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Wenn die KPÖ über die Arbeiterklasse diskutieren will, dann ist
anzunehmen, daß das eigentliche Thema nicht nur oder gar nicht so sehr die
tatsächlichen Bestimmungen derjenigen Klasse sind, von deren Arbeit nach
wie vor und mehr denn je der komplette kapitalistische Laden lebt - vgl.
dazu also das andere Papier über "Das Proletariat". Mindestens ebenso
oder sogar statt dessen steht das Verhältnis von Kommunisten und
Arbeiterklasse zur Debatte, und damit jenes Gesellschafts- und
Geschichtsverständnis, mit dem dieser Teil der Arbeiterbewegung seine
politische Tätigkeit begründet hat - und jetzt vielleicht nicht mehr oder
womöglich auch weiterhin begründen will, je nach Ausgang der Diskussion.
Der traditionelle Standpunkt läßt sich wie folgt zusammenfassen: Die
Arbeiterklasse erlangt durch ihre Klassenlage ziemlich unausbleiblich und
sachzwangartig ein antikapitalistisches Klassenbewußtsein, das sie
entsprechend unausweichlich zum Klassenkampf schreiten läßt, den die
kommunistische Partei der Arbeiterklasse nur noch in Richtung
Systemüberwindung organisieren muß.
Die Klasse: per se
revolutionär? Ziemlich kompakt, bündig und prägnant, dieses
Gesellschafts- und Gesellschaftsbild. Es hat nur einen Nachteil. Es stimmt
hinten und vorne nicht, und schätzungsweise hat es nie gestimmt. Sicher,
die Klassenlage auch der modernen Proletarier ist ebenso eindeutig wie
unerfreulich, aber daß die davon Betroffenen zwangsläufig die richtigen
Schlüsse daraus ziehen und sich gegen das "Lohnsystem" wenden, davon kann
keine Rede sein. Die klassischen Passagen im Kommunistischen Manifest,
wonach sich - im Grunde genommen - im Kapitalismus niemand mehr ein
falsches Bewußtsein zulegen und dauerhaft leisten kann, weil die
bürgerlichen Eigentumsverhältnisse ohnehin jede affirmative Vorstellung
von ihnen und damit jede zustimmende Stellung zu ihnen zuverlässig
zerstören, die treffen die Sache einfach nicht: "Sie (die Bourgeoisie)
hat, mit einem Wort, an die Stelle der mit religiösen und politischen
Illusionen verhülltenAusbeutung die offene, unverschämte, direkte, dürre
Ausbeutung gesetzt ... Alles Ständische und Stehende verdampft,
allesHeilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre
Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen
anzusehen." Da werden also der Bourgeoisie und den kapitalistischen
Verhältnissen bewußtseinsbildende Leistungen zugeschrieben, die gerade dem
modernen Verhältnis von "Arbeitgeber" und "Arbeitnehmer" überhaupt nicht
innewohnen - es gäbe keine Ideologien mehr über "Leistungsgesellschaft"
und "Gerechtigkeit" und "Soziale Marktwirtschaft" und "Wir sitzen alle in
einem Boot" usw., weil der heutige Dienstnehmer gezwungen ist, sich und
seine Umgebung ganz nüchtern wahrzunehmen! Zu Ehren von Marx muß
allerdings angemerkt werden, daß er diesen Fehler des "Manifest" selber
bemerkt und korrigiert hat. Im "Kapital", Bd.1, bestimmt er die früheren,
"mit religiösen und politischen Illusionen verhüllten" Formen der
Ausbeutung als wesentlich "durchsichtiger"(!) als die
modernen: "Versetzen wir uns nun ... in das finstre europäische
Mittelalter. Statt des unabhängigen Mannes finden wir hier jedermann
abhängig - Leibeigne und Grundherrn, Vasallen und Lehnsgeber, Laien und
Pfaffen. Persönliche Abhängigkeit charakterisiert ebensosehr die
gesellschaftlichen Verhältnisse der materiellen Produktion als die auf ihr
aufgebauten Lebenssphären. Aber eben weil persönliche
Abhängigkeitsverhältnisse die gegebne gesellschaftliche Grundlage bilden,
