Kalaschnikow - Das Politmagazin, Ausgabe 12 Der Streit um den Doppel-Paß

"Integration: Eingliederung in ein größeres Ganzes" (Duden) (1)

Wem es vorher noch nicht klar war, dem müßten spätestens zwei politische Ereignisse der letzten Zeit gezeigt haben, daß die Kaliber, mit denen der öffentliche Streit über den Doppel-Paß geführt wird, der Sache selbst, der Novellierung des Staatsangehörigkeitsrechts nicht gerecht werden: Das ist zum einen die Wahl in Hessen und das ist zum anderen die Reaktion des Innenministers Schily auf die Proteste der PKK gegen das Kidnapping von Özalan.

In der öffentlichen Debatte wirft die Opposition den Rot/Grünen vor, sie wollte das Land ins Chaos stürzen, was dem "Vaterlandsverrats"-Vorwurf schon beträchtlich nahe kommt. Und umgekehrt kontert die Regierung, die C-ler würden mit ihrer Unterschriftenkampagne die Nation spalten, "dumpfe Ressentiments" wecken und damit dem Neofaschismus zuarbeiten. Linke Ausländerfreunde tragen zur Eskalation noch bei, indem sie Parteibüros und Unterschriftenstände der C-ler angreifen. Sie nehmen so Partei für den Doppelpaß und geben dem Urteil weitere Nahrung, daß sich hier nationalistische Reaktion und ausländerfreundlicher Fortschritt eine für die Zukunft Deutschlands ungemein bedeutende Schlacht liefern.

Doch kaum sind die Ergebnisse der Hessen-Wahl über den Ticker gelaufen, da liegt bereits ein rot/grüner Kompromiß auf dem Tisch: Der Doppelpaß oder etwas Ähnliches - das ist absehbar - wird eingeführt und zwar befristet; es fragt sich nur noch für wie lange. Wenn der Kompromiß sofort auf dem Tisch liegt, dann müssen die Streithanseln in der Rechtsfrage längst Körperkontakt haben. Es kann also der im öffentlichen Getöber aufgemachte Gegensatz unmöglich der Rechts-Novelle selbst gegolten haben.

Und ähnliches ist den Ereignissen der letzten Tage zu entnehmen: Kaum protestieren die PKK-Anhänger gegen die konzertierte Aktion der Geheimdienste gegen ihren Parteiführer, die gegen so ziemlich alle Regeln verstoßen hat, auf die sich Staaten im Umgang mit einander verpflichtet haben, und die sich sonst nur die USA ungestraft herausnehmen darf, da verkündet Schily im besten Kantherstil, daß diese demonstrierenden Ausländer mit der ganzen Härte des Gesetzes bestraft würden und mit ihrer Ausweisung rechnen müßten, man also alte Bedenken zurückstellen würde, etwa was die Auslieferung der PKK-Funktionäre an die Türkei betrifft. So als sei er richtig froh darüber, der deutschen Öffentlichkeit an einem "Störfall" - an dessen Inszenierung die Bundesregierung übrigens nicht unbeteiligt war (2) - zu verdeutlichen, daß er nichts weniger vorhat, als ausländischen Extremisten die deutsche Staatsbürgerschaft hinterher zu tragen. Er beeilt sich richtig, die Maßstäbe Stoibers öffentlich zu akklamieren und damit dessen Kritik an dem Regierungskonzept durch praktische Gegenbeweise auszuhebeln. Stoiber hatte nämlich den Rot/Grünen vorgeworfen, mit dem Doppelpaß dem "internationalen Terrorismus" - "schlimmer als die RAF"(O-Ton Stoiber) - eine deutsche Heimat anzubieten. "Nichts weniger als das, Herr Stoiber!", beeilt sich Schily zu verkünden.

Daraus folgt: Die Aufgeregtheit, die das Fernsehen, die Presse und die Unterschriftenaktionen auf öffentlichen Plätzen beherrscht, kann nicht dem Doppelpaß gelten. Sie muß einen anderen Gegenstand haben.

Es gibt also zwei Sachen zu klären:

1. Die neue deutsche Regierung beschließt einen anderen Umgang mit dem ausländischen Teil seiner Bevölkerung - Einbürgerung statt Ausweisung, aus Ausländern sollen Inländer werden und zwar per Doppelpaß. Was heißt dies und warum dies? Was hat die Opposition dagegen?

2. Obwohl sich Regierung und Opposition in der Sache inzwischen selbst bis in Methodenfragen hinein einig sind, polarisiert die Frage nachwievor die Nation, entscheiden sich an ihr Wahlkämpfe. Welchen Gegenstand hat also die aufgeregte Debatte?

I. Einbürgerung statt Ausweisung: Die Novellierung des Staatsangehörigkeitsrechts

1. Das Problem mit dem "unumkehrbaren Zuwanderungsprozeß"

Im Koalitionsvertrag zwischen Rot und Grün heißt es zur Sache in gebotener Klarheit: "Wir erkennen an, daß ein unumkehrbarer Zuwanderungsprozeß stattgefunden hat und setzen auf die Integration der auf Dauer bei uns lebenden Zuwanderer, die sich zu unseren Verfassungswerten bekennen." (3)

Was wird da anerkannt? Da hat eine "Zuwanderung stattgefunden", was die Sache zwar nicht ganz trifft, denn die hat nicht "stattgefunden", sondern ist weitgehend das Resultat eines Projekts aus den 50er Jahren, mit dem der Staat mittels ausländischer Arbeitskräfte sehr gezielt eine Reserve für den heimischen Arbeitsmarkt geschaffen und darüber die nationalen Löhne in Grenzen gehalten hat. Aber nun sind die "Zuwanderer" nebst Familien hier und die neue Regierung beklagt, daß der "Zuwanderungsprozeß unumkehrbar" ist. Das ist klar formuliert, denn beide Regierungsparteien geben damit zu Protokoll, daß es ihnen am liebsten wäre, den Prozeß wieder "umzukehren". Nur sei ihnen das leider nicht möglich, denn der Prozeß ist "unumkehrbar". Eigentlich, sagen sie also, gehören Zuwanderer nicht auf Dauer hier her, nur sind uns in dieser Frage die Hände gebunden! Und deswegen - und das ist die eigentliche Härte der ganzen Sache - wird den Zuwanderer jetzt eine Alternative aufgemacht: Entweder sie werden Einheimische, Inländer und zwar zu deutschen Bedingungen oder aber sie bleiben die Ausgegrenzten, weil sie eigentlich hier nichts verloren haben.

Vor diese Alternative sollen nun alle hier lebenden Ausländer gestellt werden. Warum eigentlich? Warum läßt man sie hier nicht leben wie sie wollen? Warum gilt ihr Wunsch, sich hier niederlassen zu wollen - egal wie er nun zustande gekommen ist und egal wie ihre Lebensansprüche aussehen -, einfach nichts? Es bleibt ihnen doch, wenn sie hier ihren "Lebensmittelpunkt" besitzen, ohnehin nichts anderes übrig, als sich den Gesetzen und Regeln der deutschen Klassengesellschaft zu unterwerfen. Warum kann sich die Regierung nicht vorstellen, Ausländer ohne Schikanen hier ihren ohnehin bescheidenen Anliegen nachgehen zu lassen? Warum ist der Regierung der Gedanke völlig fremd, daß man Ausländer (und zwar auch dann, wenn sie hier nicht Kapital anlegen wollen oder ein begehrter Eishockeyprofi sind) zur Abwechslung auch mal anständig behandeln könnte? Irgendwie steht fest, daß dies nicht geht. Das sehen die C-ler so und Rot/Grün auch.

Also auch die Grünen können sich inzwischen nicht mehr vorstellen, daß die Zuwanderer einfach so mit Inländern zusammenleben. Damit haben sie sich - übrigens als einzige aller Parteien - eine neue Position zugelegt und sich von "überholtem Denken" (Fischer) verabschiedet. Sie sind einst bekanntlich angetreten mit dem moralischen Hammer: "Arbeitskräfte haben wir geholt, aber Menschen sind gekommen!" Damit war den Ausländern zwar auch keine übermäßig erfreuliche Perspektive eröffnet. Aber immerhin sollten sie doch als Menschen irgendwie etwas menschlicher behandelt werden, zumal sie "für uns" die Drecksarbeit erledigen und trotzdem immer noch mit fröhlichem Lied- und Eßgut die deutsche Kultur bereichern. Heute entdecken dieselben Grünen schon etwas empört: "Wir haben Arbeitskräfte - befristet - geholt, aber diese Ausländer wollen einfach - unbefristet - hier bleiben!" Deswegen fällt auch ihnen sofort ein, daß der Zuwanderer jemand ist, der völlig unabhängig von seinem individuellen Tun und Lassen mit der Alternative konfrontiert gehört: Einbürgerung zu deutschen Konditionen oder fortgesetzte Ausgrenzung als Ausländer. Die Einbürgerungsalternative verkaufen die Grünen heute gemeinerweise als das Recht, das sich jene Ausländer verdient hätten, die hier fleißig Steuern geblecht, in die Rentenkasse eingezahlt, sich also um den nationalen Reichtum verdient gemacht hätten. Nichts ist es mehr mit dem Kulturargument, das noch dem Menschen galt. Heute muß der Ausländer schon als Arbeitskraft etwas geleistet haben, wenn er Deutscher werden will. Wenn nicht, dann hat er eben auch das Einbürgerungsrecht nicht verdient.

