldschlacht der israelischen Kampfmaschine stellen wollten, sondern hinter "unschuldigen Geiseln" verschanzt hätten - gerade so, als hätte nicht erst einmal die israelische Armee die bewaffneten Palästinenser vor sich her- und in Lagern und Stadtvierteln zusammengetrieben, in denen auch sie sonst zu wohnen und nicht gegen Israel zu kämpfen pflegten! Wer unterliegt, so heißt die Botschaft, der ist der Verbrecher, denn er vergießt sinnlos Blut; wer siegt, hat auch das Recht auf seiner Seite - vor allem das, seine Gegner moralisch zur Verantwortung zu ziehen!

Etwas ausgewogener verteilten die anderen Fraktionen der öffentlichen Meinung der BRD ihre moralische Aufregung. Zu Meldungen und Überschriften des Kalibers

"Israel verstärkt seinen Druck auf die PLO"

waren dabei allerdings auch die Israel-"Kritiker" leicht in der Lage, wenn die israelische Luftwaffe ihren Bombenabwurf auf West-Beirut intensiviert hatte - ganz als wäre ein Bombenteppich, der die Vernichtung des Feindes samt "Umfeld" bezweckt, eine Spielart von Diplomatie. Das mag eine Wahrheit über die Diplomatie sein, eine Wahrheit über den Krieg ist es nicht. Eine Bombe ist nämlich kein "Wink", sondern ein Vernichtungsmittel und allenfalls als solches eine politische "Botschaft". Die "ausgewogene" demokratische Kriegsberichterstattung machte dagegen aus jeder israelischen Kampfaktion eine Sache mit einem von vornherein außermilitärischen Sinn und Zweck, aus jedem Toten einen Hebel, das Blutvergießen zu beenden. Die selbstbewußte Anwendung des früher verbotenen Grundsatzes: "Krieg ist Mittel der Politik!" wurde zur Verharmlosung des Krieges - und zwar zu einer sehr einseitigen. Es sind nämlich machtvolle Bombardements und nicht vereinzelte Raketen oder Heckenschützen, die der vornehmen diplomatischen Sprachregelung gewürdigt werden, damit würde "Druck" auf die andere Seite ausgeübt: Es ist die überlegene Gewalt, die beanspruchen kann, als Politik genommen zu werden. Es war nichts als die eine sehr folgerichtige Konsequenz aus diesem Gedanken, wenn "Bild" und Gesinnungsgenossen der matten militärischen Gegenwehr der Palästinenser gleich jede politische Qualität absprachen und sie genau wie das israelische Oberkommando unter politischer Kriminalität verbuchten. Die andere, im Prinzip nicht weniger wohlwollende Folgerung zogen "Stern" und andere mit ihrem Bedauern über die zu vielen, die unnötigen, gar die unschuldigen Opfer einer übertriebenen israelischen Härte. Wie drastisch auch immer dieses Bedauern sich bebildern mochte: es richtete sich nie gegen den Zweck der angerichteten Schlächtereien, sondern gegen die Schlächterei als unsauberes Mittel - und blieb deswegen auch hilflos gegen die israelische Staatsräson und ihre Wortführer, die unter tiefstem Bedauern auf ihrem anerkannten Zweck beharrten und zynisch nach Alternativen fragten. Deswegen hat das bißchen westdeutsche Empörung sich auch nie auf seinen Moralismus verlassen, sondern auf einem sehr proisraelischen Umweg Eindruck machen wollen:

"Dem Ansehen Israels hat die Bombardierung West-Beiruts in einem Maße geschadet, daß der militärische Gewinn die politischen Verluste kaum aufwiegen kann. Die PLO aber, obwohl von den arabischen Staaten im Stich gelassen und von Israel zum Abzug gezwungen, muß sich nicht als Verlierer sehen ... politische Chancen ... Abstimmungen in der UN-Vollversammlung ..." (Süddeutsche Zeitung)