brauchen Arbeiten und Produkte nicht eine von ihrer Realität verschiedne
phantastische Gestalt anzunehmen. ... Die Naturalform der Arbeit, ihre
Besonderheit, und nicht, wie auf Grundlage der Warenproduktion, ihre
Allgemeinheit, ist hier ihre unmittelbar gesellschaftliche Form. Die
Fronarbeit ist ebensogut durch die Zeit gemessen wie die Waren
produzierende Arbeit, aber jeder Leibeigne weiß, daß es ein bestimmtes
Quantum seiner persönlichen Arbeitskraft ist, die er im Dienst seines
Herrn verausgabt. Der dem Pfaffen zu leistende Zehnten ist klarer als der
Segen des Pfaffen. Wie man daher immer die Charaktermasken beurteilen mag,
worin sich die Menschen hier gegenübertreten, die gesellschaftlichen
Verhältnisse der Personen in ihren Arbeiten erscheinen jedenfalls als ihre
eignen persönlichen Verhältnisse und sind nicht verkleidet in
gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen, der Arbeitsprodukte. ... Jene
alten gesellschaftlichen Produktionsorganismen sind außerordentlich viel
einfacher und durchsichtiger als der bürgerliche, aber sie beruhen
entweder auf der Unreife des individuellen Menschen, der sich von der
Nabelschnur des natürlichen Gattungszusammenhangs mit andren noch nicht
losgerissen hat, oder auf unmittelbaren Herrschafts- und
Knechtschaftsverhältnissen." (KI, S. 91ff.) Im Abschnitt über den
Arbeitslohn findet er sehr deutliche Worte über "Flausen und Illusionen"
von Kapitalisten und Arbeitern, die aus den praktischen Zwängen stammen,
mit denen sich das Proletariat herumzuschlagen hat: "Die Form des
Arbeitslohns löscht also jede Spur der Teilung des Arbeitstags in
notwendige Arbeit und Mehrarbeit, in bezahlte und unbezahlte Arbeit aus.
Alle Arbeit erscheint als bezahlte Arbeit. Bei der Fronarbeit
unterscheiden sich räumlich und zeitlich, handgreiflich sinnlich, die
Arbeit des Fröners für sich selbst und seine Zwangsarbeit für den
Grundherrn. Bei der Sklavenarbeit erscheint selbst der Teil des
Arbeitstags, worin der Sklave nur den Wert seiner eignen Lebensmittel
ersetzt, den er in der Tat also für sich selbst arbeitet, als Arbeit für
seinen Meister. ... Bei der Lohnarbeit erscheint umgekehrt selbst die
Mehrarbeit oder unbezahlte Arbeit als bezahlt. Dort verbirgt das
Eigentumsverhältnis das Fürsichselbstarbeiten des Sklaven, hier das
Geldverhältnis das Umsonstarbeiten des Lohnarbeiters. Man begreift daher
die entscheidende Wichtigkeit der Verwandlung von Wert und Preis der
Arbeitskraft in die Form des Arbeitslohns oder in Wert und Preis der
Arbeit selbst. Auf dieser Erscheinungsform ....beruhn alle
Rechtsvorstellungen des Arbeiters wie des Kapitalisten, alle
Mystifikationen der kapitalistische Produktionsweise, alle ihre
Freiheitsillusionen, alle apologetischen Flausen der Vulgärökonomie." (KI,
S. 562) Der Anreiz etwa, im Akkord oder mit Überstunden mehr zu
verdienen, ebenso wie die genau so realistische Aussicht, im
entgegengesetzten Fall Lohneinbußen hinnehmen zu müssen: Ausgerechnet
diese harten Belege dafür, wie perfekt die Lohnformen dem kapitalistischen
Ausbeutungsinteresse dienen, sind für die betroffenen Arbeiter Nötigung
genug, ihrerseits ganz entsprechend zu kalkulieren, und begründen auf
diese praktische Art viel falsches Bewußtsein, beglaubigen nämlich
handfest den Schein eines unanfechtbar gerechten Äquivalententauschs
zwischen Lohnarbeitern und Unternehmern. (Da hat eine entsprechend
engagierte Mannschaft viel zu tun, in Sachen Kritik der proletarischen
Rechts- und Gerechtigkeitsvorstellungen, Freiheitsillusionen und anderer
systemkonformer Unarten.) Der spätere Marx hat also schon mehr und
anderes gewußt als der frühere, allerdings waren auch die erwähnten
