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Ausgabe 08/95, S. 16

Karl Held, Peter Decker
Krieg der Nationen

Weltordnen ist kein Gemeinschaftswerk - Lehren aus der kollektiven Betreuung des Balkankriegs

1.
Wenn nach dem Verlesen der neuesten Meldungen vom Kriegsschauplatz Ex-Jugoslawien deutsche Kommentatoren die Hilflosigkeit der Blauhelme beklagen; wenn sie zum energischen Zuschlagen aufrufen und unter beiläufiger Beschwörung ihrer Werte sowie der Gebote der Humanität kurzerhand ein paar Bomben bestellen, welche aber die Völkergemeinschaft aus unerfindlichen Gründen zurückhält - dann wird der fernsehende Bürger Zeuge einer imperialistischen Verlegenheit.
Diejenigen Zeitgenossen, die forsch mit der Verlegenheit umspringen, haben mit dem imperialistischen Charakter der Affäre kein Problem - sie halten die Einmischung ihrer Nationen in den Prozeß der Zerlegung alter und der Gründung neuer Staaten auf dem Balkan für ein selbstverständliches Recht und eine Pflicht dazu. Eine Minderheit, zu der die Autoren und Leser dieser Zeitschrift gehören, besteht darauf, den Vorwurf des Imperialismus insbesondere gegen die deutsche Nation zu erheben und zu beweisen. Als überzeugendste Fassung ihres Vorwurfs sieht sie eine Denunziation deutscher Außenpolitik an, die diese als Fortsetzung oder Wiederaufnahme des faschistischen Programms kennzeichnet. An Ideologien und Taten von Kinkel und Kohl wird ein »immer noch« nach dem anderen »schon wieder« entlarvt und eifrig an der Botschaft gebastelt, daß das neue demokratische Deutschland gar nicht die ihm gemäße Weltpolitik betreibe, sondern die von gestern. So daß ausgerechnet von der kapitalistischen Demokratie verlangt wird, sie habe ihre in der Nachkriegszeit so beredt inszenierte Distanzierung vom 3. Reich wahrzumachen und eine Nation ohne Nationalismus und imperialistische Anliegen zu sein. Dergleichen ist aber nicht zu haben. Die Parallelen des bundesdeutschen Umgangs mit dem Rest der Welt zum Vorgehen des faschistischen Staats, die in KONKRET ein ums andere Mal beschworen werden, haben ihren Grund nämlich in der bundesrepublikanischen Staatsraison - und nicht in den ewig-gestrigen Bedürfnissen einer Elite, die ihre antifaschistische Läuterung verpaßt hat.
Zur Vermeidung erneuter Mißverständnisse - es steht zu befürchten, daß allein schon die Rede von »Verlegenheit« für eine Verharmlosung gehalten wird - sei deshalb an dieser Stelle knapp umrissen, wovon wir reden, wenn wir »Imperialismus« sagen. Sowohl die Argumente gegen den deutschen Nationalismus, die in dieser Zeitschrift üblich sind, als auch die abenteuerlichen Rezepte zu seiner Bekämpfung - da kommt das ziemlich deutsche Projekt »Europa« ebenso zu Ehren wie der Nationalismus der anderen Mächte, der als probate Bremse des deutschen Unwesens angerufen wird - bestätigen einen Verdacht, den die Verfasser schon länger hegen: In der »Linken« meinen nicht alle dasselbe, wenn sie Nationalismus und seine Betätigung nach außen, Imperialismus eben, kritisieren.

2.
Letzterer besteht in der Konkurrenz zwischen Nationen. Die dreht sich um kapitalistischen Reichtum, dessen Vermehrung der Staat das Innenleben seiner Gesellschaft unterworfen hat und den er - Privateigentum hin, Klassengegensätze und Einkommensunterschiede her - zu nationalen Sozialprodukten zusammenrechnet. Das sind Geldgrößen, die seine Machtmittel darstellen, weil er das Wachstum von Kapital als das Lebensmittel der Nation etabliert hat. Die beschränkten Reichtumsquellen - das sind die auf seinem Hoheitsgebiet versammelten Schätze der Natur und die rentabel zu mobilisierende Arbeit - ergänzt jeder kapitalistische Staat um die des Auslands, in dem die einheimische Geschäftswelt viel profitbringende Arbeit, Produkte und Kaufkraft entdeckt. Die Erschließung der gesamten Staatenwelt für lohnende Investitionen heißt Weltmarkt; nachdem die Kolonialgeschichte und die Entkolonialisierung vollzogen sind, funktioniert der über ein höchstförmliches Anerkennungswesen zwischen Nationen, die sich als Staatsgewalten wechselseitig respektieren, um einander auszunützen. Erklärtermaßen besteht ihr Anliegen darin, diesen Inter-Nationalismus für die eigenen Bilanzen fruchtbar zu machen; daß der Weltmarkt bei allen Schönfärbereien über »wechselseitigen Nutzen« der Logik des ausschließenden Reichtums gehorcht, ist kein Geheimnis; ausdrücklich geht es um die Bereicherung der eigenen Nation auf Kosten anderer, und ein internationales Geld- und Kreditwesen verbucht minutiös die Schulden der einen als Gewinne der anderen. Im Stand des nationalen Geldes faßt jede Nation täglich neu die Erfolge bzw. Mißerfolge zusammen, die ihr der grenzüberschreitende Verkehr von Ware, Geld und Kapital eingespielt hat; mit den Erfolgen stehen den Gewinnern des Weltmarkts die Mittel zu Gebote, ihr Kapital bzw. ihre staatliche Anlagesphäre mit der »Konkurrenzfähigkeit« auszurüsten, die zur weiteren Bereicherung und ebenso zu weiterer Schädigung anderer Nationen taugt. So gerät der freie Weltmarkt zu einer Veranstaltung, in der sich die auf Kapital gegründeten und angewiesenen Staaten dauernd ihre Lebensmittel streitig machen, wobei Geschichten wie Schutzzoll und Freihandel noch die harmlosesten Veranstaltungen dieses Gegensatzes sind.
