Aus:
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Ausgabe 10/95, S. 16
Wolfgang Möhl
»Lösungen sind da«
Greenpeace, das organisierte Umweltgewissen, unterwegs im
Dienst der nationalen Standortpolitik
Die »Umweltorganisation Greenpeace« führt die beiden unwidersprechlichsten Ehrentitel
politischer Verantwortung im Firmenschild. Durch ihre Aktionen will sie darauf aufmerksam
machen, daß leider nicht konsequent im Sinne dieser beiden Titel gewirtschaftet und
politisch gehandelt wird, und auf Abhilfe dringen. Tätig wird sie als Anwalt einer
Aufgabe, von deren allgemeiner Anerkennung sie ausgeht: der Aufgabe der Politik, sich um
den Erhalt der Umwelt und des Friedens zu kümmern. Sie versteht sich als öffentliches
Umweltgewissen einer politischen Welt, die eigentlich längst weiß, worauf es ankommt, in
der bloß Programm und praktische Politik immer noch auseinanderklaffen: Saubere
Gewässer, Artenschutz, atomwaffenfreie Welt und reine Luft - das sind in ihren Augen die
obersten und ehrenwertesten Ziele demokratischen Regierens. Daran werden die Taten der
Verantwortlichen gemessen - und für zu wenig befunden. Das will Greenpeace ändern, indem
es den Saumseligen auf die umweltpolitischen Sprünge hilft, auch wenn die sich gar nicht
helfen lassen wollen. Ein ebenso anerkanntes wie falsches Anliegen.
Sünden aufdecken, Probleme benennen, Lösungen anbieten
Überall und dauernd konstatiert Greenpeace Verstöße. Vom Robbenschlachten bis zu
militärischen Atomversuchen, vom Walfang bis zur Entsorgung giftiger Chemikalien -
immerzu sieht der kritische Verein das eine oberste Gebot verletzt: Du sollst die Umwelt
schützen! Warum die ökologischen Grundprobleme bei den Mächtigen und bei den
wirtschaftlichen Verantwortungsträgern so wenig Beachtung finden, wenn sie doch allgemein
anerkannt sind; warum die Umwelt immerzu nicht gesünder wird, die Atomwaffen nicht
veschwinden und die Belastungen durch die Chemie nicht geringer, sondern höchstens
raffinierter werden, wenn doch alle Welt auf das Gegenteil aus ist - das ist für die
Umweltwarte keine Frage. Ihr Spür- und Anklagewesen enthält eine verblüffend einfache
Antwort: Es liegt am leider ziemlich verbreiteten Mangel an Verantwortung - wegen
egoistischer, kurzfristiger Interessen, wegen falscher Rechnungen, wegen Unwissenheit oder
Unwillen oder einfach auch wegen Gleichgültigkeit lassen es Konzerne wie Politiker am
rechten umweltbewußten Verhalten fehlen. Daß z.B. die Meere rücksichtslos leergefischt
werden, das ist auf die »Gier der Industrie-Länder nach Fisch-Futter« zurückzuführen.
So schlicht und tautologisch ist das. Von Notwendigkeit keine Spur. Kein Gedanke daran, es
könnte an den geltenden Interessen einer auf Geldvermehrung ausgerichteten Wirtschaft
liegen.
Von den Sachzwängen einer Konkurrenz um Kostpreis und Profit, die regelmäßige
Rücksichtslosigkeit gegen Naturbedingungen sowie gegen Gesundheits- und
Konsumtionsbedürfnisse einschließen, wollen die Umweltfahnder nichts wissen. Ebensowenig
davon, daß und wie der Staat sich mit seiner Gewalt zum Garanten dieser Sachzwänge
nationaler Reichtumsproduktion macht und sich auch nur, wo diese tangiert sind, um die
ruinösen Folgen des freigesetzten kapitalistischen Wirtschaftens kümmert. Daß sich die
einschlägigen Ge- und Verbote dem Interesse am Erhalt benutzbarer Geschäftsbedingungen
und eines brauchbaren Staatsinventars verdanken und entsprechend zurückhaltend ausfallen;
daß also die »Umwelt« und ihr Schutz gar nicht oberstes Prinzip politischer
Verantwortung sind -: das alles liegt außerhalb des Gesichtskreises der Greenpeace-Leute.
