Zum Interesse der KPÖ an der arbeitenden Klasse

Auinger, Herbert

 

Wenn die KPÖ über die Arbeiterklasse diskutieren will, dann ist anzunehmen, daß das eigentliche Thema nicht nur oder gar nicht so sehr die tatsächlichen Bestimmungen derjenigen Klasse sind, von deren Arbeit nach wie vor und mehr denn je der komplette kapitalistische Laden lebt - vgl. dazu also das andere Papier über "Das Proletariat".
Mindestens ebenso oder sogar statt dessen steht das Verhältnis von Kommunisten und Arbeiterklasse zur Debatte, und damit jenes Gesellschafts- und Geschichtsverständnis, mit dem dieser Teil der Arbeiterbewegung seine politische Tätigkeit begründet hat - und jetzt vielleicht nicht mehr oder womöglich auch weiterhin begründen will, je nach Ausgang der Diskussion. Der traditionelle Standpunkt läßt sich wie folgt zusammenfassen:
Die Arbeiterklasse erlangt durch ihre Klassenlage ziemlich unausbleiblich und sachzwangartig ein antikapitalistisches Klassenbewußtsein, das sie entsprechend unausweichlich zum Klassenkampf schreiten läßt, den die kommunistische Partei der Arbeiterklasse nur noch in Richtung Systemüberwindung organisieren muß.

Die Klasse: per se revolutionär?
Ziemlich kompakt, bündig und prägnant, dieses Gesellschafts- und Gesellschaftsbild. Es hat nur einen Nachteil. Es stimmt hinten und vorne nicht, und schätzungsweise hat es nie gestimmt. Sicher, die Klassenlage auch der modernen Proletarier ist ebenso eindeutig wie unerfreulich, aber daß die davon Betroffenen zwangsläufig die richtigen Schlüsse daraus ziehen und sich gegen das "Lohnsystem" wenden, davon kann keine Rede sein. Die klassischen Passagen im Kommunistischen Manifest, wonach sich - im Grunde genommen - im Kapitalismus niemand mehr ein falsches Bewußtsein zulegen und dauerhaft leisten kann, weil die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse ohnehin jede affirmative Vorstellung von ihnen und damit jede zustimmende Stellung zu ihnen zuverlässig zerstören, die treffen die Sache einfach nicht:
"Sie (die Bourgeoisie) hat, mit einem Wort, an die Stelle der mit religiösen und politischen Illusionen verhülltenAusbeutung die offene, unverschämte, direkte, dürre Ausbeutung gesetzt ... Alles Ständische und Stehende verdampft, allesHeilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen."
Da werden also der Bourgeoisie und den kapitalistischen Verhältnissen bewußtseinsbildende Leistungen zugeschrieben, die gerade dem modernen Verhältnis von "Arbeitgeber" und "Arbeitnehmer" überhaupt nicht innewohnen - es gäbe keine Ideologien mehr über "Leistungsgesellschaft" und "Gerechtigkeit" und "Soziale Marktwirtschaft" und "Wir sitzen alle in einem Boot" usw., weil der heutige Dienstnehmer gezwungen ist, sich und seine Umgebung ganz nüchtern wahrzunehmen! Zu Ehren von Marx muß allerdings angemerkt werden, daß er diesen Fehler des "Manifest" selber bemerkt und korrigiert hat. Im "Kapital", Bd.1, bestimmt er die früheren, "mit religiösen und politischen Illusionen verhüllten" Formen der Ausbeutung als wesentlich "durchsichtiger"(!) als die modernen:
