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Ausgabe 2/92

Freerk Huisken

Ist der neue Anti-Rassismus ein Akt vorauseilenden Gehorsams? 

Ein Beitrag zur Kritik einer bornierten Bewegung

Wer sich hartnäckig weigert, aus seinen Fehlern zu lernen, für den sind es eben keine:

Da gab es hierzulande eine Bewegung, die mahnte bei ihrer Herrschaft den Frieden an. Der stünde Deutschland besser zu Gesicht als der Krieg, weswegen das Land auch keine Pershings brauche und nicht schon wieder Schlachtfeld werden dürfe. Der Streit über die anständigste Sicherheitspolitik für die Heimat führte »auf der Straße« zu zahlreichen Mißverständnissen, die inzwischen längst behoben sind. Der Schulterschluß zwischen alter/neuer Friedensbewegung und denen, die noch in jeden Frieden Bewegung bringen, ist während des Golfkriegs endgültig vollzogen worden: Deutsche Politik, so sieht man die Dinge, ist Friedenspolitik, die sich nur in gerechte Kriege einmischt; was wir unserer Vergangenheit bekanntlich schuldig sind - mag sich das neue Großdeutschland auch so unverschämt aufführen, wie immer es will.

Da gab es eine Bewegung, die setzte sich für eine saubere »Umwelt« ein. Die sei für den deutschen Wald, die deutschen Gewässer, deutsche Luft und sogar für die Deutschen selber gesünder, weswegen das Land auch keine AKWs, keine Stinke-Autos und keine unkontrollierte Müllbeseitigung brauche. Auch hier inzwischen dasselbe Bild: »Umwelt« - das ist ein anerkannter Titel und Inhalt von Politik, in der sich die grünen Blockierer von einst bewähren dürfen. Der Streit von damals spielt dort, wo er seiner Qualität nach auch hingehört, im Parlament. Und selbst die Atomlobby zollt Joschka Fischer mittlerweile Beifall für seine Fähigkeit, Lücken in der Gesetzgebung zu erspähen - die dann natürlich geschlossen werden müssen.

Jetzt beginnt das Theater von neuem: Eine Bewegung gegen Rassismus in Deutschland bricht los, findet Fremdenhaß unmoralisch und meldet Einwände gegen die offizielle Ausländerpolitik an. Und erneut wird sie umgehend von der großen Politik eingeholt; was sich nicht einem Naturgesetz des Protestierens in demokratischen Staaten, sondern erneut einzig und allein dem Inhalt des Protestes verdankt.

Dabei sah zunächst alles ganz anders aus: Deutsche Ausländerpolitiker schienen keine Skrupel zu haben, sich bei ihrer Abschreckungspolitik gegenüber Asylbewerbern der tatkräftigen Hilfe von Skins und Rechtsextremen zu bedienen. Mit dem verlogenen Argument von der polizeilichen Ohnmacht tauchten die Hüter der Ordnung immer erst dann am Tatort auf, wenn die neonazistischen Banden sich bereits ausgetobt hatten. Nicht ganz zu Unrecht warfen ihnen die Antifa- und Antirassismus-Gruppen daher Kumpanei mit den rechtsradikalen Totschlägern vor. Doch handelte es sich weder um eine Kumpanei im politischen Anliegen, noch um eine Zustimmung zu den Gewalttätigkeiten des Mobs. Brauchbar war vielmehr und allein die Wirkung seines Vorgehens auf die Moral von Aus-, aber auch auf die von Inländern. Flüchtlinge wurden vor die hübsche Wahl gestellt, entweder gleich in der Heimat oder aber im Asylland verfolgt und angezündet zu werden. Den Inländern wurde die »Gefahr einer drohenden Asylantenflut für Deutschland« drastisch ausgemalt. Daß sich inzwischen die Skins an eine härtere Gangart der staatlichen Ordnungsdienste haben gewöhnen müssen, liegt daran, daß es kein Staat - und der deutsche schon gleich gar nicht - zuläßt, daß Bürger seine Anliegen in ihre Hände nehmen und sich sogar, bestätigt durch die Ausländerpolitik, im staatsmoralischen Recht wähnen, wenn sie Gewalt gegen unerwünschte Fremde gleich selbst exekutieren. Dies steht bekanntlich nur den politischen Organen zu; und es ist wirklich nur noch eine Frage der Zeit, bis an der jetzt von der BRD errichteten neuen Mauer zum Osten die ersten Opfer von bewaffneten Grenzschützern mit Schießbefehl anfallen.