Sie haben es überhaupt nicht mit Erklärungen; sie denken vorwärts und kümmern sich
nicht um die Gründe jenes Verhaltens, das sie korrigiert sehen möchten. So ähnlich wie
Polizei und Justiz im Namen der geltenden Gebote tätig werden, Vergehen aufspüren,
Verbrechen ahnden und das berufsblinde Weltbild vertreten, die Gesellschaft bestehe eben
leider aus lauter Gesetzesbrechern, tritt Greenpeace als eine Aufsichtsbehörde über
einen ideellen Kanon umweltpolitischer Pflichten in Aktion, ge-gen den laufend verstoßen
wird. Als Aufdeckungs- und Anklageinstanz in Sachen saubere Umwelt macht die Organisation
unentwegt einschlägige Sünder dingfest, prangert besonders krasse Fälle an und verlangt
energisches Einschreiten. Denn, da sind sich die Umweltwächter sicher, ohne den heilsamen
Zwang der öffentlichen Gewalt, ohne staatliche Aufsicht und Vorschrift geht es nicht, mit
ihr aber allemal. Also ist die Politik zum Handeln aufgerufen, um die ausgemachten
Verstöße zu ahnden, abzustellen und der ökologischen Vernunft Geltung zu verschaffen.
Adressat dieses Umweltvereins sind nicht Bürger. Daß die Leidtragenden - die an der
»wachstums«stiftenden Verwendung der Natur die Zerstörung ihrer Lebensmittel bemerken -
begründeten Einspruch erheben und sich dafür stark machen, den Zuständigen das Handwerk
zu legen, daran denken die Umweltfahnder sowieso nicht. Schon eher daran, die Bürger zu
»umweltgerechtem Verhalten« zu erziehen, keine Papierchen wegzuwerfen, weniger Energie
zu verschwenden und was der Zumutungen mehr sind, mit denen der Konsument ausbügeln soll,
was er weder verursacht hat noch mit seinem Einsatz wieder richten kann. Aber auch das
wollen sie nicht der privaten Selbstverantwortung anheimstellen. Nein, sie halten es mit
der Macht der Wirtschaftsbosse und vor allem mit der politischen Gewalt der Regierenden.
An deren Zuständigkeit wollen sie nicht rütteln; die wollen sie im Gegenteil aufrütteln
und dazu bewegen, machtvoll die Umweltsünder - konsumverwöhnte Bürger
selbstverständlich eingeschlossen - in die notwendigen Schranken zu weisen.
Vertrauensvoll wird damit eine Politik, die sich überall als Anwalt nationaler
Reichtumsvermehrung und weltpolitischer Durchsetzung geltend macht, der ideelle
Gesamtkapitalist also, der seinen Kapitalisten einen kostengünstigen Gebrauch von Land
und Leuten eröffnet und die Folgen wirtschaftsverträglich betreut, in die Rolle einer
obersten Behörde für umweltverträgliches Produzieren und Konsumieren eingesetzt.