"Versetzen wir uns nun ... in das finstre europäische Mittelalter. Statt des unabhängigen Mannes finden wir hier jedermann abhängig - Leibeigne und Grundherrn, Vasallen und Lehnsgeber, Laien und Pfaffen. Persönliche Abhängigkeit charakterisiert ebensosehr die gesellschaftlichen Verhältnisse der materiellen Produktion als die auf ihr aufgebauten Lebenssphären. Aber eben weil persönliche Abhängigkeitsverhältnisse die gegebne gesellschaftliche Grundlage bilden, brauchen Arbeiten und Produkte nicht eine von ihrer Realität verschiedne phantastische Gestalt anzunehmen. ... Die Naturalform der Arbeit, ihre Besonderheit, und nicht, wie auf Grundlage der Warenproduktion, ihre Allgemeinheit, ist hier ihre unmittelbar gesellschaftliche Form. Die Fronarbeit ist ebensogut durch die Zeit gemessen wie die Waren produzierende Arbeit, aber jeder Leibeigne weiß, daß es ein bestimmtes Quantum seiner persönlichen Arbeitskraft ist, die er im Dienst seines Herrn verausgabt. Der dem Pfaffen zu leistende Zehnten ist klarer als der Segen des Pfaffen. Wie man daher immer die Charaktermasken beurteilen mag, worin sich die Menschen hier gegenübertreten, die gesellschaftlichen Verhältnisse der Personen in ihren Arbeiten erscheinen jedenfalls als ihre eignen persönlichen Verhältnisse und sind nicht verkleidet in gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen, der Arbeitsprodukte. ... Jene alten gesellschaftlichen Produktionsorganismen sind außerordentlich viel einfacher und durchsichtiger als der bürgerliche, aber sie beruhen entweder auf der Unreife des individuellen Menschen, der sich von der Nabelschnur des natürlichen Gattungszusammenhangs mit andren noch nicht losgerissen hat, oder auf unmittelbaren Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnissen." (KI, S. 91ff.)
Im Abschnitt über den Arbeitslohn findet er sehr deutliche Worte über "Flausen und Illusionen" von Kapitalisten und Arbeitern, die aus den praktischen Zwängen stammen, mit denen sich das Proletariat herumzuschlagen hat:
"Die Form des Arbeitslohns löscht also jede Spur der Teilung des Arbeitstags in notwendige Arbeit und Mehrarbeit, in bezahlte und unbezahlte Arbeit aus. Alle Arbeit erscheint als bezahlte Arbeit. Bei der Fronarbeit unterscheiden sich räumlich und zeitlich, handgreiflich sinnlich, die Arbeit des Fröners für sich selbst und seine Zwangsarbeit für den Grundherrn. Bei der Sklavenarbeit erscheint selbst der Teil des Arbeitstags, worin der Sklave nur den Wert seiner eignen Lebensmittel ersetzt, den er in der Tat also für sich selbst arbeitet, als Arbeit für seinen Meister. ... Bei der Lohnarbeit erscheint umgekehrt selbst die Mehrarbeit oder unbezahlte Arbeit als bezahlt. Dort verbirgt das Eigentumsverhältnis das Fürsichselbstarbeiten des Sklaven, hier das Geldverhältnis das Umsonstarbeiten des Lohnarbeiters. Man begreift daher die entscheidende Wichtigkeit der Verwandlung von Wert und Preis der Arbeitskraft in die Form des Arbeitslohns oder in Wert und Preis der Arbeit selbst. Auf dieser Erscheinungsform ....beruhn alle Rechtsvorstellungen des Arbeiters wie des Kapitalisten, alle Mystifikationen der kapitalistische Produktionsweise, alle ihre Freiheitsillusionen, alle apologetischen Flausen der Vulgärökonomie." (KI, S. 562)
Der Anreiz etwa, im Akkord oder mit Überstunden mehr zu verdienen, ebenso wie die genau so realistische Aussicht, im entgegengesetzten Fall Lohneinbußen hinnehmen zu müssen: Ausgerechnet diese harten Belege dafür, wie perfekt die Lohnformen dem kapitalistischen Ausbeutungsinteresse dienen, sind für die betroffenen Arbeiter Nötigung genug, ihrerseits ganz entsprechend zu kalkulieren, und begründen auf diese praktische Art viel falsches Bewußtsein, beglaubigen nämlich handfest den Schein eines unanfechtbar gerechten Äquivalententauschs zwischen Lohnarbeitern und Unternehmern. (Da hat eine entsprechend engagierte Mannschaft viel zu tun, in Sachen Kritik der proletarischen Rechts- und Gerechtigkeitsvorstellungen, Freiheitsillusionen und anderer systemkonformer Unarten.)
