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Ausgabe 06/94, S. 16
Gregor Gysi, Karl Held
Nachdenken in Ingolstadt
»Ist Wählen verkehrt?« Über diese Frage stritten Gregor Gysi und Karl Held während
einer Veranstaltung, die das »Café konkret« am 20. April in Bochum durchführte. KONKRET bringt Auszüge dieses Gesprächs
Gysi: Es gibt in jeder Gesellschaft zwei Öffentlichkeiten, eine
offizielle, eine nicht offizielle. Wenn der Abstand zwischen beiden zu groß wird, beginnt
die Gesellschaft sich zu zerstören, das kenne ich aus der DDR. Wir haben es mit einer
ganz ähnlichen Situation in der Bundesrepublik Deutschland zu tun. Nun gehöre ich nicht
zu denjenigen, die sagen, nicht wählen sei eine Katastrophe. Wenn jemandem nichts von dem
gefällt, was bei einer Wahl zur Auswahl angeboten wird, wüßte ich nicht, weshalb er
sich für irgend etwas entscheiden soll, was ihm nicht gefällt. Es gibt keinen Zwang für
das kleinere Übel. Wenn einem nichts gefällt, wählt man eben nichts. Das halte ich auch
für eine politische Entscheidung.
Natürlich hat das Nichtwählen damit zu tun, daß viele sehr unbefriedigt nach solchen
Wahlen sind und dann ja auch kaum noch Einfluß auf die politischen Vorgänge haben.
Deshalb bedürfte das Wahlrecht dringend einer demokratischen Reform, die aber abgelehnt
wird. Wir haben mehrere Wahlrechtsänderungen vorgeschlagen, ich nenne mal nur ein paar
Stichworte: Abschaffung der Sperrklausel, Herabsetzung des aktiven Wahlrechtsalters auf 16
Jahre, Einführung des Wahlrechts für Ausländerinnen und Ausländer, die 5 Jahre oder
länger ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland haben.
Nun kann ich die Frage, warum man denn überhaupt wählen sollte, nicht so abstrakt
beantworten, weil ich deutlich sagen muß, bevor einer falsch wählt, soll er lieber gar
nicht wählen. Ich kann nur begründen, weshalb ich zum Beispiel eben die PDS wähle und
auch für sie kandidiere. Im wesentlichen geht es mir darum, daß ich glaube, daß
Veränderungen in der Gesellschaft mit Oppositionen beginnen und daß der Wert von
Oppositionen viel zu gering bemessen ist. Natürlich bin ich mir darüber im klaren, daß
außerparlamentarische Oppositionen, außerparlamentarische Bewegungen sehr viel wirksamer
sind als parlamentarische. Wir haben nur gegenwärtig keine außerparlamentarische
Bewegung, oder so gut wie keine. Im übrigen muß im Falle einer außerparlamentarischen
Bewegung eine adäquate parlamentarische Opposition nicht schaden, sondern sie kann eher
nutzen. Ich habe beim Arbeitskampf der Kali-Kumpel das erstemal erlebt, wie das
funktioniert, wenn eine parlamentarische Gruppe und eben die Kali-Leute das zusammen
machen. Was da für ein gegenseitiger Gewinn entstehen kann und wie man hier
außerparlamentarischen und parlamentarischen Kampf miteinander verbinden kann. Wenn er
letztlich nicht den gewünschten Erfolg gebracht hat, dann auch deshalb, weil halt die
Belegschaften anderer Betriebe nicht mitgemacht haben.
Ich glaube daher, daß das Sinn macht, diese Rolle zu spielen, und zwar im Parlament und
außerhalb des Parlaments. Aus einem einfachen Grunde: Eine nicht veröffentlichte Meinung
ist keine öffentliche Meinung. Und wir leben nun mal in einer Mediengesellschaft. Man
kann sich ja über alle möglichen Instrumentarien in dieser Gesellschaft aufregen. Aber
wenn man sie nicht nutzt, wird man überhaupt nichts zur Veränderung dieser Gesellschaft
beitragen. Das heißt, Sie müssen Politik in die Öffentlichkeit bringen. Ob Sie mich
mögen oder nicht - daß Sie mich überhaupt kennen, hängt eben damit zusammen, daß ich
im Bundestag bin. Oder vorher in der Volkskammer war. Wenn ich da nicht gewesen wäre und
wenn ich dort nicht meine öffentlichen Auftritte gehabt hätte, würden Sie eben nichts
von meinen Anschauungen kennen. Das heißt, die Wirksamkeit, die
Öffentlichkeitswirksamkeit wäre gleich Null. Für jemand, der politisch etwas verändern
will, bedeutet, freiwillig auf die Chance von Öffentlichkeitswirksamkeit zu verzichten,
auf Politik zu verzichten. Deshalb bin ich schon sehr dafür, daß wir uns an der Wahl
beteiligen. Und die, die das mittragen und eine solche Haltung wollen im Bundestag und
außerhalb des Bundestages, sollten das dann eben auch unterstützen. Man darf auch nicht
unterschätzen, daß zur Politik in der Gesellschaft, in der wir leben, auch materielle
Möglichkeiten gehören. Und die sind natürlich besser, wenn Sie im Bundestag sind, als
wenn Sie nicht drin sind. Das ist einfach so.