Sich weisen die selber wie eine Behörde organisierten Greenpeaceler dabei die Rolle zu,
die Verantwortlichen immerzu darauf aufmerksam zu machen, wann staatliches Eingreifen
unbedingt geboten wäre und wie sie dabei sinnvoll vorzugehen hätten. Nach der Devise
»Es gibt viel zu tun, packen wirs an!« bieten sie an, den Verantwortlichen mit Rat und
Tat zur Hand zu gehen. Sie wollen eben nicht »bloß kritisieren«; sie wollen konstruktiv
und von Fall zu Fall zur Umweltpolitik beitragen, auch wenn deren Macher ganz anderes im
Sinn haben. Denn - davon sind sie felsenfest überzeugt - was eigentlich nicht sein
dürfte, das müßte, richtig besehen, auch gar nicht sein; wenn nur ordentlich gehandelt,
langfristig gedacht und richtig gerechnet würde. Sie halten es eben nicht mit der
Notwendigkeit, sondern gehen grundlos und felsenfest von der Vermeidbarkeit all dessen
aus, was ihnen an »Umweltvergehen« aufstößt. Deshalb schlagen sie sich nicht damit
herum, nach welchen Kriterien wirklich gehandelt und gerechnet wird, sondern geben
Ratschläge, wie nach ihrer Meinung die geltenden Rechnungsarten, denen sich die
inkriminierten Umweltvergehen verdanken, verbessert werden könnten. Sie unternehmen das
Kunststück, umweltpolitische Rücksichten mit den Wachstumsbedürfnissen der Wirtschaft
und den nationalen Reichtumsansprüchen der Nation zu versöhnen, also Wege und
Möglichkeiten eines gelungenen, d.h. gesamtgesellschaftlich lohnenden
»Umweltmanagements« zu entwerfen und anzubieten.
Für die Rolle einer kundigen Beratungsinstanz hält sich der Verein seine »Experten«,
die »gleichzeitig eloquent genug sein müssen, um mit Politik und Industrie zu
verhandeln, fachwissenschaftliche Hintergründe und Lösungsmöglichkeiten - sogenannte
"solutions" - aufbereiten und die Problematik einer breiten Öffentlichkeit
verständlich machen können.« Dieser alternative Sachverständigenrat weist auf die
Kosten umweltschädigenden Vorgehens hin, schlägt machbare, d.h. nach geschäftlichen
Bilanz- und staatlichen Haushaltsgesichtspunkten finanzierbare Alternativen vor, kümmert
sich um sauberere und zugleich geschäftsfördernde Chemieverfahren, um Ersatzgeschäfte
für Walfänger, um umweltverträglichere Kühlschränke etc. Sogar über Kriegsplanungen
zerbrechen sich die Gegner von Atomversuchen den Kopf und unterscheiden zwischen
wohlbegründeten Sicherheitsbedürfnissen und unverantwortlichem Atomstreben, das
letztlich seinen Urhebern nur schaden kann. Sie bestreiten also kein einziges geltendes
Interesse, sondern versuchen mit Statistiken, volks- und betriebswirtschaftlichen
Modellrechnungen und technologischen Entwürfen ein ums andere Mal zu beweisen, daß alle
diese Interessen mit den Erfordernissen des Umweltschutzes übereinstimmen, ja - recht
besehen - viel besser zum Zuge kämen, also »machbar« sind.
Am liebsten würden sie all die »globalen Probleme« durch »Sachverstand und
Überzeugungskunst« im Verein mit ihren Verursachern lösen und ihnen mit »Konzepten,
die Wege aus dem Dilemma zeigen«, zur Hand gehen, wenn die sie nur ließen: »Unser
Ansatz ist die Präsentation von Lösungen und, wenn der Dialog nicht klappt, die
Auseinandersetzung. Die Lösungen sind schon da. Nun müssen wir Druck machen, damit sie
in die Tat umgesetzt werden.« In diesem Sinne sollen die 90er Jahre, so die
Greenpeace-Perspektive, nicht die Jahre der Konfrontation, sondern »der Lösungen« sein.
Dabei feiern sie manchen kleinen oder größeren Triumph, wenn sich Multis von
"umweltfreundlicheren" Verfahren und Produkten Profit versprechen - Energie-
oder Materialkostenersparnis gehört schließlich genauso zur Ökonomie des Kapitals wie
neue gewinnbringend verkäufliche Waren - oder wenn der Staat seine Vorschriften und
Auflagen ändert: »Erfolg nach 15 Jahren Kampagnenarbeit. Müll-Export-Verbot weltweit.«
Das schreiben sie gerne ihrem unermüdlichen Wirken zu.
