Karl Held
Die neue Weltkriegs-Ordnung
Wie eine Inter-Nationale der Völker Recht erkämpft
Die Uno ist sehr aktiv. Erstens tagt dieser Verein, in dem nur Staaten Mitglied
werden können, ständig. Er berät die Händel, welche einzelne seiner Mitglieder
untereinander anzetteln, sobald deren Interessengegensätze in das Stadium kommen, wo es
prekär wird. Manchmal auf Antrag der Konflikt-Parteien, bisweilen aber auch, weil sich
Außenstehende für betroffen und zuständig genug halten, um einen Streitfall auf die
Tagesordnung zu setzen, für den sie dann eine ihnen genehme Lösung vorschlagen. Im
Idealfall erklärt die gesamte Staatengemeinschaft das Betragen eines Mitglieds für
völkerrechtswidrig, unerträglich und schuldhaft. Der Abstimmung folgt eine Resolution
auf dem Fuße, der die ins Unrecht gesetzte Regierung entnimmt, was die Herren anderer
Länder mißbilligen und nicht dulden mögen. Damit steht die Nation, die das Völkerrecht
verletzt hat, vor der Entscheidung, ob sie sich an die Resolution hält oder nicht - und
ihre Richter müssen sich bei Nichtbefolgung ihres Schiedsspruchs überlegen, ob und wie
sie ihn durchsetzen wollen. Dann wird es ernst, weil das Völkerrecht wie jedes Recht auch
nur so weit reicht wie die Gewalt, die es vollstreckt und gültig macht.
Zweitens ist dieser Verein immer öfter unterwegs, um mäßigend auf stattfindende
Auseinandersetzungen einzuwirken. Seine Abgesandten vor Ort tragen blaue Helme; was sie
dürfen, ist minutiös geregelt - manchmal haben sie die Lizenz zum Schießen, manchmal
sollen sie sich nur an Grenzen und Fronten aufstellen und ansonsten die Verteilung von
Lebensmitteln eskortieren. Parallel zu ihrem Einsatz bemühen sich Diplomaten, welche die
Uno auch noch aus dem Personal ordinärer Mitgliedsstaaten rekrutiert, um Zurückhaltung
bei den politischen Chefs der streitenden Parteien. Ihnen gelingt dabei nicht nur die
eindrucksvolle Widerlegung des geflügelten Wortes, nach dem sich Reden und Schießen
ausschließen. Aus ihrer Sicht wird noch aus jedem Gemetzel in der Uno-betreuten
Staatenwelt, mag es sich auch über Jahre hinziehen, ein »Friedensprozeß« - und die
Kriegshandlungen der Uno-Soldaten selbst sind »friedenserhaltende« oder
»friedensschaffende Maßnahmen«.
Drittens bewegt die Uno mit ihren »Missionen« die politisch denkenden Amtsträger und
Menschen in den Nationen, die sich - wohl wegen der erwähnten semantischen Kunstgriffe -
für zivilisiert halten. Ziemlich erregt werden da aus nationaler Sicht die Taten der Uno
und ihre weiteren Vorhaben diskutiert, wobei die Beurteilung der Leistungen des
Völkerbundes stets ein wenig darunter leidet, daß die diversen Nationalisten immerzu
ihre Interessen im Kopf haben. Immer wieder fallen ihnen vorteilhafte Alternativen zum
Vorgehen des Clubs ein, dem sie selbst angehören und aus dem sie nie austreten möchten.
Die Einwände betreffen die Definition des »Problems«, dessen sich die
»Völkergemeinschaft« annimmt, genauso wie die »Lösungen«, auf die sie hinarbeitet -
durch ihre diplomatischen Schritte und durch ihre Präsenz vor Ort. Und die sich
widersprechenden Linien pflegen allemal noch mit der Frage nach den Beiträgen vermischt
zu werden, die die aufs Regeln und Eingreifen so erpichten Nationen der Gemeinschaft der
Weltordner schuldig sind.
