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VIII. "Innerer Frieden": Mobilmachung der Nation

"Ohne inneren Frieden gibt es auch keinen äußeren!" lautet der Grundsatz der Innenpolitik der 80er Jahre. Für dessen Durchsetzung verlassen sich die Politiker nicht einfach auf die Einsicht ihrer Bürger. Demokratische K o n t r o l l e heißt das Gebot der Stunde. Die Auffassungen des Volkes werden abgefragt und zurechtgewiesen; aufkommende Bedenken gegen die Kriegsvorbereitung werden nicht widerlegt, sondern aus der Meinungsvielfalt ausgegrenzt und notfalls verboten. Sorgen um den "s o z i a l e n   F r i e d e n" sind die einzigen, die sich jeder Bürger machen darf und soll. Ohne eine heimische Mannschaft, die geschlossen hinter ihren Politikern steht, fehlt der Nation die Handlungsfreiheit, die sie heute mehr denn je gegen den äußeren Feind braucht. - So schreitet die d e m o k r a t i s c h e   M o b i l m a c h u n g für den dritten Weltkrieg voran.

l. Seit ihrem NATO-Doppel-Beschluß haben die regierenden Politiker der BRD den Frieden als die oberste Aufgabe und den Krieg als die Hauptgefahr ins Gespräch gebracht, der sie sich vor allem anderen anzunehmen hätten. Seitdem gibt es besorgte Bürger, denen die mit allem aufgerüstete "Friedensfähigkeit" der Republik Angst macht und die gegen eine Politik, an deren Friedenswerken sie zweifeln, ihre Friedenssehnsucht demonstrieren. Die Sehnsucht ist erlaubt und erwünscht, hat allerdings einen Haken. Mit der "guten Absicht" und der Bergpredigt allein läßt sich der Frieden, den die Politiker meinen, nicht sichern. Das wäre "weltfremder Idealismus". Und wo vom Standpunkt dieses "guten Willens" Vorwürfe gegen die Politiker erhoben werden, sie ließen es an der nötigen Sorge fehlen, da wird das Engagement von unten als "selbstgerechter Moralismus" zurückgewiesen. Eine Minderheit nehme sich heraus, mit ihren Zweifeln der Nation das Gewissen vorschreiben zu wollen; das steht nur Politikern zu. Denn die haben keine Zweifel.

Den Schrei eines ganzen Kirchentags "Wir haben Angst!" hat Ex-Kanzler Schmidt erledigt mit der Antwort: "Ich auch!" So war klargestellt, in wessen Hände die gemeinsame Sorge der Nation gehört. Ein privates Leiden an der Welt ist dem Bürger zugestanden. Die politische Verantwortung verlangt mehr als eine edle Gesinnung. Die Moral der Macher heißt: "Sich durchsetzen!" Deshalb hat ihre " Verantwortungsethik" recht; in der Staatsgewalt hat sie ihr Betätigungsfeld; und damit sind dem Gewissen der Bürger seine wirklichen Maßstäbe gesetzt: "Das eilfertige Zurückziehen auf das Gewissen gefährdet die Kulturleistung des staatlichen Gewaltmonopols" (SPD-Geschäftsführer Glotz). Der korrekte Friedenswille des Volkes hat sich also zunächst einmal zu beweisen im Bekenntnis zur Alleinzuständigkeit der Politiker sowie zur Gewalt als Mittel der Politik.

"Pazifistischer Ungeist hat Auschwitz erst möglich gemacht", lautete die entsprechende Klarstellung des christlichen Scharfmachers Heiner Geißler. Unbekümmert um historische Wahrheit und Glaubwürdigkeit leugnen Geißler und Wörner den Gegensatz zwischen pazifistischer Friedenssehnsucht und den imperialistischen Berechnungen eines Chamberlain, um nur die eine Botschaft loszuwerden: Ein pragmatischer Umgang mit dem östlichen "Totalitarismus" ist ein Zeichen von Schwäche und kommt für ihre Regierung nicht in Frage.