Doch warum ist das so? Warum wird das so gesehen? Die Antwort ist simpel und hat mit lauteren oder unlauteren Motiven von Ausländen gar nichts zu tun - sonst müßte man sich ja um die Motive kümmern, nicht aber um ihren Ausländerstatus. Also wird es genau an dem hängen:

2. Was ist ein Ausländer?

1.1. Verdächtig

Mit den Ausländern treiben sich auf dem nationalen Territorium Menschen herum, die als Bürger eines fremden Staates ausgewiesen sind. Und das macht sie ganz prinzipiell verdächtig. Die mögen nun noch so unpolitisch oder gar deutschfreundlich gesonnen sein, mögen noch so sehr allein von dem Wunsch beseelt sein, in den Diensten der deutschen Nationalökonomie zu Einkommen zu gelangen, sie mögen noch so sehr ihrer Heimat den Rücken gekehrt haben - all das nimmt nichts von dem Verdacht weg, der ihnen in den Augen der Staatsführung anhaftet. Es ist dies nämlich ein Verdacht, der sich ausschließlich an der politischen Kennkarte, dem Ausweis, dem Paß festmacht, mit dem diese Menschen von einem anderen Staat als seine Bürger ausgewiesen sind. Der hiesige Nationalstaat praktiziert also gegenüber jedem Ausländer eine Gleichung, die da lautet: Der Bürger des fremden Staates ist - obwohl er doch nur Bürger, also Untertan ist - so etwas wie ein Stück Fremdstaatlichkeit auf meinem Territorium. Es ist damit ein Verdacht in die Welt gesetzt, der ebenso prinzipiell ist, wie der Verdacht, den ein Nationalstaat jedem anderen entgegenbringt, weil er ihn als seinen Konkurrenten weiß, der seine eigenen Angelegenheiten notwendig auf Kosten des anderen betreibt. Die Einsortierung eines Menschen als Ausländer lebt also von einem völkischen Sippenhaftdenken: Wer als Bürger eines fremden Staates markiert ist - ob er nun von diesem zwangsrekrutiert oder auf Antrag in die Volksgemeinde aufgenommen worden ist, ist völlig egal -, der gilt jedem anderen Staat als Verkörperung des konkurrierenden fremden Staatswillens. Und zwar gilt die fremde Staatszugehörigkeit und die daran festgemachte Loyalität zur fremden Herrschaft dann wie eine Eigenschaft, die an den Menschen ganz unabhängig von ihrem Tun und Treiben dran ist. Das ist der ganz prinzipielle Rassismus der staatlichen Sortierung zwischen Ausländer und Inländer.

Folglich behandelt der Staat jeden Ausländer auch so, als sei er ein Repräsentant des Interesses des fremden Staates; also als jemanden, dessen Anliegen irgendwie mit den eigenen nationalen kollidieren. Deswegen stellt der Staat klar, daß er sich in die politischen Fragen der Nation nicht einzumischen hat - auch wenn sie ihn noch so sehr tangieren. Die sogenannten politischen Rechte (Wahl-, Demonstrations-, Streik- und Korporationsrecht) wären in seinen Händen völlig fehl am Platz. Aber das ist nicht alles: Zwar ist er als Bürger, als Citoyen eines Fremdstaates hier erst einmal politisch kaltgestellt. Doch da die Übergänge vom Citoyen zum Bourgeois, vom Staatsbürger zum Privatsubjekt fließend sind, erläßt der Staat per Ausländerrecht weitere Vorschriften. Er will mit dem ganzen Bewilligungswesen, mit der Begrenzung der Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit, mit dem Überprüfungswesen, dem Eingriff ins Familienleben durch Nachzugsregelungen usw. zusätzlich sicherstellen, daß sich das Fremdbürgertum nicht unkontrolliert auf dem Weg über die Privatsphäre störend betätigt. So nimmt er den Ausländer auch als Privatmenschen unter weitgehende politische Kontrolle. Der ist damit sehr prinzipiell und praktisch als potentielle Störquelle einsortiert. (4) Nur unter diesen Vorbehalten erlaubt der Staat dem Ausländer einen vorübergehenden Aufenthalt auf seinem Territorium. D.h. auch, daß buchstäblich in jedem Fall, in welchem einem Ausländer die Einreise oder der Aufenthalt erlaubt wird, nie dessen private Erwägungen zählen - seien sie materielle oder politische Not, seien sie geschäftlicher oder diplomatischer Natur. Immer gelten sie nur unter dem Vorbehalt, daß der Staat seine eigenen positiven Gründe hat, dem Menschen das befristete Leben hier zu erlauben. Hat der Ausländer seinen Dienst getan, wird er nicht mehr gebraucht, dann läuft seine Aufenthaltsgenehmigung ab und er hat sich wieder dorthin zu verfügen, wo er hergekommen ist. Auch wenn er sich dort gar nicht mehr auskennt und ihn in der Heimat ein wenig freundlicher Empfang erwartet. Auf jeden Fall hat dann alles wieder seine Ordnung, (5) das Volk wäre wieder unter sich. (6)

1.2. Das Thema: Verläßlichkeit des Nationalismus

Und genau da liegt der Hund für die neue Staatsführung begraben. Sie geht ein Problem an, das auch schon der Kohl-Regierung schwer auf der nationalen Seele lag (das heißt dann "Reformstau"): Es ist nämlich die Bevölkerung, die hier lebt, nicht mit dem Staatsvolk deckungsgleich. Schily hat sich das gleich als Auftrag formuliert: "Wir müssen die Wohnbevölkerung und das Volk wieder zur Deckung bringen!" Warum? Sonst stimmt irgendetwas mit dem Bevölkerungshaushalt des Staates nicht, sagen sie sich. Sonst herrschen unklare Verhältnisse, eine Art Volksverunreinigung. Stoiber hat das mal "Durchrassung" genannt und später in "Durchmischung" abgewandelt, weil die Zeit noch nicht reif war. Jetzt ist sie reif und jeder weiß, was gemeint ist, ohne von "Durchrassung" reden zu müssen. Auf jeden Fall muß die beseitigt werden. Dabei denken die Politiker nicht an dunkle Hautfarbe oder Kebab. Sie denken an den politischen Willen der Zugewanderten. Die unter Generalverdacht stehenden Ausländer gelten dem Staat als Störquelle der Einheit von Volks- und Staatswille.

Um diese Sorte Einheit geht es, das ist der Kasus und der enthält eine interessante Unterstellung: Es werden nämlich in dieser Betrachtungsweise die Originaldeutschen wie ein homogener Wille angenommen. So wie der Zugewanderte dem Verdacht der politischen Illoyalität ausgesetzt ist, so geht der Nationalstaat umgekehrt von einer sehr prinzipiellen Loyalität der Inländer aus. Wie er den Ausländer - und leider nicht selten zu recht - verdächtigt, ein treuer Anhänger seines Staates, dessen Nationalist zu sein, genauso steht er zum politischen Willen seiner Inländer, seines Staatsvolks: Er betrachtet sie als einen Haufen von Menschen, die ihm gegenüber loyal sind, die seine Sache als die ihre akzeptieren, egal wie sehr Angelegenheiten des Staates auf ihre Kosten gehen. Kurzum: Er wünscht sich ein Volk von Nationalisten, das ist sein Ideal der Identität von Staats- und Volkswille; was im übrigen jeder bürgerliche Staat - und nicht nur der faschistische - zu verwirklichen bestrebt ist. Und wenn er entdeckt, daß es hier gar 7 Mio. Zugewanderte gibt, dann hat er einen Zweifel an der Verläßlichkeit des Nationalismus, der Loyalität der Gesamtbevölkerung.

Das ist das Thema, um das es bei der Novellierung des Staatsbürgerrechts geht: Wenn Bevölkerung und Volk zur Deckung gebracht werden sollen, geht es um nichts als um die Herstellung einer rundum verläßlichen, loyalen Gesamtbevölkerung.

Damit ist eine ebenso elementare wie luxuriöse, d.h. eben sehr prinzipielle Sorge des Staates angesprochen: Sie ist elementar, weil der Staat mit dem Volk einiges vor hat und für ihn deswegen die Zustimmung des Volkes zu seinen Anliegen eine herausragende Produktivkraft ist. Es ist nun einmal so: Das Staatsvolk ist nämlich sein Volk. Diese Leute unterliegen seiner Hoheit vollständig. Die Inländer kann er in jeder Hinsicht für seine Sachen einspannen. Aber für die anderen, die Ausländer, gilt die bedingungslose hoheitliche Verfügung nicht. Die lassen sich zwar als Ausländer für die Mehrung des hiesigen Nationalreichtums einsetzen, reißen sich sogar darum. Aber immer wenn es ans Eingemachte geht, wenn der nationale Reichtum im In- oder Ausland geschützt, wenn das Vaterland verteidigt oder wenn der Bestand der Nation, die Reproduktion des Volkes selbst gesichert werden soll, taugt der zugewanderte Menschenschlag nichts. Nicht weil sich die "Zugewanderten" diesen letzten Diensten geschlossen verweigern würden, sondern weil sie in diesen elementaren Dingen der Nation unabhängig von ihrem Willen auf ihren Heimatstaat verpflichtet sind. Das soll sich ändern, weil er sich der Leute, die er einspannt zur Mehrung des Reichtums der Nation, ganz sicher sein will.