Dennoch ist es in den Ländern, die sich wie Deutschland so viel darauf zugute halten,
eine politische Kultur zu haben, zu einem nicht gekommen: Zu einer Ablehnung der Uno und
ihrer großen Mission, in der Staatenwelt nach dem Rechten zu sehen, bringt es die
kritische Gemeinde nicht. Im Gegenteil - an der Kritik, die im Verlauf der makabren
Aktionen in Jugoslawien und Somalia laut wurde, läßt sich studieren, in welcher Blüte
der Fanatismus des Weltordnens steht. Auf der einen Seite wird der Doppelstrategie von
Diplomatie und Blauhelmaufmarsch schlicht zur Last gelegt, sie sei ineffizient. Das Ideal
des rücksichtslosen Aufräumens mit Regierungen, die einen unbotmäßigen Gebrauch von
ihrer Staatsgewalt machen, läßt grüßen. Andererseits will man sich ausgerechnet beim
Weltordnen den zutiefst humanen Charakter des Eingreifens, den schönen Schein eines
Dienstes an den »Menschen« nicht nehmen lassen. So werden, wenn Maschinengewehrsalven
der Uno ein paar Dutzend dieser Menschen vernichten, Zweifel laut, ob solche Einlagen von
den Somalis als vertrauensbildende Maßnahme begriffen werden können. Denn ihren Zuspruch
will die im Einsatz befindliche Streitmacht der Uno ja erwerben, wenn sie das Land in
Ordnung bringt und den Menschen so etwas wie ein funktionierendes Gewaltmonopol
importiert. Was überhaupt nicht in Zweifel steht, ist hingegen die Güte des Ideals - als
ob die Herstellung einer staatlichen Ordnung justament am Horn von Afrika ohne ein
gerüttelt Maß an Terror zu haben sei. Die ach so geschichtsbewußten Exporteure des
Weltfriedens haben offenbar ganz vergessen, wie blutig die Ordnung in ihren eigenen
Ländern zustandegekommen ist - und aufrechterhalten wird, sobald jemand gegen sie
aufbegehrt.
Zur Sache...
...tragen die weltweit verantwortungsbewußten, also eingriffsbeflissenen
Demokraten aber noch mehr bei. Bei ihren von Bedauern getragenen
»Pleiten-und-Pannen«-Befunden ist ihnen auch eine Ursache geläufig dafür, daß nicht
alles nach Wunsch geht: Sie beklagen die Uneinigkeit in der Gemeinschaft der Staaten,
welche als »Vereinte Nationen« friedensstiftend zugange sind. Und dabei meinen sie nicht
die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Staaten und Völkern, die blaubehelmten Besuch
kriegen, und denen, die den Besuch angeordnet haben. Dieser Unterschied zwischen
Betreuungsfällen und Aufsichtsmächten gilt schließlich als selbstverständliche
Geschäftsgrundlage der Völkergemeinschaft. Die Differenzen, auf die das Versagen der Uno
immer mal wieder zurückgeführt wird, spielen sich zwischen Europa und den USA ab; sie
betreffen die »Lösungen«, die Deutschlands Außenpolitiker für passend halten, obwohl
sie den Amerikanern nicht genehm sind. Sie beziehen sich auf das Vorgehen, das ein
US-Befehlshaber wählt und dem ein italienischer General nichts abgewinnt. Diese
Differenzen haben im Betreuungsfall Jugoslawien dazu geführt, daß binnen Wochen Nationen
gegen ihre eigenen Pläne für die Aufteilung von Land und Leuten gestimmt haben, daß
Alternativen ins diplomatische Spiel gebracht wurden, von denen die beflissene Journaille
gleich wußte, daß sie »nicht ernstgemeint« waren. Und dem Chef der US-Diplomatie ist
nach Monaten eifriger Konsultationen zwischen den Metropolen des Weltfriedens ein ganz
böses Argument gegen den Partner BRD eingefallen. Quasi als Antwort auf die Frage, wer
denn der Gemeinschaft den nicht so recht beherrschbaren Krieg auf dem Balkan eingebrockt
habe, hat die Weltmacht Nr. 1 die Schuld in der forschen Anerkennungspolitik der Deutschen
ermittelt. Solch häßliche Töne waren zuvor nur aus einer ganz anderen Ecke zu vernehmen
- die paar unverbesserlichen Kritiker des imperialistischen Aufbruchs Deutschlands hatten
dessen Eifer bei der Umgestaltung der südöstlichen Landkarte bemerkt.
