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Ausgabe 06/93, S. 26

Theo Ebel
Imperialismus sans phrase

Die Krise in Deutschland und ihre bürgerlichen Interpreten. Eine kleine marxistische Gegendarstellung

Ganz lange wurde sie »bei uns« ja überhaupt in Frage gestellt. Dann mehrten sich bedenkliche Stimmungsbilder in Sachen Wachstumsrate, und die diesbezüglichen Prognosen wurden leicht nach unten korrigiert. Inzwischen vergeht kein Tag, an dem nicht von ansehnlichen »Umsatz- und Ertragseinbrüchen« in Vorzeigeunternehmen und -branchen deutscher Wertarbeit, aber auch in so gut wie allen anderen Abteilungen der industriellen Produktion zu hören ist; Arbeitskräfte werden per Vorstandsbeschluß en gros entlassen; nebenbei geben die größten Geschäftsbanken bekannt, was sich bei ihnen jüngst so alles an »Wertberichtigungen« für faule Kredite zusammenaddiert hat - und seitdem dies so dahingeht und ihre »Zeichen« auch für den bürgerlichen Sachverstand unübersehbar sind, gibt es sie nun auch von offizieller Seite eingestanden »bei uns«: die Krise.
Nur: Worum es sich bei diesem »Phänomen« handelt, was Sache ist, wenn nunmehr auch die zweitgrößte Weltwirtschaftsmacht per Saldo rote Zahlen schreibt - davon hat derselbe Sachverstand, der sich der Krise mittlerweile wenigstens sicher ist, wenig Ahnung. Glaubt man ihm, so gibt es die Krise, weil - erstens - »das Management« deutscher Unternehmen versagt und erfolgversprechende Wege in die Zukunft verschlafen hat. Weil zweitens »die Konjunktur« es rätselhafterweise überhaupt so an sich hat, daß der Boom immer dann aufhört, wenn er am schönsten ist. Weil drittens »das Ausland« das deutsche Wirtschaftswachstum mit »weggebrochenen« Märkten empfindlich beschnitten hat. Und weil viertens »die deutschen Arbeiter« in Sachen Lohn & Leistung über ihre und die Verhältnisse der deutschen Wirtschaft insgesamt gelebt haben.
Dem aber ist nicht ganz so. Eher zeigt eine distanzierte Betrachtung der Angelegenheit, daß sich der bürgerliche Kopf in Befunden dieser Art eine ebenso grundverkehrte wie affirmative Deutung jenes kapitalistischen Normalfalls zusammendenkt, welcher Überproduktion von Kapital heißt.

Was zunächst die Rede vom »Mißmanagement« betrifft, dem sich die Krise verdanken soll, so wird in ihr die Vorstellung gepflegt, daß die Politik bisher so erfolgreicher Unternehmen wie VW, Daimler-Benz, Klöckner usw. irgendeinen Dreh, einen »Innovationsschub« oder »Entwicklungspfad« versäumt habe. Deswegen sei viel zu lange und zu teuer Zeug produziert worden, das jetzt keine Käufer mehr findet.
Dagegen ist daran zu erinnern, daß die gescholtene Unternehmenspolitik sich in jüngerer Zeit keineswegs durch Unterlassungen ausgezeichnet, sondern durch ihre praktischen Taten im Namen des Geschäftserfolgs für all jene Phänomene gesorgt hat, die die gegenwärtige Geschäftslage so miserabel aussehen lassen. Da wurden doch nach allen Regeln der Ausbeutungskunst Produktionsmittel, Waren und Geld erfolgreich akkumuliert. Für das Wachstum des eigenen Geldvermögens wurde mit Erfolg alles Erforderliche unternommen, um über Verbilligung und Ausdehnung der Produktion Konkurrenten aus dem Feld zu schlagen und sich die »Marktanteile« zu sichern, auf die alles ankommt. Dabei haben diese Geschäftsleute sich von den Schranken des Marktes und der Nachfrage nach ihrem Zeug überhaupt nicht abhängig gemacht - obwohl sie um ihres Gewinnes willen ja ausschließlich für den Markt produzieren. Für ihren Konkurrenzerfolg haben sie sämtliche Spielarten des Kredits ausgenutzt, also noch gar nicht verdientes Geld ausgegeben, um über die Vergrößerung ihres Kapitals dessen produktive Schlagkraft zu erhöhen. Es ist eben ganz normale Geschäftspolitik, mit steigenden Aufwendungen verhältnismäßig größere Steigerungen des Um- und Absatzes vorwegzunehmen, die dann natürlich auch eintreten müssen, damit die Rechnung stimmt - und weil das alle tun, kann die Rechnung gar nicht aufgehen.