Und so fanden sich die Antifa- und Antirassismus-Gruppen plötzlich in einer Front gegen Ausländerfeindlichkeit mit eben den Kräften, die sie gerade als die politischen Drahtzieher von Fremdenhaß und Rassismus dingfest gemacht und die sie der stillen Duldung von Angriffen auf Ausländer geziehen hatten. Da begann jeder Politiker seine Rede mit einer Distanzierung vom Fremdenhaß; es wurde Mode, sich mit Ausländern ablichten zu lassen, und Blüm erklärte sich sogar selbst zum Ausländerwohnheim. »Wir haben nichts gegen Ausländer«, heißt inzwischen das Motto, unter dem Schulen ihre antirassistischen Tage bekommen und in Talk-Sendungen echte Ausländer, die nicht Baker, Jelzin, Mitterand oder Shamir heißen, sagen dürfen, daß auch sie ein Lebensrecht haben. Die Parolen und Bekenntnisse der Bewegung - »Alle Menschen sind Ausländer - fast überall«, »Ausländer, laßt uns mit diesen Deutschen nicht allein«, »Ich bin ein Ausländerfreund« usw. - wurden für salonfähig und zur politischen Kleinkunst erklärt und zieren den Abspann des »Weltspiegel« ebenso wie jede Rede des Bundespräsidenten.

All dies ist keineswegs Ausfluß eines taktischen Manövers der Ausländerpolitiker, die damit nur »ihre wahren Absichten verschleiern« oder bloß einer antideutschen Stimmung im Ausland begegnen wollen. (Als ob eine deutsche Regierung, die mit ihrer DDR-Annektierung bei den Konkurrenten in Europa, mit ihrer Jugoslawien-Politik nicht nur in Serbien und mit ihrem WEU-Engagement in den USA jede Menge antideutscher Ressentiments erzeugt hat, so etwas nötig hätte.) Daß die Ausländerpolitiker keinen Haß gegen Ausländer hegen, ist vielmehr eine politische Wahrheit, die keineswegs mit ihrem Urteil kollidiert, daß »das Boot voll« sei. Vielmehr wird von oben zugleich mit der Initiierung von Ausländerfeindlichkeit Front gemacht gegen ihre Übertreibung durch brave Deutsche, die sich als unpraktisch erweisen könnte:

Ein Ausländer, das lehrt ein Blick in die Ausländergesetzgebung, ist nämlich für den politischen Souverän ein Mensch, der nicht seiner, sondern einer fremdstaatlichen Hoheit untersteht. Mit dieser imperialistischen Einsortierung ist ein Ausländer weder verurteilt noch geschätzt. Vielmehr ist als sein Charakteristikum ein recht prinzipieller Mangel festgehalten: Die Benutzung auswärtigen Menschenmaterials kommt an der Berücksichtigung jener Staatsgewalt, der es untersteht, nicht vorbei. Ein Ausländer ist also nichts als ein Mensch, über den der hiesige Staat kein unbeschränktes, natürlich immer Recht und Gesetz gehorchendes, Verfügungsrecht geltend machen kann. Darin unterscheidet sich der Auswärtige im übrigen vom Inländer - was durchaus die Frage aufwirft, ob es eigentlich ein Glück oder ein Pech ist, als Inländer registriert zu sein.

Im Status des Ausländers kommen also zwei Dinge zusammen: Erstens das Interesse eines Souveräns, ihn - wie auch das fremde Territorium insgesamt - nach Nutzenkriterien zu betrachten. Mit dem Import von Ausländern kann die Politik z.B. dem Kapital einen Dienst erweisen, indem sie erlaubt, daß nichtdeutsche Arbeitskräfte die Reihen der »Reservearmee« füllen. Mit ihm läßt sich aber auch gut Außenpolitik betreiben. Wenn »politisch Verfolgte« vorübergehend hofiert werden, dann dient das nicht»den Menschen«, sondern der Ächtung eines »Unrechtsregimes«; was die Betroffenen oft verwechseln und sich dann bitter über die »unmenschliche Behandlung« durch ihre neue Heimat beklagen, die doch »bloß« das Resultat eines politischen Kurswechsels in der alten ist.

Zweitens das Wissen, daß jeder Versuch der Benutzung von fremden Menschen für eigenstaatliche Anliegen an der fremdstaatlichen Hoheit nicht vorbeikommt. Die mag sich geneigt zeigen, wie etwa im Fall der »Gastarbeiter«-Abkommen mit der Türkei. Oder sie mag den fremden Zugriff auf ihre Bürger als unerlaubte Einmischung in die inneren Angelegenheiten verurteilen, wie dies etwa bei jeder Flucht(hilfe)aktion eines DDR-Bürgers der Fall war.

