Aus:
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Ausgabe 06/93, S. 26
Theo Ebel
Imperialismus sans phrase
Die Krise in Deutschland und ihre bürgerlichen Interpreten.
Eine kleine marxistische Gegendarstellung
Ganz lange wurde sie »bei uns« ja überhaupt in Frage gestellt. Dann mehrten sich
bedenkliche Stimmungsbilder in Sachen Wachstumsrate, und die diesbezüglichen Prognosen
wurden leicht nach unten korrigiert. Inzwischen vergeht kein Tag, an dem nicht von
ansehnlichen »Umsatz- und Ertragseinbrüchen« in Vorzeigeunternehmen und -branchen
deutscher Wertarbeit, aber auch in so gut wie allen anderen Abteilungen der industriellen
Produktion zu hören ist; Arbeitskräfte werden per Vorstandsbeschluß en gros entlassen;
nebenbei geben die größten Geschäftsbanken bekannt, was sich bei ihnen jüngst so alles
an »Wertberichtigungen« für faule Kredite zusammenaddiert hat - und seitdem dies so
dahingeht und ihre »Zeichen« auch für den bürgerlichen Sachverstand unübersehbar
sind, gibt es sie nun auch von offizieller Seite eingestanden »bei uns«: die Krise.
Nur: Worum es sich bei diesem »Phänomen« handelt, was Sache ist, wenn nunmehr auch die
zweitgrößte Weltwirtschaftsmacht per Saldo rote Zahlen schreibt - davon hat derselbe
Sachverstand, der sich der Krise mittlerweile wenigstens sicher ist, wenig Ahnung. Glaubt
man ihm, so gibt es die Krise, weil - erstens - »das Management« deutscher Unternehmen
versagt und erfolgversprechende Wege in die Zukunft verschlafen hat. Weil zweitens »die
Konjunktur« es rätselhafterweise überhaupt so an sich hat, daß der Boom immer dann
aufhört, wenn er am schönsten ist. Weil drittens »das Ausland« das deutsche
Wirtschaftswachstum mit »weggebrochenen« Märkten empfindlich beschnitten hat. Und weil
viertens »die deutschen Arbeiter« in Sachen Lohn & Leistung über ihre und die
Verhältnisse der deutschen Wirtschaft insgesamt gelebt haben.
Dem aber ist nicht ganz so. Eher zeigt eine distanzierte Betrachtung der Angelegenheit,
daß sich der bürgerliche Kopf in Befunden dieser Art eine ebenso grundverkehrte wie
affirmative Deutung jenes kapitalistischen Normalfalls zusammendenkt, welcher
Überproduktion von Kapital heißt.
Was zunächst die Rede vom »Mißmanagement« betrifft, dem sich die Krise verdanken soll,
so wird in ihr die Vorstellung gepflegt, daß die Politik bisher so erfolgreicher
Unternehmen wie VW, Daimler-Benz, Klöckner usw. irgendeinen Dreh, einen
»Innovationsschub« oder »Entwicklungspfad« versäumt habe. Deswegen sei viel zu lange
und zu teuer Zeug produziert worden, das jetzt keine Käufer mehr findet.
Dagegen ist daran zu erinnern, daß die gescholtene Unternehmenspolitik sich in jüngerer
Zeit keineswegs durch Unterlassungen ausgezeichnet, sondern durch ihre praktischen Taten
im Namen des Geschäftserfolgs für all jene Phänomene gesorgt hat, die die gegenwärtige
Geschäftslage so miserabel aussehen lassen. Da wurden doch nach allen Regeln der
Ausbeutungskunst Produktionsmittel, Waren und Geld erfolgreich akkumuliert. Für das
Wachstum des eigenen Geldvermögens wurde mit Erfolg alles Erforderliche unternommen, um
über Verbilligung und Ausdehnung der Produktion Konkurrenten aus dem Feld zu schlagen und
sich die »Marktanteile« zu sichern, auf die alles ankommt. Dabei haben diese
Geschäftsleute sich von den Schranken des Marktes und der Nachfrage nach ihrem Zeug
überhaupt nicht abhängig gemacht - obwohl sie um ihres Gewinnes willen ja
ausschließlich für den Markt produzieren. Für ihren Konkurrenzerfolg haben sie
sämtliche Spielarten des Kredits ausgenutzt, also noch gar nicht verdientes Geld
ausgegeben, um über die Vergrößerung ihres Kapitals dessen produktive Schlagkraft zu
erhöhen. Es ist eben ganz normale Geschäftspolitik, mit steigenden Aufwendungen
verhältnismäßig größere Steigerungen des Um- und Absatzes vorwegzunehmen, die dann
natürlich auch eintreten müssen, damit die Rechnung stimmt - und weil das alle tun, kann
die Rechnung gar nicht aufgehen.
