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VII. Der Wert der Freiheit: Sterben für den Staat, der sie gewährt

Die demokratischen Politiker, die im Namen des Volkes die Mehrung des Reichtums der Nation verwalten, die Waffen aufstocken und dem Volk Sparsamkeit verordnen, lassen keine Zweifel an den Kosten der Freiheit aufkommen, die sich für die Nation lohnen. Die gewählten Volksvertreter b e k r ä f t i g e n tagtäglich die V e r t e i d i g u n g s w ü r d i g k e i t des Westens und rufen seine höchsten Güter und Werte in Erinnerung. Für die Ermächtigung bei der Wahl belohnen sie das Volk mit der Pflicht, diese Ordnung zu verteidigen - koste es, was es wolle. Für Freiheit, Demokratie, soziale Marktwirtschaft, Familie, Glaube, kurz: für ein "menschenwürdiges Leben", das allein das Vaterland garantiert, darf kein Preis zu hoch sein. Dafür müssen die 'Werte', die die Mehrheit allenfalls besitzt - Haus, Familie, Einkommen und Leben - geopfert werden.

"Immer vermögen die materiellen Interessen der Menschen solange am besten zu gedeihen, als sie im Schatten heldischer Tugenden bleiben; sowie sie aber in den ersten Kreis des Daseins zu treten versuchen, zerstören sie sich die Voraussetzung zum eigenen Bestand,"

Diese staatstragende Maxime Hitlers haben sich die demokratischen Führer zu Herzen genommen und legen sie ihrer Gefolgschaft beständig ans Herz. Nein, einen heldischen Tugendkatalog bieten sie nicht einfach auf, wenn sie den untergeordneten Rang materieller Interessen festlegen wollen, sondern einen Katalog von Werten, deren Bestand auf dem Spiel steht und verteidigt werden muß:

"Wir werden nicht zulassen ..., daß man nur die Gefahr der Selbstvernichtung sieht, nicht aber die Gefahr der Selbstunterwerfung. "
"Wer die Verteidigung im nuklearen Zeitalter für ethisch nicht akzeptabel erklärt, verlangt nichts anderes als die Kapitulation der Friedfertigen vor dem Gewalttäter, der Freiheit vor der Unfreiheit, des Rechts vor dem Unrecht." "Die Sowjetunion ist eine Diktatur, die die Freiheit unterdrückt. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind eine Demokratie, die ihren Menschen und ihren Verbündeten Freiheit gewährt." (Wörner, "Frieden und Friedenssicherung", Rede vor der Gesellschaft Wehrkunde)

"Der Satz 'Lieber rot als tot' ist nicht mehr gültig, vielmehr muß es heißen 'Erst rot, dann tot.' " (Strauß)

Drei harte staatsbürgerliche Wahrheiten rufen die Regierenden in Erinnerung, wenn sie den Regierten die Verteidigungswürdigkeit des westlichen Systems versichern.

l. Was soll denn nach Aussagen der Verantwortlichen alles verteidigungswürdig sein, ohne das sich ein Leben keinesfalls lohnt, ja nicht einmal möglich sein soll?

Eines zunächst einmal sicher nicht. Die paar materiellen Errungenschaften, die ein normaler Bürger sein eigen nennt. Vorstellen soll man sich den täglichen Lebensgang mit seinen kleinen und größeren Annehmlichkeiten und Unannehmlichkeiten schon. Aber nicht, um kritisch Bilanz zu ziehen, was man eigentlich vom Leben hat, für das man ja schließlich selber aufkommt. Beim Arbeiten soll man nicht an die Last, beim Kaufen nicht an die Preise und beim Sparen nicht an die Entbehrung denken. Dann kann man das Leben für "lebenswert" halten! Alles was der Mensch für die "Ordnung" leistet, darf er sich als eine Leistung "unserer Ordnung" zurechtlegen! Was die Demokratie ihrer Mehrheit alles beschert oder nicht bescheren "kann", dabei halten sich ihre Verwalter nicht lange auf. Statt dessen treten sie nur noch den einen Gedanken breit, daß sie mit all ihren Staats- und wirtschaftsnützlichen Ge- und Verboten, mit all den rechtlich geregelten ökonomischen Zwängen und ihrer entsprechend harten politischen Verwaltung ein geregeltes Leben in eben dieser "Ordnung" gewährt. Sie berufen sich auf den "demokratischen Grundkonsens", die Abhängigkeit von den politischen Entscheidungen und wirtschaftlichen "Sachnotwendigkeiten" sei genau umgekehrt eine Dienstleistung der demokratischen Herren für ihr Volk. Diese fällt vielleicht nicht immer zu seiner Zufriedenheit aus, liegt dafür aber, zumindest grundsätzlich, immer in seinem Interesse. Deshalb wird auch nie das traute Heim und die gesunde Ernährung verteidigt, sondern die Vorzüge des richtigen Regiertwerdens von den richtigen Leuten. Für die Verteidigung agitieren Politiker, indem sie sich auf den Gehorsam berufen, den sie in der Arbeit und politischen Zustimmung ihrer Untertanen schon genossen haben. Dem Volk, das sie wegen seines Mitmachens und seiner Unterwerfung schätzen, dichten sie die höchsten Ideale als Motiv an; diese Ideale verpflichten es dann auch zur Verteidigungsbereitschaft. Freiheit, Recht, Demokratie und Leben, die "amerikanische Mission" für die "Menschheit", diese höchsten politischen Werte einer volksgewollten Herrschaft sollen es sein, um die man sich zu besorgen hat.