Soweit zum Elementaren. Und luxuriös ist die Sorge um die Verläßlichkeit des Nationalismus, weil sie eine ordentliche Portion Nationalismus immer bereits unterstellt, der Staat sich der Deutschen sicher ist. Ein Staat, der sich diese Frage stellt, der sie zum Gegenstand seiner Politik macht, hat andere Sorgen mit der bei ihm lebenden Bevölkerung nicht. Umgekehrt ausgedrückt: Wo Teile der Bevölkerung sich mit der staatlichen Politik so gar nicht anfreunden können, wo sie nicht vier Jahre auf die nächste Stimmenabgabe warten wollen, wo sie zur "illegalen Gewalt" greifen, da hat ein Staat ganz andere Sorgen. Da hat er die Sorge, ob seine Gewaltmittel reichen, um sich an der Macht zu halten, nicht aber die Sorge, ob die Zustimmung zu seinen Anliegen auch wirklich flächendeckend, d.h. bei jedem Bewohner seines Landes abrufbar ist.

Man sollte deswegen auch nicht in den Fehler verfallen und die erwünschte vollendete Bürgerloyalität mit einem Zustand des "inneren Friedens" gleichsetzen. Die Politiker begründen zwar ihre Einbürgerungstrategien damit, daß durch das "ungelöste Ausländerproblem" der "innere" oder "soziale Frieden" gefährdet sei und mit ihm gleich die ganze "Ordnung". Dabei stimmt das Szenario des gestörten "inneren Friedens", wenn es denn auf deutschen Straßen zu beobachten ist, nur deswegen, weil es zu einem solchen aufbereitet wird. "Kurdenkrieg auf deutschem Boden" vermelden Fernsehen und Presse, wenn z.B. der israelische Geheimdienst in Berlin dafür sorgt, daß auf jeden demolierten Botschafts-Computer ein toter Kurde kommt, und wenn deutsche Ordnungskräfte den Auftrag gewissenhaft ausführen, jeden Protestierenden dingfest zu machen, ihn erkennungsdienstlich zu behandeln, um ihn der Kartei der potentiellen Ausweisungskandidaten einzuverleiben. So gesehen platzen also diese PKK-Proteste fast wie gerufen in die laufende Einbürgerungsdebatte. Sie lassen gleich mehrfach für sie verwenden: Erstens läßt sich an ihnen zeigen - wie schon am Anfang gesagt -, daß diese Ausländer hier nichts verloren haben. Krawallmachen ist undeutsch. Zweitens aber bleibt natürlich damit an den Ausländer etwas von der PKK hängen: Da sieht man es, wozu die Ausländer fähig sind, weswegen es beim Einbürgern schwer aufzupassen gilt. Es taugt der Protest der PKKler dazu, das Bild zu bestätigen, das man sich vom Ausländer machen soll. An den Kurden soll sich der Bürger das Urteil des Staates über den Ausländer verplausibilisieren. Dabei besteht das Urteil selbst - wie gezeigt - in nichts als dem Rassismus des Staats. Der braucht denn auch gar keine widerborstigen Ausländer von der PKK, um einen Verdacht gegen die Ausländer zu hegen. Doch wenn sie sich denn schon widerborstig aufführen, dann läßt er die Gelegenheit zur Hetze nicht aus und benutzt sein eigenes Draufschlagen auf die PKK drittens auch noch als ein Testfall dafür, wie verläßlich der Rest der in- und ausländischen Bevölkerung hinter der im Einsatz befindlichen deutschen Staatsgewalt steht. Dann wird den Kurden so etwas wie die letzte Chance eröffnet, sich von der PKK zu distanzieren und sich damit noch eine Einbürgerungsoption zu erhalten. Kurz: Die Sortierung zwischen guten und bösen Kurden wird vorangetrieben.

Daran läßt sich überdies der eigentlich Witz des Verhältnisses von "innerem Frieden" und Staatsbürgertreue ablesen: Der Staat ist auf die Loyalität seiner Bürger, auf die Volkseinheit scharf, weil er selbst gelegentlich den "inneren" oder "äußeren Frieden" ziemlich gründlich stört und dabei sein Volk hinter sich haben will. Von wegen Ausländer gefährden "inneren Frieden"! Es geht also nicht um "Frieden" in deutschen Landen, sondern um die Sortierung der zugewanderten Bevölkerung nach dem Kriterium ‘Loyalität’ zum deutschen Staat.

2. Einbürgerung: Die Alternative zur Ausweisung

2.1."Ausländer - raus!", doch sieben Millionen bleiben

Diese Sortierung ist notwendig geworden, weil - für die deutschen Staatsverwalter ärgerlicherweise - eine andere, grundsätzliche Sortierung versagt hat. Es tummeln sich hier immer noch einfach viel zu viele von den Zugewanderten, ohne daß es dafür irgendeine nationale Notwendigkeit gibt. Alle netten "Angebote", in die Heimat zurückzukehren - der Anwerbestop und die sogenannten "Rückkehrförderungsgesetze", mit ihrem erpresserischen Charakter -, alle Ausweisungen, Asylgesetze und Verschärfungen bei der Einwanderung haben sie einfach nicht angenommen. Selbst die munter von allen Parteien angeheizte Ausländerhetze hat nicht dazu geführt, daß die Ausländer geschlossen vor den Deutschen die Flucht ergriffen haben. Im Gegenteil: Viele Ausländer sind mit der Zeit in der deutschen Fremde richtiggehend heimisch geworden.

Und es stellt sich den einheimischen Politikern sogar noch schlimmer dar: Das bevölkerungspolitische Urteil über diesen unhaltbaren Zustand und die gültige Ausländerrechtslage passen so gar nicht zusammen. Es gibt keine Rechtsgrundlage, um die Türken u.a. geschlossen loszuwerden. Sie herzustellen, würde weniger an innenpolitischen Bedenken als an zwangsläufig sich einstellenden außenpolitischen Verwicklungen scheitern. Einige Millionen arbeitslose Ausländer in der Türkei abzuladen, die dann die dort bereits bestehende Halde an unbrauchbar gemachten Menschen bereichern, würde dem "befreundeten" türkischen Staat und "Nato-Partner" kaum gefallen.

Und so haben sich die Rot/Grünen nun dazu durchgerungen, die Alternative zur Ausweisung anzupacken: Die Einbürgerung von Ausländern und zwar auf dem Wege der doppelten Staatsbürgerschaft.

2.1. Einbürgerung: Geht das?

Über die Einbürgerung ist das Wichtigste bereits vermeldet, wenn man sie als das vorstellt, was sie sein soll, nämlich eine Alternative zur Ausweisung. Einbürgerung ist geplant als ein anderes Verfahren, um Ausländer loszuwerden. (7) Es besteht darin, sie als Ausländer loszuwerden, indem man sie zu Inländern macht. Wahrlich keine nette Perspektive für Ausländer - und übrigens auch nicht für Inländer. Noch einmal: Einbürgerung ist nicht gedacht als das moralisch hochwertige Gegenteil zur Ausweisung, sondern als die Alternative dazu. Einbürgerung ist nicht "menschlich", Ausweisung "unmenschlich". Sie stellt eine andere Methode des Staates dar, um diesen Verdachtsposten loszuwerden, um diese unklaren Verhältnisse in der Bevölkerung, diese "Durchmischung" zu beenden und mit der Herstellung der Deckungsgleichheit von Bevölkerung und Volk den Zweifel an der Verläßlichkeit der Loyalität der hier lebenden Mannschaft zu beseitigen.

Wie geht das? Mit der Ausstellung einer neuen Kennkarte durch den Staat ist es dabei nicht getan. Wenn es allein an der Vergabe dieses neuen Dokuments hinge, wäre die Sache schnell von der Bühne. Ausländer zu Inländern zu machen, diese zweite Variante, Ausländer als Störung der nationalen Volksidentität loszuwerden, ist für einen Nationalstaat, der sich seines Staatsvolks sicher sein will, keine einfache Formalie, sondern eine heikle Angelegenheit. (8) Das Problem, das sich Nationalstaaten dabei als erstens stellt, lautet nämlich: Geht das überhaupt? Kann ein Mensch, der einem bestimmten Nationalstaat angehört, die Staatsbürgerschaft wechseln? Kann er nacheinander verschiedenen Herren dienen? Oder muß nicht die Loyalität gegenüber der neuen Herrschaft zwangsläufig darunter leiden, daß die "Zugehörigkeit" zur alten Herrschaft so etwas wie seine zweite Natur - die Faschisten haben daraus die erste Natur gemacht - geworden ist? Und hat man nicht die Illoyalität zur alten Heimat als Beweis dafür zu werten, daß es mit der Loyalität zur zweiten auch nicht weit her sein kann? Es ist also gerade ihre eigene rassistische Bestimmung des Aus- und ebenso des Inländers, die die Frage der Einbürgerung für Nationalstaaten zum heiklen Stoff werden läßt. Wo mit der Staatszugehörigkeit die Loyalität zur Herrschaft quasi wie eine Eigenschaft an den Menschen bestimmt ist, da ist der Sache nach die Einbürgerung ziemlich ausgeschlossen, weil man seine Natur nicht wie das Hemd wechseln kann.