Weil nämlich alle Konkurrenten den Markt beherrschen wollen, erweist sich die kalkulierte
Unabhängigkeit von seinen Schranken immer wieder als trügerisch. Sicher, im nachhinein
kann jeder Schlaumeier auf irgendein besonders unverkäufliches Produkt zeigen und die
Weisheit beisteuern, die Firma stünde besser da, wenn sie statt dessen etwas
Verkäufliches produziert hätte; doch um die Wirtschaftskrise zu erklären, ist solche
»Kritik« zu konstruktiv. Sie übersieht, daß Unternehmen, die mit geliehenem Geld und
im Vertrauen auf zukünftigen Erfolg ihr Geschäft ausweiten, allesamt auf das periodisch
wiederkehrende Ergebnis hinwirken, daß sie insgesamt zu viel Reichtum produziert haben -
zu viel nämlich für den maßgeblichen Zweck, ihn weiterhin rentabel zu vermehren.
Irgendwo stockt der Absatz, Kredite bleiben unbedient, ganze Unternehmen werden
kreditunwürdig und reißen andere in die »roten Zahlen« hinein; bis, wieder einmal, von
allem zuviel da ist: zuviele Produktionsanlagen, zuviele Arbeiter, zuviele Waren, sogar
zuviel Kredit, der keine lohnende Anlagemöglichkeit findet. Aus lauter Überfluß
schrumpft das Geschäft; Kredite platzen, und Reichtum wird entwertet - bis die ganze
Scheiße von neuem in Schwung kommt.
Und wer sagt das seit 100 Jahren?
Was die Sache mit dem ewigen Auf und Ab der »Konjunktur« des kapitalistischen
Geschäftslebens betrifft, so hat das alsoschon seine Richtigkeit und Notwendigkeit. Aber
die ist überhaupt nicht so unergründ-lich und rätselhaft, wie dies in der Vor-stellung
einer periodisch immer wieder-kehrenden »Talsohle« mit anschließen-dem Aufstieg
imaginiert wird. Vielmehr rührt diese Notwendigkeit aus der Sturheit, mit der die
bürgerliche Gesellschaft an denbanalen Zwecken und Methoden der kapi-talistischen
Wirtschaftskunst festhält. Die Geschäftsleute, die praktisch mitgeteiltbekommen haben,
daß die Realisierung ihrer schönen Gewinne, auf die es ja ankommt,in letzter Instanz am
Markt ihre Schranke nun doch gefunden hat, und die mangelsAbsatzmöglichkeiten das
Produzieren nicht mehr für lohnend erachten, werden natürlich auch aus ihrem Schaden
nicht klug, sondern machen sich an die Wiederherstellung der verlorengegangenen
Geschäftsbedingungen; und zwar, wie es sich für Konkurrenten gehört, die einen auf
Kosten der anderen,weshalb zur Krise auch immer die Krisengewinnler gehören. Im Namen des
Gewinns und für den Gewinn wird fiktives Kapital in Gestalt wertloser Schuldzettel
gestrichen und auf diesem Wege der Kredit saniert, werden Warenkapital und
Produktionsanlagen entwertet und, wenn sich die Käufer finden, zu Billigpreisen
verramscht. Und dies alles, weil bisher mit Erfolg und damit demnächst wieder erfolgreich
»der Profit und das Verhältnis dieses Profits zum angewandten Kapital, also eine gewisse
Höhe der Profitrate, überAusdehnung oder Beschränkung der Produktion entscheidet, statt
des Verhältnisses der Produktion zu den gesellschaftlichen Bedürfnissen...« (K. Marx,
Das Kapital, Bd.III, S.269)
Wenn im Zusammenhang mit der Krise in Deutschland vom »Ausland« die Rede ist, von
eigensüchtigem »Nationalismus« - der anderen, versteht sich - und/oder von
»ausgefallenen« fremdländischen Märkten, so hat der bürgerliche Wissensdurst die
Frage nach dem Grund der Krise erfolgreich durch das Zitieren eines Schuldigen erledigt -
