(veröffentlicht im BREMER, August 1996)

Coole Schläger

Interview mit dem Bremer Erziehungswissenschaftler Freerk Huisken 

Jugendliche Gewalttäter sollen besser in die Gesellschaft integriert werden, meinen Pädagogen und Politiker. Der Bremer Erziehungswissenschaftler Freerk Huisken ist anderer Meinung.

BREMER: Was stört Sie eigentlich an der Diskussion über Jugendgewalt?

Freerk Huisken: Mich stört schon das Wort Jugendgewalt. Ich halte diesen Begriff für durchgängig ideologisch. Wenn Erwachsene Kriege führen, wenn Fußballfouls begangen werden, wenn Vergewaltigungen passieren, redet ja auch niemand von Erwachsenengewalt. Hier werden sehr unterschiedlich motivierte Verhaltensweisen in einen Topf geworfen was nur von einem polizeilichen Standpunkt aus Sinn ergibt. Was Kinder treiben, ist dabei egal. 


BREMER: Armut, Orientierungskrise, Gewaltvideos, Ellbogengesellschaft in ihrem Buch lassen Sie an den gängigen Erklärungsversuchen für Jugendgewalt kein gutes Haar.

Huisken: Die Erklärungsversuche der Wissenschaftler sind fast durchgängig falsch. Der Bielefelder Pädagoge Heitmeyer sagt, Jugendgewalt sei eine Frage von Orientierungslosigkeit, produziert durch Modernisierungsprozesse. Ich bin der Auffassung, daß Kinder und Jugendliche, die andere verwamsen, mit Waffenbesitz renommieren, Jacken zocken, Schutzgeld erpressen oder die einfach nur mit allem möglichen angeben, eine ganz bestimmte Orientierung haben. Und die heißt: Wenn ich als der Bessere, der Überlegene gelten will, dann muß ich andere zu Unterlegenen machen! Auch der kulturkritische Hinweis auf die böse Ellbogengesellschaft reicht da nicht. Wer sagt denn schon: Wir müssen einmal prinzipiell das Sortierungs- und Verteilungsprinzip bei uns in Frage stellen. Man findet nur Ermahnungen, wir sollten uns in der Konkurrenz harmonischer aufführen. 

BREMER: Und Gewaltvideos?

Huisken: Es gibt keinen Automatismus, der irgendeinen Menschen dazu zwingt, das zu imitieren, was er sieht. Nachgeahmt wird nur, wenn man etwas gut findet. Und gut finden die Kids offensichtlich, daß man nur etwas ist, wenn man mehr gilt als andere. Und dazu müssen sie nicht in die Glotze gucken, das entdecken sie überall. Ich behaupte: Den Jugendlichen gefallen Prinzipien der Konkurrenzgesellschaft, die sie bei den Erwachsenen sehen. Wenn Kinder mit den absurdesten Sachen angeben, wenn die Maxime gilt, Du bist so viel Wert wie dein neuer Nike-Schuh, dann entspricht das in der Erwachsenenwelt dem samstäglichen Polieren des Autos oder dem Wettsaufen in der Kneipe. Gewalt ist nur die Spitze des Eisbergs. Die dahinterstehende Selbstdarstellungsmasche beginnt bereits beim ganz normalen Strebertum. 


BREMER: Ist diese Haltung nicht einfach Ergebnis einer realistischen Abschätzung: Wie muß ich mich verhalten, damit ich erfolgreich bin?

Huisken: Wenn unsere Gesellschaft so gestrickt ist, daß man zu seinem eigenen Erfolg nur kommt, wenn man massenhaft Verlierer mit in Kauf nimmt, stimmt an der Gesellschaft was nicht. Was mir dabei noch wichtig ist: Der Glaube, es hinge an unserer Leistung, ob aus uns was wird oder nicht, ist der Selbstbetrug der Konkurrenzsubjekte dieser Gesellschaft. Er stimmt eben nicht. 


BREMER: Sie sagen, daß es den jugendlichen Gewalttätern sogar egal ist, ob sie sich durch ihr Verhalten ihr Leben versauen. 


Huisken: Richtig. Die wissen, was sie tun und kennen die Folgen.


BREMER: Welche Ratschläge können Sie den Pädagogen geben?


Huisken: Den Pädagogen gebe ich keine Tips. Wie kommt man nur dazu, Menschen für zuständig zu halten, die gerade jene Konkurrenzlügen verbreiten, die dann von den Kids so fürchterlich ernst genommen werden!

Fragen: CHRISTIAN JUST

Freerk Huisken: Jugendgewalt, VSA-Verlag Hamburg, 1996, 16,80 Mark.



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