2.2. Einbürgerung: Volksherstellung ist ein Akt der Unterwerfung!

Nun soll sie aber stattfinden, die Einbürgerung. Und daß sie zum praktischen Kalkül "moderner Staaten" dazu gehört, ist allenthalben zu besichtigen. Es macht sich z.B. kein Nationalstaat, der sich neue territoriale Ziele setzt, von dieser seiner rassistischen Volksbestimmung selbst abhängig. Bekanntlich wird nach jedem Krieg und nach jeder "friedlichen" Annektierung diese Frage ganz ohne Bedenken der genannten Art mit einem Federstrich erst einmal entschieden. Dann ist ein neu erobertes Volk eben neu dem Inland einverleibt und hat sich der neuen Räson zu unterwerfen, hat mit neuem Paß ausgestattet für den neuen Herrn zu arbeiten, Kinder zu kriegen etc. - ob es dies nun will oder nicht. Sogar zur Wahl gehen und Wehrdienst leisten, darf es nach einer Umgewöhnungszeit. Daß ein Staat ein Territorium erobert, dann aber das darauf lebende Volk, das aus dem Boden überhaupt erst Staatsreichtum macht, zum Teufel schickt, kommt zwar vor, ist aber nicht die Regel. Und dies hat seinen guten Grund: Denn zu sehr vertrauen die jeweils neuen Herrscher auf ihre "Gabe", nicht nur die neu geborenen, sondern auch die neu eroberten Bürger zu guten Inländern, also zu Nationalisten zu machen.

Die zur zweiten Natur gerinnende nationale Identität von Staatsbürger kennen "moderne demokratische Staaten" also gerade als ihr eigenes Werk. Sie arbeiten daran, daß aus Menschen eine seßhafte Bevölkerung und aus der ein Volk wird, dessen Angehörige sich dann idiotischerweise über ihre Identität mit der Staatsmacht definieren. Und wenn dies staatlich erreicht ist, dann dürfen sich Politologen und Bundespräsidenten an Feiertagen über die vorstaatliche Identität des Volks verbreiten und den Leuten einreden, daß ihre Zugehörigkeit zum Staat nicht von diesem ins Werk gesetzt worden ist, sondern er umgekehrt eigentlich nur die Zusammenfassung von Menschen mit gleichen Eigenschaften: Sprache, Kultur, Geschichte oder Rasse sei. Der Zusammenhang von Staat und Volk, sieht also folgendermaßen aus: Wer zu einem Staatsvolk gehört und wer nicht, das entscheidet ganz allein die Staatsgewalt. Das gilt für den Fall der Annektierung ganzer Völker ebenso wie für Menschen, die als Kinder von Inländern auf die Welt kommen. Auch die werden zwangsrekrutiert und später nicht mehr gefragt, ob ihnen diese "Stellvertreterentscheidung" paßt. Ist diese Entscheidung getroffen und mit dem Paß besiegelt, wird schwer mit Rechten und Pflichten, mit Erziehung und Öffentlichkeit, mit Psychologie und Moral an der nationalen Identität gearbeitet. Stellt sich an der Front Erfolg ein, dann darf sich der Volksgenosse einbilden, es sei alles umgekehrt: Das Volk sei die Zusammenfassung geistig, kulturell oder physisch gleichartiger Menschen und der Staat nur deren Krönung; Volk, das sei eine Sache ziemlich natürlicher Homogenität.

2.3. Integration

Und weil die Ausländer dies alles schon unter der Fuchtel ihres Heimatstaates hinter sich gebracht haben, ist es eine ziemlich heikle Angelegenheit, aus "unumkehrbaren Zuwanderern" "unumkehrbare" Inländer zu machen. Das Heikle der Angelegenheit, der Widerspruch der Aufgabe - es sollen ja Ausländer und nicht frisch von Inländern Geborene gute Deutsche werden - schließt ein, daß einbürgerungswillige Ausländer an einem Maßstab gemessen gehören, bei dem die Inländermannschaft ziemlich komplett durchfallen würde. Zwar heißt das offizielle Kriterium "Integration", doch reicht es zu seiner Erfüllung nicht, daß die "Zugewanderten" hier leben. Es reicht nicht einmal, daß sie hier geboren sind und ihre "Heimat" gar nicht kennen. Es reicht nicht, daß sie hier zur Schule gehen, es reicht nicht, daß sie auf dem deutschen Wohnungsmarkt ihre Erfahrungen gemacht haben und wissen, was ein kapitalistischer Betrieb auf deutschem Standort ist. Es reicht nicht, daß sie sich in alles gefügt haben, was auch den Alltag des Inländers ausmacht. Es reicht also nicht, daß sie zu großen Teilen längst integriert sind. Es reicht deswegen nicht, weil - sie sind eben Ausländer. Mit "Integration" ist also bei genauer Betrachtung gar nicht "Integration" gemeint, sondern etwas anderes: Genau genommen müssen nämlich die Ausländer, die integriert werden wollen, den Beweis antreten, daß der Verdacht ihrer Nicht-Integrierbarkeit unbegründet ist. Daraus ergibt sich der ganze Zirkus mit immer neuen Kriterien, die sich zusammengenommen fast lesen, wie eine "zeitgemäße Variante des Radikalenerlasses". Es ist in der Tat so, daß erst einmal alle Ausländer unter dem Generalverdacht der Verfassungsfeindlichkeit stehen. Und den müssen sie ausräumen. Gefordert werden neben der längeren Anwesenheit auf deutschem Boden Sprachkenntnisse und ein makelloses polizeiliches Führungszeugnis. Es dürfen keine sonstigen Ausweisungsgründe vorliegen, sie dürfen keiner "extremistischen" Organisation oder Religion angehören, müssen in geordneten Familienverhältnissen leben und bereit sein, auf die Verfassung zu schwören (Regelanfrage beim Verfassungsschutz ist im Gespräch). Gefordert ist so etwas wie das Zeugnis für die bedingungslose Unterwerfungsbereitschaft. Ein Wort noch gesondert zu der Sozialklausel, die besagt, daß Sozial- und Arbeitslosenhilfeempfänger keine Chance haben (was übrigens den Grünen zu weit geht; sie möchten für "unverschuldet in Armut" geratene eine Ausnahme durchsetzen - toll!). Diese Klausel ist im Zusammenhang mit der Einbürgerungsfrage insofern apart, als Armut auf diese Weise für ziemlich undeutsch erklärt wird. Das sehen die Neofaschisten, die über deutsche Bettler und Obdachlose herfallen, im übrigen ganz genauso so.

Bleiben wir einen Moment noch bei diesen Kriterien: Festzustellen ist zunächst, daß - wie gesagt - das deutsche Volk ganz schön schrumpfen würde, würde es nach diesen Kriterien sortiert! Aber noch etwas anderes ist festzuhalten. Das Ideal des Staatsbürgers, das in den Integrationskriterien geltend gemacht wird, kassiert nämlich ganz lässig alles, worauf die Demokratie sonst so stolz ist: Bekanntlich räumt sie dem Bürger soziale Rechte ein, darüber eine Meinungsfreiheit, Demonstrationsfreiheit, Korporationsfreiheit, Wahlfreiheit... Die Wahrnehmung lauter hierzulande hoch geschätzter Rechte, die der freie Bürger genießt und die er zur Äußerung einer abweichenden Auffassung benutzen darf, gilt beim Ausländer gerade als Beweis der Nicht-Integrierbarkeit, der Illoyalität, stellt Material für den Verdacht dar, daß der Ausländer eine Störquelle ist. Man stelle sich zum Beweis dafür einmal einen Ausländer vor, der Deutscher werden will, und beim Einbürgerungsamt darauf verweist, daß doch auch Inländer arbeitslos sind und Sozialhilfeempfänger werden, der sich sogar einen Vorschuß auf zukünftige deutsche Rechte genehmigt und erklärt, daß er sich aber "sein zukünftiges Deutschland" ganz anders als das real existierende vorstellt, z.B. mit weniger Wahlkampf, dafür mit mehr Klassenkampf. Urteil: Nicht integrierbar! (9) Gerade weil der Ausländer seinen Makel weghat, deswegen gilt bei ihm der Bezug der Sozialhilfe nicht als sein Recht, sondern von vornherein als Anschlag auf deutschen Reichtum. Und aus dem gleichen Grunde wird bei ihm der Wunsch nach Meinungs- und Wahlfreiheit nicht als Form der "Teilhabe am politischen Leben" gewürdigt, sondern gleich als Einbruchstelle für auswärtigen Fundamentalismus oder politischen Extremismus gedeutet. Ehe er in den deutschen Volkskörper eingelassen wird, muß er folglich den Beweis erbringen, daß er mit deutschen Bürgerrechten und Bürgerfreiheiten nichts von dem anstellen will, was uns jedes deutsche Sozialkundebuch gerade als den Segen der Demokratie preist. (10)

2.4. Der Doppelpaß: Ein bedeutungsloses Zugeständnis an den Willen

Bis hierhin sind sich Regierung und Opposition sehr einig. Der sachliche Streit über die Neufassung des Staatsangehörigkeitsgesetzes, sie kreist um die Frage des Doppelpasses, setzt erst danach ein und betrifft ein reines Kalkulationsproblem. Nur in der Abwägung zwischen zwei Kriterien, die selbst von beiden Seiten geteilt werden, setzen Regierung und Opposition unterschiedliche Akzente. Ich drücke das mal so aus: Während die Opposition die Qualitätskontrolle bei der Loyalitätsprüfung von Einbürgerungswilligen betont, will die Regierung vor allem den quantitativen Erfolg bei der Einbürgerung sicherstellen und macht den Ausländern, ohne bei der Qualitätskontrolle nachlässig zu werden, deswegen mit dem Doppelpaß das umstrittene "Angebot".