Bekanntlich warten auch moderne Nationen mit ihren Anstrengungen zur Landesverteidigung nicht bis zu dem Tag, an dem eine auswärtige Macht einmarschiert, um offene Rechnungen zu begleichen. Daß die Konkurrenz auf dem Weltmarkt die Verfügung über ein möglichst schlagkräftiges Militär nötig macht, ist den geschichtsbewußten Führungen schon von ihrer Staatsgründung her vertraut, die ja in der andere Mächte ausschließenden Eroberung von Raum und Volk besteht. Gerade heute, nach der Auflassung des Ostblocks, läßt sich ohne großen intellektuellen Aufwand studieren, wie gewalttätig sich das liebe »Selbstbestimmungsrecht der Völker« Bahn bricht, bis es durch einen Sieg im (Bürger-)Krieg als fertiger Staat auf der Landkarte und in der Uno Respekt genießt. Was ein solches Geschöpf der Gewalt dann in der Staatenwelt hermacht, zu welchen Bedingungen es zur Teilnahme am Weltmarkt von den etablierten Mächten zugelassen wird, ist ganz eine Frage der Potenzen, die es unter seiner Macht beherbergt. Dabei sind die einem Staat verfügbaren und auch für das Ausland zwecks »Partnerschaft« interessanten Reichtumsquellen für einen Souverän von recht geringem Wert, wenn er ihre Mobilisierung im Inneren wie ihren Einsatz als internationales Geschäftsmittel nicht durch Gewalt zu sichern und zu ihm tauglichen Bedingungen durchzusetzen vermag.
Deshalb ist es in der Staatenwelt von »Demokratie und Marktwirtschaft« üblich, einen ansehnlichen Teil der Erträge, die die Pflugscharen und weniger ländliche Gerätschaften abwerfen, auf die Finanzierung von Schwertern und anderen, eben den zeitgemäßen Waffengattungen zu verwenden. Daß dieser Brauch Leuten, die den Kapitalismus in reichen und großen ebenso wie in kleinen und armen Nationen gelegentlich vom Standpunkt der gesunden Volksernährung betrachten, wie Verschwendung erscheint, ist kaum zu vermeiden. Von der Staatsraison, der sie in ihrem moralischen Wohlmeinen einen Auftrag anhängen, den diese gar nicht verfolgt, haben sie jedoch keine Ahnung. Wo international tätiges Kapital das Mittel der Nation darstellt, also auch durch die politische Herrschaft gefördert und entwickelt werden muß, ist die Sicherung und Erweiterung der Reichtumsquellen durch militärische Gewalt die Überlebensbedingung jedes politischen Souveräns. Es soll ja auch schon vorgekommen sein, daß von auswärtigen Interessenten an den Reichtümern gewisser Nationen die nationale Art der Verwendung von Land und Leuten für weltmarkts- und freiheitswidrig angesehen wurde. Das hat dann manchmal zur Auslöschung der Souveränität, in anderen Fällen »bloß« zur Auswechslung der regierenden Mannschaften geführt - in einem großen Sonderfall hat nur die Selbstauflösung des Staats und die Einführung des einzig senkrechten Systems einen bis ins Detail geplanten Weltkrieg verhindert ...
Imperialismus besteht also auch in der Konkurrenz, die sich Nationen im dauernden Vergleich ihrer Kriegsmittel liefern. Diese Abteilung ist als unerläßliche Bedingung für die ökonomische Konkurrenz, in der es nach den Maßstäben des Geldes um den Zugriff auf auswärtigen Reichtum, um die Nationalisierung der Erträge des internationalen Handels geht, eine von den ökonomischen Bilanzen und Kalkulationen getrennte Aufgabe jeder politischen Herrschaft. Sie betrifft den Kern der staatlichen Souveränität, nämlich die Wahrung des Gewaltmonopols nach außen. Ihre Bewältigung orientiert sich an der kontinuierlichen Begutachtung der militärischen Kräfteverhältnisse - in der näheren wie ferneren Nachbarschaft der eigenen Nation. Sie schließt, nachdem der Weltmarkt wirklich »unsere Interessen« auf dem gesamten Globus zu einer Tatsache hat werden lassen, das Eingehen von kleinen und großen Bündnissen ebenso ein wie den Waffenexport. Dieser hat nicht nur die Bedeutung eines gigantischen Geschäftszweigs, der aus der mit nationalen Geldern und Schulden unterhaltenen Rüstungsproduktion eine nationale Verdienstquelle verfertigt; die Gewinne werden schließlich aus dem Budget des Auslands realisiert und sind ein schöner Posten in den Handelsbilanzen. Er ist auch das direkte Zugriffsmittel auf die Handhabung der Souveränität in befreundeten Nationen, die durch Waffenkäufe das ihnen gemäße Quantum an »Sicherheit« und »Stabilität«, daheim und in ihrer Umgebung, erwerben. Bisweilen dient der Waffenexport deswegen auch - erwünschten wie unerwünschten - Veränderungen der Machtverhältnisse in fernen Gegenden, was wiederum in unseren »zivilisierten Demokratien« die Gewissenswürmer des Imperialismus - die gar nichts gegen ihn haben - auf den Plan ruft ...