und ganz nebenbei die wirkliche Sachlage auf den Kopf gestellt. Es hat zum jüngeren
Erfolgsweg gerade des deutschen Kapitals ja nicht bloß die erfolgreiche Ausbeutung daheim
gehört, sondern die mindestens genauso erfolgreiche ökonomische Indienstnahme fremder
Landstriche, was heute kein Mensch mehr Imperialismus nennen möchte. Das schöne
Zusammenspiel von deutscher Außenpolitik und deutscher Wertarbeit war es, was der Nation
den Ehrentitel eines »Exportweltmeisters« eingebracht hat, und der drückt keineswegs
bloß aus, daß sich Waren made in Germany im internationalen Vergleich als unschlagbar
profitabel herausgestellt haben. Verlierer kennt die Konkurrenz der Kapitale auf dem
Weltmarkt nämlich schon auch noch. Und wegen der Eigentümlichkeit dieses Marktes sind
die nicht nur in den Reihen geschäftstüchtiger Unternehmer zu finden, also bei denen,
die deutsches Kapital auf ausländischen Märkten erfolgreich erledigt hat, sondern auch
bei den Nationen selbst: In ihren Außenbilanzen und am daraus resultierenden Härtegrad
ihrer Währungen spiegelt sich wider, in welchem Umfang Kreditzettel erfolgreich
kapitalisiert worden sind, als Geschäftsmittel getaugt haben oder nicht, so daß
»Bilanzdefizite« und »weiche« Währungen bei anderen Nationen nur die Kehrseite der
deutschen Geschäftstüchtigkeit und »Hartwährung« sind. Das Ausland, das jetzt der
konjunkturzersetzenden Mißwirtschaft bezichtigt wird, versagt die so selbstverständlich
reklamierten Dienste am deutschen Wachstum nur deswegen, weil seine Zahlungsfähigkeit
für die guten deutschen Bilanzen gebraucht und ruiniert worden ist. Wenn die
Rechtsanwälte der DM, die so selbstgefällig die Solidität des deutschen Geldes im
Vergleich zu den übrigen Nationalkrediten rühmen, über den Verfall der Wirtschaftskraft
näherer und fernerer Nachbarn klagen, so hat das seinen - gar nicht guten - Grund.
Erstens berufen sich die DM-Patrioten auf die Verschiebungen des europa- und weltweit
produzierten Reichtums in Richtung Deutschland. Die haben sich nämlich im Verfall einiger
auswärtiger Kreditgelder und in der Ausnahmestellung deutscher Schulden niedergeschlagen.
Zweitens beschweren sie sich darüber, daß Deutschland als Gläubiger einiger
auswärtiger Staatskassen »trotz« seiner Verdienste in der imperialistischen Konkurrenz
von der Krise betroffen ist. Das ist ihre Art, zur Kenntnis zu nehmen, daß seit der
Existenz eines Weltmarkts die Krisen des Kapitals immer auch solche der »Weltwirtschaft«
sind. Nationen, deren Kapitalisten sich durch die Schaffung von ausschließlich rentablen
Arbeitsplätzen an der Produktion aller Herren Länder bereichern, schädigen ihre
Konkurrenten, Lieferanten und Kunden bisweilen ein wenig mehr, als es dem eigenen
Geschäft zuträglich ist. Der Mangel an Profit an der einen Stelle entpuppt sich da
schnell als Zeichen für die Überproduktion von Kapital und als Auftakt für die
Entwertung von Kapital an allen anderen Stellen: »Mit Bezug auf Einfuhr und Ausfuhr ist
zu bemerken, daß der Reihe nach alle Länder in die Krisis verwickelt werden und daß es
sich dann zeigt, daß sie alle, mit wenigen Ausnahmen, zuviel exportiert und importiert
haben, also die Zahlungsbilanz gegen alle ist, die Sache also in der Tat nicht an der
Zahlungsbilanz liegt.« (K. Marx, ebda. S. 508).