Weil nämlich alle Konkurrenten den Markt beherrschen wollen, erweist sich die kalkulierte Unabhängigkeit von seinen Schranken immer wieder als trügerisch. Sicher, im nachhinein kann jeder Schlaumeier auf irgendein besonders unverkäufliches Produkt zeigen und die Weisheit beisteuern, die Firma stünde besser da, wenn sie statt dessen etwas Verkäufliches produziert hätte; doch um die Wirtschaftskrise zu erklären, ist solche »Kritik« zu konstruktiv. Sie übersieht, daß Unternehmen, die mit geliehenem Geld und im Vertrauen auf zukünftigen Erfolg ihr Geschäft ausweiten, allesamt auf das periodisch wiederkehrende Ergebnis hinwirken, daß sie insgesamt zu viel Reichtum produziert haben - zu viel nämlich für den maßgeblichen Zweck, ihn weiterhin rentabel zu vermehren. Irgendwo stockt der Absatz, Kredite bleiben unbedient, ganze Unternehmen werden kreditunwürdig und reißen andere in die »roten Zahlen« hinein; bis, wieder einmal, von allem zuviel da ist: zuviele Produktionsanlagen, zuviele Arbeiter, zuviele Waren, sogar zuviel Kredit, der keine lohnende Anlagemöglichkeit findet. Aus lauter Überfluß schrumpft das Geschäft; Kredite platzen, und Reichtum wird entwertet - bis die ganze Scheiße von neuem in Schwung kommt.
Und wer sagt das seit 100 Jahren?

Was die Sache mit dem ewigen Auf und Ab der »Konjunktur« des kapitalistischen Geschäftslebens betrifft, so hat das alsoschon seine Richtigkeit und Notwendigkeit. Aber die ist überhaupt nicht so unergründ-lich und rätselhaft, wie dies in der Vor-stellung einer periodisch immer wieder-kehrenden »Talsohle« mit anschließen-dem Aufstieg imaginiert wird. Vielmehr rührt diese Notwendigkeit aus der Sturheit, mit der die bürgerliche Gesellschaft an denbanalen Zwecken und Methoden der kapi-talistischen Wirtschaftskunst festhält. Die Geschäftsleute, die praktisch mitgeteiltbekommen haben, daß die Realisierung ihrer schönen Gewinne, auf die es ja ankommt,in letzter Instanz am Markt ihre Schranke nun doch gefunden hat, und die mangelsAbsatzmöglichkeiten das Produzieren nicht mehr für lohnend erachten, werden natürlich auch aus ihrem Schaden nicht klug, sondern machen sich an die Wiederherstellung der verlorengegangenen Geschäftsbedingungen; und zwar, wie es sich für Konkurrenten gehört, die einen auf Kosten der anderen,weshalb zur Krise auch immer die Krisengewinnler gehören. Im Namen des Gewinns und für den Gewinn wird fiktives Kapital in Gestalt wertloser Schuldzettel gestrichen und auf diesem Wege der Kredit saniert, werden Warenkapital und Produktionsanlagen entwertet und, wenn sich die Käufer finden, zu Billigpreisen verramscht. Und dies alles, weil bisher mit Erfolg und damit demnächst wieder erfolgreich »der Profit und das Verhältnis dieses Profits zum angewandten Kapital, also eine gewisse Höhe der Profitrate, überAusdehnung oder Beschränkung der Produktion entscheidet, statt des Verhältnisses der Produktion zu den gesellschaftlichen Bedürfnissen...« (K. Marx, Das Kapital, Bd.III, S.269)