Die C-ler würden am liebsten nur solche Ausländer einbürgern, die ihren strengen Maßstäben zufolge schon keine mehr sind. Das geht bloß nicht, weil die Ausländer durch das Ausländergesetz selbst mit seinen Auflagen daran gehindert werden, sich ganz deutsch aufzuführen. Sie einfach fragen, wie deutsch sie sich bereits fühlen, geht auch nicht. Warum nicht? Weil es sich ja um einen Ausländer handelt mit einem ausländischen Willen. Bei dem muß man argwöhnen, daß es nur ein berechnend vorgetragener Wille ist, der Mensch sich vielleicht von deutscher Sozialhilfe nur ein flotten Lenz machen will. Das ist den Ausländern nämlich zuzutrauen, daß sie gar nicht deutsch werden, sondern nur kassieren wollen.

Mit diesem Verdacht wird ein freimütiges Eingeständnis abgeliefert. Und das sollten sich die Inländer hinter die Ohren schreiben: Das Deutschtum gilt den C-lern nicht als Frage irgendeiner Vorteilsrechnung von Menschen, vielmehr hat es als eine Ehre gewertet zu werden, Deutscher zu sein. Und so eine Ehre trägt ihren Lohn in sich selbst. Weswegen der Mensch sich umgekehrt darauf einzustellen hat, für diesen Lohn auch den einen oder anderen Preis zu zahlen: Als Deutscher hat man eben Dienst an der deutschen Sache zu leisten. So einfach ist das. So sehen Politiker die Sache und bebildern sie mit lauter unlauteren Vorteilen, die der Doppelpaß angeblich dem Ausländer bringen würde. Das leuchtet den Deutschen leider mehrheitlich ein. Deutscher werden wollen aus Berechnung, wegen eines Vorteils, eines materiellen sogar, das ist typisch für die Ausländer. Weswegen sie sich dem Urteil der C-ler anschließen: "Einen Paß fürs Herz - einen für den Geldbeutel!" (CSU) Nie! Der Doppelpaß kommt nicht in Frage.

Dummerweise kommt man in diesem Fall um den Einbürgerungswillen der Ausländer jedoch nicht herum. Fragen muß man sie nämlich schon. Gegen ihren Willen ist bei der Einbürgerung kaum etwas zu machen. Das ist ärgerlich! Deswegen gilt ihr geäußerter Wille nicht für sich etwas, sondern muß gedeutet, also unabhängig von seinem Inhalt geprüft werden. Nur als ein Indikator unter mehreren gilt er. Er gilt für sich ebensoviel oder ebensowenig wie der Blick in das polizeiliche Führungszeugnis oder wie der Bezug von Sozialhilfe. Und weil sich der Verdacht der berechnenden Einschleichung in die deutsche Staatsbürgerschaft für einen deutschen Berufsnationalisten einfach nicht entkräften läßt, deswegen insistieren die C-ler auf dem politischen Gehalt des "Abstammungsprinzip" (ius sanguinis), wenn sie schon bei den potentiellen Neubürgern auf dem "Abstammungsprinzip" selbst nicht bestehen können. So machen sie zur Einbürgerungsvoraussetzung erstens, daß die Ausländer von ihrer Heimat nichts mehr wissen wollen, und zweitens, daß sie ohnehin nichts mehr von ihr wissen, weil sie bereits in der dritten Generation hier leben, also ihre Eltern, die der 2.Generation angehören, fast wie Deutsche gelten können. So lösen sie - immer noch mit Bauchschmerzen - die Quadratur des Zirkels: Nur der Ausländer soll Inländer werden dürfen, der bereits ein ziemlich fix und fertiger Deutscher ist, also bereits auf Deutschland stolz ist. ("Die Einbürgerung kann nur das Ergebnis einer gelungenen Integration sein." CSU in Banz). Um einen Widerspruch kommt die Opposition allerdings nicht herum: Die Integrationsbeweise müssen nämlich die Ausländer unter den Zwängen des gültigen Ausländergesetzes erbringen, der eben die von den C-lern erwünschte "Integration vor Paß" ziemlich behindert.

Dennoch ist der Doppelpaß für sie kein Thema. Das muß man allerdings genauer sagen. Politiker sind nämlich überhaupt keine prinzipiellen Gegner des Doppelpasses. Die haben nur etwas gegen den Doppelpaß, wenn deutsche Inländer in großer Zahl mit einem Doppelpaß ausgerüstet werden. (11) Und zwar aus demselben Grund, aus dem alle westdeutschen Regierungen einst einem ganzen fremden Volk den Doppelpaß offeriert haben, nämlich den DDR-Bürgern; und aus demselben Grunde, aus dem die Kohlregierung z.B. den Doppelpaß für die "deutschstämmige Minderheit" in Polen durchgesetzt hat. Das dies ein hübscher Einmischungsgrund in fremdstaatliche Angelegenheiten ist, schmeckt ihnen sehr. Umgekehrt wäre dasselbe Anliegen z.B. des türkischen Staates natürlich eine Unverschämtheit, weswegen der Doppelpaß für Türken nicht infrage kommt und einem Vaterlandsverrat gleich käme.

Aus eben diesem Grunde kann man davon ausgehen, daß sich die Regierungsparteien die Sache mit dem Doppelpaß sehr genau überlegt haben. Daß sie freiwillig die Einzubürgernden noch unter fremder Hoheit belassen wollen, auf das Monopol ihres Zugriffsrechts verzichten, also den Fremdstaaten ein Einmischungsrecht in deutsche Angelegenheiten frei Haus offerieren, kann nicht sein. Ihr Doppelpaß-Angebot ist denn auch so konzipiert, daß das fremdstaatliche Zugriffsrecht auf deutsche Bürger zu einer weitgehend folgenlose Formalie herabgesetzt ist. So wird zum einen in zwischenstaatlichen Verhandlungen - z.B. zwischen der Türkei und Deutschland - daran gearbeitet, daß sich Hoheits- und nationale Besitzansprüche nicht mehr erpresserisch gegen einbürgerungswillige Türken wenden lassen, die Wehrdienstfrage geklärt ist und weitere Einmischungstitel wirkungslos werden. Und da ist zum anderen per deutschem Recht dafür gesorgt, daß eine fremde Staatsbürgerschaft bei Einheimischen "ruht". Noch viel mehr Gewicht wird aber von den Rot/Grünen zum einem dem Integrationstest und zum anderen den Integrationszwängen "nach Paß" beigemessen. Sie vertrauen bei ihrer Regelung darauf, daß diese Sorte Heimatgefühl von Türken der 2. oder 3. Generation kaum noch einen politischen, dafür einen eher folkloristischen, also rein privaten Inhalt hat. Und gehen überdies von der Gewißheit aus, daß sich mit der Zuständigkeit der deutschen Hoheit wie bei den Deutschen selbst die gewünschte deutsche Identität einstellt. Nur unter diesen Voraussetzung haben die Regierungsparteien beschlossen, in den sauren Apfel zu beißen und das "Abstammungsprinzip" um das "Territorialprinzip" (ius soli), also das Kriterium ‘Blut’ durch das vom ‘Boden’ zu ergänzen, den Ausländern ein Zugeständnis zu unterbreiten und den Doppelpaß "hinzunehmen", wie die Sprachregelung heißt. Und auf diese Sprachregelung, sie seien gar nicht für die doppelte Stabüscha, sondern würden sie nur "hinnehmen", legen sie sehr viel Wert. Denn auch sie sind selbstverständlich der Auffassung, daß der Mensch nicht Diener zweier konkurrierender Staatsgewalten sein kann.