Die umweltpolitischen Berater dringen auf Gehör
Daß die Zuständigen dem ideellen Auftrag, ihre ganze Politik unter Leitlinien wie
saubere Luft, verschonte Wale, nichtgiftiges Wasser usw. zu stellen, ziemlich wenig
abgewinnen können, bemerken die Umweltwarte natürlich auch. Das Mißverhältnis zwischen
ihren guten Absichten und den gültigen Interessen stürzt sie aber keineswegs in Zweifel,
ob sie womöglich an der falschen Adresse gelandet sind, wenn die Verantwortlichen mit
ihrer gültigen Lesart wirtschafts- und umweltpolitischer Vernunft von ihren Angeboten so
wenig wissen wollen. Im Gegenteil! Daß sie nicht auf entsprechende Gegenliebe stoßen,
interpretieren sie dahingehend, daß die Politiker leider allzuoft die guten Werke
unterlassen, die sie ihnen andichten: Erstens leisten die sich mit ihrem Bedürfnis nach
internationaler Machtentfaltung selber gravierende Umweltsünden - der Auf- und Ausbau
einer Atommacht, insbesondere ihre Erprobung, fällt nämlich für Umweltfanatiker genauso
wie die Dezimierung einer gefährdeten Tierart unter die Verstöße gegen die ökologische
Vernunft; zweitens vernachlässigt die Politik mit ihren matten Auflagen und großzügigen
Erlaubnissen für ein national einträgliches Wirtschaften die ihr von Greenpeace
zugedachte Aufsichtspflicht.
Also muß sie - nach Greenpeace-Logik - laufend neu und mit Nachdruck darauf gestoßen
werden. Je weniger die Verantwortlichen auf die wohlmeinenden Ratschläge der Agentur
umweltpolitischen Sachverstandes hören wollen, umso mehr verlegt die sich darauf, sich
immer wieder lautstark in der Öffentlichkeit zu Gehör zu bringen. Die Öffentlichkeit
halten sie für die richtige Institution, um die Politik an die Verantwortung zu erinnern,
der sie sich angeblich immerzu entzieht. Sie teilen nämlich den verbreiteten guten
Glauben, die demokratischen Herren über das nationale Geschick würden sich von den
Sorgen und Bedenken einer kritischen Öffentlichkeit nachhaltig beeindrucken lassen, und
verwechseln das konjunkturgemäße öffentliche Hin- und Herwälzen aller möglichen
nationalen Erfolgsgesichtspunkte und politischen Anstandsfragen mit einer Kontrolle der
regierenden Figuren. Als Teil dieser Öffentlichkeit, die sich selber als Wächter über
die Politik im Namen des Volkes und der gemeinsamen Werte versteht, melden sie sich daher
unentwegt zu Wort. Ständig prangern sie die einschlägigen Taten und Untaten von
Industrie und Politik als Skandale an, also als Vergehen gegen die von der Öffentlichkeit
geteilten Maßstäbe ordentlichen Regierens. Solche »Skandale« werden »ans Licht der
Öffentlichkeit« gezerrt, als ob es ein Geheimnis wäre, was in Atomkraftwerken,
Chemiebetrieben und anderswo getrieben wird.