Der spätere Marx hat also schon mehr und anderes gewußt als der frühere, allerdings waren auch die erwähnten anfänglichen Fehler von der "offenen", der offensichtlichen Ausbeutung nicht pure Phantasiegebilde. Marx und Engels hatten an den damaligen Klassenkämpfen erkannt, daß das Proletariat nicht existieren konnte, ohne sich gegen die Bourgeoisie zur Wehr zu setzen, weil unter der puren, unumschränkten Herrschaft des Privateigentums die gerade entstehende Lohnarbeiterklasse keine Chance zum Überleben hatte, deren Kampf eine pure Überlebensbedingung war. Daraus hatten die Autoren des "Manifest" den etwas verwegenen Schluß gezogen, das Proletariat wäre - zumindest im Prinzip - eine per se revolutionäre, systemüberwindende Klasse, die "nur noch" über die "eigentliche" Stoßrichtung und Bedeutung ihres bereits stattfindenden Kampfes informiert werden müßte, was dann das "Manifest" leisten sollte. Nun war die Orientierung der Arbeiterbewegung zu Marxens Zeiten und bis zum Ersten oder vielleicht sogar bis zum Zweiten Weltkrieg durchaus noch eine offene Frage, in die Marx z. B. mit seiner Polemik gegen das Gothaer Programm der Sozialdemokratie eingegriffen hat; allerdings steht zumindest heute und im nachhinein fest, daß diese Kämpfe der Arbeiterbewegung - denen die Klassiker eine etwas zu optimistische Interpretation angedeihen ließen nach dem Motto, dem ohnehin schon kämpfenden Proletariat bleibe doch gar keine Wahl, als sich gegen das System der Ausbeutung zu wenden -, daß diese Kämpfe also nicht die Überwindung des Klassengegensatzes, sondern fast konträr dazu die dauerhafte Etablierung der arbeitenden Klasse geleistet haben. Die Arbeiterklasse konnte schlicht von der Arbeit nicht leben, die Bourgeoisie war drauf und dran, mit dem Proletariat ihr eigenes Mittel und Ausbeutungsmaterial kaputt zu machen - "Das Kapital scheint daher durch sein eigenes Interesse auf einen Normalarbeitstag hingewiesen." (KI, S. 281) -, sie mußte zu ihrem eigenen Interesse quasi gezwungen werden, und sie konnte dazu gezwungen werden, weil an dem Punkt die Arbeiterbewegung und der Staat als "ideeller Gesamtkapitalist" einen kompromißfähigen Gesichtspunkt im Überleben der arbeitenden Klasse als dem Mittel und Material der Nation gefunden hatten; von Marx auch abgehandelt im "Kampf um den Normalarbeitstag", denn "das Kapital ist daher rücksichtslos gegen Gesundheit und Lebensdauer des Arbeiters, wo es nicht durch die Gesellschaft zur Rücksicht gezwungen wird." (KI, S. 285)
Von daher erklärt sich die falsche Gleichsetzung von "kämpfend" mit "revolutionär", die sich als roter Faden durch das "Manifest" zieht, und die mehr auf die Vereinnahmung des werten Proletariats abzielt und auf die Befrachtung von dessen Kämpfen mit einem höheren geschichtlichen Sinn - von Kämpfen, die durchaus damals schon als systemimmanent kenntlich waren: Nur von ihrer Arbeit können moderne Lohnarbeiter nicht leben, sie müssen nicht nur in die Fabrik, sondern noch neben ihrer Arbeit dafür kämpfen, daß die überhaupt auszuhalten ist und wenigstens die nötigen Kalorien abwirft, dafür brauchen sie einen Zusammenschluß, aus dem dann die Gewerkschaften geworden sind. In solchen