anfänglichen Fehler von der "offenen", der offensichtlichen Ausbeutung
nicht pure Phantasiegebilde. Marx und Engels hatten an den damaligen
Klassenkämpfen erkannt, daß das Proletariat nicht existieren konnte, ohne
sich gegen die Bourgeoisie zur Wehr zu setzen, weil unter der puren,
unumschränkten Herrschaft des Privateigentums die gerade entstehende
Lohnarbeiterklasse keine Chance zum Überleben hatte, deren Kampf eine pure
Überlebensbedingung war. Daraus hatten die Autoren des "Manifest" den
etwas verwegenen Schluß gezogen, das Proletariat wäre - zumindest im
Prinzip - eine per se revolutionäre, systemüberwindende Klasse, die "nur
noch" über die "eigentliche" Stoßrichtung und Bedeutung ihres bereits
stattfindenden Kampfes informiert werden müßte, was dann das "Manifest"
leisten sollte. Nun war die Orientierung der Arbeiterbewegung zu Marxens
Zeiten und bis zum Ersten oder vielleicht sogar bis zum Zweiten Weltkrieg
durchaus noch eine offene Frage, in die Marx z. B. mit seiner Polemik
gegen das Gothaer Programm der Sozialdemokratie eingegriffen hat;
allerdings steht zumindest heute und im nachhinein fest, daß diese Kämpfe
der Arbeiterbewegung - denen die Klassiker eine etwas zu optimistische
Interpretation angedeihen ließen nach dem Motto, dem ohnehin schon
kämpfenden Proletariat bleibe doch gar keine Wahl, als sich gegen das
System der Ausbeutung zu wenden -, daß diese Kämpfe also nicht die
Überwindung des Klassengegensatzes, sondern fast konträr dazu die
dauerhafte Etablierung der arbeitenden Klasse geleistet haben. Die
Arbeiterklasse konnte schlicht von der Arbeit nicht leben, die Bourgeoisie
war drauf und dran, mit dem Proletariat ihr eigenes Mittel und
Ausbeutungsmaterial kaputt zu machen - "Das Kapital scheint daher durch
sein eigenes Interesse auf einen Normalarbeitstag hingewiesen." (KI, S.
281) -, sie mußte zu ihrem eigenen Interesse quasi gezwungen werden, und
sie konnte dazu gezwungen werden, weil an dem Punkt die Arbeiterbewegung
und der Staat als "ideeller Gesamtkapitalist" einen kompromißfähigen
Gesichtspunkt im Überleben der arbeitenden Klasse als dem Mittel und
Material der Nation gefunden hatten; von Marx auch abgehandelt im "Kampf
um den Normalarbeitstag", denn "das Kapital ist daher rücksichtslos gegen
Gesundheit und Lebensdauer des Arbeiters, wo es nicht durch die
Gesellschaft zur Rücksicht gezwungen wird." (KI, S. 285) Von daher
erklärt sich die falsche Gleichsetzung von "kämpfend" mit "revolutionär",
die sich als roter Faden durch das "Manifest" zieht, und die mehr auf die
Vereinnahmung des werten Proletariats abzielt und auf die Befrachtung von
dessen Kämpfen mit einem höheren geschichtlichen Sinn - von Kämpfen, die
durchaus damals schon als systemimmanent kenntlich waren: Nur von ihrer
Arbeit können moderne Lohnarbeiter nicht leben, sie müssen nicht nur in
die Fabrik, sondern noch neben ihrer Arbeit dafür kämpfen, daß die
überhaupt auszuhalten ist und wenigstens die nötigen Kalorien abwirft,
dafür brauchen sie einen Zusammenschluß, aus dem dann die Gewerkschaften
geworden sind. In solchen Koalitionen geht es also darum, trotz allem vom
Lohn leben zu können, mit der Fortführung der Lohnarbeiterexistenz hat der
Kampf sein Ziel erreicht, bis sich herausstellt, daß der Erfolg ein
vorübergehender war, weil der Erfindungsreichtum der anderen Seite erneute
Gegenwehr notwendig macht. Von solchen Kämpfen handelt das "Manifest",
will nicht recht zugeben, daß da öfter ein anderer als der von Marx und
Engels postulierte Kampf sein Ziel schon erreicht hat, und gibt deswegen