Entscheidend ist aber folgendes: Durch die offizielle Politik und durch die Medien werden
gesellschaftliche Themen stets so besprochen, daß der Eindruck entsteht, es gebe zur
herrschenden Politik keine ernstzunehmende Alternative. Wenn Sie zum Beispiel die
Diskussion um die Pflegeversicherung nehmen, dann dürfte sich im Bewußtsein der
Bevölkerung verankert haben, daß es nur zwei Wege gibt: Entweder wir werden um zwei
Feiertage beschissen oder um einen. Das ist die Alternative. Und das ist auch das, was an
Opposition und Regierung sich darstellt. Würden sie aber die Einkommenssteuer nur um
einen einzigen Prozentpunkt erhöhen, wäre die gesamte Pflegeversicherung bezahlt, und
ich bräuchte weder über Karenztage noch über Feiertage oder weiß ich was nachzudenken.
Ich kann viele andere Beispiele nennen, wo es um eine ganz konkrete, auch durchaus
machbare Veränderung von Politik ginge. Ich möchte gerne in den Bundestag, um
Öffentlichkeitswirksamkeit dafür zu erreichen, daß wir über wirkliche Alternativen zu
dieser Gesellschaft und ihrer gegenwärtigen Entwicklung nachdenken - in politischer,
ökonomischer, sozialer und kultureller Hinsicht. Und ich weiß, daß die Möglichkeiten,
einen Beitrag dazu zu leisten, mit Bundestag günstiger sind als ohne. Sie sind schon mit
Bundestag für mich und die Abgeordneten der PDS eher sehr gering. Aber ohne Bundestag
wären sie absolut Null. Denn wenn ich freiwillig am Rand der Gesellschaft vegetiere, kann
ich zwar hervorragend rummotzen, aber nie im Ernst die Gesellschaft verändern. Eigentlich
will ich das dann auch gar nicht, oder wenn ich es will, dann fällt mir halt nicht ein,
wie ich das schaffen kann.
Wer eine gesellschaftlichen Diskussionen will, wer eine wirkliche Opposition will, die
nicht einbezogen ist in die Machtkungelei, der sollte PDS wählen, weil wenn wir bestärkt
in diesem Parlament sitzen, werden wir mehr Öffentlichkeit mit unseren gesellschaftlichen
Themen und Alternativ-Ideen erreichen. Ich habe eben ein Ingolstädter Manifest in
Ingolstadt veröffentlicht, wo ich meine Vorstellungen zu einem neuen Gesellschaftsvertrag
in der Bundesrepublik geäußert habe. Da ist sicher vieles entwicklungsfähig. Aber was
mir Sorgen macht, ist, daß so selten tiefer nachgedacht wird.
Daß auch die PDS nicht das Gelbe vom Ei ist, weiß ich selber und besser als andere. Aber
es ist ja alles relativ im Leben. Sie ist immer noch das beste, was der Parteienmarkt
derzeit anzubieten hat. Im übrigen - das hat sich bei der Brandenburg-Kommunalwahl
gezeigt - haben die Stimmen für die PDS die Regierung wirklich geärgert, was ich aus
ihrer Sicht auch verstehe. Die wollen diese linken Politikansätze nicht im Parlament
haben, und wir stören sie in ihrem Biotop-Dasein. Erst haben die Grünen sie acht Jahre
lang gestört, und kaum haben sie die geschafft, sitzt da schon wieder so ein neuer Haufen
rum, der stört. Man hat nicht so oft die Gelegenheit, seine Regierung zu ärgern, aber in
diesem Superwahljahr haben Sie diese Möglichkeit, indem Sie PDS wählen. Das einzige, was
sie wirklich ärgert. Und da verstehe ich nicht, warum man eine solche Chance auslassen
sollte.
Held: Wer weiß, daß eine außerparlamentarische Opposition das einzig
Senkrechte ist, der soll doch für sie tätig werden und sich nicht für den Notweg
entscheiden. Jetzt kommt also eine neue Variante des kleineren Übels als Argument daher:
Eigentlich wäre klassenkampfmäßige soziale Umwälzung und sonst was fällig. Aber weil
das im Moment nicht unterwegs ist, beschränke ich mich eben darauf, wenigstens etwas in
dieser Richtung zu tun. Ich vertrete andere Ansichten über Politik, über die
Staatsführung, über die Art, in dieser Nation rumzuholzen. Alternativen will ich
repräsentiert haben und zu Gehör bringen. Wenn alle die, die seit 50 Jahren so
argumentiert haben, immer wirklich das andere getan hätten, dann gäbe es vielleicht
dieses Ding namens außerparlamentarische Opposition wirklich.