Dabei ist nicht zu übersehen, daß die lautstark zum Ausdruck gebrachte Empörung darauf
abzielt, einen Platz im Beraterstab derjenigen zu reklamieren, über die man sich
angeblich überhaupt nicht beruhigen kann. Alle Provokationen gehen nicht mit
Feindschaftserklärungen, sondern mit sachverständigen Friedens- und Beratungsangeboten
an die Verantwortlichen einher, sind also auf geflissentliche Anerkennung bei denen
gerichtet, gegen die man sich angeblich so entschieden wendet: Die erbitterten Anklagen
gegen die globalen Verbrechen enden umstandslos bei der weltbewegenden Mitteilung, nach
eigenen Berechnungen könnte das ohnehin geplante Drei-Liter-Auto um einiges schneller
verkaufsreif sein, wenn Autoindustrie und Politik sich bloß anstrengten... Die
inszenierten Regelverletzungen sind daher auch keine Kampfansagen, sondern Demonstrationen
einer Betroffenheit, die nicht einschreiten, sondern einbezogen sein will in die
Erwägungen derjenigen, die das Sagen haben: Wir sagen Euch, wie es besser geht.
Der Kampf um Aufmerksamkeit
So wird Empörung zur gekonnt inszenierten Pose, die sich gleich selber widerruft:
Greenpeaceler schreien laut »Skandal!«, hören zufrieden, wie ein vielfaches Echo
zurückschallt, schieben noch eben ihre sachverständigen Hinweise hinterher - und das war
es dann auch schon. Ab zur nächsten Aktion. Der Eindruck, den die alternativen
Umweltsachverständigen auf eine Öffentlichkeit machen wollen, die sich gar nicht so
leicht beeindrucken läßt, beflügelt sie zu lauter medienwirksamen »Aktionen«.
Agitation mit Argumenten, die die Notwendigkeit ihres Anliegens darlegen, sind nicht so
ihre Sache. Sie überzeugen anders; ihre Sache beglaubigen sie durch den unermüdlichen
und unerschrockenen persönlichen Einsatz. Was für die Zurschaustellung
skandalträchtiger Verantwortungslosigkeit nicht taugt, das ist auch nicht ihres
demonstrativen Einspruchs wert. Um mit den Skandalen bekannt zu machen und um der
Ernsthaftigkeit ihres Anliegens Ausdruck zu verleihen, setzen sie sich über die politisch
gesetzten Schranken zulässiger Meinungsäußerung hinweg und inszenieren für die
Öffentlichkeit ein Schauspiel symbolischen Widerstands nach dem anderen. Mit waghalsigen
Manövern und bewußten Rechtsübertretungen führen sie einen Schaukampf gegen die
Umweltsünder in den Chefetagen und politischen Entscheidungszentralen und erwecken so den
Schein einer Machtprobe mit den Übeltätern.
Das Katz und Maus-Spiel der Davids mit den Goliaths ist auf keine andere Wirkung berechnet
als auf das Bild, das sie abgeben, und die Beachtung, die ihnen darüber im Fernsehen
zuteil wird. Die Öffentlichkeit soll sich durch den Beweis beeindrucken lassen, den die
Aktionisten liefern: daß sie, obwohl machtlos, den Mächtigen Grenzen setzen und im
Interesse der guten Sache nicht zurückschrecken. Höchster Erfolg, wenn es ihnen wieder
einmal gelingt, sich nicht mundtot machen zu lassen, wenn sie die andere Seite nicht nur
moralisch bloßgestellt, sondern als Macht öffentlich lächerlich gemacht und an der Nase
herumgeführt haben; wenn es ihnen gelungen ist, auf ein Werksgelände zu gelangen, einen
Schornstein zu erklimmen und ein Transparent zu entfalten; wenn sie für 30 Sekunden
mitten in Peking ihr Spruchband entrollt haben; wenn sie an der französischen Marine
vorbei für eine Weile ins Sperrgebiet um Mururoa eindringen konnten und mit großem
Aufwand weggeräumt werden müssen. Dabei rechnen sie darauf, daß die Verantwortlichen,
die man der Rücksichtslosigkeit gegen Mensch und Umwelt zeiht, mit Blick auf die vorab
mobilisierte Öffentlichkeit gehörige Rücksichten walten lassen.