Koalitionen geht es also darum, trotz allem vom Lohn leben zu können, mit der Fortführung der Lohnarbeiterexistenz hat der Kampf sein Ziel erreicht, bis sich herausstellt, daß der Erfolg ein vorübergehender war, weil der Erfindungsreichtum der anderen Seite erneute Gegenwehr notwendig macht. Von solchen Kämpfen handelt das "Manifest", will nicht recht zugeben, daß da öfter ein anderer als der von Marx und Engels postulierte Kampf sein Ziel schon erreicht hat, und gibt deswegen auch agitatorisch streckenweise recht wenig her für das Bemühen, die Arbeiter mögen sich doch ein neues Kampfziel setzen und die dafür nötige Koalition eingehen - eben weil es dieses systemüberwindende Ziel ständig in die damaligen Kämpfe hineininterpretiert, im Zweifelsfall über die dürftige Kategorie "Entwicklung", die mit der Arbeiterbewegung viel vorhat und die ihr viele "Erfahrungen" verschaffen wird; so daß jeder Kampf für die Erhaltung der Arbeiterklasse "eigentlich" einer zur Abschaffung der Bourgeoisie ist. Über das reale Resultat dieser Kämpfe gehen Marx und Engels schon wieder großzügig hinweg, wenn sie als "das eigentliche Resultat ihrer Kämpfe" gar nicht erst deren "unmittelbaren Erfolg" sehen wollen, "sondern die immer weiter um sich greifende Vereinigung der Arbeiter", die "Organisation der Proletarier zur Klasse", die "jeden Augenblick wieder gesprengt" wird und "immer wieder, stärker, fester, mächtiger" entsteht - so als sei jede Organisation der Klasse zwangsläufig revolutionär. Als wäre es nicht auch schon damals bitter nötig gewesen, das elende, aufgezwungene Interesse an Lohn und Beschäftigung zu kritisieren, das die Proletarier an ihre Ausbeutung bindet; was bekanntlich nicht nur in der "Kritik der politischen Ökonomie" dann auch geleistet wurde.
Die vom "Manifest" erschlichene und verkehrte Gleichsetzung von "kämpfend" mit"revolutionär" prägt auch die maßgeblichen Bemerkungen des "Manifest" über das Verhältnis der Kommunisten zu den Proletariern.

Die Partei: immer auf seiten der Werktätigen ...
"Die Kommunisten sind keine besondere Partei gegenüber den andern Arbeiterparteien. Sie haben keine von den Interessen des ganzen Proletariats getrennten Interessen. Sie stellen keine besonderen Prinzipien auf, wonach sie die proletarische Bewegung modeln wollen."
Wozu dann ein eigenes "Manifest"? Wer so ein Pamphlet verfaßt, hat gerade dem Proletariat viel mitzuteilen, ist also der Ansicht, daß dessen aktuelle Verfassung durchaus zu wünschen übrig läßt. Die Autoren haben mit der Schrift einen sachlichen Unterschied zwischen sich und dem Proletariat aufgemacht und begonnen, diesen aufzuheben - wozu also zugleich und etwas voreilig dessen Dementi? Noch drastischer die Behauptung, man sei keine "besondere Partei", wenn man durchaus eine Assoziation eröffnet, und wenn man im nächsten Kapitel über die von der organisierten Konkurrenz in Umlauf gebrachte "sozialistische und kommunistische Literatur" herzieht; und das auch noch sehr gelungen! "Die Kommunisten sind also praktisch der entschiedenste, immer weitertreibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder; sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus."
