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Patriotismus
Vaterlandsliebe, die im staatsbürgerlichen Ethos wurzelnde,
zugleich gefühlsbetonte, oft leidenschaftlich gesteigerte
Hingabe an das staatliche Ganze, das in dieser Hingabe nicht
nur als rechtliche und politische Ordnung, sondern als die den
einzelnen tragende Gemeinschaft empfunden wird. Vom
Nationalismus unterscheidet sich der Patriotismus dadurch,
dass er das Nationalbewusstsein der anderen Völker achtet.
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Nationalismus
Die übersteigerte, intolerante Erscheinungsform des
Nationalgedankens und des Nationalbewusstseins. Während ein
maßhaltender, die gegenseitige Anerkennung und Achtung der
Nationen nicht ausschließender Patriotismus eine
unentbehrliche Voraussetzung jeder Staatlichkeit ist,
gefährdet der Nationalismus, besonders in seiner schärfsten
Form (Chauvinismus), den internationalen Frieden, indem er das
nationale Eigeninteresse (sacro egoismo) über alle anderen
Werte erhebt. |
These 1 “Nationalismus” wird
gemeinhin als “Überhöhung” eines an und für sich positiven
Nationalgefühls bestimmt, die zur Verachtung und Zurücksetzung
anderer Nationen und deren Angehöriger führt. Die Behauptung, ein
bloß gradueller Unterschied ziehe völlig entgegengesetzte Folgen
nach sich, ist die theoretische Abtrennung einer missliebigen
Konsequenz des Nationalgefühls von diesem selbst. a) Dass zu
viel des Guten meistens schlecht ist, gehört zwar zu den
landläufigen Gemeinplät-zen, wird aber dadurch nicht richtiger. Wenn
das Zugehörigkeitsgefühl zu und die Identifika-tion mit dem eigenen
Gemeinwesen die Achtung anderer Nationen und ihrer Mitglieder
ein-schließt, kann ein Mehr an Nationalbewusstsein auch nicht zu
deren Verachtung führen. Um-gekehrt: Wenn der “übersteigerte
Nationalgedanke” zur Ächtung der anderen Nationen und zur Hatz auf
deren Angehörige führt, muss die Geringschätzung anderer Völker
schon im Na-tionalgedanken enthalten sein. b) Alle gängigen
“Erklärungen” des Nationalismus leugnen, dass es einen Übergang vom
“wünschenswerten” Patriotismus zum “gemeinen und
menschenverachtenden” Nationalismus gibt, was in der Rede vom
“übersteigerten” Nationalgefühl immerhin behauptet ist. Die derzeit
gängigen Besprechungen des “dumpfen Rassismus” der Rechtsradikalen
wollen nur Versäum-nisse und Dysfunktionen als Ursache kennen: -
Da ist zum einen die sehr beliebte These, dass “soziale Perspektiv-
und Hoffnungslosigkeit” zu Rechtsradikalismus führt, die nie
erklären kann, warum sich der “Hass der Zukurzgekom-menen” nicht
gegen die Verursacher des Elends richtet, sondern ausgerechnet gegen
Nicht-Mitglieder der Volksgemeinschaft. - Zum anderen die höchst
staatstreue These, die - seit 10 Jahren untergegangene! - DDR habe
mit ihrer “autoritären Sozialisation” keine demokratischen
Traditionen vermittelt, mit ihrem von oben verordneten
Antifaschismus eine Auseinandersetzung mit dem Faschismus
verhin-dert und so (?!?) den Keim einer faschistischen Gesinnung
gelegt. - Da ist die Rede von Versäumnissen in Schule,
Elternhaus und sonstigem Umfeld, die alle-samt zu einem Defizit an
einer positiven staatsbürgerlichen Gesinnung führen sollen. Als
könnte die Abwesenheit eines Umstandes irgend etwas begründen, soll
der ganze Grund für die schlechte - rechtsradikale - Gesinnung
im Mangel an guter - patriotischen - Gesinnung bestehen, die -
so die Unterstellung - mit den nationalistischen Entgleisungen
nichts zu tun ha-ben kann! c) Die ganze Unterscheidung von gutem
Nationalstolz und schlechtem Nationalismus hebt überhaupt nur auf
eine einzige Differenz ab, die zugleich ihren ganzen Inhalt
ausmacht: Wer-den die anderen Nationalitäten respektiert oder nicht?