Der politische Schaden, den die Presse da dem Sieger andichtet, kann und soll gar nicht näher ausgeführt werden - tatsächlich hat die Weltmacht Nr. l ihre militärische und finanzielle Ausstattung Israels noch nie von der Mehrheitsmeinung in der UNO abhängig gemacht, eher umgekehrt; und von seinen europäischen Freunden wird der expansionistische Zionistenstaat auch kaum verlassen werden, wenn schon deren Meinungsmacher sich so rührend um sein Image sorgen. Genauso wenig ist an der - ja keineswegs begrüßten, sondern eher gefürchteten! - "Aufwertung der PLO" dran; Angeblicher moralischer Sieger zu sein, von der internationalen Diplomatie als mehr oder weniger bedeutungslos gewordene Kraft gewürdigt zu werden und sich entsprechend angeberisch aufzuführen, das ist eine billige Dreingabe zur militärischen Zerschlagung! Und was die ,,atmosphärischen" Verschiebungen betrifft, so konnte die deutsche Presse jedenfalls, die solches argwöhnte oder beschwor, ihre eigenen Sympathien für Arafat & Co ebenso wie ihren Sympathieverlust für Israel in Grenzen halten! Wer - wie die Israelis selbst! - vor einer Aufwertung Arafats warnt, selbst den Papst zu diplomatischer Zurückhaltung mahnt, der weiß erstens, daß die diplomatische Hektik der PLO-Führung keine Erfolge signalisiert, sondern Machtlosigkeit -, und der ist damit vor allem voll und ganz einverstanden. Und wer die Israelis auf die möglicherweise schädlichen Folgen eines Abscheus vor ihrer Politik aufmerksam machen will, der teilt diesen Abscheu auf alle Fälle nicht.

5.

So trafen "Kritiker" wie Befürworter des israelischen Vorgehens sich denn auch, .jenseits aller Differenzen", in der Begutachtung der Chancen, die das Kriegsgeschehen für Israel wie für die Sache des Westens zu bieten hätte. Und da gab es auch unter den bedenklichsten "Pyrrhussieg"- und "Bumerang"-Theoretikern keinen, dem die Feststellung des amerikanischen Ex-Außenministers Kissinger im "Spiegel" nicht eingeleuchtet hätte:

"Israels Erfolg eröffnet breite Perspektiven für eine dynamische US-Politik im Nahen Osten."

Im Gegenteil: Unter den Kommentatoren, die als "kritisch" galten, bürgerte sich geradezu die Technik ein, nach jedem erneuten Fortschritt der israelischen "Säuberung" des Libanon und "Bereinigung" der strategischen Lage, der neue Voraussetzungen für die amerikanische "Vermittlungsdiplomatie" schuf, heuchlerisch die besorgte Frage aufzuwerfen, ob damit nicht die zuvor schon erreichten Erfolge des von den USA inszenierten "Friedensprozesses" wieder gefährdet würden. Auf diese Weise wurden die jeweils vergangenen Kriegserfolge als günstige Voraussetzungen der "diplomatischen Bemühungen" ganz selbstverständlich anerkannt; das jeweils letzte Massaker wurde dafür hergenommen, um das gelungene Zusammenspiel von Krieg und Diplomatie, von israelischen Vernichtungsaktionen und westlicher "Schutzmacht" zu leugnen und den Schein eines Gegensatzes zwischen den "Ordnungs"-Interessen des Imperialismus und den Brutalitäten seines Schützlings zu konstruieren. Diese Technik scheinhafter Kritik blamierte sich nicht einmal daran, daß sie im Laufe der Kriegswochen den USA ungefähr ein halbes Dutzend Mal stets von neuem bescheinigte, jetzt hätten die Israelis aber endgültig das amerikanische "Ansehen" in den arabischen Ländern ramponiert - tatsächlich hat die libanesische Regierung sich mit gesamtarabischer Zustimmung eine amerikanische Besatzungstruppe für Beirut erbeten. Immer mit dem saubersten Gewissen von der Welt, und mit der Gratisleistung für die bundesdeutsche Diplomatie, den für ihre arabischen Interessen erwünschten Schein von Differenz zu Israel zu erzeugen, hat die "kritische" Öffentlichkeit dabei alle praktischen Fortschritte der westlich-israelischen Sache mitvollzogen. In dem Maße, wie die "kritisierten" militärischen Brutalitäten Israels Wirkung zeigten, die PLO ihr Heil im Gesuch um die Erlaubnis zum Abzug suchte, der Habib-Plan durchgeführt wurde, der Libanon ein dem Westen höriges Christenregime verpaßt bekam, die von libanesischen Milizen angerichteten Blutbäder in den Beiruter Palästinenserlagern die israelischen Blutbäder vergessen ließen - jetzt wurde den Israelis auf einmal der aparte Vorwurf gemacht, als Schutztruppe versagt zu haben! -, in demselben Maße wurden der Tonfall hoffnungsvoller, die Befürchtungen anspruchsvoller:

"Wächst aus den Trümmern nun der Friede?" ..Begreift die PLO-Führung nun, daß der Weg nach Jerusalem nicht über neuen Terror in Amerika oder Europa führen kann? Auch nicht über die Entfesselung eines zerstörerischen Revolutionswahnsinns in der Nahost-Region führt?" - "nun", nachdem die aufbauende Kriegsvemunft Israels für eine heue Welt gesorgt hat! "Jetzt, da ... ein ganzes Land aufs Meer verschickt wird, erscheint die Zeit für solche Einsicht reif, ja überreif." Dann, ja dann "wäre das fürchterliche Verbluten, Verbrennen und Verstümmeln von Beirut nicht ganz umsonst gewesen" -

so bekennt "Die Zeit" sich zu der "überreifen" "Einsicht", daß die Palästinenser im besonderen, die Araber im allgemeinen für die westliche Politik kein Problem mehr darstellen und insofern die Toten sich für den Imperialismus gelohnt haben! Angesichts solcher Klarheiten fällt des "Spiegel" letzter Versuch, noch im perfekten Erfolg Israels ein gewaltiges Eigentor auszumachen -

"Den Israelis käme in Wahrheit nichts ungelegener als eine eindeutige Anerkennung ihres Staats durch die PLO. Damit hätte der aufwendige Libanon-Feldzug zu einem Ergebnis geführt, das Israel gerade vermeiden wollte: die Anerkennung der Palästinenserorganisation durch die USA"-,

in den Bereich der noch nicht einmal mehr zweckmäßigen Idiotien: der Albernheiten. Hochzufrieden ist Westdeutschlands Öffentlichkeit mit Israels blutigen Erfolgen - und damit, wie wunderbar moralisch sie ihre Zufriedenheit zuwege gebracht hat!

6.

Selbst den verlogenen Schein von kritischer Distanz zu den Methoden, mit denen Israel seinem ehrenwerten Kriegszweck eher geschadet als genützt hätte, mochte Westdeutschlands Öffentlichkeit sich aber nicht unbefangen herausnehmen, ohne zuerst einmal ausgiebig die nationale Gretchenfrage zu wälzen:

Dürfen Deutsche überhaupt Israel kritisieren?

Eigentlich dürfen sie nämlich nicht, sondern müssen dafür sein, was auch immer Juden treiben:

"Vor allem weiß man, welches Leid und Sterben Hitler im deutschen Namen über die Juden gebracht hat. Das hat eine Mithaftung für Israels Existenz und Sicherheit auf alle Deutschen gelegt, auch diejenigen, die unter dem Nationalsozialismus noch nicht geboren waren, sich aber nicht von der Geschichte ihres Volkes lossagen wollten. Mit gutem Grund sucht man darum hierzulande im Zweifel das Recht immer auf der Seite Israels." (Frankfurter Allgemeine)

Im Klartext: Weil der alte deutsche Staat Juden verfolgt und ermordet hat, deswegen darf keiner aus dem heutigen deutschen Volk den Staat, der sich als Heimat aller Juden definiert, kritisieren, gerade dann nicht, wenn dieser selber verfolgt und mordet. Auch die Jüngeren haben ihr aus Gründen des Lebensalters gar nicht stattgehabtes Einverständnis mit Hitlers Judenmorden zu "büßen" durch die kritiklose Billigung der westdeutsch-amerikanisch-israelischen Interessengemeinschaft.