Wenn im Zusammenhang mit der Krise in Deutschland vom »Ausland« die Rede ist, von eigensüchtigem »Nationalismus« - der anderen, versteht sich - und/oder von »ausgefallenen« fremdländischen Märkten, so hat der bürgerliche Wissensdurst die Frage nach dem Grund der Krise erfolgreich durch das Zitieren eines Schuldigen erledigt - und ganz nebenbei die wirkliche Sachlage auf den Kopf gestellt. Es hat zum jüngeren Erfolgsweg gerade des deutschen Kapitals ja nicht bloß die erfolgreiche Ausbeutung daheim gehört, sondern die mindestens genauso erfolgreiche ökonomische Indienstnahme fremder Landstriche, was heute kein Mensch mehr Imperialismus nennen möchte. Das schöne Zusammenspiel von deutscher Außenpolitik und deutscher Wertarbeit war es, was der Nation den Ehrentitel eines »Exportweltmeisters« eingebracht hat, und der drückt keineswegs bloß aus, daß sich Waren made in Germany im internationalen Vergleich als unschlagbar profitabel herausgestellt haben. Verlierer kennt die Konkurrenz der Kapitale auf dem Weltmarkt nämlich schon auch noch. Und wegen der Eigentümlichkeit dieses Marktes sind die nicht nur in den Reihen geschäftstüchtiger Unternehmer zu finden, also bei denen, die deutsches Kapital auf ausländischen Märkten erfolgreich erledigt hat, sondern auch bei den Nationen selbst: In ihren Außenbilanzen und am daraus resultierenden Härtegrad ihrer Währungen spiegelt sich wider, in welchem Umfang Kreditzettel erfolgreich kapitalisiert worden sind, als Geschäftsmittel getaugt haben oder nicht, so daß »Bilanzdefizite« und »weiche« Währungen bei anderen Nationen nur die Kehrseite der deutschen Geschäftstüchtigkeit und »Hartwährung« sind. Das Ausland, das jetzt der konjunkturzersetzenden Mißwirtschaft bezichtigt wird, versagt die so selbstverständlich reklamierten Dienste am deutschen Wachstum nur deswegen, weil seine Zahlungsfähigkeit für die guten deutschen Bilanzen gebraucht und ruiniert worden ist. Wenn die Rechtsanwälte der DM, die so selbstgefällig die Solidität des deutschen Geldes im Vergleich zu den übrigen Nationalkrediten rühmen, über den Verfall der Wirtschaftskraft näherer und fernerer Nachbarn klagen, so hat das seinen - gar nicht guten - Grund.
Erstens berufen sich die DM-Patrioten auf die Verschiebungen des europa- und weltweit produzierten Reichtums in Richtung Deutschland. Die haben sich nämlich im Verfall einiger auswärtiger Kreditgelder und in der Ausnahmestellung deutscher Schulden niedergeschlagen.
Zweitens beschweren sie sich darüber, daß Deutschland als Gläubiger einiger auswärtiger Staatskassen »trotz« seiner Verdienste in der imperialistischen Konkurrenz von der Krise betroffen ist. Das ist ihre Art, zur Kenntnis zu nehmen, daß seit der Existenz eines Weltmarkts die Krisen des Kapitals immer auch solche der »Weltwirtschaft« sind. Nationen, deren Kapitalisten sich durch die Schaffung von ausschließlich rentablen Arbeitsplätzen an der Produktion aller Herren Länder bereichern, schädigen ihre Konkurrenten, Lieferanten und Kunden bisweilen ein wenig mehr, als es dem eigenen Geschäft zuträglich ist. Der Mangel an Profit an der einen Stelle entpuppt sich da schnell als Zeichen für die Überproduktion von Kapital und als Auftakt für die Entwertung von Kapital an allen anderen Stellen: »Mit Bezug auf Einfuhr und Ausfuhr ist zu bemerken, daß der Reihe nach alle Länder in die Krisis verwickelt werden und daß es sich dann zeigt, daß sie alle, mit wenigen Ausnahmen, zuviel exportiert und importiert haben, also die Zahlungsbilanz gegen alle ist, die Sache also in der Tat nicht an der Zahlungsbilanz liegt.« (K. Marx, ebda. S. 508).