Diesen Unterschied wollen Marx und Engels schon gelten lassen, indem sie ihn sofort kleinreden und so tun, als würden die einen ein wenig ahnungs- und perspektivlos vor sich hinkämpfen, ohne so recht zu wissen, wofür, und die Kommunisten hätten immerhin den Überblick, welcher Unterschied aber wenig zu bedeuten habe - und das angesichts von kommunistischen "Einsichten" in die "Bedingungen und den Gang", die eine gewaltige Kluft zum Proletariat markieren, weil das von eben diesen Einsichten wenig Ahnung hat(te). Wenn es doch Kommunisten braucht, die "stets das Interesse der Gesamtbewegung vertreten", dann ist dieses Gesamtinteresse eben eine ziemlich hinkonstruierte Sache, mit dessen Hilfe die ziemlich unkommunistischen, zu Teilbewegungen ernannten ideologisch einkassiert werden sollten - dann unterstellen die Autoren in diesen und ähnlichen Wendungen ständig beachtliche Differenzen, und erklären sie zugleich für irrelevant. Woher und warum diese Selbstverleugnung? Wieder geht es mehr um Vereinnahmung als um die zwischen den Zeilen durchaus als notwendig durchschimmernde Kritik an damaligen Arbeitskämpfen, in denen von den "allgemeinen Resultaten" im Sinn von Marx und Engels wenig zu entdecken war. Auch die anschließende Zurückweisung von antikommunistischen Vorwürfen ("Man hat uns Kommunisten vorgeworfen ...") gilt übrigens Einwänden, die keineswegs nur von der Bourgeoisie erhoben wurden; man merkt den - manchmal auch nicht sehr gelungenen - Repliken durchaus an, daß es sich um Streitpunkte innerhalb des Proletariats handelt, weil die Klassenlage eben schon damals nicht das Bewußtsein deterministisch bestimmt hat. Diese an Gleichgültigkeit grenzende Großzügigkeit gegenüber Irrtümern im Proletariat meinten die beiden Autoren an den Tag legen zu können, da hinter ihnen sowieso ganz andere Gestalten und Mächte am Werk seien:
"Die theoretischen Sätze der Kommunisten beruhen keineswegs auf Ideen, auf Prinzipien, die von diesem oder jenem Weltverbesserer erfunden oder entdeckt sind. Sie sind nur allgemeine Ausdrücke tatsächlicher Verhältnisse eines existierenden Klassenkampfes, einer unter unseren Augen vor sich gehenden geschichtlichen Bewegung." Die "geschichtliche Bewegung" höchstpersönlich würde also dafür sorgen, daß ihr niemand auskommt, und das Proletariat schon gleich nicht, weswegen aus der historischen Perspektive des "Manifest" jeder vernünftige Streit um die Stoßrichtung des Kampfes als kleinlich gelten muß - den die Autoren andererseits in ihrer Kritik der "sozialistischen und kommunistischen Literatur" sehr wohl für notwendig befunden und auch geführt haben.

... mit der Geschichte im Rücken?
Eine kommunistische Agitation, die die Realität der Klassengesellschaft kritisiert, muß sich jedenfalls nicht auch noch zusätzlich zur Realität der "tatsächlichen Verhältnisse" bekennen und beteuern, daß es den Klassenkampf, auf den sie sich kritisch bezieht, auch wirklich gibt, um sich von philosophischen und anderen gutgemeinten weltverbesserischen Idealen abzugrenzen. Der gute und wissenschaftlich argumentierte Rat an das Proletariat, es möge sich gegen das Lohnsystem insgesamt wenden, weil es sonst mit seinen materiellen Bedürfnissen auf der Strecke bleibt, braucht auch keine "höheren" Gesichtspunkte, keine Vorstellungen von geschichtlichen Determinationen und historischen "Missionen" im Namen der Menschheit. So ein Thema wälzen höchstens Leute, die gerade dabei sind, sich von solchen für das Proletariat unglaublich relevanten Fragestellungen wie einem "Elend der Philosophie" zur Befassung mit dem richtigen Leben, also zur "Kritik der politischen Ökonomie" vorzuarbeiten, und die an dem Punkt - noch - das Proletariat als ein Vollzugsorgan ihrer Geschichtsteleologie, ihrer philosophischen Ideale betrachten. Es macht sich wieder der durchgängige Widerspruch bemerkbar, einerseits mit einem "Manifest" schon den Anstoß zu einem Umsturz geben zu wollen, weil sich der Kapitalismus eben nicht von selbst erledigt, und andererseits in diesem Manifest die Botschaft vom historisch ohnehin zwangsläufigen und unausweichlichen Abgang der Bourgeoisie zu verbreiten - an welchen die Autoren in ihrem praktischen Tun, in ihrem Bemühen um theoretische Klarheit und organisierte Schlagkraft des Proletariats nicht recht geglaubt haben; wenn "die Geschichte" schon gesetzmäßig für ihr eigenes Happy-End sorgt, hätten sie ja auch irgendwelche Hobbys pflegen können.