Daß die Bemühung, »Frieden zu schaffen«, gescheitert ist, zeigen diese Höhepunkte
diplomatischer Verstimmung allerdings ebensowenig wie die Ablehnung der vielen
»Friedenspläne« durch diejenigen, für die sie gedacht sind. Die zweijährige
Geschichte der Jugoslawien-Diplomatie ist vielmehr ein eindeutiges Indiz dafür, daß es
darum gar nicht geht. Da ist nicht das von sämtlichen Großmächten aus tiefem Herzen
geteilte Projekt »Schluß mit dem Schießen« daran zuschanden geworden, daß sich diese
Tröster aller Witwen und Waisen, diese notorischen Liebhaber muslimischer
Glaubensgemeinden nicht recht darüber einig waren, was denn die überzeugendste Art der
Übermittlung ihrer Friedensbotschaft sei. Vielmehr haben sich gewisse Nationen am
Untergang einer alten Nation und an der Entstehung neuer Staaten interessiert gezeigt. Und
das ist gleich in mehrfacher Hinsicht das schiere Gegenteil von der lieblichen Vorstellung
vom »Frieden«.
1. Wenn die BRD, eingedenk ihrer Rolle als ökonomisch potenteste Nation in Europa, als
Führungsmacht der EG zur Anerkennung zweier Teilrepubliken Jugoslawiens, in denen sich
separatistische Neigungen breit machen, schreitet, dann erklärt sie von außen nichts
Geringeres als das Gewaltmonopol des alten Jugoslawien für hinfällig. Sie ernennt zwei
neue Souveräne in der Berechnung darauf, daß diese Staaten künftig als ebenso harmlose
wie brauchbare Partner für das europäische Wesen zur Verfügung stehen - und gesteht
ihnen mit diesem diplomatischen Akt das Recht zu, über Land und Leute, über Reichtum und
Gewaltmittel des alten Jugoslawien zu gebieten. Dies ist - noch vor den ekelhaften
ethnischen Zutaten der rassistisch betriebenen Sortierung der vormals jugoslawischen
Völkerschar - die Eröffnung einer Tagesordnung, die aus lauter Gewaltfragen besteht. Der
»Frieden«, der da nach deutsch-europäischer Maßgabe hätte herauskommen sollen, wäre
nur zu haben gewesen, wenn sich die übrigen Erben Titos damit abgefunden hätten, daß
die materielle Grundlage eines Staates, den sie regieren, einfach dezimiert wird und mit
einem Schlag von minderer Qualität ist. Bloß - nach welcher Staatsraison ist solche
»Verzichtspolitik« eigentlich üblich? Das friedliebende Deutschland ist schließlich
auch nicht für Maßnahmen zur Verkleinerung seines »Standorts« bekannt.