Drittens aber melden sich die Kritiker des Auslands und seiner für die deutschen Bilanzen
so verheerenden Schwächen nicht eigentlich als Krisentheoretiker zu Wort. Selbst wenn sie
mit einem Professorenpatent ausgestattet sind, geht es ihnen um nichts anderes als um die
Überwindung der Schwierigkeiten, die der Rest der Welt dem Standort Deutschland und
seinen in DM verbuchten Kapitalgewinnen macht. Sie sind wegen der Krise endgültig zu
Fanatikern der internationalen Konkurrenz geworden. Sie haben bemerkt, daß es jetzt sehr
darauf ankommt, wo die fällige Entwertung stattfindet. Und mit Verweis auf den
Klassenunterschied zwischen den Nationen finden sie es furchtbar gerecht, daß der
deutsche Wirtschaftserfolg auch weiterhin auf Kosten der lieben europäischen Nachbarn und
anderer geht. Die kriegen denn auch zu spüren, daß unter deutscher Führung in Europa zu
viel akkumuliert wurde, und dagegen hat ihnen das um die »Ankerwährung« herumgesponnene
Kunstwerk EWS rein gar nichts geholfen.
Was schließlich die vielen »Märkte im Osten« betrifft, deren Wegbrechen irgendwie auch
mitschuldig an der Krise hierzulande sein soll, so ist auch diesem Lamento nur das
Umgekehrte zu entnehmen. Jene Märkte haben zu Zeiten der ja so furchtbar maroden
Planwirtschaft offenbar ganz ausgezeichnet für schwungvollen Handel getaugt und für das
deutsche Kapital als »entgegenwirkende Ursache« des Gesetzes des tendenziellen Falls der
Profitrate gewirkt. Jetzt, wo alle diese Oststaaten die Gesetze der »freien
Marktwirtschaft« als ihr Erfolgsprinzip entdeckt haben wollen und unter die ökonomischen
Sachgesetze praktisch subsumiert werden, die das kapitalistische Produzieren auszeichnen,
zeigt sich, was Überproduktion von Kapital in ihrem Fall heißt: Für die Akkumulation
von Kapital sind ganze Volkswirtschaften schlicht zuviel vorhanden. Sie fangen erst gar
nicht an zu funktionieren und verkommen entsprechend - es sei denn, aus ihrem natürlichen
wie menschlichen Inventar läßt sich das eine oder andere Anhängsel an den Standort
Deutschland verfertigen.
Die »deutschen Arbeiter«, so hört man von politischen und wirtschaftlichen
Sachverständigen, seien auch für die Krise in Deutschland verantwortlich. Von
Tarifverträgen und Sozialleistungen verhätschelt, arbeiteten sie viel zu wenig und dazu
noch zu teuer, und wenn ein deutscher Arbeitsmann »soviel kostet wie 70 Russen oder 10
Ungarn« (ein Arbeitgeberpräsident), bräuchte man sich ja wohl nicht über den
Niedergang der deutschen Wirtschaft zu wundern.
Daß demnächst jeder deutsche Arbeitsplatz aus Kostengründen mit - sagen wir: - 41
Russen oder 4 Ungarn besetzt wird, ist freilich nicht zu erwarten. Denn der Welterfolg des
deutschen Kapitals - den ja keiner bestreitet! - ist im Innern mit einer
weltrekordmäßigen Ausbeutung der Lohnarbeit und sonst nichts zustandegebracht worden. An
modernsten Arbeitsplätzen und mit allen Techniken der absoluten und relativen
Mehrwertproduktion hat der Lohn, der bezahlt wurde, genau die Arbeitsleistungen
mobilisiert, die deutschen Unternehmen die Ertragsbilanzen vergoldet haben. Diese
Arbeitsleistungen waren nämlich so produktiv, daß die »Kost«, die ein bezahlter Lohn
für die Unternehmen immer darstellt, im Vergleich zum Wertprodukt, das sie in immer
größerem Maßstab hervorbrachten, stets zurückging. Umgekehrt haben dieselben Methoden
der Steigerung der Arbeitsproduktivität auch dazu geführt, daß beständig in einem ganz
banalen Sinn an dieser »Kost« gespart werden konnte: Wo immer die Kalkulation des
Einsatzes von viel technischem Fortschritt versprach, das Senken des Preises der Arbeit
relativ zum Reichtum, den sie schafft, weiter voranzutreiben, fand die entsprechende
»Rationalisierung« - und mit ihr die »Freisetzung« eingesparter Lohnarbeiter statt. So
kann man die Produktivität der deutschen Wertarbeit an den lediglich noch drei Arbeitern
bestaunen, die ein ganzes Stahlwerk in Gang halten; aber eben auch an der Menge derer, die
ohne Lohn die Reihen der »industriellen Reservearmee« füllen oder schlicht als absolute
»Überbevölkerung« vergammeln. Ihre Zahl wächst derzeit aufgrund des »Sachzwangs«,
den die Krise für die Liebhaber der Marktwirtschaft nun einmal darstellt, sprunghaft an.