Die Friedensbewegung, auf die alles ankommt, ist also die Bundeswehr; und wer daran Zweifel anmeldet, muß sich zweierlei sagen lassen: "Die Bundeswehr schützt auch das Recht, gegen sie zu protestieren!" wird ausgerechnet bei Militäraufmärschen verkündet, die von Feldjägern gegen jeden Protest geschützt werden. Und wen dieses Argument immer noch nicht überzeugt, der erweist sich damit als Feind von Frieden und Freiheit. Verführt oder nicht, er gehört zur "5. Kolonne Moskaus". Mit der Frage "Wem nützt die Friedensbewegung?" wird der Schluß von der unliebsamen Kritik auf die verabscheuungswürdige Absicht gezogen: "Lieber rot als tot!" Die Friedensbewegung mag in ihren nationalbewußten Alternativvorschlägen zur Friedenssicherung so konstruktiv sein, wie sie will; sie mag noch so pünktlich jeden verlangten Protest "auch gegen die SS 20" abliefern; sie mag noch so sehr mit den Kritikern im östlichen Lager die "Unfreiheit" dort anprangern, es nützt ihr nichts. Solange sie am Grundsatz zweifelt: NATO-Aufrüstung sichert den Frieden! - je mehr, desto besser - wird sie nach dem Motto "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns!" der nationalen Unzuverlässigkeit bezichtigt, als Versammlung von Vaterlandsverrätern verdächtigt und nach Bedarf zum nützlichen Idioten des äußeren Feindes bzw. zum inneren Feind erklärt.

2. Folgerichtig wird die Friedensbewegung staatlicherseits mit der Gewaltfrage konfrontiert. Nicht weil sie die Aufrüstungsmaßnahmen der Regierung verhindern oder auch nur entscheidend behindern würde, sondern weil sogar schon jede moralische Bedenklichkeit im Volk gegen den bedingungslosen Aufrüstungswillen derer. die die Nation führen, als Nötigung der . Staatsgewalt gilt und deshalb Gewalt ist. "Gegen eine legal zustandegekommene Entscheidung zur Nachrüstung gibt es kein Widerstandsrecht!" Was immer die Politiker ihrem Volk an Kriegsvorbereitungen verordnen, ist rechtens und darf keiner Gewalt verdächtigt werden; wer dies nicht umstandslos einseht ist Gewalttäter und erklärter Staatsfeind, der den Einsatz aller staatlicher Gewaltmittel rechtmäßig verdient hat.

"Wie haltet Ihr Friedensfreunde es mit dem inneren Frieden?" - mit dieser von oben gestellten Frage wird nicht erkundet, ob die Kritiker des bundesdeutschen NATO-Kurses rechtsstaatlich genug denken, um die Verpflichtung auf ihr Stillhalten - "innerer Friede" - mit der Verpflichtung anderer Staaten auf Botmäßigkeit - "äußerer Frieden" - zu verwechseln. Ausgerechnet im Namen der Angst vor dem Krieg wird der Anspruch erhoben, den eigenen Staat bei seiner Kriegsvorbereitung in nichts zu stören. Und je beflissener die Friedensbewegung diesem Anspruch nachkommt, desto radikaler wird er eingefordert und die Friedensbewegung verurteilt: "Gewaltloser Widerstand ist Gewalt." "Ziviler Ungehorsam ist kriminell."

Ob irgendwelche Aktionen der Friedensbewegung gewalttätig oder wirklich gewaltlos sind, liegt also nicht mehr daran, wie die Demonstranten sich aufführen, sondern im Ermessen der staatlichen Kontrollorgane und ihrer Polizei. Den Beweis fuhrt die Staatsgewalt dadurch, daß sie zuschlägt. Die Anlässe schaffen im Zweifelsfall die anwesenden V-Männer. Und für die zweckmäßige Vollstreckung des staatlichen Vorurteils hat ein aktiver Innenminister das Demonstrationsstrafrecht so fortentwickelt, daß die Teilnahme an einem Protest zu einem ziemlich kalkulierbaren Risiko wird: Gesundheit, Unbescholtenheit, Finanzen und Beruf stehen auf dem Spiel, wenn man nicht stichhaltige Beweise und unbestechliche Zeugen für Friedensaktivitäten gegen die Demonstranten beschaffen kann. Mit der heuchlerischen Devise: "Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten!" wird jedermann abverlangt, sich unvermummt dem Verfassungsschutz als Staatsfeind zu präsentieren. Und der von Zimmermann beschworene rechtsstaatliche Totalanspruch: "Wer sich nichts zuschulden kommen läßt, braucht auch nichts zu fürchten." stellt klar, daß schon jede Demonstration mit einem Generalverdacht auf Unrechtlichkeit belegt ist. Die Meinungsfreiheit, die die Bundeswehr schützt, ist eben ohne aktives Eintreten für sie und ihre Auftraggeber nicht zu haben.