Die Kritik am Konzept der C-ler betrifft also weder das Festhalten der Opposition am Gehalt des "Abstammungsprinzips", betrifft nicht den Deutschtums-Rassismus, auch nicht die Sache mit Gnade der Einbürgerung und schon gar nicht den Monopolanspruch auf Zuständigkeit. Vielmehr stören sich die Regierungsparteien daran, daß das Opposition-Konzept das "unumkehrbare Zuwanderungsproblem" nicht effektiv genug löst. Sie argwöhnen, daß sich zu wenig Ausländer um die deutsche Staatsbürgerschaft bewerben werden, wenn sie dafür ihren alten Paß abgeben müssen. (12) Sie nehmen an - wahrscheinlich zu recht - daß viele Ausländer, die hier längst ihren "Lebensmittelpunkt" haben, irgendwie an der alten Heimat hängen und diese Nabelschnur nicht durchschneiden wollen. Ja, bei uns dürft ihr - unter den genannten Voraussetzungen - den türkischen Paß behalten, heißt das Angebot, das den Einbürgerungswillen auf Trab bringen soll. ("Sonderangebotsdeutsche", "Billigdeutsche", haben die C-ler daraus gemacht.) Das Zugeständnis an den bedingten Einbürgerungswillen von Ausländern, das Zielscheibe der Kritik ist, ist also eines. Aber es erweist sich bei näherer Betrachtung als folgenlos. Nirgendwo - das wird gesichert - ergibt sich aus dem doppelten Paß ein den Staat störender Anspruch durch den alten Heimatstaat seiner Neubürger.

Die Differenz zwischen C-ler und Rot/Grünen schrumpft also der Sache nach auf den einen Punkt: Die einen vertrauen bei der Lösung des Problems der "unumkehrbaren Zuwanderung" darauf, daß die bereits länger unter deutscher Gewalt und unter den Regeln der deutschen Klassengesellschaft lebenden Ausländer integriert sind, sie sich folglich für den deutschen von ihrem alten Paß trennen. Die anderen setzen auf die zukünftige, unwiderstehliche Integrationskraft deutscher Staatsräson, meinen also das alte Dokument gefahrlos dulden zu können, weil es ohnehin von keiner Bedeutung ist. Das ist die ganze Differenz: Setzen wir auf die Wucht des Integrationszwangs vor Paß oder auf dieselbe Wucht nach Aushändigung des Passes. Und interessant ist - wie gesagt - an dieser Differenz allein, was alles zwischen Regierung und Opposition nicht strittig ist.......

2.5. Das komplette Programm der Endlösung der Ausländerfrage

Damit ist allerdings die Sache noch nicht vollständig geklärt. Es gehört nämlich zur menschenfreundlichen Alternative, die den Ausländern vorgesetzt wird, - "Einbürgerung oder ...." - noch das Oder. Wo die Einbürgerung vom Test auf die unbedingte Loyalität abhängig gemacht wird, da sollen gar nicht alle einbürgerungswilligen Ausländer Inländer werden. Da sollen also etliche durchs Loyalitätssieb durchfallen, weil sie einfach nicht hierher gehören. (s.PKK, Flüchtlinge, Kriminelle, Arme, Fundamentalisten...) Und was ist mit denen? Und was ist mit denen, die gleich gar nicht wollen - aus welchen Gründen auch immer? So etwas soll es nämlich auch geben - obwohl sich das ein guter Deutscher einfach nicht vorstellen kann, der natürlich keinen von denen hier haben will. Die Sache ist einfach: Wer nicht will, hat sich selbst disqualifiziert. ("Selbstausgrenzung") Folglich ist jede Entscheidung eines Ausländers gegen das "Sonderangebot" identisch mit dem Beweis, daß dieser Mensch samt Familie einfach nicht hierher gehört. Der alte Verdacht gegen "den Ausländer" bekommt damit neues Material.

Und außerdem - das ist zu beachten - ist er nach der Chance, die ihm der deutsche Staat eingeräumt und die er verspielt hat, nicht mehr derselbe Ausländer wie vorher. Denn die Ausländer werden nach dem neuen Staatsbürgerschafts-Gesetz neu durchsortiert: Dann gibt es die einheimischen Ausländer und die ausländischen Ausländer. Und da die an ihnen von den staatlichen Behörden vorgenommene Sortierung als ihre eigene Entscheidung gilt, zählt auf einmal wieder ihr Wille: So einer hat sich bewußt gegen Deutschland entschieden und das in Deutschland, als "unser Gast". Was das heißt, bleibt abzuwarten. Auf jeden Fall wird erst einmal seine "Rechtlosigkeit" festgeklopft und seine Ausgrenzung vorangetrieben. Freundlicher wird es mit Sicherheit dabei nicht zugehen. Übrigens wird dies die Rechtsradikalen von der DVU, der NPD oder den REPs wieder einige Stimmen kosten. Überhaupt sortiert sich die Bevölkerung dann neu: Da gibt es erst die Volldeutschen, dann die Ossis, dann die Optionsdeutschen, also die einheimischen Ausländer, und schließlich die Undeutschen.

Soweit die erste Konsequenz. Es geht aber noch weiter: Da das Regierungsanliegen nun einmal darin besteht, das "unumkehrbare Zuwanderungsproblem" zu lösen, ist der Doppelpaß auch nur eine Maßnahme in einem Viererpaket. Wer das Zuwandererproblem lösen will, der will es weder weiter vor sich herschieben noch sich ein Neues auf den Hals holen, zumal bekanntlich das "Boot voll" ist bzw. auf ihm immer nur soviel Platz ist, wie der Staat einbürgerungswillige Ausländer in das "Boot" läßt. Zum Einbürgerungsprogramm gehört also des weiteren notwendig die Anwendung der Einwanderungsklauseln dazu. Der Laden gehört im Prinzip dicht gemacht, sonst bliebe ja das "unumkehrbare Zuwanderungsproblem" erhalten. (Es sei denn man kann irgendwelche Kriegsflüchtlinge noch als außenpolitische Manövriermasse gebrauchen.) Und da das Einwanderungsproblem inzwischen eine europäische Sache geworden ist (s. Schengener Abkommen), darf sich die deutsche Regierung zum anderen darauf freuen, über italienische, spanische, österreichische etc. Grenzfragen ein entscheidendes Wörtchen mit zu reden - zumal sich Kanther und Schily sicher sind, daß jeder Ausländer, der europäischen Boden betritt, ohnehin immer nur nach Deutschland will.

Das ist dann das Gesamtpaket, mit dem Schröder, Schily und Fischer - die prinzipielle Zustimmung der Union ist ihnen gewiß - die Endlösung der Ausländerfrage auf den Weg bringen will.

II. Parteienkonkurrenz um die Frage der "deutschen Volkseinheit"

1. Die Unterschriftenaktion von CDU/CSU und ihr Gegenstand

In der öffentlich ausgetragenen Debatte über den Doppelpaß geht es nicht um die Modalitäten und Feinheiten beim Einbürgerungsverfahren. Die sind den Bürgern egal. Es geht erkennbar um einen anderen Gegenstand, wenn die Rot/Grünen die C-ler als "reaktionäre Spalter Deutschlands" beschimpfen und die C-ler mit dem Horrorszenario eines Deutschland kontern, das bei Einführung des Doppelpasses im Griff krimineller Banden und politischer Extremisten sei. Was die C-ler da sehr gezielt mit ihrer Unterschriftenaktion angezettelt haben, das betrifft in der Tat einen anderen Gegenstand als die Frage, wie die Einheit von Einheimischen und Zugewanderten herzustellen ist. Sie machen - ungerührt gegenüber dem Umstand, daß sie selbst munter nur leicht differierende Novellierungsvorschläge auf den Tisch des Parlaments gelegt haben, in der Öffentlichkeit und vor dem Volk die Frage auf, ob so eine Einheit überhaupt geht, ob es wünschenswert ist und sich mit deutschem Geist, Blut und deutscher Geschichte vereinbaren läßt. Sie werfen in aller völkischen Unschuld die Frage auf, ob Deutschland eigentlich die Einbürgerung von Ausländern verträgt. Dabei ist diese Frage längst positiv und mit ihre Zustimmung entschieden. Und obwohl ihre Unterschriftenlisten bei genauer Betrachtung des Kleingedruckten Reklame für ihr Einbürgerungsmodell machen, haben sie doch überhaupt nichts gegen das allgemeine Mißverständnis einzuwenden, es ginge ihnen um eine Absage an jede Sorte von Einbürgerung. Ganz im Gegenteil! "Ausländer raus!", so wird ihre Aktion gedeutet, begrüßt und in Wahlkreuze umgesetzt. Sehr zur Freude der C-ler und zum Verdruß der Regierungsparteien.

Der Gegenstand der öffentlichen Auseinandersetzung ist also eine gar nicht zur Debatte stehende Elementarfrage der Nation: Über die Beschaffenheit, die Zusammensetzung des Volkes wird diskutiert! Ob das gewachsene Deutschtum Ausländer verträgt, ohne dabei an seiner Substanz zu verlieren. Wollt Ihr "Multikulti und Durchrassung" oder wollt Ihr ein "ethnisch homogenes deutsches Volk", fragen sie das Volk. Die Frage werfen die C-ler auf, erheben Einwände, die von aufgebrachten Bürgern radikalisiert werden und dürfen feststellen, daß sich die rot/grüne Regierung auf die Debatte - einläßt. Der ex-grüne Schily, Trittin oder Fischer, die sonst bei jeder Gelegenheit vom Gegner "politischen Anstand" einfordern, weisen das genuin faschistische Thema nicht zurück, sondern lassen sich auf es ein. Sie dementieren nur die Angriffe der C-ler und halten dagegen, daß die Einbürgerung nicht nur ein Gebot der "Toleranz" und "Humanität" sei, sondern Deutschland zum Vorteil gereicht. Im Lichte der von ihnen mitgetragenen Debatte meint das, daß eine staatlich kontrollierte Durchrassung das deutsche Blut nicht verunreinigt, sondern vielleicht sogar auffrischen kann. Das Argument ist ihnen lange geläufig. Sie selbst zitieren immer wieder den großen deutschen Dichter Zuckmayer, der seinen General Karras davon schwärmen läßt, daß gerade die Durchrassung des Rheinlands einen prächtigen deutschen Menschenschlag hervorgebracht habe.