Aber auch dabei geht es nicht um die menschenfreundlichen Inhalte, die ein aufrechter Demokrat sich dabei so gerne vorstellen und seinen Oberen zur geflissentlichen Beachtung anempfehlen mag. Weder an den Folterpraktiken, Militärdiktaturen, Armen- und Leichenhäusern, die mit westlichen Waffen und Krediten unterstützt werden, wollen die westlichen Werteverwalter sich messen lassen, noch an den Arbeitslosen und Armen ihrer Metropolen. Solche Zustände wollen sie sich nicht durch die Kritik madig machen lassen, die Ideale des Westens stünden da auf dem Spiel. Statt dessen plädieren sie mit der Wahrheit, daß dies der freie Westen ist, für den umgekehrten Gedanken: Wenn alle Lebensumstände ein Akt staatlicher Berechtigung sind, dann müssen sich auch alle Ansprüche an den Rechten und Pflichten messen lassen, die die Herrschaft erläßt. Als Realismus fordern sie ihren Untertanen nichts als die Einsicht ab, unter Recht, Freiheit & Co. nichts anderes zu verstehen als die bestehenden Zustände und ihre Aufrechterhaltung durch die eigene Führungsmannschaft.

Die obersten Grundüberzeugungen politischer Sonntagsreden werden also nur ausgebreitet, um immer wieder eines ins Gedächtnis zu rufen: Die Politik ist mit all ihren Anliegen legitimiert. Sie hat ihr Volk als Auftraggeber. Mit allen "Selbstverständlichkeiten" demokratischer Überzeugungen wird so der Untertan darauf festgelegt, daß nur sein Recht auf eine ordentliche Herrschaft durchgesetzt wird, daß die Politiker doch nur die Ansprüche aller anständigen Deutschen erfüllen:

Also hat auch jeder anständige Deutsche in diesem Staat seine demokratische Heimat, und das verpflichtet bekanntlich.

Wer seinem Volk beständig vorerzählt, daß es nicht nur um dieses oder jenes staatliche Interesse, nicht bloß um parteipolitische Absichten oder Vorteilsrechnungen und schon gar nicht um den selbstherrlichen Willen eines größenwahnsinnigen Führers, sondern um alle geheiligten Güter seiner Nation, also um sein eigenes politisches Wollen geht, das seine gewählten Vertreter verwalten, der beharrt auf seinem Recht zur Führung und zur Verantwortung und auf der Pflicht seines Volkes, seine Verwalter dabei zu unterstützen.

2. Was heißt es denn, wenn die Herren, die über Krieg und Frieden entscheiden, öffentlich dauernd die Verteidigungswürdigkeit der Republik beschwören?

Doch wohl, daß nach offizieller Verlautbarung das ganze schöne Gemeinwesen mit all den Vorzügen, die man sich bei den angeführten Werten als seine Segnungen denken darf, in Gefahr ist. Und darüber zu entscheiden, überlassen die Verantwortlichen nicht denjenigen, die da gefährdet sein sollen. Ob und warum die Russen braven Deutschen das gar nicht vorhandene Häuschen, die Arbeit, die Arbeitslosigkeit, die freie Staatspresse, das Leben und seine friedliebenden Führer rauben wollen, das entscheidet die Instanz, von der schließlich das ganze freiheitliche Leben abhängt. Und die hat es offenbar längst für ihre ideellen Auftraggeber entschieden. Wenn die Kommunisten unsere beste aller möglichen Welten nicht widerstandslos bei sich einrichten wollen, dann droht dem deutschen Volk der Bundesrepublik Gefahr; dann ist es also am deutschen Volk, sich nicht um sich, sondern um die Bundesrepublik zu sorgen, die ist schließlich seine gewählte Existenzgrundlage. Wenn alles Leben ein Akt staatlicher Gewährung ist, dann steht mit dem Gewährer auch alles auf dem Spiel, und zwar dann, wenn dessen Interessen nicht mehr zum Zuge kommen - so heißt die harte Forderung, mit der jedermann öffentlich vertraut gemacht wird. Wer seinem Volk beständig vorerzählt, daß seine demokratische Heimat bedroht ist, der klagt sein Recht ein, das Volk für die Interessen der Nation geradestehen zu lassen; der kennt nur noch ein Interesse guter Deutscher: die Pflicht zur Verteidigung.