In dieser Vorschrift schlägt der Nationalismus gleich einen dreifachen Purzelbaum. Jeden eigenen kritischen Gedanken über irgendeine Herrschaft auf der Welt soll der Mensch erstens daraufhin prüfen, ob die eigene Nationalität ihm dazu überhaupt ein Recht gibt. Ja: worin könnte ein solches Recht denn eigentlich liegen? Fast klingt es wie eine Kritik der nationalen Selbstgerechtigkeit, in deren Namen und zu deren Gunsten Patrioten normalerweise andere Länder und deren Bewohner be- und verurteilen, wenn die "Frankfurter Allgemeine" mahnt:

"37 Jahre nach dem Ende jenes düsteren Kapitels deutscher Geschichte immer wieder an die große Schuld erinnert zu werden, läßt eine Nation nach Ausflüchten, nach Erleichterung suchen: Die blutige Kriegführung Israels im Libanon scheint da geeignet. Vergangenes aufzuwiegen."

Daß es nichts Dümmeres und nichts Gemeineres gibt, als im eigenen kritischen Urteil alles Geschehen am Maßstab der Selbstgerechtigkeit der eigenen Nation zu messen; genau das will die "Frankfurter" hier aber nicht gesagt haben. Genau umgekehrt: Kritische Gedanken mag sie sich nur vorstellen als die intellektuelle Fassung eines wohlerworbenen nationalen Rechtsanspruchs gegen einen anderen Staat und sein Volk; und daß ein solcher den Bundesdeutschen Israel gegenüber nicht zustehe: darauf will sie hingewiesen haben. Warum gegen Israel nicht? Hier bewährt sich - zweitens - der Rassismus einer patriotischen Gesinnung einmal umgekehrt: Während sonst die nationalbewußte Einschätzung der Welt und ihres staatsbürgerlichen Inventars die Untertanen für die Taten ihrer Regierung haftbar macht, soll hier einmal die staatliche Obrigkeit aus dem moralischen Sonderstatus ihrer vorgestellten Untertanen, der jüdischen Opfer des "3. Reiches" nämlich, einen moralischen Extrabonus beziehen; so als hätten die Pogrome der Nazis gegen Juden auf dem Felde der moralischen Urteile einen fortdauernden Rechtsanspruch des zionistischen Staates, der ungefragt alle lebenden und toten Juden zu seinen mindestens ideellen Staatsbürgern erklärt, gegen alle Deutschen begründet. Und warum - drittens - ausgerechnet gegen die heutigen Bundesdeutschen, die doch zum alten Nazi-Reich gar nicht mehr gehören und deren neue Obrigkeit mit dem Judenstaat doch schon seit drei Jahrzehnten ein Einvernehmen pflegt, das für deutsche Mark und deutsche Waffen noch stets gerechte israelische Bedürfnisse ausgemacht hat? Die "Kontinuität der Geschichte", kraft derer man sich als reumütiger ehemaliger Faschist bekennen soll, auch wenn man es gar nicht war; die Idiotie also, die eigene Identität aus der fortdauernden kollektiven Untertänigkeit abzuleiten, unter die man als Volksgenosse subsumiert ist und zu der man sich als Patriot zu bekennen hat: das ist hier nur die halbe Antwort. Die Diagnose einer historischen Schuld, die durch kritiklose Unterstützung abzugelten sei, gilt nicht zufällig nur in bezug auf den Staat Israel, ein Mitglied jener demokratischen "Völkerfamilie", als deren Mitglied die BRD ihrerseits erst wieder zu einem imperialistischen Subjekt geworden ist. Zigeuner haben weder einen Staat noch den imperialistischen Auftrag, einen zu machen. Kommunisten haben ihre Verfolgung durch Hitler nicht einem unschuldigen Rassemerkmal, sondern einer Gesinnung zuzuschreiben, die auch der neue Staat gar nicht mag. Die Sowjetunion, deren Volk durch Großdeutschlands Krieg um mehr als 20 Millionen dezimiert worden ist, hat gleich gar keinen Anspruch auf bundesdeutsche Schuldgefühle: hier ist das verbotene Aufrechnen längst zugunsten der eigenen Seite entschieden, denn schließlich haben die Russen das höchste Gut, die deutsche Nation, geteilt - gegen sie gilt eine andere "Kontinuität der Geschichte", die der neue deutsche Frontstaat aus den Traditionen seines Rechtsvorgängers in die NATO herübergerettet hat.