Militär- und Sicherheitspolitik ist in allen, den öffentlichen wie geheimen, Entscheidungen die Einflußnahme auf den Gewalthaushalt der Staatenwelt. Als unausweichliche Reaktion auf die Maßnahmen und Potenzen anderer Nationen verändert noch jeder Verteidigungsminister unentwegt die heimische Ausstattung, so daß von »unserem Boden« aus der nötige Krieg angedroht und geführt werden kann. Als in »unserem Interesse« liegend beschließt er, auf die Beschränkung oder Verbesserung der Rüstung anderer Staaten hinzuwirken. Dieses Handwerk - die Diplomatie und das dazugehörige Geschäft -, das einzig das Recht und die Mittel von Nationen zum Gegenstand hat, sich gegen andere zu behaupten und im Ernstfall durchzusetzen, gipfelt im strategischen Blick auf die politische Landkarte. Der mißt dem eigenen Staat wie den allerfernsten Gemeinwesen das erlaubte und verbotene Maß ihrer Bewaffnung und Kriegsführung zu, riskiert darüber Streit und Krieg mit ihnen, gerät auch in Konflikt mit ansonsten befreundeten Nationen, die ihre Vor- und Nachteile aus veränderten Kräfteverhältnissen anders gewichten - kurz: Die strategische Beurteilung der Staatenwelt und die ihr gemäße Einmischung befaßt sich andauernd mit dem Recht auf Gewalt, das eine Regierung sich selbst und anderen zugesteht. Sie macht sich an der Erhaltung oder Veränderung der Hierarchie unter den Staaten zu schaffen, definiert dabei höchstrichterlich - und in Konkurrenz zu anderen Richtern des gleichen Schlags - die Aufteilung der Welt: in Reichweiten nationaler Macht, in berechtigte und unberechtigte Sphären des Zugriffs, in Wirkungsbereiche der konkurrierenden Gewaltmonopole, also ihrer Existenzberechtigung.

3.
Wem die konkrete Bestimmung des Verhältnisses von Geld und Gewalt ihrer Kürze wegen zu abstrakt vorkommt, der möge sich in einer Zeitung die aktuellen Beispiele zu Gemüte führen. Im Wirtschaftsteil wird er die ökonomische Konkurrenz dokumentiert finden; und aus dem Zweck, den die deutsche Standort- und europäische Einheitspolitik wie auch der amerikanische Vorstoß gegen Japan verfolgen, wird da kein Hehl gemacht. Von der Idylle eines gleichverteilten Nutzens ist bei der Schilderung dieses »Kampfs um Märkte« nicht die Rede. Es wird offen die ökonomisch gebotene Auslandsfeindlichkeit abgehandelt, auf die dann selbst die Statisten des nationalen Wachstums ein Anrecht haben; leider weigern sie sich nicht, dafür gerade zu stehen - sie lassen sich lieber zur Ausländerfeindlichkeit animieren. An anderen Stellen wird jeder Zeitungsleser über den Aufschwung strategischer Großvorhaben informiert, die an die Stelle der großen Rüstungs- und Kriegsdiplomatie mit der SU getreten sind: Korea, Iran, Naher Osten, Nato-Erweiterung etc. Und ganz vorne auf der Titelseite wird er mit dem Weltordnungsfall Jugoslawien vertraut gemacht; der gehört in das Fach »strategische Einmischung« - in die praktisch aufgeworfene Frage, wie die Souveränität(en) im ehemaligen Jugoslawien beschaffen zu sein habe(n).
Kaum hatten sich an alten Provinzgrenzen (Raum) und »ethnischer Identität« (Volk) orientierte Bewegungen organisiert, um die Rechtsnachfolge des Tito-Staats gegeneinander abzuklären, war nicht nur die Gewaltfrage wie bei allen Staatsgründungen vor Ort akut. Mit der größten Selbstverständlichkeit der Welt haben Staatsführer in den Metropolen der freien Welt beschlossen, daß da ein Fall für sie vorliegt. Daß es um die Neubestimmung der staatlichen Macht »vor unserer Haustür« geht und daß das ein »vitales Interesse« berührt, haben die großen Europäer gewußt. Die amerikanische Regierung glaubt bis heute nicht, daß ein »vitales Interesse« der USA auf dem Spiel steht - herausgehalten hat sie sich aber nicht. Alle verspürten die Verantwortung, abwechselnd unter Berufung auf das »Selbstbestimmungsrecht der Völker« oder auf die »Unveränderlichkeit der Grenzen«, Lizenzen für neue Souveräne zu erteilen oder zu entziehen.