auch agitatorisch streckenweise recht wenig her für das Bemühen, die
Arbeiter mögen sich doch ein neues Kampfziel setzen und die dafür nötige
Koalition eingehen - eben weil es dieses systemüberwindende Ziel ständig
in die damaligen Kämpfe hineininterpretiert, im Zweifelsfall über die
dürftige Kategorie "Entwicklung", die mit der Arbeiterbewegung viel vorhat
und die ihr viele "Erfahrungen" verschaffen wird; so daß jeder Kampf für
die Erhaltung der Arbeiterklasse "eigentlich" einer zur Abschaffung der
Bourgeoisie ist. Über das reale Resultat dieser Kämpfe gehen Marx und
Engels schon wieder großzügig hinweg, wenn sie als "das eigentliche
Resultat ihrer Kämpfe" gar nicht erst deren "unmittelbaren Erfolg" sehen
wollen, "sondern die immer weiter um sich greifende Vereinigung der
Arbeiter", die "Organisation der Proletarier zur Klasse", die "jeden
Augenblick wieder gesprengt" wird und "immer wieder, stärker, fester,
mächtiger" entsteht - so als sei jede Organisation der Klasse zwangsläufig
revolutionär. Als wäre es nicht auch schon damals bitter nötig gewesen,
das elende, aufgezwungene Interesse an Lohn und Beschäftigung zu
kritisieren, das die Proletarier an ihre Ausbeutung bindet; was
bekanntlich nicht nur in der "Kritik der politischen Ökonomie" dann auch
geleistet wurde. Die vom "Manifest" erschlichene und verkehrte
Gleichsetzung von "kämpfend" mit"revolutionär" prägt auch die maßgeblichen
Bemerkungen des "Manifest" über das Verhältnis der Kommunisten zu den
Proletariern.
Die Partei: immer auf seiten der Werktätigen
... "Die Kommunisten sind keine besondere Partei gegenüber den
andern Arbeiterparteien. Sie haben keine von den Interessen des ganzen
Proletariats getrennten Interessen. Sie stellen keine besonderen
Prinzipien auf, wonach sie die proletarische Bewegung modeln
wollen." Wozu dann ein eigenes "Manifest"? Wer so ein Pamphlet verfaßt,
hat gerade dem Proletariat viel mitzuteilen, ist also der Ansicht, daß
dessen aktuelle Verfassung durchaus zu wünschen übrig läßt. Die Autoren
haben mit der Schrift einen sachlichen Unterschied zwischen sich und dem
Proletariat aufgemacht und begonnen, diesen aufzuheben - wozu also
zugleich und etwas voreilig dessen Dementi? Noch drastischer die
Behauptung, man sei keine "besondere Partei", wenn man durchaus eine
Assoziation eröffnet, und wenn man im nächsten Kapitel über die von der
organisierten Konkurrenz in Umlauf gebrachte "sozialistische und
kommunistische Literatur" herzieht; und das auch noch sehr gelungen! "Die
Kommunisten sind also praktisch der entschiedenste, immer weitertreibende
Teil der Arbeiterparteien aller Länder; sie haben theoretisch vor der
übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang
und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung
voraus." Diesen Unterschied wollen Marx und Engels schon gelten lassen,
indem sie ihn sofort kleinreden und so tun, als würden die einen ein wenig
ahnungs- und perspektivlos vor sich hinkämpfen, ohne so recht zu wissen,
wofür, und die Kommunisten hätten immerhin den Überblick, welcher
Unterschied aber wenig zu bedeuten habe - und das angesichts von
kommunistischen "Einsichten" in die "Bedingungen und den Gang", die eine
gewaltige Kluft zum Proletariat markieren, weil das von eben diesen
Einsichten wenig Ahnung hat(te). Wenn es doch Kommunisten braucht, die
"stets das Interesse der Gesamtbewegung vertreten", dann ist dieses
Gesamtinteresse eben eine ziemlich hinkonstruierte Sache, mit dessen Hilfe
die ziemlich unkommunistischen, zu Teilbewegungen ernannten ideologisch
einkassiert werden sollten - dann unterstellen die Autoren in diesen und