Es ist also nichts als das proisraelische imperialistische Interesse der BRD, das dem offiziellen und von der nationalen Journaille gehegten Nationalismus ausgerechnet in bezug auf den Judenstaat seine neuen und alten Ansprüche in die Form der patriotischen Scham zu kleiden und als Verpflichtung zu empfinden gebietet. Und eben deswegen ist auch klar, daß es nur einer Fortentwicklung dieser Interessen, eines Interesses an einem diplomatisch ausnutzbaren Schein von Gegensatz zwischen der bundesdeutschen und der israelischen Interessenlage bedarf, um den Gewissenswürmern der Nation den folgenden hochmoralischen Übergang nahezulegen:

"Die Geschichte erlegt den Deutschen keine Hörigkeit gegenüber Israel auf... Sie gebietet ihnen nicht Nibelungentreue, sondern Prinzipientreue. Sie verpflichtet sie zumal. Unrecht Unrecht zu nennen, wer immer es begeht." (Die Zeit)

Ein schlechtes Gewissen ist eben allemal die beste Voraussetzung, um durch das offensive Bekenntnis zur vorgestellten Schuld eine ganz besonders unanfechtbare Selbstgerechtigkeit herzustellen. Das fällt dann nicht unter "Empörung im Hause des Mörders" ("Stern"), die sich Israel gegenüber nicht gehört, sondern macht das leicht gewandelte nahostpolitische Interesse gleich wieder zur höchsten moralischen Pflicht, gerade wegen der alten nationalen Ehrenschulden:

,,Indirekt sind auch die Palästinenser Hitlers Opfer, und indirekt sind die Deutschen auch ihnen gegenüber verpflichtet." (Die Zeit)

Auf der siebten Etage des patriotischen Moralismus und seiner methodischen Einrichtung haben die verschiedenen Fraktionen der bundesdeutschen Öffentlichkeit sich so anläßlich der israelischen Palästinenserschlächterei im Libanon ihre heißesten Kontroversen geliefert - mit einem für beide Seiten befriedigenden Ausgang. Für die Partei der "Kritiker" ließen sich am Ende alle ihre Anwürfe gegen Israels Kriegsführung zusammenfassen in der bedauernden Feststellung, nunmehr hätte der Judenstaat seine imperialistische Unschuld verloren und wäre - normal geworden: ein Urteil, das nicht etwa entlarven will, wieviel Brutalität in der zivilisierten Staatenwelt von heute als normal gilt, sondern mit der Zurückweisung der speziellen israelischen bzw. proisraelischen Heuchelei zufrieden ist, die womöglich man selbst am eifrigsten gepflegt hat:

"Das Land der Verheißung, das Land der Kibbuzim, wo, nach der Vision seiner Gründer, Gerechtigkeit, Toleranz und Frieden blühen sollten, dieses Land, das anders sein sollte als alle anderen - dieses Land hat seine Unschuld verloren" - vier Kriege hat diese "Unschuld" immerhin unbeschädigt überstanden! "Es ist nach 34-jähriger Existenz eben doch zu einem Staat wie alle anderen geworden." (Stern) "Fortan muß über Israel berichtet werden wie über den nächstbesten Staat." (ZDF)

Gegen diese Attitüde des enttäuschten Israel-Idealismus blieb dem Begin-Fanclub im westdeutschen Pressewesen nichts mehr weiter einzuwenden übrig. Was am Image Israels da allenfalls noch trübe bleiben mochte, wurde mit dem Hinweis erledigt, daß für Kritik an Israel niemand zuständiger sei als die Juden selbst - und daß deren "SeIbst"-Kritik alles das, was es da an Kritikablem geben mag, mehr als aufwiege:

"Für die moralische Beurteilung dessen, was die israelische Regierung tut, sind die Juden in Israel und aller Welt, die anderer Meinung sind, zahlreich und weise genug und auf jeden Fall kompetenter als die Deutschen. Die sollten sich eher vor Augen halten, daß alles, was je (!) eine Regierung in Israel tun mag, nicht in abwägende Beziehung zu setzen ist mit dem, was einst im Herzen Europas geschah." (Frankfurter Allgemeine)

"Nichts in der Welt kann das Töten von unschuldigen Zivilisten rechtfertigen, sagte der Sohn des israelischen Innenministers Josef Burg.

Solange es solche Stimmen in Israel gibt, brauchen die Juden keine belehrende ausländische Entrüstung." (Bild)

Da kennt "Bild" sich aus: Bei unschuldigen Soldaten und schuldigen Zivilisten geht das Töten in Ordnung; für die Unterscheidung ist die zuständige Obrigkeit zuständig - vorausgesetzt es ist eine verbündete und keine kommunistische. Für Israel hat ein guter Deutscher allemal zu akzep deren, daß die politischen Herren aller Juden selber am besten wissen, wer ihnen im Weg steht und folglich beseitigt gehört!

7.

In der westdeutschen Linken hat Israels Libanonfeldzug einen ziemlich heftigen "Kampf zweier Linien" ausgelöst. Auf der einen Seite haben all jene sich in ihrer moralischen Glaubwürdigkeit gefordert gefühlt, die es sich zum Anliegen gemacht haben, gegen alles Böse und für alles zweifelsfrei Gute einzutreten, und die daher auch anläßlich des Libanonfeldzugs der israelischen Armee - nach einer "angemessenen" Frist, als am Sieg nichts mehr zu deuteln war und die offizielle bundesdeutsche Öffentlichkeit auf eine wohlberechnete diplomatische Distanz zu Israel ging - schließlich zu der Überzeugung gelangt sind,

"daß die demokratische Öffentlichkeit der Bundesrepublik und ganz besonders die Friedensbewegung" — die es mit diesem sehr wirklichen Krieg lässig wochenlang ohne Protest ausgehalten hat: unter dem endgültigen "Weltbrand" tut die es, scheint's, wirklich nicht! - "zu den Vorgängen (!) im Libanon und zu der Katastrophe (!) in Beirut nicht schweigen kann" - warum nicht? - "will sie nicht unglaubwürdig werden"! (aus dem gesamtlinken Aufruf zu einer bundesweiten Demonstration in Frankfurt, in der .Tageszeitung' veröffentlicht, volle acht Wochen nach dem israelischen Überfall!)

Für diesen edlen Zweck, die eigene moralische Selbstdarstellung zu retten, wurde zugunsten der PLO und ihrer Ideale eines nationalen Staatsprogramms der alte, traditionsreiche falsche linke Antiimperialismus wieder 'mal hervorgekramt, der in jeder größeren Gewaltaktion auf dem Globus, in der imperialistische Mächte engagiert sind, sogleich bei den Opfern ein verletztes Recht und damit einen moralischen Sieg, umgekehrt eine Rechtsverletzung und moralische Niederlage bei der überlegenen Gewalt entdeckt und sich dadurch gleichermaßen zu Empörung wie Hoffnung berechtigt fühlt.

"Auch mit dem jetzigen Versuch der Zerschlagung der PLO wird es den Zionisten nicht gelingen, den berechtigten Kampf des palästinensischen Volkes um sein Heimatland und Selbstbestimmung zu zerschlagen ",