Die im Reich der Freiheit residierenden Herrschaften haben den blutig zu Werke gehenden Patriotismus vor Ort keinen Augenblick kritisiert, sondern verstanden, ihn in nützlichen und schädlichen zu sortieren, um ihn zu fördern oder einzuschränken. Wo das Recht von (herzustellenden) Nationen gegen das anderer steht und der Bedarf an Volk und Raum die bei solchen Grundsatzfragen fälligen Gewaltorgien hervorruft, wenden sich zivilisierte Europäer und Amerikaner nicht etwa mit Grausen ab. Sie wenden sich dem Krieg und seinen etwas parteilich definierten Opfern zu und leiten aus denen die Zuständigkeit ihrer Regierungen für die neue Ordnung ab. Sie haben sofort in die neuen Auseinandersetzungen eingegriffen, per Anerkennung - so verfahren selbsternannte Weltordner - neue Staaten aus der Taufe gehoben, anderen Aspiranten die Anerkennung versagt, munter an der Verteilung des Kriegsglücks mitgewirkt, und sie müssen 1995 zweierlei feststellen: Erstens lassen wir uns von denen, die wir gar nicht ermächtigt haben, viel zu viel gefallen; obwohl wir doch dazu befugt sind, setzen wir uns nicht durch, mehr Gewaltanwendung täte not. Zweitens sind wir mit unserer Einmischung gescheitert, das Unternehmen war ein Mißgriff und verdient, aufgegeben zu werden.
Diese Unzufriedenheit mit der eigenen Ohnmacht, unter der englische Generäle ebenso leiden wie deutsche Grüne, ist eine Folge der Art, in der die vereinigten Großmächte ihre Macht eingesetzt haben. Alle Staatschefs und Außenminister, die auf die Zerlegung Jugoslawiens Einfluß genommen haben, waren zwar scharf auf einen ihnen genehmen Verlauf der neuen Machtaufteilung. Aber keine Betreuernation hat sich in eigener Regie und unter Aufbietung ihres Geldes und ihrer Streitkräfte auf den Weg gemacht und »ihre« Ordnung in Angriff genommen. Öffentlich bekannt gemacht wurden - quasi als abschreckendes Planspiel - die militärischen, geländemäßigen Gegebenheiten etc.; und in dieser Sicht war das Kriegführen im Interesse einer Entscheidung der Machtverhältnisse vor Ort verworfen. Nicht verworfen war der Anspruch, bei den Patrioten, die sich zum Krieg anschickten, auf Gehör zu dringen.
Am deutschen Vorgehen in Sachen Anerkennung freilich wird nicht nur das Bedürfnis deutlich, sich für die Zukunft Europas Souveräne zu schaffen, die sowieso keine andere Wahl haben würden, als sich für die deutsch-europäische Sache ökonomisch wie strategisch dienstbar zu machen. Die Spekulation, daß mit der Existenz von Kroatien und Slowenien in jeder Hinsicht brauchbare Partner ermächtigt werden, ist in ein gemeinschaftliches - zunächst europäisches - Interesse verwandelt worden, per Diplomatie und heftiger Aktivitäten. Und das mit diesem Schritt übernommene Eintreten in Sachen Zurückweisung serbischer Ansprüche und Angriffe war ebenfalls keine allein deutsche Angelegenheit mehr. So ging es übrigens auch mit den anders gearteten Verfahrensvorschlägen der übrigen Aufsichtsmächte. Alle stellten sie ihre unterschiedliche Auffassung über die »Lösung« der künftigen Probleme mit zwei, drei, vier Gewaltmonopolen in Jugoslawien unter ihresgleichen zur Diskussion - und beschlossen die Betreuung des Krieges durch die »Völkergemeinschaft«. Dabei war der Versuch der Imitation des amerikanischen Vorgehens in Sachen Irak genauso kenntlich wie die entscheidende Differenz: Die Instrumentalisierung der Uno für eine national beschlossene und durchgezogene Abrechnung mit einem klar definierten Feind ist nicht herausgekommen.
Die Mission, die wirklich eine der Uno ist, erfreut sich der widersprechendsten Auslegungen durch die Mitglieder; sie stellt die Mächte, die sie unterschrieben haben, seit den ersten Tagen nie recht zufrieden - und umgekehrt sind die mit einem Mandat versehenen Unterhändler und Befehlshaber der Unprofor nie zufrieden gewesen mit dem von ihren Bemühungen abweichenden Benehmen der Großmächte. Die Beiträge zur Betreuung des Geschehens wurden zu Rechtsansprüchen auf die Interpretation dessen, was zu tun sei; auf die von Anfang an distanzierte Mitwirkung der USA und ihre Belange, die inzwischen auf ein Hintertreiben französischer und englischer Bemühungen hinauslaufen, mußte ebenso Rücksicht genommen werden wie auf Rußland. Das muß nämlich noch in Sachen Abrüstung, Nato-Erweiterung etc. zur Raison gebracht werden, verdient also Berücksichtigung, damit es sich der gemeinsamen Sache nicht entgegenstellt. So wurde aus einer in jeder Hinsicht grundsätzlichen inter-nationalen Rechts-, also Gewaltfrage ein Unternehmen, das alle Beteiligten bedauern, weil es nichts taugt: Die Akteure, die sich zum Eingreifen berufen wissen, haben die Konkurrenz unter sich zu vermeiden gesucht, die sie mit einem eigenständigen - nationalen, europäischen - Vorgehen herbeigeführt hätten. Auf diese Weise ist die Einmischung selbst zu dem Debakel geworden, das der Maßstab imperialistischer Effizienz so zu betränen gestattet. Aber auch zu einem Lehrstück des Inhalts, daß gemeinsamer Imperialismus nichts taugt. Und das ist keineswegs harmlos. Eine nüchterne Bestandsaufnahme der Uno-Mission, die nicht als chronologische Dokumentation entworfen ist, macht das deutlich.