Fehler machen Karriere
Damit soll nicht behauptet werden, die skizzierten Fehler der organisierten Arbeiterbewegung hätten ihren Grund darin, daß sich die Parteien sklavisch an die Schriften von Marx und Engels gehalten hätten - es ist ja auch bei aller Kanonisierung der beiden gelungen, die "Kritik der politischen Ökonomie" über weite Strecken zu ignorieren oder sogar mit einem Handbuch zum Aufbau des Sozialismus zu verwechseln, obwohl das Hauptwerk eindeutig "Das Kapital" heißt und nicht "Der Sozialismus", und eindeutig eine Absage an den im Titel erwähnten Gegenstand enthält. Für manche verkehrten Bedürfnisse haben die fragwürdigen Passagen aber offenbar wesentlich mehr hergegeben als die spätere astreine Kritik der Marktwirtschaft, und auch als die genialen Passagen im Manifest selbst, in denen die Schrift zumindest keinen Zweifel daran erlaubt, daß eine ziemlich komplette Umwälzung der Produktionsweise das einzig Senkrechte wäre.
Vor allem für das Bedürfnis, nach der (Selbst)Ernennung zur Partei der Arbeiterklasse das Verhältnis von Proletariat und Partei als ein rundum harmonisches zu arrangieren bzw. wenigstens zu fingieren, waren ausgewählte "Stellen" prägend; und zwar in beiden möglichen Varianten. Also indem entweder der arbeitenden Klasse der Parteistandpunkt angedichtet und diese zu ihrem "revolutionären Kampfeswillen" beglückwünscht wurde, wo immer sich ein Proletarier erkennbar folgenlos am Feierabend über "die da oben" beschwert, weil "der Arbeiter immer der Dumme" sei. Die wenig schmeichelhafte Nachrede über Linke als Leute, die nicht ganz bei Trost sind, dürfte ihr Material schon auch darin gefunden haben, daß über die Arbeiterklasse und deren festen Klassenstandpunkt Sachen in Umlauf gebracht wurden, die man nicht einmal mehr als Dichtung qualifizieren kann, sondern nur noch als Unsinn. Die falsche Gleichsetzung von Klasse mit Klassenbewußtsein und Klassenkampf wurde gegen jede Realität und gegen jeden Augenschein behauptet, und hat sicher die Differenz zum geliebten Proletariat mehr vertieft als vermindert.