Drittens aber melden sich die Kritiker des Auslands und seiner für die deutschen Bilanzen so verheerenden Schwächen nicht eigentlich als Krisentheoretiker zu Wort. Selbst wenn sie mit einem Professorenpatent ausgestattet sind, geht es ihnen um nichts anderes als um die Überwindung der Schwierigkeiten, die der Rest der Welt dem Standort Deutschland und seinen in DM verbuchten Kapitalgewinnen macht. Sie sind wegen der Krise endgültig zu Fanatikern der internationalen Konkurrenz geworden. Sie haben bemerkt, daß es jetzt sehr darauf ankommt, wo die fällige Entwertung stattfindet. Und mit Verweis auf den Klassenunterschied zwischen den Nationen finden sie es furchtbar gerecht, daß der deutsche Wirtschaftserfolg auch weiterhin auf Kosten der lieben europäischen Nachbarn und anderer geht. Die kriegen denn auch zu spüren, daß unter deutscher Führung in Europa zu viel akkumuliert wurde, und dagegen hat ihnen das um die »Ankerwährung« herumgesponnene Kunstwerk EWS rein gar nichts geholfen.
Was schließlich die vielen »Märkte im Osten« betrifft, deren Wegbrechen irgendwie auch mitschuldig an der Krise hierzulande sein soll, so ist auch diesem Lamento nur das Umgekehrte zu entnehmen. Jene Märkte haben zu Zeiten der ja so furchtbar maroden Planwirtschaft offenbar ganz ausgezeichnet für schwungvollen Handel getaugt und für das deutsche Kapital als »entgegenwirkende Ursache« des Gesetzes des tendenziellen Falls der Profitrate gewirkt. Jetzt, wo alle diese Oststaaten die Gesetze der »freien Marktwirtschaft« als ihr Erfolgsprinzip entdeckt haben wollen und unter die ökonomischen Sachgesetze praktisch subsumiert werden, die das kapitalistische Produzieren auszeichnen, zeigt sich, was Überproduktion von Kapital in ihrem Fall heißt: Für die Akkumulation von Kapital sind ganze Volkswirtschaften schlicht zuviel vorhanden. Sie fangen erst gar nicht an zu funktionieren und verkommen entsprechend - es sei denn, aus ihrem natürlichen wie menschlichen Inventar läßt sich das eine oder andere Anhängsel an den Standort Deutschland verfertigen.

Die »deutschen Arbeiter«, so hört man von politischen und wirtschaftlichen Sachverständigen, seien auch für die Krise in Deutschland verantwortlich. Von Tarifverträgen und Sozialleistungen verhätschelt, arbeiteten sie viel zu wenig und dazu noch zu teuer, und wenn ein deutscher Arbeitsmann »soviel kostet wie 70 Russen oder 10 Ungarn« (ein Arbeitgeberpräsident), bräuchte man sich ja wohl nicht über den Niedergang der deutschen Wirtschaft zu wundern.
Daß demnächst jeder deutsche Arbeitsplatz aus Kostengründen mit - sagen wir: - 41 Russen oder 4 Ungarn besetzt wird, ist freilich nicht zu erwarten. Denn der Welterfolg des deutschen Kapitals - den ja keiner bestreitet! - ist im Innern mit einer weltrekordmäßigen Ausbeutung der Lohnarbeit und sonst nichts zustandegebracht worden. An modernsten Arbeitsplätzen und mit allen Techniken der absoluten und relativen Mehrwertproduktion hat der Lohn, der bezahlt wurde, genau die Arbeitsleistungen mobilisiert, die deutschen Unternehmen die Ertragsbilanzen vergoldet haben. Diese Arbeitsleistungen waren nämlich so produktiv, daß die »Kost«, die ein bezahlter Lohn für die Unternehmen immer darstellt, im Vergleich zum Wertprodukt, das sie in immer größerem Maßstab hervorbrachten, stets zurückging. Umgekehrt haben dieselben Methoden der Steigerung der Arbeitsproduktivität auch dazu geführt, daß beständig in einem ganz banalen Sinn an dieser »Kost« gespart werden konnte: Wo immer die Kalkulation des Einsatzes von viel technischem Fortschritt versprach, das Senken des Preises der Arbeit relativ zum Reichtum, den sie schafft, weiter voranzutreiben, fand die entsprechende »Rationalisierung« - und mit ihr die »Freisetzung« eingesparter Lohnarbeiter statt. So kann man die Produktivität der deutschen Wertarbeit an den lediglich noch drei Arbeitern bestaunen, die ein ganzes Stahlwerk in Gang halten; aber eben auch an der Menge derer, die ohne Lohn die Reihen der »industriellen Reservearmee« füllen oder schlicht als absolute »Überbevölkerung« vergammeln. Ihre Zahl wächst derzeit aufgrund des »Sachzwangs«, den die Krise für die Liebhaber der Marktwirtschaft nun einmal darstellt, sprunghaft an. Daß die Rentabilität der Unternehmen - wg. Konkurrenz etc. - nur auf Kosten der Lohnabhängigen wiederhergestellt werden kann, hat heutzutage natürlich mit Marx und seiner Kapitalismuskritik nicht das geringste zu tun. Die Grundrechnungsarten des Kapitals sind schließlich - unter Demokraten - nicht das Erfolgsrezept einer Klasse, sondern der Garant des Allgemeinwohls; und das rechtfertigt jedes Opfer derjenigen, die mit ihrem Lebensunterhalt bloß den Gang der »Wirtschaft« belasten, von dem sie abhängen.
