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I. Sicherung des Weltfriedens ist ein Weltkriegsprogramm

Der freie Westen hat die Sicherung des F r i e d e n s auf die Tagesordnung seiner Weltpolitik gesetzt und damit wissen lassen: "Wir" haben einen Feind, mit dem es die Konkurrenz der Waffen auszutragen gilt. Den Frieden sichern "wir" durch wachsende Rüstung, mit der "wir" auf die Entscheidung zu unseren Gunsten hinarbeiten.

Der Westen definiert Ziele und Erfolge seiner Weltpolitik in Form von Kriegsresultaten, scheut also den Krieg nicht, weil er den Sieg will.

"Wenn die Oberen vom Frieden reden, weiß das gemeine Volk, daß es Krieg gibt." - wußte Brecht schon vor dem letzten Weltkrieg zu vermelden. Doch diese Wahrheit wird heute so wenig ernst genommen wie damals, deshalb mangelt es auch an Leuten, die jenen Herren das Vertrauen aufkündigen, das sie mit ihrem Ruf nach Frieden von den Regierungsbänken herunter beanspruchen. "Friedenspolitik kann doch nichts Schlechtes sein!" - lautet vielmehr der nationale Konsens von F.J. Strauß über die offiziellen Oppositionsparteien bis zur Friedensbewegung. Wer den regierenden Friedensschützern Vorwürfe zu machen hat, tut es im Namen "echter Friedenspolitik", die von den anderen zu wenig, falsch oder überhaupt nicht betrieben wird. So mancher im Lande hat sich bei diesem Streit die Anklage zugezogen, nicht "friedensfähig" oder auch nicht "friedenswillig" zu sein - Zweifel an Friedenspolitik selbst sind leider nicht laut geworden.

Dabei könnte doch auffallen, daß lügt, wer in aller Allgemeinheit "Frieden" als Zweck und Inhalt seiner Politik angibt. Immerhin geht es Weltpolitikern wie unseren bundesdeutschen Verantwortungsträgern um etwas, um geschäftliche und politische Erfolge der Nation nämlich, wenn sie in aller Unschuld ihre Sorge um den friedlichen Verlauf ihrer politischen Händel beteuern. Qb sie nun verschuldeten Staaten der "Dritten Welt" neue Konditionen für Kredite diktieren, Handelsabkommen in Ost und West abschließen, wenn sie freie Gewerkschaften in Polen fordern und in der Türkei beseitigen lassen, wenn sie den Russen Erdgas abkaufen und Röhren liefern, um sich dann darum zu sorgen, daß ihr schönes Geld in die falschen Hände gerät, dann exekutieren die obersten Friedensschützer der Nation Interessen, von denen sie eines ganz genau wissen: daß sie den auswärtigen Herrschaften, von den Völkerschaften ganz zu schweigen, deren Interessen durchaus streitig machen. Wenn sie "den Frieden" bei ihren weltpolitischen Unternehmungen dauernd sichern müssen, so resultiert dies aus der ihnen wohlbekannten Tatsache, daß ihre Handels- und Verhandlungspartner manchen guten Grund haben, sich gegen die Zumutungen dieses Friedens, gegen seinen Inhalt eben, zur Wehr zu setzen.