Zweitens will ich nicht jemanden, ich zähle mich dazu, der ganz anderer Auffassung über
Politik und die Parteien ist, die die Politik machen, klassifiziert wissen als
außerparlamentarische Opposition. Ich will parlamentarische und außerparlamentarische
Opposition nicht unterschieden haben. Es geht um einen Unterschied in der Sache. Der will
mal festgehalten sein. Vielleicht ist ja dieses schnoddrige Argumentieren mit: Da kann man
mal den Kohl ärgern oder die Regierungsparteien, wenn man die PDS wählt, für
demokratische Gemüter, für Leute, die sich schon ewig über die ärgern, aber nicht
genau wissen, warum, eine stimmungsmäßige Angebotstat, mag sein. Mir sagt das alles gar
nichts. Kohl ärgern - das ist eine Dimension, die kommt mir nie in den Kopf.
Ich weiß, wozu Kohl oder auch sein Nachfolger aus der SPD, wenn es denn so ausgehen
sollte, einen Staat führen. Was sie regieren, worüber sie regieren, das interessiert
mich viel mehr, als diese Amateurspielchen: Da haben sie sich aber aufgeregt, wie wir
einmal 20 Prozent gekriegt haben. Es geht mir um die Staatsräson. Es geht mir darum,
worauf es denen überhaupt ankommt, die in Deutschland so oder ein bißchen anders oder
noch ein bißchen anders die Macht haben wollen.
Das ist ja fast schon ein Porträt des Unsinns demokratischen Wählens, was Sie hier
abgeliefert haben, ein Porträt der Belanglosigkeit des Stimmenabgebens, -auszählens,
eine Karikatur auf den Versuch früherer kommunistischer Parteien, die gesagt haben, das
Parlament ist eine Tribüne, aber eine des Klassenkampfes, und im Parlament wird der Staat
mit seinen Zielsetzungen und Mitteln, mit seinen Gemeinheiten und Ambitionen schlecht
gemacht, während die eigentliche Entscheidung darüber, ob der Staat sich so hält, wie
er ist, in einer ganz anderer Sphäre fällt, über ganz andere, ich nenne es mal höflich
"Entscheidungsprozesse", als die des Handhebens im Parlament. Das war früher
mal die Überlegung mit der Tribüne des Klassenkampfes.
Es ist irre, wie ehrlich, wie brutal Sie hier die Machtverhältnisse, die mit dem
Stichwort "Öffentlichkeit" bezeichnet sind, anführen. Von Öffentlichkeit kann
man durchaus ausgegrenzt sein. Die kann man haben oder nicht. Die kann einem zur
Verfügung gestellt oder auch entzogen werden. Öffentlichkeit ist doch nicht etwas, wo
einer auf meine Argumente hört, darauf, was ich so an Überlegungen habe. Öffentlichkeit
ist etwas Organisiertes, ist etwas mit Hetze und Vorbereitung. Sie meinen wohl, man muß
nur ein Schlagwort zu seinen Gunsten unter die Leute bringen, und dann halten die schon
irgendwie zu einem. Eine absurde Vorstellung.
Ich will auch nicht das Wahlrecht ändern, ich will vor allen Dingen nicht, daß jetzt
auch schon 16jährige denselben Unsinn machen sollen, den bislang schon die ab 21 oder 18
gemacht haben. Sie haben Probleme mit der 5-Prozent-Hürde und meinen, runter auf 16, dann
wird die zu überspringen sein. Aber das ändert doch überhaupt nichts an der Qualität
der Entscheidung, die jemand trifft, wenn er seine Stimme abliefert. Was soll denn das?
Zum Schluß wird im Kindergarten auch schon gewählt. Das kanns doch nicht sein.
(Zwischenruf: »Und das entscheidest du!?«)
Na klar. Es ist seltsam, daß du mich das fragst. Der Vorschlag ist von mir abgelehnt.
Aber der Vorschlag kommt doch nur von jemandem, der glaubt, daß mit den 16jährigen in
der Wahl mehr anzustellen ist als bislang mit denen ab 18. Worauf kalkuliert er da? Das
ist meine Frage. Was soll denn da gut dran sein? Wenn ich sage, wähle PDS statt CDU, dann
muß es dafür Gründe geben. Da gibt es möglicherweise viele Gründe, aber die gibt es
dann doch auch schon bisher für die 18jährigen. Da muß ich doch nicht ausweichen auf
die noch jüngeren, weil ich glaube, die würden anders entscheiden. Ich kann doch nicht
sagen, ich wähle mir eine andere Wählerschaft, und dann sieht es besser aus.