2. Daß Deutschland als ehrenwertes Mitglied sämtlicher supranationalen Machtbastionen
seinen Entschluß, Jugoslawien aufzumischen, quasi zur Angelegenheit der
Völkergemeinschaft befördert hat, ist für die Nationalisten Jugoslawiens, die mit einem
Male Serben waren, kein Grund gewesen, sich zu fügen. Sie setzen reichlich Gewalt ein,
wie es sich für eine - natürlich in Konkurrenz zur Nachbarschaft abgewickelte -
Staatsgründung gehört; die übrigen Erben Jugoslawiens tun es ihnen gleich, und die Uno
bewacht keinen »Friedensprozeß«, sondern betreut einen Krieg. Dessen Grausamkeiten -
die im übrigen nicht »unmenschlich« genannt zu werden verdienen, weil dergleichen nur
Menschen mit ganz viel Rechtsbewußtsein und nationaler Ehre im Kopf fertigbringen -
dienen der deutschen Politik zur Begründung ihrer Zuständigkeit. Das Argument »vor
unserer Haustür« bekräftigt das deutsche Recht, darüber (mit) zu entscheiden, wie die
Landkarte des Balkans auszusehen hat. So nimmt der politische Wille der BRD, sich in der
Beaufsichtigung des Auslands neue Befugnisse zu verschaffen, die hübsche Gestalt eines
Mandats an, dem sich in Bonn niemand entziehen kann. Auf das neudeutsche Schimpfwort
»selbsternannt« verfällt schon deswegen bei diesem urdeutschen Auftrag niemand, weil
eine ansehnliche Zahl mündiger deutscher BürgerInnen den ausgiebigen Reportagen über
die Kriegsgreuel einen Sinn ablauscht. Ihre private Betroffenheit münzen sie in die
Forderung an den deutschen Staat um, er solle mit aller Gewalt tätig werden. So blind
macht eine gestandene Moral für die Politik der eigenen Nation, der der Kanzler schon bei
der Wiedervereinigung und ganz ohne Vergewaltigungsberichte ein »größeres Gewicht« zu
verleihen versprach.
3. Denn mit dem ach so harmlosen Akt, den Slowenen und Kroaten - deren Repäsentanten zu
den feinsten Exemplaren des Menschenschlages der Politiker gehören - ihr
»Selbstbestimmungsrecht« zu erteilen, haben die Deutschen eben dies getan: das
»größere Gewicht« der Nation angemeldet. Wer sich anmaßt, die Grenzen anderer
Nationen zu korrigieren; wer unter dem schönen Titel »Selbstbestimmungsrecht« die
Rechte und Pflichten seiner Nachbarn definiert - und zwar in der grundsätzlichen und
höchsten Frage des Gebrauchs der Staatsmacht: der der Verfügung über Land und Leute -,
ist über die langjährig beklagte Statur des »politischen Zwergs« hinaus. Ein
Deutschland, das den Serben vorschreibt, was sie unter dem »Selbstbestimmungsrecht«
anderer zu achten haben, weil in Bonn seit neuestem Lizenzen für Staatsgründungen und
-auflösungen ausgefertigt werden, spielt - ganz selbsternannt - eine neue Rolle. Es gibt
sich nicht mehr mit dem »Frieden« der alten Weltordnung zufrieden, in dem es zu einer
führenden ökonomischen Macht geworden ist; in dem es unter dem Schutz des
Nato-Bündnisses, zu dem es als potenter Partner gehört, seinen Reichtum auf Kosten der
übrigen Geschöpfe des Weltmarkts flott vermehrte. Dieses Deutschland verläßt - das
EG-Projekt zeugt ebenso davon - den Status einer »Wirtschaftsmacht«, die andere Nationen
mit der Gewährung und dem Entzug von Vorteilen, des Marktzugangs, des Kredits auf sich
orientiert und zur Kooperation zwingt. Von dieser Politik, die mit dem Namen Genscher und
der Illusion verbunden war, sie sei das menschenfreundlichste an Außenpolitik, was je auf
der Erde gesehen ward, verabschiedete der gelbe Pullover die BRD noch höchstpersönlich.
Das neue Deutschland hält es für dringend geboten, aus seinen Interessen, die bisher
unter dem Schutz der Allianz gediehen, dauerhafte Rechte zu machen - Rechte, deren
Inanspruchnahme es durch eigene, europäisch erweiterte Aufsichtsmacht sichert, so daß
der Bedarf an nützlichen Diensten des Auslands durch politische Überwachung bleibend zum
Zuge kommt.