Daß der Wille zum Frieden, die ständige Beschwörung dieses obersten Gebotes in außenpolitischen Belangen eine Heuchelei ist, ist dem Volk freilich zu durchschauen gestattet - und zwar beim Feind! Während man den eigenen Oberbefehlshabern den unbedingten Willen zur friedliebenden Ausgestaltung der Staatenkonkurrenz abnehmen muß, hat man den "Soffjets" jeden erdenklichen friedensgefährdenden Materialismus nationaler Interessen zur Last zu legen. Zu honorieren ist das Bekenntnis von Willy Brandt - "ohne Frieden ist alles nichts!" - ebenso, wie man es für wahnsinnig überzeugend halten darf, wenn Kanzler Kohl die "Bewahrung des Weltfriedens" an die erste Stelle seiner Regierungserklärung setzt. Dann braucht man auch um die Lösung des Rätsels, wo bei so viel ausgeprägtem Friedenswillen die ominöse Kriegsgefahr überhaupt herkommt, nicht verlegen sein. Sie kommt vom Feind: "Die Sowjetunion will nicht Frieden, sondern Unterwerfung" - deklamiert Verteidigungsminister Wörner und verspricht, auf den Knien von Stuttgart nach Bonn zu rutschen, wenn ihm die Aufstellung der Pershing II "erspart" bleibt - natürlich nicht von Gott oder vom Schicksal, sondern von den Russen. Da darf der Bürger unterscheiden lernen. Während die NATO weltweite, unteilbare militärische Friedenssicherung betreibt, ist die "ungezügelte Machtpolitik" nicht zu verkennen, die der Osten sich herausnimmt und mit der er sich und die Welt in "militärische Abenteuer" stürzt - deren riskanten Charakter wiederum der Westen garantiert.

Eine Mai-Parade der DDR-Volksarmee "für den Frieden" wird locker als "Machtdemonstration" durchschaut; westliche Truppen-Shows mit Kampffliegern, Rekrutenvereidigungen mit Fackelschein und Sterbegelöbnis sind feierliche "Verpflichtungen auf den Friedensdienst". Wird in Frankfurt/Oder wieder einmal für den Frieden geradelt, geboxt oder wettgeschwommen, ist die Entlarvung dieses schamlosen Mißbrauchs des Sports für politische Propaganda geboten; tummeln sich jedoch in Frankfurt/Main die Turnfritzen der Nation-West oder in Hannover die Gesangsvereine, merkt jedermann mit Karl Carstens sofort, daß es sich hier um eine einzige Friedensbewegung handelt, die in jeder freiheitlich-nationalen Veranstaltung per definitionem am Werk ist.

Zwar ist keinem Bürger die Weisheit fremd, daß in der Politik mit Krieg kalkuliert wird, weil ohne ihn bisweilen die außenpolitischen oder Geschäftsinteressen auf der Strecke bleiben; daß Frieden und Krieg alternative Formen der Staatenkonkurrenz sind, über deren Zweckmäßigkeit von den Regierenden befunden wird, wobei weder der eine noch der andere um seiner selbst willen gepflegt wird, weil es auf den Erfolg der Nation ankommt. Als deutscher Bürger heute aber muß er seine Einsicht gerecht verteilen: Die eigene Regierung ist prinzipiell auf den Frieden scharf, während der Feind seinen Erfolg will und deshalb für die Kriegsgefahr zuständig ist.

Mit dieser Schuldzuweisung ist er dann auch reif für den nächsten Schritt der Friedenserziehung, in dem klargestellt wird, daß es für Kohl und Wörner, also für "uns" Wichtigeres als den Frieden gibt. "Frieden um jeden Preis" kommt nicht in Frage, lautet die Auskunft an Leute, die ihre Sorge um ein nichtkriegerisches Hin und Her zwischen den Staaten höher ansetzen als den nationalen Erfolg, für den die Konkurrenz der Mächte überhaupt veranstaltet wird. Die Verwalter des Friedens zählen solche Leute nicht zu den Friedensfreunden, sondern zur "Fünften Kolonne" Moskaus. Wer nicht begeistert "Frieden in Freiheit" mitschreit, will nicht Frieden, sondern Knechtschaft. Und zwar nicht seine eigene. Als braver Untertan mußte er sich ja nur an eine neue Obrigkeit gewöhnen - und das wird ihm verboten. Denn die Freiheitsliebe, zu der alle guten Deutschen verpflichtet sind und für die sie Freiheiten des bürgerlichen Lebens aufgeben sollen, bezieht sich auf die Freiheit eines Genscher, von "Erpreßbarkeit" und von der Gefahr einer "Finnlandisierung" zu sprechen. Es wird keineswegs verschwiegen, daß es darum geht, westliche Außenpolitiker davor zu bewahren, .daß sie auf die Interessen gewisser Nationen Rücksicht nehmen müssen. Insofern ist auch die Natur des "Friedens", der so großmächtig beschrien wird in den westlichen Hauptstädten, kein Geheimnis: Angesichts der festen Absicht, die konfliktträchtigen Interessen des eigenen Staates durchzusetzen, tauft man das Ideal nationalen Erfolgs auf Kosten anderer, die sich nicht wehren (können sollen und dürfen), eben "Frieden".