Wenn zur Zeit eine bestimmte Gruppe von Ausländern - z.B. die armen Schlucker aus dem Osten , als »Flut« perhorresziert wird, die Deutschland überschwemmen und ins Chaos stürzen könnte, so steht dies zunächst einmal nicht für Fremdenhaß, sondern ganz nüchtern für das aktuelle Urteil und die aktuelle Praxis der Ausländerpolitik: »Zur Zeit kein Bedarf an fremden armen Schluckern, weder ein polit-ökonomischer, noch ein rein politischer!«

Diese Abwägung von fremdem Menschenmaterial nach ihrer Benutzbarkeit und den politischen Kosten derselben liegt dem inländischen Durchschnittsstaatsbürger fern. Kein Wunder. Weder stellt er Ausländer als Arbeitskräfte ein, noch verbucht er einen diplomatischen Erfolg, wenn wieder einem fremden Staat sein Unrechtscharakter dadurch demonstriert worden ist, daß seine Bürger in der Fremde wie Inländer aufgenommen wurden. Er übersetzt sich vielmehr die staatliche Fremdenpolitik in seine privaten Gründe, über die er reichlich verfügt. Und schon ist die »Asylantenflut«, die auf »uns« zukommt, zugleich auch irgendwie verantwortlich für seine ganz persönlichen Einkommens-, Miet- oder Gesundheitssorgen. Seinem Heimatstaat traut er nämlich nicht zu, daß der beteiligt ist, wenn es für ihn Grund zum Klagen gibt. Er bevorzugt den umstandslos sortierenden Fanatismus, demzufolge ein Ausländer hier nichts zu suchen hat, weil er Ausländer, also Nichtdeutscher ist.

Dies ist nicht der Standpunkt der hiesigen Führung. Staats- und Bürgerlogik treten an diesem Punkt auseinander. Kohl, Genscher oder Schäuble können sich sogar vorstellen, daß der Übereifer der Untertanen nicht nur einer streng staatsmaterialistisch verfahrenden Kalkulation einen Strich durch die Rechnung macht, sondern manchmal sogar ihre eigene Vernutzung behindert. Sie sollen schließlich im Inland immer dann mit Ausländern gut und fruchtbar zusammenarbeiten, wenn es konjunkturell erforderlich ist. Fremdenhaßausbrüche könnten da schon einmal stören.

Immer müssen Freunde von Feinden nach staatlicher Vorgabe und nicht etwa nach privatem Urteil unterschieden werden. Dabei hat der Staatsbürger die nötige Flexibilität zu zeigen: Es kann nämlich sein, daß ein »befreundetes Volk« von heute auf morgen in Ungnade fällt, weil sich der Standpunkt des hiesigen Staates - nicht etwa gegenüber dem Volk, sondern - gegenüber der fremden Herrschaft geändert hat (oder umgekehrt: in Gnade, wie jetzt die Kroaten). So mag es auch mal wieder nötig sein, auf fremdländische Arbeitskraftreserven zurückzugreifen; weswegen dann das Boot nicht voll ist, sondern noch viel Platz aufweist. Außerdem machen sich im Augenblick im Inland einige Millionen Ausländer mehr oder weniger nützlich, denen gegenüber nicht der Privatfaschismus der Bürger vom Zügel gelassen werden darf, sondern dieeinen Anspruch auf staatliche Behand-lung nach allen Regeln des je nach Bedarfnovellierten Ausländerrechts haben: »Raus, wer hier nichts mehr zu suchen hat! Klap-pe halten und möglichst bis in die Seelehinein deutsch werden, wer hier bleiben darf!«

Aber nicht weil privatfaschistische Übertreibungen der gültigen Ausländerpolitik deren praktische Anliegen durcheinanderbringen könnten, hat der deutsche Bürger hier stets auf Linie zu bleiben, sondern weil der großdeutsche Nationalismus, heute als Internationalismus vorgetragen, auch vom Bürger verinnerlicht gehört. Wo er bereits pariert, da wird um so mehr Wert auf ‘inneren Gehorsam’ gelegt.