Die ideell zum demokratischen Gemeinwohl vergesellschafteten Unternehmen leiden ganz nebenbei aber auch darunter, daß sie ihre minutiös kalkulierten Geschäftsartikel - vom PC bis zum Auto - nicht mehr profitbringend verkaufen können. Daraus geht hervor, daß die »Menschen« nicht nur in ihrer Eigenschaft als zu teure Arbeitskraft für die Krise eine gewisse Verantwortung tragen. Ein pflichtvergessenes Pack: erst zu viel Lohn, dann auch noch zu wenig »Binnennachfrage« ... - es wäre auch noch schöner, wenn die Veranstalter der Marktwirtschaft ein Kapitel aus dem Drehbuch für Krisen ausließen, das Marx verfaßt hat: »Wie aber die Dinge liegen, hängt der Ersatz der in der Produktion angelegten Kapitale großenteils ab von der Konsumtionsfähigkeit der nicht produktiven Klassen; während die Konsumtionsfähigkeit der Arbeiter teils durch die Gesetze des Arbeitslohns, teils dadurch beschränkt ist, daß sie nur solange angewandt werden, als sie mit Profit für die Kapitalisten angewandt werden können. Der letzte Grund aller wirklichen Krisen bleibt immer die Armut und Konsumtionsbeschränkung der Massen gegenüber dem Trieb der kapitalistischen Produktion, die Produktivkräfte so zu entwickeln, als ob nur die absolute Konsumtionsfähigkeit der Gesellschaft ihre Grenze bilde.« (K. Marx, ebda., S. 501)

Die bürgerlichen Reflexionen über Grund und Ursache der Krise verraten in der Sache die bodenlose Dummheit derer, die sie wälzen, und allein das ist schon, was das verbreitete Ansehen betrifft, das der sich hier äußernde Sachverstand genießt, bedenklich. Noch bedenklicher aber ist das affirmative Interesse, das hinter diesen Dummheiten steht.
Immerhin bringt ja die Anschauung, »Management-Versagen« auf breiter Front habe deutsche Unternehmen in die Krise gebracht, ein in seiner Abstraktheit und Grundsätzlichkeit nicht mehr zu überbietendes Votum für eine gelingende kapitalistische Ausbeutung zum Ausdruck. Dieses Ideal mag jener Minderheit gut zu Gesicht stehen, deren praktische Interessen ohnehin nichts weiter beinhalten als die Mehrung ihrer Geldvermögen und die auch alle dafür geeigneten Mittel in Händen halten, andere zu den für ihr Interesse brauchbaren Dienstleistungen zu erpressen. Von den Leidtragenden dieser Geschäftspraxis mitgedacht oder gar noch vorgebracht, nimmt dieses Ideal sich allerdings schon ein wenig pervers aus. Die haben sich offenbar die Frage danach endgültig und gründlich abgewöhnt, was sie eigentlich davon haben, wenn sie ihr Leben lang als Manövriermasse der Mehrung eines Reichtums dienen dürfen, der ihnen nicht gehört.