ähnlichen Wendungen ständig beachtliche Differenzen, und erklären sie
zugleich für irrelevant. Woher und warum diese Selbstverleugnung? Wieder
geht es mehr um Vereinnahmung als um die zwischen den Zeilen durchaus als
notwendig durchschimmernde Kritik an damaligen Arbeitskämpfen, in denen
von den "allgemeinen Resultaten" im Sinn von Marx und Engels wenig zu
entdecken war. Auch die anschließende Zurückweisung von
antikommunistischen Vorwürfen ("Man hat uns Kommunisten vorgeworfen ...")
gilt übrigens Einwänden, die keineswegs nur von der Bourgeoisie erhoben
wurden; man merkt den - manchmal auch nicht sehr gelungenen - Repliken
durchaus an, daß es sich um Streitpunkte innerhalb des Proletariats
handelt, weil die Klassenlage eben schon damals nicht das Bewußtsein
deterministisch bestimmt hat. Diese an Gleichgültigkeit grenzende
Großzügigkeit gegenüber Irrtümern im Proletariat meinten die beiden
Autoren an den Tag legen zu können, da hinter ihnen sowieso ganz andere
Gestalten und Mächte am Werk seien: "Die theoretischen Sätze der
Kommunisten beruhen keineswegs auf Ideen, auf Prinzipien, die von diesem
oder jenem Weltverbesserer erfunden oder entdeckt sind. Sie sind nur
allgemeine Ausdrücke tatsächlicher Verhältnisse eines existierenden
Klassenkampfes, einer unter unseren Augen vor sich gehenden
geschichtlichen Bewegung." Die "geschichtliche Bewegung" höchstpersönlich
würde also dafür sorgen, daß ihr niemand auskommt, und das Proletariat
schon gleich nicht, weswegen aus der historischen Perspektive des
"Manifest" jeder vernünftige Streit um die Stoßrichtung des Kampfes als
kleinlich gelten muß - den die Autoren andererseits in ihrer Kritik der
"sozialistischen und kommunistischen Literatur" sehr wohl für notwendig
befunden und auch geführt haben.
... mit der Geschichte im
Rücken? Eine kommunistische Agitation, die die Realität der
Klassengesellschaft kritisiert, muß sich jedenfalls nicht auch noch
zusätzlich zur Realität der "tatsächlichen Verhältnisse" bekennen und
beteuern, daß es den Klassenkampf, auf den sie sich kritisch bezieht, auch
wirklich gibt, um sich von philosophischen und anderen gutgemeinten
weltverbesserischen Idealen abzugrenzen. Der gute und wissenschaftlich
argumentierte Rat an das Proletariat, es möge sich gegen das Lohnsystem
insgesamt wenden, weil es sonst mit seinen materiellen Bedürfnissen auf
der Strecke bleibt, braucht auch keine "höheren" Gesichtspunkte, keine
Vorstellungen von geschichtlichen Determinationen und historischen
"Missionen" im Namen der Menschheit. So ein Thema wälzen höchstens Leute,
die gerade dabei sind, sich von solchen für das Proletariat unglaublich
relevanten Fragestellungen wie einem "Elend der Philosophie" zur Befassung
mit dem richtigen Leben, also zur "Kritik der politischen Ökonomie"
vorzuarbeiten, und die an dem Punkt - noch - das Proletariat als ein
Vollzugsorgan ihrer Geschichtsteleologie, ihrer philosophischen Ideale
betrachten. Es macht sich wieder der durchgängige Widerspruch bemerkbar,
einerseits mit einem "Manifest" schon den Anstoß zu einem Umsturz geben zu
wollen, weil sich der Kapitalismus eben nicht von selbst erledigt, und
andererseits in diesem Manifest die Botschaft vom historisch ohnehin
zwangsläufigen und unausweichlichen Abgang der Bourgeoisie zu verbreiten -
an welchen die Autoren in ihrem praktischen Tun, in ihrem Bemühen um
theoretische Klarheit und organisierte Schlagkraft des Proletariats nicht
recht geglaubt haben; wenn "die Geschichte" schon gesetzmäßig für ihr
eigenes Happy-End sorgt, hätten sie ja auch irgendwelche Hobbys pflegen
können.