Die Antirassisten der »Bewegung« sehen - nicht zu unrecht - in der Ausländerpolitik die Drahtzieher des Bürgerfaschismus und stehen zugleich völlig hilfslos vor den zahlreichen antirassistischen Bekundungen der Ausländerpolitiker. Sie machen es sich dann in der Regel sehr einfach und glauben ihnen nicht. Oder sie halten sie gar für ihre Verbündeten. Im ersten Fall können, im zweiten Fall wollen sie nichts daran ändern, daß ihr eigener bornierter Antirassismus in die staatliche Aufklärungskampagne über den »modernen Umgang« mit Ausländern, also in den imperialistischen Rassismus hineinpaßt. Borniert ist ihr Anliegen, weil sie Rassismus nur dort auszumachen vermögen, wo er sich fanatisch, im Prinzip faschistisch äußert. Dort aber, wo er sich den weltweiten Interessen eines Nationalstaates (bzw. seiner Ökonomie) zweckdienlich macht, da können sie ihn nicht erkennen. Ein Rassismus, der nach Hautfarbe oder anderen Übersetzungen von fremder Staatszugehörigkeit in Natureigenschaften sortiert und davon das Urteil über die Brauchbarkeit eines Menschen abhängig macht, ist ihnen vertraut. Wo Rassismus jedoch als Urteil des imperialistischen Staates über die universelle Benutzbarkeit des weltweiten Menschenmaterials daherkommt, über die je nach Nationalinteresse zu befinden ist, da entdecken sie ihn nicht mehr (vgl. F. Huisken, Ausländerfeinde und Ausländerfreunde, VSA 1987, S.55ff).

Dabei ist der noch um einiges härter, weil allgemeiner: Unmodern ist es in den Metropolen der zivilisierten weißen Welt nämlich geworden, es allein für eine Naturbestimmung der Schwarzen zu halten, daß sie zu arbeiten haben, und zwar für die Weißen. Und als nicht mehr zweckmäßig gilt es, das Staatsvolk nach Gottlosen und Gläubigen, nach Ariern und Nichtariern vorzusortiern, bevor man dann die einen in den »Staatsdienst« nimmt und die anderen als Staatsfeind mißhandelt. Modern ist es vielmehr, sich bei der Sichtung des Menschenmaterials nicht mehr durch atavistische Kriterien wie Rasse, Hautfarbe oder Religion beschränken zu lassen. Am Band, unter Tage, im Büro und in der Kantine ist zunächst einmal jeder Mensch gleich. Selbst die Einstufung nach Lohngruppen erfolgt nicht gemäß rassistischer, sondern geschäftlicher Kriterien; wozu sich dann klassische Rassismen, auch der Geschlechterhaß, sehr wohl nutzen lassen. Mit guter Erziehung kann schließlich jeder zu einem brauchbaren Arbeiter, Steuerzahler und Wahlbürger gemacht werden. Der moderne Rassismus kennt nur noch eine Menschennatur: Behandelt wird der Mensch, als sei es seine Naturbestimmung, sich den Brauchbarkeitskriterien des kapitalistischen Weltmarkts und der grenzübergreifenden demokratischen Gewalt zu unterwerfen. Wer das tut, der zeigt bekanntlich seine Reife; wer sich verweigert, der erweist sich als unreif, faul oder leistungsunfähig.

Solange Antifa-Gruppen nicht begreifen, daß dies die Wahrheit des modernen universellen Rassismus ist, solange wird ihr Kampf gegen den bornierten Rassismus der deutschen Bürger von der offiziellen Ausländerpolitik ebenso instrumentalisiert werden können wie das Abfackeln von Ausländerwohnheimen durch Skins. Die einen sind die - begrenzt - nützlichen Idioten von staatlichen Abschreckungsstrategien. Die anderen sind die - unbegrenzt - nützlichen Idioten einer staatlichen Aufklärungkampagne, die klarstellen will, daß deutsche Politiker wirklich nichts gegen Ausländer haben, weil sie alle Menschen, die sich in der Reichweite ihres Einflusses befinden, also Inländer sowieso und Ausländer jenachdem, als Material ihrer nationalen, nicht nur ökonomischen, Interessen abzuschätzen und einzusetzen gewohnt sind.

Zu befürchten steht aber, daß wieder einmal nicht aus Fehlern gelernt wird, weil es in der »Bewegung« gar nicht um Aufklärung geht, sondern erneut um gute Taten für Deutschland. Wer sich nämlich hartnäckig weigert, aus seinen Fehlern zu lernen, für den...

 

Freerk Huisken ist Professor für Politische Ökonomie des Ausbildungssektors an der Universität Bremen

   


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