Dieselbe ohnmächtige Abhängigkeit vom Erfolgsstreben derer, die »die Wirtschaft« sind, drückt die Anschauung von der Krise als demnächst wohl wieder überwundene »Talfahrt der Konjunktur« bloß anonym aus: Die Umdeutung der ordinären Sachgesetze der kapitalistischen Akkumulation in das schicksalhafte Wirken eines quasi naturgesetzlichen »Konjunkturzyklus«, der die prognostischen Kräfte aller Wirtschaftsweisen und Börsenspekulanten herausfordert, gibt das Bewußtsein der allseitigen Abhängigkeit vom Profit zu Protokoll - nur eben nicht kritisch und als grundsätzlichen Einwand gegen diesen Wahnwitz von Produktionsweise. Sondern eben affirmativ, so daß vom Profit des Kapitals, dem alles Produzieren und Konsumieren subsumiert ist, gar nicht die Rede ist und statt dessen ein anonymes Wesen namens »die Wirtschaft« zitiert wird, dessen Wiederaufschwung man ideell den Daumen drückt - wenn man schon nicht reich genug ist, um daran zu verdienen.
Wenn dann vom »Ausland« als dem Schuldigen an der hiesigen Krise die Rede ist, so machen sich mit dieser Parole staatstragende Nationalisten bloß noch für das unbedingte Recht auf deutschen Wirtschaftserfolg stark. Sie besehen sich den ganzen eingerichteten Internationalismus des Kapitals und alle imperialistischen Verkehrsformen mit einer schwarz-rot-goldenen Brille - und erkennen außerhalb deutscher Landesgrenzen prinzipiell nur noch Feinde, die »uns« das Exklusivrecht auf den Wirtschaftsboom streitig machen. So übersetzen sie die Krise des Kapitals locker in deutschen Imperialismus sans phrase, in eine deutsch-nationale Mission erfolgreicher Durchsetzung nach außen - und das ist doch mal eine Ausländerfeindschaft, die wirklich etwas zählt und bewirkt auf dieser Welt! Die noch dazu den Vorzug hat, daß keiner sie dafür hält. Denn schlimm soll es ja erst werden, wenn ein paar Abfallprodukte des deutschen Welterfolgs aus dem Ausland sich als »Wirtschaftsflüchtlinge« beim Bundesgrenzschutz melden und die inländischen sittlich-moralischen Abfallprodukte desselben deutschen Welterfolgs privat auf dessen Unteilbarkeit bestehen - nützliche Idioten einer ganz und gar nicht unpraktischen imperialistischen Barbarei, die in der Krise des Kapitals das verletzte Recht der Nation und in der Wiederherstellung des letzteren den Weg aus der Krise sieht.
Was schließlich die »verwöhnten deutschen Arbeiter« in ihrer Eigenschaft als Krisenursache betrifft, so ist das genaugenommen gar keine Ideologie, sondern das Programm dieser Nation, mit dem sich die politische Herrschaft an die praktische Revision der eingerichteten Lebensverhältnisse des Proletariats macht. Für einen möglichst konkurrenzlosen kapitalistischen Standort Deutschland erscheinen ihr Löhne, Arbeitszeit, Sozialleistungen und manch andere Gewohnheiten im Rahmen eines modernen Arbeiterdaseins ganz schlicht als ein nicht länger hinnehmbarer Standortnachteil - also werden sie abgeschafft, und das Volk wird auf etwas anderem Niveau damit vertraut gemacht, was es alles so bedeutet, als Manövriermasse eines erfolgreichen Imperialismus zu fungieren.
Auch diese Schönheiten demokratischer Solidarität kommen aus dem Fall der Profitrate und stehen bei Marx im Kapitel über dessen entgegenwirkende Ursachen, die das Kapital erstens immer ins Werk setzt und die zweitens das Instrumentarium für den Weg aus der Krise abgeben, welches Kapitalisten und Politiker auf das brave Arbeits- und Stimmvieh ebenso wie auf den Rest der Welt anwenden.
Im preiswerten Skript von Marx heißen diese »entgegenwirkenden Ursachen« so: 1. Erhöhung des Exploitationsgrads der Arbeit; 2. Herunterdrücken des Arbeitslohns unter seinen Wert; 3. Verwohlfeilerung der Elemente des konstanten Kapitals; 4. Die relative Überbevölkerung; 5. Der auswärtige Handel; 6. Die Zunahme des Aktienkapitals.
Gar nicht so wirklichkeitsfremd, oder?

Theo Ebel ist Redakteur der Zeitschrift  »Gegenstandpunkt«

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