befand der zitierte Aufruf zu einer Demonstration, die ironisch erweise genau an dem Tag stattfand, an dem der Abtransport der palästinensischen Kämpfer aus Beirut und ihre Zerstreuung in verschiedene arabische Länder begann. Ausgerechnet die Gegenwehr, die die westlich-demokratische Weltherrschaft mit ihren souveränen nationalen Unterabteilungen den von ihr hergestellten Opfern immer wieder aufnötigt, und zwar jenseits aller Erfolgsaussichten, wird da zu einer glorreichen Volksaktien ausgedeutet, die mit sämtlichen moralischen Rechtstiteln der heutzutage weltweit gültigen Heuchelei auch schon gleich "die Zukunft" auf ihrer Seite hätte. Für die moralischen Pluspunkte stehen ausgerechnet die nationalistischen Ideale der demokratischen Weltherrschaft Pate; "Volk", "Heimatland" und "Selbstbestimmung" sind die idyllisch gemeinten Inbegriffe der modernen Erzlüge, den Leuten im allgemeinen und den Opfern imperialistischer Interessen im besonderen ginge es dann unfehlbar gut - zumindest "im Prinzip"! -, sobald erst einmal sie selbst und ihre Wohnorte einer autochthonen Obrigkeit unterstehen, die sich immerzu auf sie als ihre Basis beruft - ganz so, als wäre eine in irgendeiner Hinsicht eigene Herrschaft keine Herrschaft mehr! Die welthistorische Siegesperspektive, die noch die bittersten Niederlagen einer kämpfenden Organisation in den Anfang eines unerbittlich hereinbrechenden Erfolgs verwandelt, beruht auf der idealistischen Fiktion, die Produktion von Opfern, die sich wehren, wäre ein innerer Widerspruch des Imperialismus, an dem er unausweichlich scheitern müsse - so als könnten die vereinigten westlichen Weltmächte ausgerechnet mit dem exotischen Menschenmaterial nie und nimmer fertigwerden, auf dessen Verfügbarkeit ihre Macht gerade nicht beruht, das daher auch keine anderen Kampfmittel besitzt als die paar Waffen, die eine wieder an ganz anderen Ergebnissen interessierte dritte Macht ihm in die Hände drückt. So begeistert gab sich dieser idealistische Antiimperialismus anläßlich der fälligen "Solidarität mit dem kämpfenden palästinensischen Volk" wieder einmal über seine eingebildete moralische Siegesgewißheit, daß er die Abwehrstrategien der PLO und ihr Arrangement mit den souveränen arabischen Potentaten gleich, in phrasenhafter Erinnerung an frühere Ideale, als eine "Revolution" ausgab, die drauf und dran wäre, die gesamte Region zu erfassen:

"Stillschweigende Duldung erfährt dieser Vernichtungsfeldzug durch verschiedene arabische Regimes, die damit hoffen, verhindern zu können, daß der Funke der palästinensischen Revolution auf ihre Länder überspringt" (Demonstrations-Aufruf) - mehr als das Bild vom ,, überspringenden Funken" ist an der ganzen Lagebeurteilung nicht dran!

Dabei erwiesen sich diese antiimperialistischen Revolutionsliebhaber gleichzeitig als so gute demokratische Untertanen, daß sie ihre eigene Regierung zum Sachwalter des "palästinensischen Revolutionsfunkens" machen wollten und an ihrer Parole

"Anerkennung der PLO durch die Bundesregierung!"

noch nicht einmal das mit unterlaufende Eingeständnis bemerkten, auf wessen "Anerkennung" es ankommt in der wohlgeordneten Staatenwelt von heute!