Die Kampagnen für Aufmerksamkeit pur sind Greenpeace jeden Aufwand wert: Ein Stab von
»campaigners« und »activists« inszeniert generalstabsmäßig das Spektakel, setzt
dabei gehörig technisches Gerät und Logistik ein und führt sich auch schon mal wie eine
richtige Kleinarmee auf, die der französischen Marine einen ehrlichen Kampf liefern kann.
Man ist eben kein amateurhafter Protestverein, sondern eine durchgegliederte, hart
arbeitende Public-Relations-Organisation, die den fälligen Einspruch professionell zu
inszenieren vermag und durch guten Willen wie technischen Aufwand gleichermaßen zu
überzeugen weiß. So sind Greenpeaceler weltweit unermüdlich unterwegs, immer schon die
Medienvertreter im Gepäck dabei.
Die bringen ihnen nämlich einigen Respekt entgegen. Mit ihren Kampagnen bedienen und
beflügeln die Umweltaktivisten ja eine Öffentlichkeit, die selber gerne Versäumnisse
und Verfehlungen entdeckt sowie nach entschiedenem Eingreifen der Politiker verlangt.
Deswegen versagt sie Anliegen wie Aktionen der Umweltvertreter nicht eine gewisse
Anerkennung: Ja, sie weisen auf besonders eklatante Fälle mangelnder Verantwortung hin;
allerdings entbehrt ihr Vorgehen und ihr einseitiger Standpunkt nicht der Problematik! Die
öffentlichen Politikwächter kennen nämlich konkurrierende Gesichtspunkte ordentlichen
Regierens, die sie gegeneinander abwägen: Schließlich weiß inzwischen jeder, daß
Ökologie und Ökonomie miteinander versöhnt werden müssen; und mit kritischen
Einwänden soll ja nicht das Vertrauen in die Regierenden untergraben, sollen die national
Zuständigen nicht blamiert, sondern respektvoll zu energischem Handeln aufgerufen werden.
Insofern ist auch eine gewisse Zurückhaltung gegenüber dem »Radikalismus« der
Greenpeaceler geboten. Sie gelten daher der nationalen Öffentlichkeit als ehrenwerte
Störenfriede, die öfter mal über das Ziel hinausschießen.
Die Umweltinternationale und ihre Erfolge
Etwas anders fällt das Urteil über das internationale Bemühen von Greenpeace aus. Die
Umweltwächter verstehen und präsentieren sich ja als übernationale Behörde in Sachen
Umwelt und Frieden, die ihr wachsames Auge auf das Treiben sämtlicher Multis und aller
Nationen geworfen hat und die bei passender Gelegenheit globalen Handlungsbedarf in Sachen
Artenschutz, Atomwaffenteststopp, Meeresschutz usw. anmeldet. Dabei berufen sich die
grünfriedlichen Öffentlichkeitsarbeiter auf internationale Konferenzen, Abmachungen und
Verträge, mit denen die Staaten sich über die nationalen Grenzen hinweg um die
einschlägige Materie kümmern - und zwar ziemlich kontrovers. Was da auf den
internationalen Umweltkonferenzen verhandelt und ausgehandelt wird, und erst recht, was
Staaten als Energie- oder Machtprogramme in Sachen Atom für nötig halten und betreiben,
das sind ja gerade keine Angelegenheiten schiedlich-friedlicher weltgemeinschaftlicher
Übereinkunft, sondern nationale Standort- und Machtfragen, also Streitgegenstände
zwischen den Nationen.