Oder indem die Parteien einen an Selbstverleugnung grenzenden Opportunismus an den Tag legten und sich veränderten, um durch Anschleimerei die Differenz zur arbeitenden Klasse zu tilgen; dafür stehen die geläufigen Phrasen darüber, was man nicht alles - die Religion, die Nation etc. - auf keinen Fall "den Rechten überlassen" dürfe, weil sich die Partei sonst isolieren würde; als wäre die Isolierung nicht der Ausgangspunkt der Angelegenheit und als wären die genannten Einrichtungen wie besagtes "Opium" eben nicht ausschließlich für Reaktionäre brauchbar. Bis hin zu so schönen Auskünften wie jener, die Partei solle lieber "mit den Massen irren" als gegen sie recht behalten; eine uskunft, die sich hoffentlich mit dem Faschismus erledigt hat, weil sonst noch mit dem Ratschlag zu rechnen ist, die Partei dürfe auch den Ausländerhaß und den Rassismus auf keinen Fall denen überlassen, die damit Politik machen. Oder indem statt Agitation ein Proletkult betrieben wird, ein Lob der "kleinen Leute" und der konterrevolutionären Tugenden, die diese in ihrer Not halt an den Tag legen wie eh und je. Mit der Konsequenz einer eklatanten Hilflosigkeit gegenüber der Propaganda der FPÖ beispielsweise, die einem Haider höchstens noch den schwachen Vorwurf machen kann, er sei unglaubwürdig und würde leere Versprechungen machen - ein Vorwurf, der in der Sache zustimmt -, weil gegen die reaktionäre Verzichts- und Gerechtigkeits- und Gewerkschaftshetze mittels "Privilegienabbau" und "Einkommensgrenzen" einfach keine kommunistischen Einwände mehr auf Lager sind. Oder indem unter Verkürzung eines Satzes aus dem Manifest nicht mehr jede "revolutionäre" Bewegung, sondern schlicht und einfach jede Bewegung unterstützt wird, die es halt gibt; darunter haufenweise solche, die von Marx und Engels wenigstens noch als "Ökonomisten, Philantrophen, Humanitäre, Verbesserer der Lage der arbeitenden Klassen, Wohltätigkeitsorganisierer, Abschaffer der Tierquälerei, Mäßigkeitsvereinsstifter, Winkelreformer der buntscheckigsten Art" belächelt wurden. Was heutzutage nicht mehr zählt, weil es diese Bewegungen immerhin gibt und sie also "real" und "ganz konkret" viele "Erfahrungen" machen, egal wofür und wogegen sie auch immer antreten. Oder indem die falsche Gleichsetzung von "Klasse" und "Klassenkampf" andersherum überwunden wird, indem aus dem heute fehlenden Kampf der Fehlschluß auf den auch bei den Proletariern längst ausgebrochenen Wohlstand gezogen wird, der das Kämpfen eben überflüssig gemacht habe ...
Wenn sich die KPÖ also über die arbeitende Klasse verständigen will und dabei über den "heutigen Kapitalismus: Globalisierung, Prekarisierung, Diktat der Finanzmärkte"; über "Neoliberalen Umbau und Geschlechterverhältnisse"; über "Politische Ökonomie des Dienstleistungssektors, Erfahrungen aus der betrieblichen Interessensvertretung"; über "Begriff und Organisationen der ArbeiterInnenklasse aus marxistischer Sicht" und den "Arbeitsbegriff: Formen und Strukturen der Arbeit, Auswirkungen des neoliberalen Umbaus" etc. usw. diskutieren will, - dann gibt es über die erwähnten Themen sicher einiges zu sagen. Aber nur, wenn die in diesen Themen "codierten", die versteckten Fragen explizit gemacht und entsorgt werden:
Wo - mehr in den traditionellen oder in den "atypischen" Beschäftigungsverhältnissen? - verbirgt es sich, unser, Unser, UNSER spezielles "Potential"?
Wo im "neoliberalen Umbau" sind die "Gesetzmäßigkeiten", die aus dem Proletariat eines nach unseren Vorstellungen machen? Gibt es sie im "Dienstleistungssektor" noch und warum wirken sie nicht?
Sollen wir weiter an das Proletariat glauben, oder an wen sonst? An die Globalisierungsgegner?
Statt dessen sollte der Kapitalismus und mit ihm die arbeitende Klasse einmal so betrachtet werden, wie es das "Manifest" in seinem Überschwang als zwangsläufig hinstellt, und wie es im anderen Papier über "Das Proletariat" hoffentlich passiert: nüchtern.