3. Was heißt es also, wenn für Reagan, Kohl und Vogel die Verteidigungswürdigkeit der Bundesrepublik fraglos feststeht?

Doch wohl, daß ihre Verteidigung eine harte, aber unabweisliche Notwendigkeit des Dienstes am Volk ist. Wenn die Bewahrer und Ausbreiter des "freien Westens" darauf hinweisen, wie schwierig die Sicherung des bedrohten Friedens ist, dann wollen sie, daß sich die Bürger nicht mehr einfach nur gehorsam im Frieden einrichten, so als wäre der eine Selbstverständlichkeit. Dann beschwören sie den friedlichen Wunsch guter Deutscher, mit ihren demokratischen Rechten und Pflichten auszukommen, nur noch, um ihn zurückzuweisen. Sie machen seine Erfüllung nämlich von einer harten Bedingung abhängig: der Sicherung der Ordnung, die ein "menschenwürdiges Leben ermöglicht". Wenn die auf dem Spiel steht, dann darf man sie nicht mehr an dem messen, was sie einem alles gewährt, sondern muß für diese "Existenzgrundlage" all das opfern, was man sich in besseren Tagen als Grund zur Verteidigung ausmalen darf. Die in den Rang von "Friedenssicherern" erhobenen Politiker werden nicht müde, den neuen Inhalt von "Frieden" vorzubuchstabieren: Er ist ein so hohes und gefährdetes Gut, daß nur noch die Frage erlaubt ist, was man sich seine Erhaltung kosten lassen muß. Die Antwort darauf bleiben sie nicht schuldig: Im Ernstfall alles. Die harte Logik, daß Opfer sich lohnen sollen, endet so konsequent bei dem Schluß, daß man nach dem Preis nicht zu fragen hat, wenn die Macher der demokratischen Politik ihre Freiheit in der Welt für noch zu beschränkt ansehen.

Wer laufend die Verteidigungswürdigkeit des demokratischen Vaterlandes versichert, der macht sein Volk mit dem Preis für die Opfer vertraut, die sich für den Staat lohnen; der dringt darauf, daß das alltägliche private Rechnen und Berechnen auf den nie zustandekommenden Vorteil innerhalb der menschenwürdigsten Ordnung auf dieser Erde an der harten nationalen Notwendigkeit der Verteidigung der Heimat sein Ende hat.

4. Es ist also kein Zufall, daß alles, was der ganze demokratische Wertehimmel von Freiheit bis Menschenwürde vorstellig macht, nur auf eines zielt: auf die von oben beanspruchte Einigkeit zwischen Volk und seinem Staat! Denn die Ideale des Gewährens sind von Haus aus die Rechtstitel des Gewährers, sich zu bedienen. Der kennt deshalb auch keine Gewissensprobleme, sondern legt umgekehrt die Bürger auf lauter moralische Kriegsgründe fest, die nach öffentlicher Auskunft höher stehen als der Schutz des Lebens, der Friede ohne Zusatz; und erst recht höher als jede wirkliche oder moralische Berechnung auf das eigene "Überleben". Den Werten folgt deswegen auch die Tugend auf dem Fuße. Die heißt heute nicht mehr "heldisch", "Schwert und Pflug", sondern "Einsatz für den Frieden in Freiheit". Daß es auf dasselbe hinausläuft, wird freilich nicht verschwiegen:

"Ihre (der jüngeren Generation) idealistischen Erwartungen an eine Politik des Ausgleichs mit dem Osten entsprach dem Harmoniebedürfnis einer Generation, die es nicht gelernt hatte, auch in schwierigen Zeiten oder gar unter der Drohung eines Krieges die nationale Unabhängigkeit und unsere menschenwürdige Lebensordnung zu behaupten ... unbewältigte Furcht Realitätsverweigerung und Realitätsverlust." (Wörner)

Wer an "30 Jahren NATO-Frieden" auszusetzen hat, daß die Bürger sich in ihm als Selbstverständlichkeit eingerichtet und den Einsatz für ihn verlernt haben, der kennt nur noch eine Tugend: die V e r t e i d i g u n g s b e r e i t s c h a f t. Wer die Angst vor dem Krieg mit den höchsten Werten der Nation "bewältigen" will, der will e i n   k r i e g s b e r e i t e s   V o l k. Der hat mit ihm mehr vor, als es friedlich auszubeuten und wählen zu lassen. Er läßt es auch antreten - "im Namen des deutschen Volkes" f ü r   d i e   V e r t e i d i g u n g   d e r   n a t i o n a l e n   I n t e r e s s e n, die Freiheit, Demokratie, Recht und Marktwirtschaft heißen.