Je nachdem ob ihre nationalen Konkurrenzmittel betroffen sind, ob Abmachungen eine
nationale Industrie einschränken oder nicht, je nachdem ob ein Land unter gewissen
schädlichen Wirkungen besonders zu leiden hat oder besondere ökonomische Vorteile daraus
zieht; je nachdem ob es eine nationale Atomindustrie oder sogar Atomwaffen besitzt oder
nicht, fällt die Stellungnahme zu den Wirkungen aus, die Weltmarktkonkurrenz und
Weltmachtanstrengungen über die nationalen Grenzen hinaus zeitigen. Das, was eine Nation
jeweils an umweltpolitischen Regelungen und Beschränkungen für nötig hält, entscheidet
sich an Ertrag und Schaden fürs nationale Wirtschaften und Regieren. Internationale
Umweltpolitik wird als Teil nationaler Standortpolitik betrieben, mit der sich Staaten
darum bemühen, im Interesse ihres Kapitalstandorts und der auf ihm heimischen Kapitale
günstige Konkurrenzbedingungen zu stiften. Die unerläßlichen Rücksichten will man nach
Möglichkeit anderen Nationen als kostspielige Auflagen aufnötigen, dem eigenen
Kapitalstandort dagegen ähnliche Beschränkungen und Kosten ersparen.
Die einschlägigen internationalen Verhandlungen und Abmachungen begleitet die
Greenpeace-Organisation mit ständigen weltöffentlichen Anträgen, die Verantwortlichen
sollten sich wechselseitig zu verantwortlicherem Tun anhalten. Sie versehen dieses
diplomatische Treiben also mit dem Schein, hier würde sich eine Weltgemeinschaft von
Regierungen betätigen, die den Umgang mit den Schädigungen, die die ökonomische
Konkurrenz mit sich bringt, zu ihrem einvernehmlichen Anliegen machen und sich
wechselseitig mehr oder weniger konsequent auf globale Umweltrücksichten verpflichten.
Dieser eingebildeten Weltgemeinschaft der Staatsmänner wollen die »Umweltvertreter aus
dreißig Ländern« zur Hand gehen; in ihrem Namen klagen sie die einen Nationen der
Umweltsünden an und rufen andere zur heilsamen Korrektur auf - und mischen sich auf diese
ebenso verrückte wie unkritische Weise in die Konkurrenzhändel der Nationen ein, die auf
dem Weltmarkt und in der Weltpolitik das Sagen haben.
Damit aber finden sie schon wieder gehörige Resonanz in der jeweiligen Öffentlichkeit.
Die macht sich ja - ganz Sprachrohr nationaler Anliegen - für radikales Vorgehen stark,
wenn im eigenen Lande gerade mal kein schutzwürdiges »Wachstums- und Arbeitsplatz-«,
also Wirtschaftsinteresse tangiert ist; ganz im Unterschied zu Fällen, bei denen die
Greenpeace-Aktionen gegen Praktiken der heimischen Politik gerichtet sind. Da gilt dann,
daß einem »einseitigen« Umweltstandpunkt keinesfalls recht gegeben werden darf. Wo kein
nationaler Gesichtspunkt im Wege steht, da entdeckt man laufend die Umweltsünden - der
auswärtigen Multis und der anderen Nationen, die sie auch noch fördern; da gelten
nationale Sicherheitsbestimmungen in Sachen Atomkraftwerke als Beseitigung aller Risiken
und als ein Vorbild, dem sich andere strikt anzuschließen hätten - selbstverständlich
mit unserer Hilfe. Und erst recht, wo es um nationale Macht geht, entdecken kritische
Begutachter aus Nichtatomwaffenstaaten nur zu gerne die Rücksichtslosigkeit des
exklusiven Klubs der Atommächte und plädieren auf Unterlassung von Atomtests oder
Verarbeitung russischen Plutoniums in deutschen Nuklearbetrieben - natürlich alles im
Namen der Erhaltung von Umwelt und Frieden.