Daß die Rentabilität der Unternehmen - wg. Konkurrenz etc. - nur auf Kosten der
Lohnabhängigen wiederhergestellt werden kann, hat heutzutage natürlich mit Marx und
seiner Kapitalismuskritik nicht das geringste zu tun. Die Grundrechnungsarten des Kapitals
sind schließlich - unter Demokraten - nicht das Erfolgsrezept einer Klasse, sondern der
Garant des Allgemeinwohls; und das rechtfertigt jedes Opfer derjenigen, die mit ihrem
Lebensunterhalt bloß den Gang der »Wirtschaft« belasten, von dem sie abhängen.
Die ideell zum demokratischen Gemeinwohl vergesellschafteten Unternehmen leiden ganz
nebenbei aber auch darunter, daß sie ihre minutiös kalkulierten Geschäftsartikel - vom
PC bis zum Auto - nicht mehr profitbringend verkaufen können. Daraus geht hervor, daß
die »Menschen« nicht nur in ihrer Eigenschaft als zu teure Arbeitskraft für die Krise
eine gewisse Verantwortung tragen. Ein pflichtvergessenes Pack: erst zu viel Lohn, dann
auch noch zu wenig »Binnennachfrage« ... - es wäre auch noch schöner, wenn die
Veranstalter der Marktwirtschaft ein Kapitel aus dem Drehbuch für Krisen ausließen, das
Marx verfaßt hat: »Wie aber die Dinge liegen, hängt der Ersatz der in der Produktion
angelegten Kapitale großenteils ab von der Konsumtionsfähigkeit der nicht produktiven
Klassen; während die Konsumtionsfähigkeit der Arbeiter teils durch die Gesetze des
Arbeitslohns, teils dadurch beschränkt ist, daß sie nur solange angewandt werden, als
sie mit Profit für die Kapitalisten angewandt werden können. Der letzte Grund aller
wirklichen Krisen bleibt immer die Armut und Konsumtionsbeschränkung der Massen
gegenüber dem Trieb der kapitalistischen Produktion, die Produktivkräfte so zu
entwickeln, als ob nur die absolute Konsumtionsfähigkeit der Gesellschaft ihre Grenze
bilde.« (K. Marx, ebda., S. 501)
Die bürgerlichen Reflexionen über Grund und Ursache der Krise verraten in der Sache die
bodenlose Dummheit derer, die sie wälzen, und allein das ist schon, was das verbreitete
Ansehen betrifft, das der sich hier äußernde Sachverstand genießt, bedenklich. Noch
bedenklicher aber ist das affirmative Interesse, das hinter diesen Dummheiten steht.
Immerhin bringt ja die Anschauung, »Management-Versagen« auf breiter Front habe deutsche
Unternehmen in die Krise gebracht, ein in seiner Abstraktheit und Grundsätzlichkeit nicht
mehr zu überbietendes Votum für eine gelingende kapitalistische Ausbeutung zum Ausdruck.
Dieses Ideal mag jener Minderheit gut zu Gesicht stehen, deren praktische Interessen
ohnehin nichts weiter beinhalten als die Mehrung ihrer Geldvermögen und die auch alle
dafür geeigneten Mittel in Händen halten, andere zu den für ihr Interesse brauchbaren
Dienstleistungen zu erpressen. Von den Leidtragenden dieser Geschäftspraxis mitgedacht
oder gar noch vorgebracht, nimmt dieses Ideal sich allerdings schon ein wenig pervers aus.
Die haben sich offenbar die Frage danach endgültig und gründlich abgewöhnt, was sie
eigentlich davon haben, wenn sie ihr Leben lang als Manövriermasse der Mehrung eines
Reichtums dienen dürfen, der ihnen nicht gehört.