Wofür stehen Wahlen? Wahlen ändern nicht das Recht. Das Recht wird geändert oder
beibehalten - von denen, die aus Wahlen ihre Macht beziehen. Dabei berufen sie sich aber
nicht auf den Inhalt dessen, was Wähler meinen und möchten, sondern nur darauf, daß sie
gewählt worden sind, und auf wirtschaftliche Sachzwänge. Bei jeder Wahlaussage einer
Partei kommt man darauf, daß sie die Macht haben wollen, aber zugleich darüber Bescheid
wissen, daß sie in gewisser Hinsicht ohnmächtig sind. Die größte Oppositionspartei in
der Bundesrepublik, die SPD, weiß schon jetzt, was sie in der Arbeitslosenfrage
garantiert nicht versprechen will und kann und soll. Sie alle wollen die Staatsräson -
und die Arbeitsplätze sind da, entweder weil sie rentabel sind, oder sie sind nicht da,
weil sie eben nicht rentabel sind. Daran wollen sie doch gar nichts ändern. Das kannst du
gar nicht abwählen mit deiner Wahlstimme. Es ist doch beschlossene Sache, auf welchen
Grundlagen dieser Staat beruht, welche Sorte Wirtschaft er haben, welche Rechnungsart er
in der Gesellschaft zur Geltung bringen will. Das macht er doch mit seiner Staatsmacht.
Also da ist überhaupt nichts zu holen. Darüber habe ich nachgedacht, und dafür brauche
ich keine 16jährigen, das machen die Älteren mit ihrer Dummheit. Die stimmen für eine
Staatsführung der einen oder anderen Sorte ab, aber sie werden nicht befragt darüber,
nach welchen Prinzipien dieses blöde Gemeinwesen denn auf welche Staatsziele hin regiert
werden soll.
Das gilt auch für Themen wie: wir und unsere Zuständigkeit für ganz Europa; unsere
gewachsene Verantwortung in der Welt. Hat das einer bestellt, daß Deutschland eine
gewachsene Verantwortung wahrnehmen und überall auf der Welt auf Kriege und sonstwas
reagieren soll? Wieso denn eigentlich? Wieso soll ich außer für meinen eigenen Kram, zu
dessen Bewältigung ich unter den herrschenden Verhältnissen kaum mehr imstande bin, auch
noch verantwortlich sein für weltpolitische Fragen der ganz anderen Art - früher hat das
mal Imperialismus geheißen, jetzt heißt das "gewachsene Verantwortung", und
immer wenn in Jugoslawien eine Frau geschändet wird, ist es eine Schande für
Deutschland, das nicht verhindern zu können. Da muß man schon Nationalist sein und
befürworten, daß die Nation mit ihrem Gewaltmonopol und mit ihren Gewaltmitteln auch
nach außen die Zuständigkeit verdient, in der Welt Ordnung zu schaffen und nach dem
Rechten zu sehen.
Gysi möchte ich nur fragen: Ist irgendeine Änderung der Staatsräson dieser Republik
abzusehen? Ist da in der Wahl irgend etwas zur Wahl gestellt? Arbeitslosigkeit,
Exportnation? Internationale Zuständigkeit - steht sowas zur Abwahl? Nein. Dann soll man
aber auch nicht so tun. Die Ziele der Nation erfordern künftig offenbar, daß der Bessere
nur der ist, der die fälligen Opfer ehrlich ankündigt und sie nicht verschleiert. Was
ist das für eine Wahl? Wo ist denn da das Interesse des Bürgers? Es sei denn, er ist ein
Nationalist und wünscht sich selbst auf eigene Kosten immerzu bloß den Erfolg der
Nation.
Gysi: Ich kenne die 40jährigen Erfolge der MG in der Bundesrepublik
Deutschland. Ihr habt die Welt enorm verändert in diesen 40 Jahren, nämlich um 0,0
Prozent.
(Zwischenruf Held: »Das Erfolgs-Argument ist das gemeinste in der ganzen Geschichte der
Arbeiterbewegung. Verlieren, Nachgebenmüssen ist etwas ganz anderes als Recht oder
Unrecht haben.«)
Du hast davon gesprochen, daß Deutschland eine andere Rolle in dieser Welt anstrebt und
mit der eigenen Staatsräson das Recht für sich in Anspruch nimmt, diese Welt nach seinen
Vorstellungen zu verändern, und zwar immer stärker auch durch Militär. Du hast gesagt,
daß sie Kriege führen wollen, dem stimme ich zu, und deswegen sage ich dir eins: Da wird
dieser Golfkrieg geführt, und da gibt es eine ganz breite gesellschaftliche Resonanz. Und
da kann ich eben im Bundestag meinen absolut konträren Standpunkt zum Ausdruck bringen -
gegen den Golfkrieg ebenso wie gegen den Einsatz in Somalia oder im ehemaligen Jugoslawien
oder wo auch immer. Und es hören eben mehr, als wenn ich es nur hier sage. Das ist der
Punkt. Das ist nicht meine Einbildung, das ist Realität.
Ich halte diesen Verzicht auf Öffentlichkeitswirksamkeit für einen Verzicht auf die
Chance zur Veränderung von Denken und damit auch von gesellschaftlichen Strukturen. Und
wenn du sagst, die Leute, die das immer erzählen mit dem Parlament, hätten die Zeit
nutzen sollen, außerparlamentarische Bewegungen zu installieren, dann wird allerdings
hier ein gravierender Unterschied zwischen uns deutlich. Ich bin der festen Überzeugung,
daß sich außerparlamentarische Bewegungen nicht künstlich erzeugen lassen. Sie lassen
sich unterstützen, man kann einen Beitrag leisten zu ihrem Aufbau, wenn die Stimmung
dafür da ist. Wenn - du kannst sie nicht erzwingen.