Mit diesem Ideal lassen sich die diversen Härten der Weltpolitik freilich in erfreulicher Klarheit sortieren und gewichten. Wenn die Briten in Falkland, Franzosen im Tschad, Israel im gesamten Nahen Osten, die USA in Mittelamerika und sonst überall befreundete Regierungen gegen ihr Volk verteidigen, mit Waffen, echten und sogenannten Militärberatern, mit ökonomischen Erpressungen und militärischen Kampftruppen, dann "nehmen sie ihre Verantwortung wahr": für die "Stabilität" der Region, für "das Recht" und stets auch für "den Frieden". Im Nahen Osten, wo in einigen Kriegen "Chancen einer Friedenslösung" geschaffen worden sind, heißen inzwischen die Kampftruppen aus den NATO-Staaten schlicht "Friedenstruppen im Libanon" ...

Ganz anders liegen die Dinge in Afghanistan. Dort führt nicht etwa die Sowjetunion Krieg - diese banale Feststellung ist für professionelle Freiheitskämpfer im Ministeramt viel zu schwächlich. Ein Vergehen gegen die Freiheit - das ist unser Grundwert - und eine "Gefährdung des Weltfriedens" ist es allemal, was auf das Sündenkonto geschrieben gehört. Sonst würde ja glatt der entscheidende Maßstab für die Verurteilung weltpolitischer Untaten fehlen, die den Friedenswillen des Westens als noch viel zu ohnmächtig erscheinen läßt: daß sich die Russen in Afghanistan genau besehen mit "uns" angelegt haben, daß sie eigentlich "nur" demonstriert haben, daß sie durch die Verfügung über brauchbare Kriegsmittel zur Verletzung des Rechts befähigt sind, das "uns" zusteht und zu schützen obliegt. Wenn ein ehemaliger Praktiker in Freiheitsdingen theoretische Mitteilungen vom Stapel läßt, welche die Identität von Moral westlicher Prägung und Zynismus der Zuständigkeit überall zum Inhalt haben, so erläutert er einem vom "Argument Afghanistan" irgendwie beeindruckten Menschen, warum "Totrüsten" die friedensgemäße "Antwort" auf die Besetzung jenes Urlaubslands mit 18 Millionen armen Analphabeten sein mußte:

"Was den Fall Afghanistans zu einem solch schwerwiegenden Verlust für den Westen machte, war nicht das Schicksal seiner 18 Millionen Einwohner, von denen 90 % Analphabeten sind und deren durchschnittliches Jahreseinkommen von 160 US-Dollar pro Kopf das Land zu einem der ärmsten der Welt macht. Nicht einmal die strategische Lage Afghanistans hätte seinen Verlust so bedeutsam gemacht, wenn die Einbuße dieses Landes lediglich ein Einzelfall gewesen wäre. Aber sie geschah nicht isoliert; sie war Teil eines Musters. Und dieses Muster stellt die eigentliche Herausforderung dar." (Nixon, So verlieren wir den Frieden)