4.
Das Mandat, das die vereinten Mächte der Uno für Jugoslawien erteilten, war Produkt nicht nur eines eifersüchtigen, sondern auch eines befangenen nationalen Kalkulierens. Sein Ziel war so methodisch formuliert, daß kein nationaler strategischer Erfolg mehr herauskommen konnte, andererseits wurde auch keine Ordnung definiert, die auf dem Balkan errichtet werden sollte: Mitten in den laufenden Krieg wurde mit neutralen und »friedenserhaltenden Maßnahmen« interveniert, die einer unbestimmten »Wiederherstellung des Friedens« dienen sollten. Die Uno, die EU und später die Kontaktgruppe entwarfen Friedenspläne und Landkarten und unterbreiteten sie den Kriegsparteien als Angebote, auf die man sich einigen sollte. Für den Krieg selbst wurden Regeln erlassen, die ihn humanisieren, eindämmen und am besten ersticken sollten: Waffenembargo und Flugverbot, Inspektionen von Internierungslagern, Versorgung und Schutz der Zivilbevölkerung. Nichtkämpfende Blauhelm-Soldaten sollten die Spielregeln und Grenzen der erlaubten Kriegführung durchsetzen, ohne den Krieg militärisch zu entscheiden, d.h. ohne selbst Krieg gegen eine oder alle der Parteien zu führen. Die Uno-Mächte verlangten nur Respekt vor ihren Soldaten, wenn diese sich als unparteiische Kontrolleure und humanitäre Helfer in den Krieg der bosnischen Fraktionen einmischen.
Mit diesen Maßnahmen wurden die Kämpfe in Kroatien vorläufig beendet, wurde die Ausweitung des Krieges auf Anrainerstaaten bzw. deren Einmischung in Bosnien und im jugoslawischen Raum verhindert. Durch Waffenembargo und Flugverbot gelang die Beschränkung der Kämpfe auf das Niveau eines Bürgerkriegs. Die dritte Leistung - die Versorgung belagerter Bevölkerungszentren, die Politik der Schutzzonen und Ultimaten hat den endgültigen Fall großer Städte verhindert und ging damit weit über das »Humanitäre« hinaus. Sie hat einen klaren serbischen Sieg unterbunden, das militärische Überleben der moslemischen Kriegspartei gerettet, den Krieg offen und in Gang gehalten.
So ganz unparteiisch waren die friedenserhaltenden Maßnahmen also doch nicht; der gemeinsame Wille der Interventionsmächte reichte zu wenigstens einem Diktat: Es darf keinen totalen Sieg einer Seite und keine totale Niederlage der anderen geben: »Dieser Konflikt kann nicht militärisch gelöst werden!«, diese sachlich falsche Behauptung ist tatsächlich eine Forderung nach »politischer Lösung«, d.h. danach, daß sich die Parteien durch die Aufsicht beschränken lassen. Die Weltmächte geben keine bestimmte politische Lösung vor - sie würden sich darüber so leicht auch gar nicht einig werden. Sie bestehen aber darauf, daß keine der Kriegsparteien untergehen darf und am Ende eine vertragliche Einigung zwischen ihnen stehen muß, deren Notar und Garant die Aufsichtsmächte zu sein beanspruchen. Wie diese Lösung aussehen soll, wird aber auch wieder den Parteien und ihren kriegerischen Leistungen überlassen; an den Wirkungen der Einmischung - gegen die Muslime das Waffenembargo, gegen die stärkeren Serben die Politik der Schutzzonen und der Ultimaten - sollten sie lernen, daß sie den Krieg nicht endgültig gewinnen bzw. das Blatt nicht entscheidend wenden können; daß sie also eine Friedensregelung von höherer Stelle nötig haben.

5.
Verrechnet haben sich die vereinigten Aufsichtsmächte in bezug auf den Gehorsam, den ihre symbolische Militärpräsenz und ihr bloßes Machtwort von seiten der Kriegsparteien erfährt. Sie haben sich darauf verlassen, daß Forderungen der vollständig versammelten Großmächte nicht widersprochen werden kann - daß diese also auch nicht regelrecht durchgekämpft werden müssen. Die Nationalisten vor Ort aber, deren Staatsgründungswille durch die Intervention gar nicht gebrochen werden soll, sondern mit dem gerechnet wird, kalkulieren ihrerseits mit dieser Sorte Behinderung ihres Krieges. Die Uno mischt sich als eine dritte Partei in den Krieg ein und beharrt darauf, daß sie Kriegspartei nicht ist. Sie kämpft nicht, verlangt aber, daß, wo sie ihre Versorgungsrouten und Schutzzonen einrichtet, der Krieg der anderen aufzuhören hat, und entzieht den Kampfparteien so Teile des umkämpften Territoriums. Kein Wunder, daß beide Parteien dies als Behinderung und als Parteilichkeit der Uno für die jeweils andere Seite auffassen. Die Serben bezichtigen die Uno, sie würde die Moslems unterstützen; die Moslems klagen, sie würde ihren gerechten Verteidigungskrieg bremsen, statt ihnen gegen die Aggressoren beizustehen. Beide Seiten paaren den Respekt vor den Weltmächten, der sie zu prinzipieller Unterordnung zwingt, mit einer kalkulierten Mißachtung der Forderungen der UN-Verbände und einer militärischen Ausnutzung ihrer Präsenz. Dadurch werden diese zum Element im Krieg, Randbedingung und Instrument der Parteien. Wenn aber der Respekt vor ihrem Diktat leidet, dann sind alle »humanitären«, den Krieg begrenzenden Leistungen der Uno nichts wert, ja kontraproduktiv. Die westlichen Weltmächte sehen im fehlenden Respekt der Kriegsparteien vor der Uno den Respekt vor sich beschädigt und halten es nicht aus, daß die von ihnen beschlossene UN-Mission, die ihrer ganzen Anlage nach kein Diktat sein kann, keines ist.