3. Für die "schweigende Mehrheit", deren die Politiker sich auch ohne Polizeieinsatz sicher fühlen, werden die herkömmlichen Maßstäbe demokratischen Wohlverhaltens ebenfalls weiterentwickelt.

Als Wähler darf der Volkssouverän mit seiner Stimme den Herren seiner Wahl eine uneingeschränkte Ermächtigung zur Macht ausstellen. Vor der Wahl wird ihm die Zustimmung zu der Freiheit der Politiker abverlangt, nur den Ansprüchen zu genügen, die sie sich stellen. Wieder eine Herrschaft zu haben, die sich nach dem Wahltag unbehelligt von noch so verantwortungsvollen Einwänden den "Sachnotwendigkeiten" der Politik, die dem Volk nur Opfer abverlangen, widmen kann - mehr wird nicht versprochen und nach der Wahl eingelöst:

Raketen jetzt und so viel wie beschlossen in Deutschland, kein Geld für soziale Hängemattenbesitzer und alles für die Investitionsfreude der Unternehmen. Was immer die gewählten Politiker beschließen, das gilt als Auftrag der Betroffenen - Demokratie total!

Als politischer Mensch bekommt er die Einfalt der Meinungsvielfalt vorbuchstabiert. SPD und oppositionelle Öffentlichkeit vertreten die Auffassung, die Aufrüstung des Westens solle und müsse die Russen zu Zugeständnissen zwingen, die man nicht leichtfertig verspielen dürfe. Das fordert die CDU heraus: Wer den Westen auch nur um eine Rakete bringen will, ist Kommunistenfreund und "fünfte Kolonne Moskaus". Mit dieser "Polemik" kündigt die CDU den "inneren Frieden" auf, kontert die SPD: Auch ihr ist in Vorkriegszeiten nichts wichtiger als eine geschlossene Volksgemeinschaft. - Zwischen diesen Alternativen darf sich das Wählerpotential frei entscheiden.

Als Untertan bekommt es der Bürger mit Politikern zu tun, die nur noch Führer ihrer Nation sein wollen. Die härtesten Maßnahmen, die sie ihrem Volk verabreichen, können sie nicht ohne optimistisches Grinsen mitteilen. Die Zuversicht, die sie aus ihrem Amt beziehen, wollen sie auch noch auf ihr Volk ausstrahlen. Das hat noch selten so viele Komplimente und Ermunterungen zum Optimismus zu hören bekommen, wie von der christlichen Regierung, die ihm ein Opfer nach dem anderen verordnet. Jede Zumutung ein Beweis, wie gut die Betroffenen es mit ihren Führern getroffen haben. Die Regierenden danken es ihrem Volk mit der täglich wiederholten Klarstellung, welche »Schwierigkeiten" ihnen die uneingeschränkte Ausübung der Macht bereitet.

Doch auch als Bürger, die alles mit sich machen lassen, können Bewohner der BRD sich der ständigen Unzufriedenheit und des dauernden Verdachts von Seiten ihrer Herren gewiß sein. Denn Politiker sind sich sicher, daß es da Ausnahmen geben muß. Gibt es nicht doch noch zu viel Gruppenegoismus in der Gesellschaft? Gibt es nicht noch unkontrollierte Winkel, die durch eine Volksbefragung ausgeforscht gehören? Tut man nicht gut daran, mit einem neuen Computer-Ausweis den vorhandenen Erkenntnisstand festzuhalten und den mündigen Bürger mit einem fahndungsgerechten Etikett zu versehen?