Besonderen Anklang findet der Umwelt- und Friedensverein gegenwärtig aber auch bei
einschlägigen politischen Stellen. Während sein öffentlichkeitswirksames Treiben
innenpolitisch zumeist unter die Störungen der nationalen Standortpflege gerechnet und
entsprechend behandelt wird, erfährt es nach außen verbalen oder sogar
diplomatisch-materiellen Zuspruch von interessierten offiziellen Stellen der
Staatengemeinschaft. Deren Mitglieder haben nämlich den Titel Umwelt längst als Anspruch
auf Mitzuständigkeit für die nationalen Belange anderer Staaten und auf weltweites
Reinregieren entdeckt. Deswegen wird Greenpeace das eine Mal als eine Berufungsinstanz ins
Feld geführt, die keinem Verdacht auf nationalen Egoismus unterliegt; das andere Mal wird
Greenpeace dagegen um so entschiedener mit verdächtigt, sich bloß für nationale
Interesssen stark zu machen - nämlich die anderer Staaten, die gar kein Recht auf
Einmischung hätten; je nachdem eben, ob eine Nation sich gerade zur Zielscheibe von
weltöffentlichen Aktionen seitens der Umweltorganisation gemacht sieht, bzw. je nachdem,
ob sich eine andere Nation dieser Aktionen als Einspruchstitel bedienen will.
Mit dem ganz und gar unpassenden Dauerbegehren nach einem globalen Umweltmanagement
berührt Greenpeace also Machtaffären höchster Güteklasse - und will nicht einmal
bemerken, daß der Titel »Umwelt« heute zum Anspruchstitel imperialistischer Natur
geworden ist; daß mit ihm ganze Weltgegenden unter »unsere weltweiten Ressourcen«
gerechnet und die zuständigen Armenhäuser zu Rücksichten angehalten werden, die man am
eigenen Standort nicht zu üben bereit ist; daß in seinem Namen europäische Mitsprache
bei französischen Atomwaffen und japanische Zuständigkeit für die Pazifikregion
reklamiert werden und was der Ansprüche mehr sind, die immerzu im Namen weltweiter
Verantwortung angemeldet werden.
Das stört die »Regenbogenkämpfer« aber überhaupt nicht. Wenn sie sich plötzlich in
einer Koalition mit Politikern und Unternehmern finden, die sie bei anderer Gelegenheit
als Umweltsünder anprangern, wenn sich Kohl und deutsche Autofahrer, neuseeländische
Regierungsvertreter, australische Gewerkschaftler und deutsche Sozialdemokraten
öffentlich hinter sie stellen, dann sind sie zufrieden und feiern das als Erfolg: Das ist
es, was sie mit ihren Kampagnen erreichen wollten - die Weltgemeinschaft übt heilsamen
Druck auf diejenigen Mächte aus, die sich den jeweils vernünftigen Lösungen
widersetzen; das beweist, daß sich konstruktiver Einsatz auszahlt, sachkundiges
Engagement lohnt. Die internationalen Umweltfriedensaktivisten halten sich nämlich viel
auf den Kunstgriff zugute, die gegensätzlichen Standpunkte der Nationen und die
nationalen Ressentiments der Öffentlichkeiten zum Hebel für eine umfassende Aufsicht
über alle Staaten zu machen, also die Konkurrenz der Staaten für ihr höheres
Umweltanliegen zu instrumentalisieren.
Wie es sich für einen Verein gehört, der sich die Rolle einer rastlosen
Weltaufsichtsbehörde reserviert, achtet Greenpeace deswegen darauf, nicht bloß als 5.
Kolonne konkurrierender Nationalismen zu erscheinen - schließlich gibt es auch eine
Greenpeace-Dependance im jeweils angegriffenen Land. Die unter einem internationalen
Organisationsdach zusammengefaßten Ländersektionen berücksichtigen sorgfältig alle
möglichen nationalen Vorbehalte, um zu zeigen, daß sie im Interesse eines alle
vereinenden höheren Anliegens unterwegs sind. Nationalismen sind ihrer Meinung nach nicht
zu kritisieren, sondern zu bedienen, weil man sich ihrer bedienen will. Bloß, wer
instrumentalisiert da eigentlich wen?
Wolfgang Möhl ist Mitglied der Redaktion der Vierteljahreszeitschrift »Gegenstandpunkt«