6.
Das Leiden an der Ohnmacht der Uno hat den Streit unter den Auftraggebern mächtig belebt. Er hat jetzt den Punkt erreicht, wo es nicht mehr um das beste gemeinsame Weitermachen der UN-Intervention geht, sondern um das Eingeständnis, daß der ganze Versuch nichts taugt und abgebrochen werden muß.
Jahrelang schon drängen sie darauf, daß die Uno sich bei den unbotmäßigen Kriegsparteien Respekt verschaffen müsse - immer wieder haben sie Bombardements gefordert und angedroht. Die Nato hat sich der Uno als ihr militärischer Arm aufgedrängt, der in ihrem Auftrag Luftangriffe gegen die bosnischen Serben fliegen sollte. Die US-Forderungen, die als Vorschläge zur Stärkung der UN-Mission vorgetragen wurden, zielten tatsächlich auf eine grundsätzliche Veränderung ihres Charakters: Die Rolle des neutralen Vermittlers, der seine beschränkte Wirksamkeit auf Kooperation mit allen Kriegsparteien gründet, sollte zugunsten antiserbischer Militärschläge aufgegeben werden. Die gegensätzlichen Zugriffsinteressen der imperialistischen Mächte hatten sich aber nicht zufällig nur auf die - schwache - Position der Vermittlung und Kriegsbeschränkung einigen können; besonders die Staaten, die das Uno-Mandat zu ihrer Sache gemacht hatten, wehrten sich. Die Rückbindung der Nato-Luftschläge an das Uno-Mandat und seine Befehlshaber verstärkte freilich nur die Unerträglichkeit der Lage für beide Seiten. Die Nato durfte nicht bomben, wenn sie wollte, und wenn, dann nur nach Vorwarnung der Bombenziele und nur zum Zwecke symbolischer Bestrafung, die ausdrücklich das Kräfteverhältnis der Kriegsparteien nicht verändern sollte. Andererseits machten Nato-Bomben die Rolle der Blauhelme am Boden immer unhaltbarer: Sie wurden zu Vertretern einer kämpfenden Partei und machten sich die Serben zum Feind, ohne daß sie vom Auftrag her selbst Feinde sein wollten oder es von der Ausrüstung her konnten.
Die USA, die mächtigste Militärmacht auf dem Globus, bereuen es längst, daß sie, statt zu führen, sich in ein UN-Mandat haben einbinden lassen, das sich keinen Respekt verschafft und seine Führungsmacht mit all ihrer militärischen Potenz zur Untätigkeit verurteilt. Sie verlangen den Abzug der Blauhelme und die Aufhebung des Waffenembargos gegen die Moslems. Die Weltmächte sollen aufhören, den Krieg einzudämmen und ihn statt dessen nach ihren Interessen schüren und die unterlegene Kriegspartei so weit aufrüsten, daß sie ein Ergebnis herauskämpfen kann, das den USA besser schmeckt. Den Vorwurf der Parteilichkeit darf die Einmischung dann nicht mehr fürchten, die Ausweitung der Kämpfe auch nicht.
Die USA haben den Kurswechsel und die Aufgabe der britisch-französischen Form der Einflußnahme auf den Balkankrieg aber nicht nur in den gemeinsamen Gremien von Uno und Nato gefordert, sie haben neben und außerhalb der supranationalen Aufsicht gehandelt: Mit dem Versprechen, sie würden beim Rückerobern helfen, haben sie das Bündnis zwischen Kroaten und Moslems erzwungen und deren Kämpfe untereinander beendet; sie haben die Aufrüstung und das militärische Training der Moslems organisiert und einen General in ihr Oberkommando gesetzt. Die gewachsene militärische Stärke und neue Offensiven der Moslems eskalieren die Lage und beflügeln die Serben, auch ihre Stärken auszuspielen: die Abschnürung, ja Eroberung belagerter Städte. Das blamiert von neuem die UN-Schutzversprechen und macht die Blauhelme selbst zu Zielscheiben. Jetzt werden die Depots schwerer Waffen, die die Uno vor einem Jahr im Umkreis von 10 km um Sarajewo eingesammelt und der Schutzzone damit einige Ruhe verschafft hatte, von Moslems und Serben geplündert, Uno-Soldaten werden nun von beiden Seiten als Hindernisse ihrer Kriegführung genommen, nicht mehr respektiert, beschossen und interniert. Nach dem Fall von Srebrenica scheint der Punkt erreicht, an dem die Aufgabe der Mission unvermeidbar wird.

7.