Im übrigen schaffe ich sie mehr über den Bundestag als ihr mit eurer Ausgegrenztheit am
Rande der Gesellschaft, davon bin ich überzeugt. Ich habe nie gesagt, daß ich statt
außerparlamentarischer Bewegung Parlament mache. Ich habe in bezug auf Bischofferode
gerade über die Verbindung zwischen beiden gesprochen. Ich mache weiß Gott mehr konkrete
Arbeit vor Ort als manche, die das immer auf ihre Fahnen schreiben. Ich kann gar nicht
mehr zählen, wie oft ich in Bischofferode und an anderen Orten war, und habe mich nicht
etwa auf den Bundestag zurückgezogen und gesagt, ich halte da eine Rede oder gehe in
einen Ausschuß. Nein. Genau diese Verbindung halte ich für unheimlich wichtig. Und ich
fände es eine Katastrophe, wenn auch über diesen Bundestag zum Beispiel keine Meinung
mehr gegen den Golfkrieg etc. öffentlichkeitswirksam vertreten werden würde, weil das
nämlich auch die Chancen verringert, daß Menschen kritisch über diese Prozesse
nachdenken. Ich behaupte, es wäre bei aller Scheiße, die da passiert ist, ein Verlust,
wenn es Reden wie meine in der Asylrechtsdebatte nicht gegeben hätte, weil sie dann
sozusagen keinerlei Öffentlichkeitswirksamkeit erreicht hätten, oder viel weniger. Und
in dem Sinne meine ich Opposition sehr ernst.
Ich habe bewiesen, daß ich auch wirksam werden kann, wenn ich im Bundestag bin, und sogar
wirksamer. Und ich finde es für eine Opposition einen ganz absurden Gedanken, auf Mittel
und Möglichkeiten verzichten zu wollen, wirksame Opposition zu machen. Ich bin gewillt,
zumindest solange ich ernsthaft diese Gesellschaft verändern will, die Instrumente, die
mir gegeben sind, möglichst öffentlichkeitswirksam zu nutzen. Und da habe ich nur eine
begrenzte Wahl. Das weiß ich. Ob man es rüberkriegt und wie man es rüberkriegt, ist
eine andere Frage.
(Zwischenruf: »Was willst du denn rüberbringen?«)
Zum Beispiel daß man die Massenarbeitslosigkeit sehr wohl mit einer alternativen Politik
wirksam bekämpfen kann.
(Zwischenruf: »Wie denn?«)
Erstens brauchen wir eine sofortige Reduzierung der Arbeitszeit auf 35 Stunden pro Woche
und ein gesetzliches Verbot von Überstunden, die über eine bestimmte Zahl hinausgehen.
Zweitens brauchen wir den vollen Lohnausgleich für alle durchschnittlichen und
unterdurchschnittlichen Einkünfte und gewisse Abzüge bei den überdurchschnittlichen.
Drittens brauchen wir die Inanspruchnahme des frei vagabundierenden Kapitals von über 700
Milliarden Mark. Das ist sogar nach dem Grundgesetz möglich. Tut mir leid, das kann man
machen, um damit Arbeitsplätze im Bereich von Ökologie, Kultur, Dienstleistung,
Sozialbereich usw. zu schaffen.
Ich bin gerne bereit, unsere ganzen Programme, unsere Alternativen darzulegen. Ob
Golfkrieg, Jugoslawien, Asylrecht, da haben wir eben wirklich absolut alternative
Positionen bezogen und die untermauert. Und es wäre schlimm, wenn solche Positionen
überhaupt keine Öffentlichkeitswirksamkeit mehr hätten und damit auch keine Chance
mehr, sich Schritt für Schritt zu verbreiten.
Du hast dann gesagt, früher haben Kommunisten versucht, das Parlament als Tribüne des
Klassenkampfes zu gebrauchen. Damit hast du den Parlamentarismus auf deine komische Art
bejaht.
(Zwischenruf Held: »Nein!«)
Wolltest du damit sagen, daß du das auch schon falsch fandest?
(Zwischenruf Held: »Ja!«)
Es geht aber gar nicht in erster Linie um eine Tribüne, sondern es geht um die Nutzung
vorhandener Instrumentarien, um Schritt für Schritt eine Öffentlichkeit herzustellen,
die eine andere Gesellschaft anstrebt.
Weil du gesagt hast, daß du keine Wahlrechtsänderung willst, nehme ich an, daß du auch
das Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer ablehnst.
(Zwischenruf: »Weil die den gleichen Scheiß wählen.«)
Ja, weil die den gleichen Scheiß wählen. Ich habe das Argument verstanden. Du
unterstellst mir da ein Motiv. Du sagst, ich rechne mir aus, wie die wählen und daß ich
davon Vorteile habe. Das ist wirklich CDU-Niveau, tut mir leid. Vielleicht traust du mir
einen Gedanken mehr zu als den ganz engen Stimmenauszählungsgedanken. Dieser Gedanke mehr
ist eine gewisse Erfahrung, die ich mit dem Rassismus in den letzten Jahren gemacht habe.