Als Arbeiter darf jeder Deutsche seine billige Benutzung für das Wohlergehen des kapitalistischen Geschäfts, dem er sich nicht entziehen kann, als einen .einzigen Luxus betrachten. Er hat noch einen Arbeitsplatz, für dessen Rettung die Wirtschaft einsteht, indem sie immer mehr Ausbeutungsmaterial für unprofitabel und überflüssig erklärt. Vom Lohn, von dem der Arbeiter leben muß, darf deshalb nur in einem Sinne die Rede sein: ob er nicht zu hoch ist. Der Dank, überhaupt noch arbeiten zu dürfen, erweist sich immer mehr als vollwertiger Ersatz für eine gescheite Bezahlung. Dagegen legt auch die deutsche Gewerkschaft keinen Widerspruch ein. Der Arbeitsdienst bekommt sein Vorbild wieder im Kriegsdienst, und deshalb finden Rekrutenvereidigungen in Fabrikhallen statt - dafür steht sogar die Arbeit mehr als 5 Minuten still.

Als Arbeitsloser bekommt der Deutsche mit, daß er als nutzloser Teil des Volkskörpers keinen Anspruch auf staatliche Durchfütterung hat. Aus dem Volksganzen ist er damit noch lange nicht entlassen. Daß ihm nichts mehr - selbst nicht eine zukünftige neuerliche Benutzung - versprochen wird, darf ihm kein Grund sein, im Bekenntnis zur Nation abseits zu stehen. Den "sozialen Frieden" mit seinen Belangen zu "stören", ist ihm verboten: Den Verdacht, als Arbeitsloser kein guter Deutscher mehr zu sein, hat er bei seinen Gegnern, die seine Existenz für überflüssig erklären, pflichtschuldigst zu zerstreuen. Nationale Aufgaben, an denen man sich bewähren kann, wie einen Gott und Natur geschaffen haben, weiß der Staat dennoch für jeden.

Als gebärfähige Frau und Mutter hat man mit der Aufzucht des nationalen Nachwuchses Ehre einzulegen, und diese hohe Aufgabe verträgt keine materielle Bestechung durch Mutterschaftsgeld. Als Ausländer wird man zwar nicht mehr gebraucht; dennoch kann man Deutschen gute Dienste tun beim Beweis ihrer nationalen Gesinnung: "Ausländer raus!" Als Schwarzarbeiter, der sich etwas (dazu) verdient, und als Asylant, der sich als "Wirtschaftsflüchtling" mit den Segnungen der Sozialhilfe durchschlagen will, darf man sich das schlechte Gewissen eines Schmarotzers zulegen. Die anderen kommen in den Genuß, unter Anleitung der Regierung guten Gewissens auf Schmarotzer schimpfen zu dürfen.

Als Deutscher und Mitglied des freien Westens hat man einen Stolz und Freunde "in aller Welt. Die darf man furchtbar mögen. Besonders die Freundschaft mit unseren amerikanischen Brüdern ist Herzensanliegen aller Deutschen - und Mißverständnisse über den Inhalt der Freundschaftsfeier kommen nicht auf. Sie gilt nicht gemeinsamen Werten, sondern den Mitteln ihrer praktischen Durchsetzung. Die Verbrüderung findet bei Waffenschauen, bei Tagen der offenen Tür in Ami-Kasernen und bei NATO-Manövern statt.

Deutsche Politik zielt seit geraumer Zeit auf eine Dienstbereitschaft, wie sie nur Soldaten im Krieg abverlangt wird. Wer so konsequent alle noch so bescheidenen Anspruche für nichtig und jedes verlangte Opfer zum Gütesiegel verantwortlicher Politik erklärt, der betreibt bewußte Vorkriegspolitik. Wer so zielstrebig für innere Sicherheit sorgt, der will ein einig Volk hinter sich, um es in den Kampf um die äußere Sicherheit zu führen.