Fehler machen Karriere Damit soll nicht behauptet
werden, die skizzierten Fehler der organisierten Arbeiterbewegung hätten
ihren Grund darin, daß sich die Parteien sklavisch an die Schriften von
Marx und Engels gehalten hätten - es ist ja auch bei aller Kanonisierung
der beiden gelungen, die "Kritik der politischen Ökonomie" über weite
Strecken zu ignorieren oder sogar mit einem Handbuch zum Aufbau des
Sozialismus zu verwechseln, obwohl das Hauptwerk eindeutig "Das Kapital"
heißt und nicht "Der Sozialismus", und eindeutig eine Absage an den im
Titel erwähnten Gegenstand enthält. Für manche verkehrten Bedürfnisse
haben die fragwürdigen Passagen aber offenbar wesentlich mehr hergegeben
als die spätere astreine Kritik der Marktwirtschaft, und auch als die
genialen Passagen im Manifest selbst, in denen die Schrift zumindest
keinen Zweifel daran erlaubt, daß eine ziemlich komplette Umwälzung der
Produktionsweise das einzig Senkrechte wäre. Vor allem für das
Bedürfnis, nach der (Selbst)Ernennung zur Partei der Arbeiterklasse das
Verhältnis von Proletariat und Partei als ein rundum harmonisches zu
arrangieren bzw. wenigstens zu fingieren, waren ausgewählte "Stellen"
prägend; und zwar in beiden möglichen Varianten. Also indem entweder der
arbeitenden Klasse der Parteistandpunkt angedichtet und diese zu ihrem
"revolutionären Kampfeswillen" beglückwünscht wurde, wo immer sich ein
Proletarier erkennbar folgenlos am Feierabend über "die da oben"
beschwert, weil "der Arbeiter immer der Dumme" sei. Die wenig
schmeichelhafte Nachrede über Linke als Leute, die nicht ganz bei Trost
sind, dürfte ihr Material schon auch darin gefunden haben, daß über die
Arbeiterklasse und deren festen Klassenstandpunkt Sachen in Umlauf
gebracht wurden, die man nicht einmal mehr als Dichtung qualifizieren
kann, sondern nur noch als Unsinn. Die falsche Gleichsetzung von Klasse
mit Klassenbewußtsein und Klassenkampf wurde gegen jede Realität und gegen
jeden Augenschein behauptet, und hat sicher die Differenz zum geliebten
Proletariat mehr vertieft als vermindert. Oder indem die Parteien einen
an Selbstverleugnung grenzenden Opportunismus an den Tag legten und sich
veränderten, um durch Anschleimerei die Differenz zur arbeitenden Klasse
zu tilgen; dafür stehen die geläufigen Phrasen darüber, was man nicht
alles - die Religion, die Nation etc. - auf keinen Fall "den Rechten
überlassen" dürfe, weil sich die Partei sonst isolieren würde; als wäre
die Isolierung nicht der Ausgangspunkt der Angelegenheit und als wären die
genannten Einrichtungen wie besagtes "Opium" eben nicht ausschließlich für
Reaktionäre brauchbar. Bis hin zu so schönen Auskünften wie jener, die
Partei solle lieber "mit den Massen irren" als gegen sie recht behalten;
eine uskunft, die sich hoffentlich mit dem Faschismus erledigt hat, weil
sonst noch mit dem Ratschlag zu rechnen ist, die Partei dürfe auch den
Ausländerhaß und den Rassismus auf keinen Fall denen überlassen, die damit