Widerspruch in den eigenen Reihen erfuhr diese antiimperialistische Idealisierung der PLO vor allem seitens bekennender Juden, die in der antifaschistischen Rhetorik linker Israelkritiker gleich lauter Anlässe fanden, ganz nach dem Muster des offiziellen bundesdeutschen Philosenmitismus die lauteren Motive der Kritiker in Zweifel zu ziehen. Der bloß aus Glaubwürdigkeitsgründen wieder aufgewärmte linke Antiimperialismus geriet da unversehens in den Verdacht, mit der Beschimpfung Israels in Wahrheit gar nicht Israels kriegerische Großtaten zu meinen, sondern zugunsten eines sauberen deutschen Gewissens, zur nationalen Selbstentschuldigung, jeden Unterschied zwischen den Vernichtungsaktionen der Nazis und dem jüngsten Feldzug des Judenstaats leugnen zu wollen. Und die angesprochene Linke griff diesen Verdacht gerne auf. Da gab es keinen, der darauf beharrt hätte, daß schließlich nicht er mit seiner Kritik, sondern die israelische Regierung mit ihrem Krieg die offensive Selbstbehauptung ihrer Macht zu einer Angelegenheit erklärt hat, die ein ganzes Volk für ein Hindernis befindet und Schonung ablehnt. Und auch die Unterstellung wurde nicht zurückgewiesen, sondern für ziemlich interessant befunden, irgendwie wäre die eigene Kritik womöglich doch nichts als der Ausfluß nationaler Selbstgerechtigkeit. Die "projüdische" Fraktion wollte die patriotische Idiotie ja auch gar nicht angegriffen haben, daß Kritik in unserer bundesdeutschen Demokratie als eine Frage des moralischen Rechts dazu, als nationale Gewissensangelegenheit gilt. Im Gegenteil: sie wollte gerade auf eine relativierte nationale Selbstgerechtigkeit als Standpunkt und Inhalt jedes kritischen "deutschen" Urteils über Israels Schlächtereien hinaus; und darin traf sie sich durchaus mit dem Interesse der bundesdeutschen Linken, sich in die Tradition - nein, nicht mehr der deutschen Opposition, sondern der deutschen Nation einzureihen:

"Wenn die deutsche Vergangenheit" - welche? keine Frage! - "in der (!) deutschen (!) Seele (!!) nicht aufgearbeitet wird, dann wird jeder Konflikt, der dort stattfindet, wieder die Vergangenheit (!) verlebendigen" (D. Diner im "Arbeiterkampf').

Das Bekenntnis, als Deutscher zu urteilen und als solcher zu keinem Urteil über politische Brutalitäten, schon gar nicht über die des zionistischen Staates, befugt zu sein, ohne zuerst einmal die Ausrottungspolitik des nationalsozialistischen Deutschland als die eigene Geschichte akzeptiert und sich mit deren abgründiger Verwerflichkeit reuevoll "auseinandergesetzt" zu haben: das wurde gefordert und gebracht als unabdingbares moralisches Gütesiegel für jeden überhaupt hörenswerten Kommentar zum nahöstlichen Kriegsgeschehen. Man einigte sich auf die Anerkennung einer völkischen "Identität" als unabdingbare Voraussetzung für jedes auch nur theoretische Eingreifen in den Weltlauf - weil erst und nur damit eine geschichtlich fundierte Stellung in und zu ihm eingenommen sei! So brachte ausgerechnet die innerlinke Israeldebatte wieder einen Fortschritt in der reaktionären Wende der westdeutschen Linken, die die nationale Geschichte und deren "nationale Frage" nie kritisiert hat, jetzt aber auch nicht mehr verachten will, sondern als weites Feld der Selbstproblematisierung entdeckt und liebgewonnen hat.

Was das "Palästinenserproblem" betrifft, so fand die Linke sich in dem Ideal eines Staates zusammen, der Juden wie Arabern gleichermaßen eine "Heimstatt" bietet und mit Hilfe sämtlicher Ideale der "Völkerverständigung" politische Einigkeit zwischen ihnen herstellt. Man wagt kaum zu fragen, inwiefern es eigentlich den Leuten zwischen Mittelmeer und Jordan gut gehen soll, wenn Arafat Begins Genscher würde. Die "Völkerverständigung" jedenfalls, die so auf ihre Kosten kommen soll, ist ein sehr albernes Ideal. Da sollen die Leute sich erst als "Völker" vorkommen, also nach Kräften ihren erzwungenen Gehorsam, die ihnen auferlegte Not usw. als schätzenswertes kollektives Merkmal bis in ihr Privatleben hinein ernstnehmen, sich für eine andere Sorte Mensch halten als ihre Nachbarn und diese Idiotie in ihrem Alltag und an sämtlichen Feiertagen wahr machen - und auf der Grundlage sollen sie den fremden Volksgenossen doch wieder ohne Vorbehalte begegnen? Kein Wunder, daß diese imaginäre Idylle zum Schützengraben paßt wie das Rote Kreuz und der Militärpfarrer!