Dieser Übergang ist keiner von einem harmlosen Staat - der sich brav auf die
Meistbegünstigungsklausel verläßt, Handel treibt, den Wohlstand mehrt und allen
Völkern der Welt gönnt, was sie brauchen - zu einer neuerdings imperialistischen
Bösartigkeit. Imperialistisch waren die Leistungen der BRD schon immer, und auf das Konto
dieses Exportweltmeisters und Nato-Partners gingen schon Leichen genug. Vielmehr sind die
Verwalter der deutschen Erfolge mit der politisch-militärischen Betreuung der Staatenwelt
nicht mehr einverstanden, weil die nicht in ihren Händen liegt; sie entdecken mit dem -
wg. »Sowjetunion tot« - Wegfall der antikommunistischen Solidarität einen
Handlungsbedarf der höheren Art, der sich schlicht aus dem Anliegen ergibt, sich gegen
die Konkurrenten, die die freien und westlichen Partner nun einmal sind, zu behaupten. Und
mit der Etablierung einer Aufsicht über andere Nationen, die deren Botmäßigkeit
dauerhaft erbringt, fangen sie in Europa an. Insofern ist die gewaltsame Aufteilung
Jugoslawiens für sie nur ein Exempel - für ihre Version von der »neuen Weltordnung«.
Die Interessen der Parteien vor Ort geraten deshalb zum Material für die
Auseinandersetzungen um Zuständigkeiten, die sich ausschließlich zwischen der ersten
Garnitur der Staaten abspielen, welche die Vereinten Nationen bevölkern.
Macht und Ohnmacht der Uno
Wenn in Bosnien eingeschlossene Menschen, deren Leben von Hunger und Geschossen
ausgelöscht wird, von der Weltrechtsorganisation enttäuscht sind, so ist das noch
verständlich - für sie wäre ja der Einsatz überlegener Gewalt gegen ihre Feinde
tatsächlich eine Überlebenshilfe, zumindest die Chance auf ein Weiterleben. Wenn es
Einwohnern von Somalia so vorkommt - ob Aidid-Anhänger oder nicht -, als hätten sie es
mit einer Besatzungsmacht statt mit Helfern zu tun, so ist das auch nicht verwunderlich.
Die von der Betreuung der Weltordnung betroffenen »Schutzobjekte« merken eben auf ihre
Weise, daß es um sie nicht geht.
Ärgerlich jedoch ist es, wenn in den Metropolen mündige Bürger und Meinungsbildner
Enttäuschung fingieren und, wie der »Spiegel«, mit gewisser Häme registrieren, wie
»beschränkt« das gute Werk des Befriedens und Helfens ausfällt. Denn diejenigen, die
da dem supra-nationalen Gewalt- und Verpflegungspool sein »Versagen« zur Last legen,
wissen es besser. Als gestandene Nationalisten und (Be-)Kenner ihres Standorts sind sie
schließlich selbst das ganze Jahr über keine Supra-Nationalisten, sondern eifrige
Verfechter des nationalen Erfolgs, der sich aufKosten des Auslands einzustellen hat.
Insofern ist ihr argwöhnisches Konstatieren der Ohnmacht, von der die Uno befallen wird,
sooft sie zu ihren Großtaten aufbricht, die reine Heuchelei. Als wären sie Befürworter
einer rückhaltlosen Unterstützung einer gemeinsamen Weltordnung, mit der die eigene
Nation Geld und Gewalt selbstlos der Uno überstellt und ihre Souveränität »dem
Frieden« opfert, berichten sie von der mangelnden Bereitschaft anderer, bestenfalls:
aller Beteiligten, den Uno-Missionen zu einem alle zufriedenstellenden Ende zu verhelfen.
Dabei sehen sie vom Ausgangspunkt ab, der für alle Aktionen charakteristisch ist und der
allemal in nationalen Interessen liegt, mit denen sich eine Nation beim Kollektiv
berechnend um Billigung und Unterstützung bemüht. (Umgekehrt kann der Vorstand der Uno
keine Affäre zur Sache seiner Organisation machen, ohne daß die maßgeblichen Mitglieder
des Vereins ein entsprechendes Interesse bekunden.) Und in der Fortsetzung sämtlicher
Uno-Missionen mit ihren Abstimmungen und Beschlüssen, mit den Halbheiten, die die
Idealisten eines weltweiten Gewaltmonopols betränen, mit der bedingten Einsatz- und
Zahlungsbereitschaft der potenten Vorstandsmitglieder, mit den Übergängen zum totalen
Bombenkrieg wie zum zögerlichen Hängenlassen der weltweit vorgeführten Opfer, kommt
immer dasselbe heraus: Die Uno ist nichts anderes als das Forum der Konkurrenz zwischen
imperialistischen Nationen, das gerade deswegen, weil es mit nichts anderem befaßt ist
als mit Aufsichtsfragen in der Staatenwelt von heute, immer öfter gebraucht - und das ist
das Gegenteil von mißbraucht - wird.