2. Parteienkonkurrenz ....

Zwar hängt an der Debatte die Gesetzesnovelle nicht, wird die Entscheidung über die Volkszusammensetzung schon gar dem Volk in einem Plebiszit selbst überlassen, aber nützlich erscheint sie den C-lern schon und zwar zur eigenen Profilierung als eine Partei, die gerade eine schwere Schlappe im Bundestagswahlkampf hat hinnehmen müssen. Man muß sogar sagen, daß sie eine gute Nase gehabt haben, die C-ler. Wie und womit man in der Parteienkonkurrenz Punkte machen kann, wissen sie. Sie werfen anläßlich der Reform des Einbürgerungsrechts Grundsatzfragen der Nation auf, um sich als jene Partei zu profilieren, bei der die Elementaria der Nation, die Frage der Reinheit des deutschen Volks, am besten aufgehoben ist.

Das Mittel der Parteienkonkurrenz ist bekannt und bedeutet, Themen und mit diesen Themen Positionen zu "besetzen". Meinungsführerschaft heißt das dann. Das geht so: Vom politischen Sachverhalt, der Rechtsreform, die der Anlaß ist, kann man als Material des Streits dann nicht die rechtspolitischen Sachfragen, sondern nur deren nationalmoralische Einsortierung gebrauchen. Deren Extreme werden dann besetzt bzw. zugeordnet und zwar nur deren Extreme: Reklamiert man für sich den Fortschritt dann vertritt die Gegenseite die Reaktion. Steht man selbst für die Sorge um die Volkseinheit, dann gilt die Gegenposition notwendig als Vaterlandsverrat. Die moralischen Prädikate sind klar verteilt: Gut deutsch die einen, verantwortungslos die anderen. Die andere Seite sieht das dann entsprechend umgekehrt: Sie der Globalisierung adäquat, liberal und menschenfreundlich, rückschrittlich und reaktionär die anderen. Dabei kommen in diesem Streit alle sogenannten Sachfragen schon vor - der Doppelpaß, die Integrationskriterien, die Aufenthaltsdauer, die Sprachkenntnisse usw. Aber nur in ihrer nationalmoralischen Elementarübersetzung: Da ist der Doppelpaß dann nicht das kalkulierte Integrationsmittel, sondern das trojanische Pferd zur Volksunterwanderung; wie dies einst die Juden hinbekommen haben - darf man denken, aber nicht ausplappern. Und da sind fehlende Sprachkenntnisse nicht etwa ein Zeichen für fehlende Integrationsanstrengungen (deutscher Schulen), sondern einfach undeutsch.

Gänzlich falsch wäre es nun, den Parteien in diesem Getöber Unernsthaftigkeit, Heuchelei oder gar Volksbetrug vorzuwerfen, weil sie doch sachlich kurz vor der Einigung stünden. Die Parteienkonkurrenz mit der Profilierung über "Themenbesetzung" ist ein ganz eigenes Geschäft demokratischer Politik. Sie gehört in die Abteilung ‘geistige Volksbetreuung’ und hat ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten. Dazu gehört die Spekulation, daß die Parteien gar nicht nur als Wahlvereine gesehen werden, die den Bürgern ein bestimmtes Angebot unterbreiten, das die annehmen oder ablehnen können. Vielmehr wird darauf gesetzt und dafür gesorgt, daß die Parteien selbst ein Stück geistiger Heimat verkörpern, Einrichtungen darstellen, die ein Heimatgefühl einfach dadurch bedienen, daß sie es verkünden und demonstrieren. Offensichtlich mit Erfolg. Das reicht den Bürgern, da ordnen sie sich dann geistig zu und fühlen sich ernst genommen. Und das ist es denn auch schon.

Da strengt sich die Regierungsmannschaft nicht minder an und legt in Sachen Integration-Kriterien neue Bedingungen nach. Denn sie will sich nicht sagen lassen, daß die Elementarfragen der Nation bei ihr nicht in den besten Händen liegen. Der Konkurrenzkampf um die Frage der kompetentesten Betreuung der Volkseinheit entbrennt. Die Grünen machen auch mit. Sie werben mit "Weltoffenheit" und "Humanität" für Deutschland und sind sich sicher, daß niemand von ihrer Klientel den identischen Rassismus in ihrer Integrationsstrategie aufdeckt. Dafür ist der völkische Charakter der Werbung der C-Parteien viel zu schlagend. Gut daß es die gibt, denn die beglaubigt mit ihrer offenen Parteinahme für ein ethnisches Volkskonzept die Güte der Rot/Grünen und bietet so den fortschrittlichen guten Deutschen die alternative Heimat.

Doch nützt den Rot/Grünen das "beim gemeinen Volk" wenig. Die Leute hören nur das Dementi heraus, wissen also instinktsicher, daß die "Schwarzen" recht haben. Und so vergeigt die Regierung auf diese Weise auch noch viel vom eigenständigen Profil, für dessen Schärfung sie nicht zuletzt das vom der Kohlregierung "verschleppte" Ausländerproblem auf die politische Tagesordnung gesetzt hat. Sie kann mit ihrem Doppelpaß bei Leuten keinen Blumentopf gewinnen, denen sie zugleich ständig mit dem "vollen Boot" kommt. Jetzt, so darf der Deutsche unter behutsamer Anleitung durch die Opposition erschrecken, sollen alle diese Ausländer auch noch ganz legal als Deutsche "ins Boot". Und dies gleich mit zwei Pässen, also mit mehr Rechten als die eigentlichen Deutschen! Das kann nicht gut gehen. Das kann nicht gut für Deutschland sein! Schon einmal ist Deutschland in eine Katastrophe geraten, weil so vielen Undeutschen deutsche Pässe ausgehändigt worden sind! So geht die Parteienkonkurrenz mit ihrem Volks-Echo ihren Gang.

3. .. und ihre Grenzen

Es erweist sich also, daß die C-ler ins Volle getroffen haben. Diese Thema und seine völkische Aufbereitung reißt die Leute schon vom Hocker - ganz im Gegensatz zu den Fragen, bei denen ihnen - mit Verlaub - derselbe Hocker unter dem Hintern weggerissen wird: durch die Steuerreform, die Rentenreform, die Reform des Sozialstaat oder durch den verschobenen Ausstieg aus der Kernenergie usw. Das Volk gibt ziemlich mehrheitlich kund, daß es sich ganz allein und ohne Zuarbeit durch Ausländer im Dienst an der Nation bewähren will. Das Privileg, Untertan der deutschen Staatsgewalt zu sein, will es mit niemandem teilen. Und schon gar nicht möchten diese guten Deutschen mit Fremden gleichgestellt werden, die womöglich nicht die gute deutsche Sitte kennen, sich völlig berechnungslos und nur auf den Erfolg der Nation bedacht seinem Tagwerk nachzugehen.

Die Erfolge ihrer seit Jahrzehnten betriebenen regierungsamtlichen Hetze kassieren die C-Parteien nun als Zuspruch in der Parteienkonkurrenz für sich und lassen die SPD schlecht aussehen - was sehr ungerecht ist, da die Ausländerhetze ebenso auf das Konto der deutschen Arbeiterpartei geht, sie selbst und im Verbund einer großen Koalition spätestens seit der Novelle des Asylparagraphen das Volk auch auf rassistische Ausländerfeindlichkeit getrimmt hat und überdies der rot/grüne Einbürgerungs-Vorschlag - wie nachgewiesen - voll in der Kontinuität dieser Hetze liegt. Es handelt sich eben beim Thema Einbürgerung um ein äußerst günstiges Material der Parteienkonkurrenz. Bei ihm läßt sich der hergestellte elementare Nationalismus quasi wie auf Kommando beim Volk abrufen. So nationalistisch man ins Volk hineinruft, so nationalistisch schallt es heraus.

Fast handelt es sich um ein zu günstiges Thema. Denn die Mißverständnisse, die sich Bürger leisten, wenn sie sich für die CDU und damit gegen den Doppelpaß aussprechen, dürfen auch wiederum nicht dazu führen, daß sie sich in ihrer Ausländerfeindlichkeit praktisch ermuntert fühlen. Das Jagen und Drangsalieren von Ausländern hat nach wie vor Staatssache zu bleiben. Das Angebot einer geistigen Heimat darf nicht verwechselt werden mit der Aufforderung zur Bildung eines praktischen Volkssturms zur Säuberung der Heimat von Ausländern. So erklärt es sich auch, daß nach der Hessenwahl zwar von der CDU/CSU die Unterschriftenaktion fortgesetzt wird, jedoch die Töne erkennbar moderater geworden sind. Man geht aufeinander zu, von der einen Seite wird der Vorwurf des Vaterlandsverrats und von der anderen Seite der Spaltervorwurf zurückgezogen. Denn das darf nicht sein, daß sich ausgerechnet an der Frage der Herstellung der Volkseinheit das Volk wirklich entzweit.