Bei vielen Deutschen entsteht u.a. auch dadurch ein Gefühl der Überlegenheit gegenüber
ihren ausländischen Nachbarinnen und Nachbarn, daß diese weniger Rechte haben. Das
heißt, wenn du eine Gleichstellung in den Rechten herstellst, wertest du Menschen damit
in der Sicht ihrer Kolleginnen und Kollegen und Nachbarinnen und Nachbarn auch in gewisser
Weise auf. Schon deshalb möchte ich, daß Ausländerinnen und Ausländer das Wahlrecht
haben, und zwar ganz egal, was sie wählen. Zweitens: Wenn 6 Millionen Ausländerinnen und
Ausländer hier ein Wahlrecht bekommen, hat das den weiteren Vorteil, daß die
herrschenden Parteien sich wenigstens in ihrem rassistischen Vokabular etwas zurücknehmen
würden, weil sie auf deren Stimmen meinen angewiesen zu sein.
Natürlich weiß ich selbst, daß ich die Welt in diesem Bundestag nicht verändere. Aber
ich arbeite wenigstens aktiv an Veränderungsmodellen und Vorschlägen mit meinen Mitteln
und Möglichkeiten. Und es als gleichgültig zu betrachten, daß es viele Grüne und die
PDS gibt, die zum Beispiel gegen diese Auslands-Einsätze sind, halte ich einfach für
leichtfertig, weil es nämlich bedeuten würde, alles denen zu überlassen, deren Macht du
eigentlich brechen willst. Du willst ihnen die Öffentlichkeit überlassen, du willst
ihnen die Parlamente überlassen, du willst ihnen völlig allein die Meinungsbildung
überlassen. Und damit überläßt du ihnen allein letztlich auch die Wirksamkeit vor Ort.
Das war ja auch das Ergebnis der letzten Jahrzehnte.
Held: Immerzu darüber zu reden, daß man Einfluß in der Öffentlichkeit
haben will, daß man also Eindruck schinden will, das gehört zu einem Gewerbe, das nenne
ich Wahlkampf, und dafür gebe ich mich nicht her. Vorhin hat einer gesagt, das hat mir
ungefähr in den Kram gepaßt, es solle einer nicht riesige Finanzkapitalien umwidmen
wollen nach Berechnungen, über die er gar nicht verfügt. Das ist die eine Seite der
Illusionen, die da kursieren. Ich kann die Fortsetzung machen davon. Einmal an der
Regierung beteiligt, würden diese Leute sich allen Rechnungen, die diese Nation regieren,
unterordnen. Die würden sofort wissen, was da geht, was da nicht geht. Rentabilität ist
schon noch der Hammer in diesem System, nicht Gebrauchswert und Nutzen und Auskommen und
Einkommen.
(Zwischenruf: »Meine Steuern werden ja auch umgewidmet. Warum kann der Staat dann nicht
Milliarden in die Betriebe ...?«)
Weil er es nicht will. Weil er seine Steuern zu einem ganz anderen Zweck einzieht als zu
dem, den du von ihm verlangst. Du wirst viel schneller zum Verfassungsfeind durch deinen
Umwidmungsantrag als du denkst. Jeder, der diesen Staat regiert, beruft sich erstens auf
Sachzwänge des Rechts, zweitens auf Sachzwänge des ökonomischen Lebens, national wie
international. Des öfteren stößt einem Bürger, einem arbeitslosen zumal, auf, man
könne doch für diesen Tornado auch zwei Schulen bauen oder sowas. Immer wieder kommt das
vor, das ist uralt. Das könnte man eben nicht, sage ich dagegen. Das geht eben nicht.
Denn wer die Tornados in Schulen und Krankenhäuser umwidmet, der führt dann auch nicht
diese Staatsräson durch. Der zieht auch die Leute nicht zu der Sorte Arbeit und
Arbeitslosigkeit heran, die hier gefragt ist. Werd doch gleich Kommunist, möchte ich da
raten.
(Zwischenruf: »Es gibt doch in der bürgerlichen Gesellschaft Paletten von Möglichkeiten
...«)
Ach, welche denn?
(Zwischenruf: »Ob ich einen Arbeitsplatz habe oder nicht, ist ein Unterschied. Und den
Staat gibt es nicht. Da gibt es auch Paletten, und die bürgerliche Gesellschaft gibt es
auch nicht. Es gibt Paletten von ...«)
Der Staat ist der Staat, wurscht, welcher es ist. Es ist eine politische Herrschaft, die
hat ein Gewaltmonopol, die regiert ihre Leute. Die Mannschaft, die den Staat unter ihrer
Fuchtel hat, hat Zwänge und Ziele. Über die hätte ich gern etwas gestritten. Aber genau
das wird von euch jetzt konterkariert. Ihr sagt, dieser Staat in der richtigen Hand würde
etwas anderes tun. Ja, dann stürz ihn halt gleich. Fragt mich doch nicht immer nach
Alternativen. Die habe ich wirklich nicht.