Briten und Franzosen wollen nun ihrerseits um ihren Einfluß auf den Balkan kämpfen. Statt abzuziehen, stocken sie ihre Truppen auf - und zwar um kämpfende Verbände, die einerseits unter nationalem Kommando, andererseits im Rahmen des Uno-Mandats die Respektierung der Blauhelme und die Durchsetzung ihrer »neutralen« Aufgaben erzwingen sollen. Ergänzt um die Niederlande wollen sie doch noch den Beweis liefern, daß die Parteien vor Ort ihre Kriegsziele nicht erreichen können und eine »politische Lösung« akzeptieren müssen.
Die europäischen Militärmächte dienen nun nicht mehr einem UN-Mandat, das die Weltgemeinschaft beschlossen und ihnen übertragen hat, sie machen ihre Rolle auf dem Balkan zu ihrem nationalen Interesse. Durch die Drohung mit offener transatlantischer Rivalität und durch ihre Entschlossenheit, die militärischen Opfer der »Rettung der UN-Mission« alleine zu tragen, haben sie sich in New York die Ausweitung des Uno-Mandats um weitere 20.000 Mann und einen bedingten Kampfauftrag beschafft. Auch wenn die Franzosen sich erste Gefechte mit den Serben vor Sarajewo um die freie Fahrt von Versorgungskonvois liefern, auch wenn sie gerade nach dem Fall der Schutzzone Srebrenica den Beweis nötig haben, daß die »Europäische Schnelle Eingreiftruppe« die Serben in die Schranken weist und einem Friedensplan unterwirft, richtet sich die Militarisierung der UN-Rolle gegen die Kriegsfreiheiten aller Bürgerkriegsparteien - und sie merken es: Die Moslemregierung wie auch die Regierung von Kroatien drohen, der Uno das Gastrecht zu entziehen und ihren Abzug zu erzwingen; Kroatien verbietet weiteren britischen Truppen die Landung in Split und fordert den Abmarsch der schon gelandeten noch im Juli; derweil verbietet ihnen die Regierung von Bosnien den Einmarsch in die Herzegowina. Der französische Generalstab erwartet ohnehin auf lange Sicht die größeren Schwierigkeiten mit den Moslems, die, durch amerikanische Rückendeckung mutig und potent geworden, aufs Rückerobern setzen und nicht mehr bereit sind, den militärischen Status quo zur Grundlage von Friedensplänen zu machen.
Von einer Konkurrenz der imperialistischen Mächte um die Führerschaft bei einer gemeinsamen Aufsichtsaktion kann also nicht mehr die Rede sein: Die USA haben sich eine Kriegspartei als Schützling gesucht und schaffen sich durch dessen Aufrüstung Einfluß - an der UN-Mission vorbei und gegen sie. Briten und Franzosen kämpfen um ihre Rolle als Repräsentanten der »Weltgemeinschaft« und um den Respekt der Kriegsparteien vor ihrem Vermittlungs-Diktat - gegen den Einfluß der USA, der diese Vermittlung unterminiert. Die Absicht der USA ist negativ: Sie streben keinen bestimmten, anders gearteten Frieden an, sondern zerstören eine europäische Einflußnahme, die sich nicht nach dem Geschmack und der Führung der USA richtet. Sie haben, wie sie selbst immer wieder sagen, »kein vitales Interesse« an den Moslems oder am zukünftigen innerbosnischen Grenzverlauf - ihr vitales Interesse besteht darin, zu verhindern, daß imperialistische Mächte an den USA vorbei, also gegen ihre Prärogative sich die benachbarte Staatenwelt zurechtmachen.

8.
Die deutsche Außenpolitik wird durch die transatlantische Konfrontation zu einer Wahl gezwungen, die sie bisher immer zu vermeiden wußte. Deutschland hat sich in der Jugoslawienpolitik nämlich den größten Widerspruch geleistet: Es war das erste Land, das Interesse am Zerfall des Tito-Staates angemeldet und auf Eingreifen gedrängt hat. Mit Beiträgen zur gemeinsamen Uno-Aufsicht aber hat es sich auffällig zurückgehalten. Es ließ nicht nur die Partner die von Deutschland angezettelte Sache durchstehen, es demonstrierte Unzufriedenheit über den Inhalt des Uno-Mandats, das nicht antiserbisch genug geraten war, und hielt auf Distanz.
Die deutsche Politik hat sich mit Kroatien lange vor den USA einen Schützling geschaffen, sich hinter dessen territoriale Ansprüche gestellt und entgegengesetzte serbische zurückgewiesen. Das stellt die deutsche Politik eigentlich an die Seite der USA. Lange galt die US-Forderung nach Aufgabe der Uno-Mission, nach Abzug der Blauhelme und nachfolgendem nationalen Ein- und Aufmischen als gleichwertige, vielleicht »moralischere« Alternative zum britisch-französischen Festhalten an der »Friedensmission«.
Endgültig entscheiden muß sich Deutschland, seitdem sich die USA gegen die Uno stellen, die dadurch zur Sache der europäischen Mächte wird. Jetzt nehmen deutsche Politiker die amerikanische Unterminierung der UN-Vermittlung als Angriff auf eine europäische Ordnungskompetenz und schlagen sich auf die Seite der EU-Partner. Reihenweise bekennen sie, daß die Aufhebung des Waffenembargos und der Abzug der Blauhelme - also die US-Balkanpolitik - »das Schlimmste für die Menschen« wäre und abgewendet werden muß, solange es irgend geht. Ohne eigenes Kriegsziel, ohne daß im Erfolgsfall ein deutsches Interesse auf dem Balkan vorankommen würde, und vor allem ohne Glauben an den Erfolg dieses Versuchs beteiligt sich Deutschland jetzt aus »europäischer Solidarität« an der »Schnellen Eingreiftruppe«: »Man kann Maastricht II nicht nur mit Papieren machen!« (Rühe). Tätige Waffenbrüderschaft und ein gemeinsamer Feind sind halt doch die einzige Gemeinsamkeit von Imperialisten, auf die sich eine »Politische Union« Europas eventuell gründen ließe.