III. Nachwort an linke Ausländerfreunde,

die die Auftritte von Schäuble sprengen und Schröder und Schily ungeschoren lassen, die CDU-Büros und CDU-Stände heimsuchen, aber in den Grünen immer noch Anwälte ihres eigenen Multikulti-Konzepts sehen. Natürlich ist ihnen nicht entgangen, daß die Regierung wenig Gemütliches vorbereitet. Doch wo man beschlossen hat, in der Regierung das "kleinere Übel" zu sehen, da wird man auch fündig und entdeckt - bei aller Kritik selbstverständlich - zwei positive Seiten am rot/grünen Gesetzentwurf, die zu unterstützen sind: Sie begrüßen zum einen, daß Ausländer nicht mehr ausgewiesen werden können, und sind zum anderen begeistert davon, daß der Zustand der "Rechtlosigkeit" von Ausländern mit ihrer Einbürgerung beendet wird.

Das erste Argument ist albern. Es wird der Doppelpaß mit einem Rechtsmittel gegen die Ausweisung von Ausländern verwechselt. Natürlich können frisch Eingebürgerte nicht ausgewiesen werden. Das stimmt, die müssen drin bleiben, die kommen jetzt nie mehr heraus, lebenslang! Dafür können sie als Eingebürgerte aber nun im Inland "ausgewiesen" werden. Dafür sind hier alle möglichen Sorten des Wegsperrens und Ausschließens gesetzlich vorgesehen.

Was aber diese linken Ausländerfreunde bei ihrem Argument völlig übersehen, ist zum einen der Umstand, daß diejenigen Ausländer, die ausweisungsverdächtig sind, auf die also ihr frommer Wunsch zielt, ohnehin gar nicht erst zum Einbürgerungsverfahren zugelassen werden; (13) und zum anderen der Umstand, daß mit dem Test auf unbedingte Loyalität zugleich neue Ausweisungsgründe in die Welt gesetzt und noch bestehende Ausweisungshindernisse aus der Welt geschafft werden. Ganz abgesehen davon, daß auch noch mit einem Paragraphen geliebäugelt wird, der bei falschen Angaben zur Einbürgerung die Ausbürgerung vorsieht.

Das zweite Argument - Beendigung der Rechtlosigkeit der Ausländer - ist oben schon kritisiert worden. Das Argument selbst trifft zu. In der Tat kommen die eingebürgerten Ausländer dann auch in den "Genuß" all jener Rechte - Wahlrecht, Parteiengründungsrecht, Streikrecht, Demonstrationsrecht -, von denen ein guter Deutscher nur dann Gebrauch macht, wenn es ihm von einer der Säulen der Gesellschaft (Staat, Kirche, Gewerkschaft) erlaubt wird. Das Schöne an diesen Rechten ist nicht nur diesen funktionellen staatlichen Gnadenakten selbst zu entnehmen, sondern vor allem auch dem Einbürgerungsprocedere: Es sollte den Linken auffallen, daß diese phantastischen demokratischen Instrumente zur Äußerung seines politischen Willens nur demjenigen Ausländer zugestanden werden, dessen politischer Wille getestet und für loyal befunden worden ist, der diese Rechte also gar nicht erst staatskritisch einzusetzen gedenkt. So will der Staat bei seinen Neubürgern den erwünschten Gebrauch sicher stellen und jeden Mißbrauch unterbinden; etwas, was den Altbürgern bereits selbstverständlich ist. Dabei kommt es dem demokratischen Staat auf den erwünschten Gebrauch etwa des Wahl- oder Demonstrationsrechts schon an. Wie sagt doch der Bremer Friedensforscher Senghaas so schön: "Wenn den Menschen die Möglichkeit zur politischen Teilhabe (!) verwehrt wird, gibt es einen Konfliktstau. Die staatsbürgerrechtlich abgesicherte Teilhabe ist also unglaublich wichtig, weil sie das Ventil ist, Problemfragen in der Öffentlichkeit kundzutun..." (Weser-Kurier vom 14.2.) Eben! Und damit der Mensch dafür und eben nur dafür seine Rechte benutzt, muß er entsprechend zugerichtet werden. Die Ausländer werden deswegen der recht gnadenlosen Loyalitätskontrolle unterzogen. Die Inländer werden erzogen, damit dann beide ihre Rechte fleißig loben, weil .... im Faschismus hat man all das nicht gedurft, worauf man dann hier deswegen ziemlich geschlossen freiwillig verzichtet.

Anmerkungen:

(1) Überarbeitete Abschrift eines Vortragsmitschnitts.

(2) Immerhin ist Özalan in Rom festgenommen worden, weil ein internationaler Haftbefehl aus Deutschland vorlag.

(3) Aus: Parlament Nr.45, Dokument S.9

(4) Es trifft also das Urteil nicht zu, die Differenz zwischen In- und Ausländer bestünde darin, daß der Staat zwar die Inländer voll im Griff hat, die Ausländer nicht. Es verhält sich vielmehr so, daß sich die "Zugewanderten" hierzulande gerade deswegen der besonderen staatlichen "Betreuung" erfreuen, weil der Staat sie des konkurrierenden bis feindlichen Nationalismus verdächtigt. Weil sie einer konkurrierenden Hoheit unterliegen, muß er sie bei sich ganz besonders im Griff behalten.

Es hat sich unter kritischen Zeitgenossen für diesen Umgang mit den Zuwanderern der Begriff "Rechtlosigkeit" eingebürgert. Der trifft die Sache nicht. Und schon gar nicht ist der darin enthaltene politische Impetus zu halten, den Ausländern würde nichts so sehr fehlen wie der ganze Katalog demokratischer "Rechte". Dazu unten mehr. Hier nur kurz eine Anmerkungen: Offensichtlich geht der demokratische Staat beim Inländer von der Sicherheit aus - einer Sicherheit, die er selber schafft - , daß der als Privatsubjekt seine erlaubten Freiheiten und Rechte nicht gegen den staatsdienlichen Auftrag wendet, den er als Citoyen zu erfüllen hat!

  • Die Feinheiten von "Aufenthaltserlaubnis, -berechtigung, -bewilligung, -befugnis" des Ausländerrechts stehen denn auch nur für das breit gefächerte Instrumentarium, mit dem der Staat sich kalkulierte Ausnahmen von seinem Verdacht erlaubt und ihn wieder in Anschlag bringt.
  • Am Rigorismus, mit dem diese Ausländerfeindlichkeit praktiziert wird, unterscheiden sich bekanntlich Staaten. Und nicht wenige entdecken sogar im Staatsvolk selbst Menschen, denen zu Unrecht die Staatsbürgerschaft verliehen worden ist. Sie machen diesen "Fehler" dann rückgängig, erklären Inländer zu Fremden, weil es ihnen an Eigenschaften fehlt, die sie an ihrem Volk entdeckt haben und verfahren mit ihnen dann je nach Staatsräson. Wundern darf einen das nicht, denn wo die Treue zum Staat als Eigenschaft des Bürgers gilt und die sogar Eingang in die (Ausländer-)Gesetze gefunden hat, da liegt eben der Umkehrschluß auf der Hand, aus bestimmten Eigenschaften auf die Untreue zu schließen. Und es wird sich gleich zeigen, daß diese Denkweise auch der Demokratie munter gepflegt wird.
  • Ausnahmen in Frankreich nach der Eroberung der nordafrikanischen Kolonien, wo das ius soli (Franzose ist, wer auf französischen Boden geboren wurde) eingeführt wurde, um in den Kolonien genug "Franzosen" zu haben, denen man den frisch eroberten Kolonialboden anvertrauen konnte - ein Staatsbürgerschaftsrecht, das die Franzosen heute wieder für unpraktisch erachten und relativieren.
  • (8)Und es gab/gibt Staatsverfassungen, die die Einbürgerung fast ausgeschlossen haben, die sogar - wie der deutsche Faschismus - umgekehrt das übernommene Staatsbürgerschaftsrecht um Ausbürgerungs-Regelungen vervollständigt haben.

  • (Das hat übrgens mit zweierlei Maß nichts zu tun: Es sind verschiedene Maßstäbe, angelegt an verschiedene Menschen. Es werden eben In- und Ausländer nicht mit dem selben Maßstab messen.)
  • Woraus man umgekehrt einen Schluß auf den Inländer ziehen muß: Seine Rechte und Freiheiten genießt er, weil bzw. sofern die Staatsgewalt, die ihm dies erlaubt, seine Anpassung gesichert sieht, also jeden Mißbrauch für ausgeschlossen hält.
  • Ausnahmen gab es schon immer, wenn der Heimatstaat den Neubürger nicht aus seiner Staatsbürgerschaft entlassen wollte.
  • Dabei ist die Türkei inzwischen kein Einbürgerungshindernis mehr.
  • Vgl. im Vorschlag § 87 a. Dazu die Ankündigung Schilys zu den Kurdenprotesten und der exemplarische Fall Mehmet.
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