Wer wählt, sage ich, ist ein Nationalist, der eine bessere Handhabung durch diesen Staat
erfahren will. Er will sich der Obrigkeit unterwerfen, hat aber andere Vorstellungen
darüber, wie. Ich möchte bloß wissen, wie ihr als aufgeklärte und freche Menschen
darauf kommt, daß das eine Selbstverständlichkeit sein soll. Ich wähle, gebe meine
Stimme ab, und dann wird mit dieser Stimme Staat gemacht. Das ist die passivste Art der
Herrschaftsbestellung, die man sich ausdenken kann, mein Kreuz auf dem Stimmzettel. Damit
habe ich dann satzungsgemäß darüber entschieden, wer die Mehrheit hat, wer diesen Staat
nach seinem Gusto und nach seinen Gesetzen usw. führt. Auch in der Ausländerfrage, die
die moralischen Gemüter immer am meisten erhitzt. Bitte, dann schafft das
Ausländergesetz einfach ab und fordert nicht Wahlen für Ausländer - damit seid ihr dann
ganz schnell Staatsgegner. Entweder, Gysi, es gibt eine Arbeiterbewegung, die das Zeug
niedermacht, oder es gibt gar nichts. Dazwischen ist nichts zu haben.
Ein Staat scheidet zwischen den Seinen und den Fremden. Da gibt es ein ganzes Paket von
Gesetzen, und die Ausländergeschichte der letzten 3, 4 Jahre ist bloß das I-Tüpfelchen
drauf, richtig der Hammer dazu. Wie kommt ihr bloß ausgerechnet darauf, daß die
Ausländer die gleichen Rechte und Pflichten besitzen möchten wie die Inländer, und dann
wäre alles besser - das ist doch der größte Unsinn. Was wäre denn dann besser?
(Zwischenruf: »Der Staat hätte es lieber andersrum.«)
Ein schöner Einwand. Alles oder nichts? Darauf sage ich, damit der Mensch befriedigt ist:
ja. Entweder man weiß, was man an der Demokratie und vor allem am Wahlkampf und am
Institut der freien Wahlen hat, oder man weiß gar nichts. Es ist absurd, in einer
Republik, die aus Auslandsfeindlichkeit Standortpolitik praktiziert, und in der treue
Staatsbürger meinen, sie müßten die Auslandsfeindlichkeit, die diesem System innewohnt,
noch um ihre private Ausländerfeindlichkeit bereichern, zu sagen, jetzt sollen bei uns
Ausländer den Gemeinderat mitwählen. Merkt ihr nicht, wie inadäquat, wie unpassend das
als Antwort auf die tatsächliche Lage ist? Auslandshetze, Standortpolitik, Europapolitik,
Weltmachtpolitik, und immer auf Kosten der anderen, immer. Die anderen sollen darunter
leiden, wir wollen den Export und weltwirtschaftlichen Erfolg haben. Und dann regen sich
im Volk noch die richtig staatstreuen Gemüter und sagen, das nehmen wir in unsere eigene
Hand, und wenn wir einen Ausländer sehe, hauen wir den zugrunde. Wenn sowas eingerissen
ist, darauf zu antworten, jetzt sollen sie den Gemeinderat wählen, ist insofern
inkommensurabel, als der schon gewählt wird. Es finden ja schon laufend Ermächtigungen
statt, Ermächtigungen dazu, diese Nation zu führen mit den ihr eigenen Zielsetzungen.
Die Ausländer brauchen doch kein Wahlrecht, sondern die brauchen endlich Schutz vor
dieser Nation!
Gysi: Du hast die Frage nicht beantwortet, was du nun eigentlich willst,
wie und mit welchen Mitteln und Methoden du diese Gesellschaft verändern möchtest. Du
sagst: Entweder es gibt ne Arbeiterbewegung oder es gibt keine, und solange die
nicht da ist, ziehst du dich eben beleidigt zurück. Das ist keine Politik.
Zweite Bemerkung: Nie habe ich gesagt, daß du das Problem der Ausländerfeindschaft löst
mit der Einführung des Wahlrechts für Ausländerinnen und Ausländer. Es hilft nur ein
Stück dabei. Das ist der Punkt. Du sagst, man soll das Ausländergesetz abschaffen. Sehr
einverstanden. Ich bin ein strikter Gegner dieses Ausländergesetzes. Ich hätte nur gerne
von dir gehört, wie du es abschaffen willst, wenn du darauf verzichtest, Öffentlichkeit
gegen dieses Ausländergesetz herzustellen. Wenn ihr mir vorwerft, daß ich überhaupt zur
Wahl antrete, werft ihr mir damit vor, daß ich u.a. diesen Weg der
Öffentlichkeitswirksamkeit nutze. Und dagegen wehre ich mich.
Held: Ich habe hier keinen Aufruf zum Wahlboykott erlassen wollen. Ich
habe sagen wollen, befaßt euch mal damit, was Wahlen wirklich leisten, was ihr Sinn ist.