Dieselbe ohnmächtige Abhängigkeit vom Erfolgsstreben derer, die »die Wirtschaft« sind,
drückt die Anschauung von der Krise als demnächst wohl wieder überwundene »Talfahrt
der Konjunktur« bloß anonym aus: Die Umdeutung der ordinären Sachgesetze der
kapitalistischen Akkumulation in das schicksalhafte Wirken eines quasi naturgesetzlichen
»Konjunkturzyklus«, der die prognostischen Kräfte aller Wirtschaftsweisen und
Börsenspekulanten herausfordert, gibt das Bewußtsein der allseitigen Abhängigkeit vom
Profit zu Protokoll - nur eben nicht kritisch und als grundsätzlichen Einwand gegen
diesen Wahnwitz von Produktionsweise. Sondern eben affirmativ, so daß vom Profit des
Kapitals, dem alles Produzieren und Konsumieren subsumiert ist, gar nicht die Rede ist und
statt dessen ein anonymes Wesen namens »die Wirtschaft« zitiert wird, dessen
Wiederaufschwung man ideell den Daumen drückt - wenn man schon nicht reich genug ist, um
daran zu verdienen.
Wenn dann vom »Ausland« als dem Schuldigen an der hiesigen Krise die Rede ist, so machen
sich mit dieser Parole staatstragende Nationalisten bloß noch für das unbedingte Recht
auf deutschen Wirtschaftserfolg stark. Sie besehen sich den ganzen eingerichteten
Internationalismus des Kapitals und alle imperialistischen Verkehrsformen mit einer
schwarz-rot-goldenen Brille - und erkennen außerhalb deutscher Landesgrenzen prinzipiell
nur noch Feinde, die »uns« das Exklusivrecht auf den Wirtschaftsboom streitig machen. So
übersetzen sie die Krise des Kapitals locker in deutschen Imperialismus sans phrase, in
eine deutsch-nationale Mission erfolgreicher Durchsetzung nach außen - und das ist doch
mal eine Ausländerfeindschaft, die wirklich etwas zählt und bewirkt auf dieser Welt! Die
noch dazu den Vorzug hat, daß keiner sie dafür hält. Denn schlimm soll es ja erst
werden, wenn ein paar Abfallprodukte des deutschen Welterfolgs aus dem Ausland sich als
»Wirtschaftsflüchtlinge« beim Bundesgrenzschutz melden und die inländischen
sittlich-moralischen Abfallprodukte desselben deutschen Welterfolgs privat auf dessen
Unteilbarkeit bestehen - nützliche Idioten einer ganz und gar nicht unpraktischen
imperialistischen Barbarei, die in der Krise des Kapitals das verletzte Recht der Nation
und in der Wiederherstellung des letzteren den Weg aus der Krise sieht.
Was schließlich die »verwöhnten deutschen Arbeiter« in ihrer Eigenschaft als
Krisenursache betrifft, so ist das genaugenommen gar keine Ideologie, sondern das Programm
dieser Nation, mit dem sich die politische Herrschaft an die praktische Revision der
eingerichteten Lebensverhältnisse des Proletariats macht. Für einen möglichst
konkurrenzlosen kapitalistischen Standort Deutschland erscheinen ihr Löhne, Arbeitszeit,
Sozialleistungen und manch andere Gewohnheiten im Rahmen eines modernen Arbeiterdaseins
ganz schlicht als ein nicht länger hinnehmbarer Standortnachteil - also werden sie
abgeschafft, und das Volk wird auf etwas anderem Niveau damit vertraut gemacht, was es
alles so bedeutet, als Manövriermasse eines erfolgreichen Imperialismus zu fungieren.
Auch diese Schönheiten demokratischer Solidarität kommen aus dem Fall der Profitrate und
stehen bei Marx im Kapitel über dessen entgegenwirkende Ursachen, die das Kapital erstens
immer ins Werk setzt und die zweitens das Instrumentarium für den Weg aus der Krise
abgeben, welches Kapitalisten und Politiker auf das brave Arbeits- und Stimmvieh ebenso
wie auf den Rest der Welt anwenden.
Im preiswerten Skript von Marx heißen diese »entgegenwirkenden Ursachen« so: 1.
Erhöhung des Exploitationsgrads der Arbeit; 2. Herunterdrücken des Arbeitslohns unter
seinen Wert; 3. Verwohlfeilerung der Elemente des konstanten Kapitals; 4. Die relative
Überbevölkerung; 5. Der auswärtige Handel; 6. Die Zunahme des Aktienkapitals.
Gar nicht so wirklichkeitsfremd, oder?
Theo Ebel ist Redakteur der Zeitschrift »Gegenstandpunkt«
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