Der Gesichtspunkt des "Musters" entdeckt jene unerträgliche Fähigkeit, die da einem anderen Staat gestattet, Dinge zu tun, deren Verhinderung in "unsere" Kompetenz fällt! Diese Kompetenz heißt "globale und unteilbare Friedenssicherung", die sich für einen Schiedsrichter in Sachen Aufteilung der Welt nur erhalten und "wiederherstellen" läßt, wenn er über unanfechtbare Mittel für die Durchsetzung seiner Entscheidungen verfügt. Und unter der Rolle einer richtenden Instanz tut der freie Westen nichts; eine Behandlung der einschlägigen Konflikte in der Weise, daß sich da Interessen von Nationen oder Blöcken im Wege stehen, daß in diesen Gegensätzen die eine Seite nicht mehr Recht beanspruchen kann als die andere, daß deswegen ein Arrangement oder der Gebrauch von Gewalt ansteht, ist in dem selbsternannten Auftrag der "Friedenssicherung" nicht vorgesehen. Wer sich zum Sachwalter des internationalen Rechts aufschwingt und den Frieden zwischen allen Ländern garantieren will - auch den zwischen sich und seinem Hauptfeind, der ist über die "bescheidene" (und für sich schon kriegsträchtige!) Verteidigung seiner nationalen Interessen längst hinaus. Das Bündnis weltfriedensgarantierender Nationen namens NATO hat nicht nur Interessen, die mit denen einer fremden Macht nicht vereinbar sind; es besteht auf einem Weltfrieden nach seinem Bilde, darauf, die restliche Welt zu beaufsichtigen, das Erlaubte und Verbotene in der Konkurrenz der Staaten festzulegen und durchzusetzen. Wenn die NATO und ihre Führungsmacht eine Gefährdung des Weltfriedens ausmachen, dann vermelden sie schlicht das Bedauern, etwas nicht unter Kontrolle zu haben. Die in diesem Militärpakt vereinten Nationen wollen nicht Partei sein in den weltpolitischen Händeln, sondern über allen Parteien stehen - und dieser imperialistischen Globalzuständigkeit passen sie ihre Waffen seit Jahrzehnten an. Die NATO hat den Weltfrieden zu ihrem exklusiven Schutzobjekt ernannt, wobei der östliche Feind ganz grundsätzlich als Störenfried in einer ansonsten intakten Welt erscheint, als ein Störenfried, der diese Friedensidylle solange unfriedlich macht, als es ihn als Macht gibt. Das ergibt den Blick auf die Mittel, die ihm nicht zustehen. Deshalb wird - nicht nur von Mitgliedern der US-Regierung - bedauert, daß es den wirklichen Frieden noch gar nicht gibt; daß es mit dem Bewahren des jetzigen Friedens nicht getan ist, sondern daß die Welt insgesamt friedlicher gemacht werden müßte. Auch im Bonner Außenamt, wo die "deutsche Verantwortung" für den Frieden zu Hause ist, lautet die Perspektive: man müßte in einer Welt konkurrierender Mächte den Frieden endgültig einmal sichern. Auch dort ist man sich im klaren darüber, daß Friedenspolitik nichts mit einer Angst vor Kriegen zu tun hat, also auch nichts mit einem defensiven Bemühen um den erreichten Stand der eigenen Weltgeltung, sondern ein offensives Programm der Unzufriedenheit mit dem weltpolitischen Status quo darstellt.

Darüber, wie wenig er mit der gegenwärtigen Weltlage zufrieden ist, läßt der freie Westen keinen Zweifel. Den "Frieden" getauften Zustand sichert das Lager der Freiheit ständig durch Einsatz seiner Gewalt. In manchem kleinen und mittleren Krieg verbessert die NATO den Frieden - und erkennt in diesen Aktionen immer nur Zeichen dafür, daß der Weltfrieden einfach ständig durch das andere Lager in Frage gestellt wird. Um damit Schluß zu machen, bedarf die Friedenspolitik des Westens tatsächlich einer Aufrüstung, die manche für "maßlos" halten. Ihr Maß liegt im Erfolg einer friedensstiftenden Veranstaltung namens Weltkrieg!