(Zwischenruf: »Ich will jetzt Vorschläge haben, was man tun sollte!«)
Ihr seid alle tüchtig und lauter Was-tun-Leute. Wir müssen ja auch was tun. Nur: Gysi
braucht, um Gehör zu kriegen, den Einstieg in die Öffentlichkeit mit ihren Medien, mit
ihrem Wahlkampfbetrieb usw. Das ist ein Armutszeugnis für die demokratische Staatsform,
wenn man sich erst dem ganzen Medienzirkus anpassen muß, um Gehör zu finden. Da habe ich
schon vor Jahrzehnten eine ganz andere Entscheidung getroffen: Man muß eine
Gegenöffentlichkeit machen, und die muß man selber herstellen - selber schreiben, selber
drucken, selber verteilen, selber neu ins Gespräch kommen.
Vorhin ist was Furchtbares passiert. Gregor Gysi hat die Erfolglosigkeit dieses Bemühens
zum Argument gegen dieses Bemühen gemacht. Und da muß ich sagen, der soll bloß
aufpassen, daß er sich keine Retourkutsche einfängt - nicht von mir, sondern von denen
in der Bundesrepublik, die das Sagen haben. Erfolglosigkeit ist nämlich kein Argument zur
Entscheidung der Frage, wer Recht oder Unrecht hat. Man muß sich nämlich fragen lassen,
was ich denn eigentlich zur Wahl stellen will? Welchen alternativen Umgang mit der
Staatsmacht in Bezug auf ihren Umgang mit der Hoheit des Geldes, des Militärs usw. will
er denn dieser Republik anempfehlen? Und wenn er dann keinen Erfolg hat, dann ist doch das
nicht mein Argument gegen ihn. Dann ist doch das Argument immer noch, er hätte was
Verkehrtes angestrebt, für etwas Verkehrtes geworben. Doch nicht, daß er bei seiner
Werbung einen Mißerfolg erlitten hat!
Gysi: Ich behaupte nach wie vor, daß es legitim ist, darüber
nachzudenken, wenn eine Methode erfolglos war, ob man nicht ne andere versucht.
Wieso alles immer so ausschließlich? Es geht doch auch vieles zusammen, um
öffentlichkeitswirksam zu sein, und das heißt, um Meinungen zu beeinflussen, und das
heißt, um die Voraussetzungen zu schaffen, die Gesellschaft zu verändern. Entweder das
eine oder das andere - ich sage dir, dahinter steckt diese scheiß Avantgardetheorie. Und
dieses avantgardistische Denken habe ich 40 Jahre hinter mich gebracht.
(Zwischenruf Held: »Quatsch!«)
Wer von uns beiden hat denn nun in der DDR gelebt? Ich bleibe dabei: Wer absichtlich am
Rande der Gesellschaft bleibt, findet sich auch damit ab, daß er sie nicht verändern
wird. Es gibt verschiedene Methoden, in eine Gesellschaft einzudringen. Das Parlament kann
eine sein.
Held: Merkst du nicht, daß ich laufend argumentiere, daß
Methodenfragen ganz schnell zu Sachfragen werden? Daß, wer meint, er möchte Einfluß
gewinnen über Wahlen, sich überall auch präsentieren muß als Rechner, der für die
Nation rechnet? Der weiß, was mit den Finanzen der Nation, mit den Soldaten der Nation
angestellt wird? Der ist nämlich nicht mehr unbefangen, ums ganz vorsichtig
auszudrücken, im Umgang mit den Mitteln der Nation, sondern der hält sie auch schon für
selbstverständlich. Der hält schon sehr viel in der Sozial-, in der
Ausländergesetzgebung, in der Militärgesetzgebung usw. für das ganz gewöhnliche
Instrumentarium, das uns Deutschen ja zusteht. Und dann plädiert er für einen
alternativen Umgang damit.
Jetzt komme ich daher und bin noch etwas alternativer und sage, legen wir uns lieber mal
Rechenschaft darüber ab, weswegen es dieses Instrumentarium überhaupt gibt. Und kaum
haben wir uns Rechenschaft abgelegt darüber, wird es uns ganz schwummrig. Wir wollen
nicht die alternativen Verwalter dieser geltenden Machtmittel werden, sondern wir wollen
diese geltenden Machtmittel zum Erliegen bringen. Das ist doch inhaltlich eine andere
Position. Da geht es dann nämlich nicht mehr um das Problem, wie man am besten 700
Milliarden Mark vagabundierendes Geld verwendet, sondern da geht es zum Beispiel um eine
Kritik des Kreditwesens und die Frage, wie das Geld heute funktioniert. Und das kritisiert
ihr nicht, zumindest nicht richtig. Da bin ich mir ganz sicher.
Gregor Gysi ist Vorsitzender der Bundestagsgruppe der PDS/Linke Liste; Karl Held schrieb
in KONKRET 4/94 über ökonomische
Prognosen für 1994
Karl Held ist Redakteur der politischen Vierteljahreszeitschrift Gegenstandpunkt.