Die bisher demonstrierte Distanz zu der von den europäischen Partnern getragenen Uno-Intervention hat Deutschland nicht nur den Vorwurf der Verweigerung eingebracht, sondern zeitweise auch Mitsprache gekostet. Die »Solidarität«, auf die die Partner im Ringen mit Amerika um ihre Rolle angewiesen sind, zeigt Deutschland also wegen eigener Ambition: Man will das Kommando bei der kriegerischen Etablierung der Ordnungsmacht Europa nicht den westlichen Nachbarn überlassen. Die »Arbeitsteilung«, die Briten und Franzosen gefiele - Deutschland bleibt zuständig für die wirtschaftliche und monetäre Stärke Europas, die beiden anderen für seine militärische und weltpolitische Rolle -, wird ihnen nicht erlaubt. Jetzt sitzt ein deutscher General in Piacenza und entscheidet, welche Kriegsakte deutsche Solidarität verdienen.

Schluß:
Es ist verfehlt, in die Jugoslawienpolitik der Weltmächte, die von allen Akteuren als quälendes Gezerre in einer sich stetig verschlechternden Lage gesehen wird, wunder was für eine - am besten deutsche und erfolgreiche - Zielgerichtetheit hineinzulesen, wie es KONKRET-Autoren gerne tun. Ebenso verkehrt ist die entgegengesetzte, apologetische Rede vom »Hineinschlittern« der Staatenwelt in einen Balkankrieg und in gegenseitige Konfrontation, mit denen spätere Historiker sich diese Phase der Weltpolitik nach gewohntem Muster zurechtlegen werden. Lesen die ersteren die Resultate des vierjährigen gemeinsamen Einwirkens auf den Balkan rückblickend als von Anfang an gewollte Absicht, so halten sich die Historiker daran, daß 1991 wirklich keine der beteiligten Mächte die Resultate gewollt hat, die sie durch gemeinsame Aktion hervorgebracht haben. Die Historiker unterschlagen dabei freilich, daß die Großmächte die unerwünschten Resultate nur wegen ihrer imperialistischen Ansprüche produzieren.
Genau das, was die gewählte Form der gemeinsamen UN-Intervention verhindern sollte, daß nämlich die Großmächte gegeneinander auf dem Balkan um Einfluß und Vasallen konkurrieren und sich auf verschiedenen Seiten der Front wiederfinden, kommt nun zustande - und alle Akteure sehen es und warnen davor, während sie es herbeiführen. Die deutsche Politik wünscht den transatlantischen Bruch und die Frontstellung gegen Amerika nicht, wenn sie sich gegen die USA an der außerhalb von Nato und Uno geführten »Europäischen Schnellen Eingreiftruppe« beteiligt - und sie demonstriert das: Wie zur Beruhigung des »partner in leadership« wird betont, daß es sich nur um einen allerletzen Versuch zur Rettung der Blauhelmmission handelt, über dessen Erfolgsaussichten nach ein paar Monaten geurteilt und neu entschieden würde. Auch die USA, die in der Sache nicht nachgeben, vermeiden den offenen Bruch des »Westens«: Frau Albright, Clintons UN-Botschafterin, darf sich abfällig über die »Schnelle Eingreiftruppe« äußern - »Nur mehr von dem, was wir schon hatten« - und den satzungsgemäßen Finanzbeitrag für die immerhin von der Uno beschlossene Aktion verweigern: »Sollen doch die Länder bezahlen, die ihre Soldaten hinschicken wollen; man kann ja einen Fonds einrichten, in den beitragswillige Staaten einzahlen können.« Derweil kündigt Clinton gegen den Willen des Kongresses doch eine symbolische Summe an; sein Argument: »Alles andere würde die Nato sprengen.«
Seit einem Jahr schwankt die US-Balkanpolitik zwischen dem Standpunkt, daß man sich von den Europäern nicht zur Ohnmacht verurteilen lassen dürfe, und dem anderen, daß die Rettung der Nato wichtiger sei als die Rettung Bosniens. Keine Seite sucht die Zerstörung der überkommenen strategischen Einheit des Westens, aber keine Seite ist bereit, sich dafür den Partner- und Konkurrenznationen unterzuordnen und auf eigene Ansprüche zu verzichten. Die bewunderte Gemeinschaftlichkeit, der 50jährige Frieden innerhalb des kapitalistischen Lagers war halt doch nichts anderes als eine notgedrungene Selbstbeschränkung von Nationen, eine erzwungene »Vernunft«, zu der sie ohne übermächtigen äußeren Feind gar nicht fähig sind und die sie - im vollen Bewußtsein der gefürchteten Konsequenzen - nicht mehr zustandebringen, sobald sie frei dazu sind.

Karl Held und Peter Decker sind Redakteure der Zeitschrift »Gegenstandpunkt«

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