Diese Hochkonjunktur verdankt das Institut dem enormen politischen Handlungsbedarf, der
mit dem Ende der Konfrontation zwischen Ost und West eingerissen ist. In der »alten
Weltordnung« gab es zwar auch auf allen Stufen der Hierarchie in der Staatenwelt den
Willen, an dieser Hierarchie und den mit ihr verbundenen Nachteilen gewisse Korrekturen
anzubringen, den Willen, durch den Einsatz von Gewalt die Leistungen des Standorts, über
den große Demokraten und kleine Potentaten regieren, zu verbessern. Er war und wurde
jedoch stets der großen Frage »Freiheit oder Sozialismus« untergeordnet, also bedingt
genehmigt, angeheizt oder gebremst - die »Supermächte« mit ihren Bündnissen taten da
einiges, was in den meisten Fällen dann in die Kalkulation der nationalen Staatenlenker
einging und zur festen Größe in der Einschätzung dessen wurde, was sie sich
herausnehmen konnten. Alle großen und kleinen Auseinandersetzungen unter ihnen bekamen
ihre Bedeutung wie ihre Grenzen, ihr Recht und ihr Maß zugeteilt - je nachdem, welchen
Rolle sie für das weltweite Kräftemessen zwischen Ost und West spielten. Diese
Weltordnung bewirkte insgesamt zwar eine Beschränkung der Souveränität; manche
Regierung hat da unter der Einengung ihrer außenpolitischen Handlungsfreiheit gelitten.
Aber umgekehrt hat unter dem Regime der Ost-West-Feindschaft auch eine ansehnliche Zahl
von Souveränen der minderen Sorte eine Betreuung und Ausstattung erhalten, zu der sie mit
ihren nationalen Mitteln der Konkurrenz nie in der Lage gewesen wären. Und die zweite
Garnitur der westlichen Staaten, allen voran die BRD, ist in den Genuß gekommen, im
Bündnis einen verläßlichen Schutz ihrer ökonomischen Interessen zu besitzen, was
weidlich ausgenützt wurde.
Die große Wende hat da alles durcheinandergebracht. Mit dem Wegfall der »Bedrohung«
tritt für die Nutznießer des »Schutzschirms« die Qualität der Unterordnung unter die
»Pax americana« hervor - für die USA die Notwendigkeit, diese Unterordnung nicht
aufweichen zu lassen. Daß die Gewalt entscheidet, wo Recht wider Recht steht, weiß man
im Pentagon genauso gut wie in den Hauptstädten Europas. Weswegen alle angestrebten
Veränderungen des Kräfteverhältnisses den Charakter eines Tests annehmen - eines Tests
darauf, was sich die Partner, mit denen man in den überkommenen Bündnissen und
Organisationen nach wie vor den Schein einer westlichen Gemeinschaft praktiziert, an
Zuständigkeiten gefallen und abringen lassen. Insbesondere in bezug auf den Teil der
Staatenwelt, der mit dem Ende seiner Instrumentalisierung für den Ost-West-Gegensatz
seinerseits nach Grundlagen und Sicherheiten für die eigene Macht sucht oder - verfällt.
Das ist das Szenario, das der Uno ihre aktuelle Bedeutung verleiht - eine Bedeutung, die
mit der Errungenschaft eines supranationalen Gewaltmonopols, das in der »neuen
Weltordnung« dem Guten, Wahren und Frieden zum Durchbruch verhilft, nicht das Geringste
zu schaffen hat.