Politik machen. Oder indem statt Agitation ein Proletkult betrieben wird,
ein Lob der "kleinen Leute" und der konterrevolutionären Tugenden, die
diese in ihrer Not halt an den Tag legen wie eh und je. Mit der Konsequenz
einer eklatanten Hilflosigkeit gegenüber der Propaganda der FPÖ
beispielsweise, die einem Haider höchstens noch den schwachen Vorwurf
machen kann, er sei unglaubwürdig und würde leere Versprechungen machen -
ein Vorwurf, der in der Sache zustimmt -, weil gegen die reaktionäre
Verzichts- und Gerechtigkeits- und Gewerkschaftshetze mittels
"Privilegienabbau" und "Einkommensgrenzen" einfach keine kommunistischen
Einwände mehr auf Lager sind. Oder indem unter Verkürzung eines Satzes aus
dem Manifest nicht mehr jede "revolutionäre" Bewegung, sondern schlicht
und einfach jede Bewegung unterstützt wird, die es halt gibt; darunter
haufenweise solche, die von Marx und Engels wenigstens noch als
"Ökonomisten, Philantrophen, Humanitäre, Verbesserer der Lage der
arbeitenden Klassen, Wohltätigkeitsorganisierer, Abschaffer der
Tierquälerei, Mäßigkeitsvereinsstifter, Winkelreformer der
buntscheckigsten Art" belächelt wurden. Was heutzutage nicht mehr zählt,
weil es diese Bewegungen immerhin gibt und sie also "real" und "ganz
konkret" viele "Erfahrungen" machen, egal wofür und wogegen sie auch immer
antreten. Oder indem die falsche Gleichsetzung von "Klasse" und
"Klassenkampf" andersherum überwunden wird, indem aus dem heute fehlenden
Kampf der Fehlschluß auf den auch bei den Proletariern längst
ausgebrochenen Wohlstand gezogen wird, der das Kämpfen eben überflüssig
gemacht habe ... Wenn sich die KPÖ also über die arbeitende Klasse
verständigen will und dabei über den "heutigen Kapitalismus:
Globalisierung, Prekarisierung, Diktat der Finanzmärkte"; über
"Neoliberalen Umbau und Geschlechterverhältnisse"; über "Politische
Ökonomie des Dienstleistungssektors, Erfahrungen aus der betrieblichen
Interessensvertretung"; über "Begriff und Organisationen der
ArbeiterInnenklasse aus marxistischer Sicht" und den "Arbeitsbegriff:
Formen und Strukturen der Arbeit, Auswirkungen des neoliberalen Umbaus"
etc. usw. diskutieren will, - dann gibt es über die erwähnten Themen
sicher einiges zu sagen. Aber nur, wenn die in diesen Themen "codierten",
die versteckten Fragen explizit gemacht und entsorgt werden: Wo - mehr
in den traditionellen oder in den "atypischen"
Beschäftigungsverhältnissen? - verbirgt es sich, unser, Unser, UNSER
spezielles "Potential"? Wo im "neoliberalen Umbau" sind die
"Gesetzmäßigkeiten", die aus dem Proletariat eines nach unseren
Vorstellungen machen? Gibt es sie im "Dienstleistungssektor" noch und
warum wirken sie nicht? Sollen wir weiter an das Proletariat glauben,
oder an wen sonst? An die Globalisierungsgegner? Statt dessen sollte
der Kapitalismus und mit ihm die arbeitende Klasse einmal so betrachtet
werden, wie es das "Manifest" in seinem Überschwang als zwangsläufig
hinstellt, und wie es im anderen Papier über "Das Proletariat" hoffentlich
passiert: nüchtern. |