Denn die Anmeldung nationalen Handlungsbedarfs, der sich durchweg auf dem Gebiet der
Zuständigkeit, der politisch-militärischen Kontrolle abspielt - in der Uno rechtet man
nicht über Zölle und andere Gebühren -, bei den Vereinten Nationen ist die Form, in der
die Korrekturen des Kräfteverhältnisses als für die Konkurrenten hinnehmbar verhandelt
werden. Der Ordnungsanspruch einer Partei präsentiert sich als Notwendigkeit, die auch im
Interesse der anderen maßgeblichen Mächte läge. Der Preis für dieses Vorgehen besteht
darin, daß die anderen dann auch mitentscheiden, wie und wie weit die Interessen der
Antragsteller zum Recht werden. Der Lohn, auf den spekuliert wird, besteht dann darin,
daß die verfochtene Sache, das Mandat für nationale Aufsichtsmächte und Taten, die
Wucht einer von allen wesentlichen Konkurrenten unterstützten Mission erhält. So kommt
die Uno durch ihre dauernde Instrumentalisierung in den Genuß, plötzlich wie eine über
den Nationen und ihrer Konkurrenz stehende Macht auftreten zu können - ein Schein, dem
Charaktermasken wie Boutros-Ghali nach Kräften zu entsprechen suchen.
Der Erfolg dieser Großveranstaltung allerdings ist nur auf einem Felde sicher - auf dem
der Moral. Seit dem Krieg der USA gegen den Irak weiß die Menschheit wieder, was ein
gerechter Krieg ist. Und alles, was demokratisch vergeigte Gemüter zu ächten und zu
verabscheuen gewohnt sind - »Einmischung«, Verletzung des »Selbstbestimmungsrechts«,
»Völkerrechtsbruch« durch Gewalt etc. - geht in Ordnung, sobald es im Namen des
Völkerrechts, von der Uno unterschrieben, als Kooperation der Machthaber auf dem
Weltmarkt über die Bühne geht. Zweifel an der unwidersprechlichen Güte, die der Welle
der Gewalt in dieser neuen Phase des Kampfes um die Aufteilung der Welt zugeschrieben
wird, dürften aber auch wieder aufkommen. Denn in der Logik der famosen Uno-Missionen
liegt es, daß die Kooperation mit Beschränkungen für die konkurrierenden Brüder
verbunden ist, was die Durchsetzung ihres Friedens anlangt. Und die Beendigung dieser
Ohnmacht führt dann eben auch im Verlauf von Uno-Aktionen zur Relativierung des schönen
Scheins der Gemeinsamkeit. Dann hält sich der Wille, die eigene Kompetenz und das eigene
Recht zum Weltordnen geltend zu machen, nur noch an die Grenzen, welche die eigene
Fähigkeit setzt. Der Gebrauch der Machtmittel, die die Nationen so großherzig dem
Gemeinschaftswerk zur Verfügung stellen, findet dann entweder ohne kollektiven Beschluß
statt - oder nach einer Beratung, die leichte Züge der Unterordnung trägt und zu neuem
Streit führt.
Dieses Muster der Eskalation des Völkerrechts, das zum Zwecke der »Hilfe« auf Reisen
geht, stand in der Sache »Irak gegen USA« am Anfang. Wenn es nun in Jugoslawien und
Somalia zum Zuge kommt, hebt sicher wieder ein großes Klagen an. Und ein falsches dazu.
Weil wieder einmal der Zweck des Vorgangs an Leistungen gemessen wird - die »Menschen«,
»Frauen und Kinder« -, die ihm nicht eigen sind.
PS. Zur Vermeidung von Mißverständnissen, die im Umkreis dieser Zeitschrift vorkommen,
sei darauf hingewiesen, daß es kein Zynismus ist, den herrschenden und praktizierten
Zynismus zu zitieren. Der Weltfrieden ist nicht das Anliegen des Autors. Er sieht ja, wie
er geht.
Karl Held schrieb in KONKRET 4/93 über die
»geheimen Protokolle« Gorbatschows
Der Autor ist Redakteur der politischen Vierteljahreszeitschrift Gegenstandpunkt.