An dieser Konsequenz des Nationalge-fühls wird die Scheidelinie
zwischen recht und falsch verstandener Vaterlandsliebe gezogen. Ohne
sich überhaupt darum zu kümmern, ob und inwiefern die Verbundenheit
mit der eigenen Nation einen Gegensatz zu anderen Nationalitäten
einschließt, wird die unerwünschte Ächtung auswärtiger Nationen und
ihrer Mitglieder zu etwas erklärt, das - weil es nicht Resultat des
guten und er-wünschten Patriotismus sein darf - nur Ausfluss einer
missverstandenen Vater-landsliebe sein kann. c) Dabei
zeugt die Rede vom falsch verstandenen und überzogenen Nationalismus
von der Gewissheit, dass ein enttäuschtes Nationalgefühl die
Triebfeder der rechten Schläger ist. Und auch die hochoffiziell an
die “schlechten” Deutschen gerichtete Schelte, sie würden ihrer
Na-tion schaden, lebt vom Bewusstsein, dass Rechtsradikale mit dem
Argument “Nation” als ihrer ureigensten Sache zu treffen sind.
Bei allem Dementi: Auch die Verantwortlichen in der Politik
wissen, dass die Liebe zu Heimat und Vaterland doch etwas mit der
Verachtung und Zurücksetzung anderer Völker und Men-schen zu tun
hat.
These 2
Patriotismus/Nationalismus ist die Identifikation der Bürger
mit ihrem Gemeinwesen. Sie erklären die Belange der Nation zu den
ihren und beurteilen sich und andere als deren Repräsentanten.
a) Patriotismus/Nationalismus ist die normalste Sache von der
Welt: - Kein Flugzeugabsturz, kein Lawinenunglück, keine
Tunnelkatastrophe, keine Entführung und kein Bürgerkrieg, bei dem
nicht neben den überhaupt angefallenen Opfern die deutschen Opfer
gezählt werden. - Kein internationaler Sport-Event, keine
Preisverleihung und kein Kulturereignis, bei dem nicht die
Nationalitätenfrage aufgemacht wird: So haben “wir” trotz schlechten
Starts bei Olympia “uns” noch wacker geschlagen; einer der heurigen
Nobelpreisträger ist wenigstens ein Deutschstämmiger, der
diesjährige Kulturpreis für englische Nachwuchskünstler ging an
einen Deutschen und Christoph Daum ist eine Schande für den
deutschen Fußball! - Man ärgert sich über deutsche Promis und
Unternehmen, die Wohn- oder Firmensitz ins Ausland verlegen, um dort
Steuern zu sparen, die “uns” entgehen ... - Aber auch das Leiden
am Nationalcharakter gehört dazu: Man schämt sich als Deutscher für
die Entgleisungen anderer Deutscher im Urlaub, wegen der Skins und
wegen - Auschwitz. - Kaum einer, der sich nicht irgendwie
als Deutscher begreift, und damit “mehr” meint als den Umstand,
wessen Staatsgewalt ihn zu ihrem Bürger erklärt hat. Man muss noch
nicht einmal stolz auf “unsere Dichter und Denker”, “unsere
Wirtschaftskraft” und “unser Organisations-talent” sein, um sich
dazu gehörig zu fühlen - obwohl nicht wenige die angeblich so
deutschen Tugenden “Pünktlichkeit, Sauberkeit und Ordnungsliebe” zu
ihrer ganz persönlichen Angele-genheit erklären - und das nicht nur
im Urlaub. b) Wer so als Deutscher (Franzose, Italiener, ...)
urteilt und handelt, identifiziert sich mit seinem Gemeinwesen und
erklärt all dessen Belange zu den seinen. Der begreift jeden
Deutschen als Repräsentanten seiner Gemeinschaft, fordert ein
entsprechendes Benehmen - vor allem von den bekannten Größen aus
Politik, Kultur und Sport, aber auch von sich und all den anderen
kleinen Reprä-sentanten des Großen Ganzen, die mit dem Auftrag
befrachtet werden, durch ihr Verhalten der Nation alle Ehre zu
machen, damit die auch den Respekt verlangen kann und erhält, den
sie verdient. Ein Deutscher macht die Nation zum Inhalt seiner
persönli-chen Ehre und zieht daraus sein Selbstbewusstsein: Nur dann
sieht man sich durch Siege und Erfolge Deutschlands selbst
ausgezeichnet, durch Fehltritte Deutscher beschämt und durch
Misserfolge Deutschlands betroffen und beschädigt. Die negativen
Deutschen von konkret u.ä. denken und fühlen genauso als Deutsche,
nur mit umgekehrtem Vorzeichen. Da ist die Liebe zum Vaterland
umgeschlagen in Hassliebe, so dass man dem eigenen Laden jetzt jede
Schande und jeden Misserfolg an den Hals wünscht, aber eben immer
noch als Deutscher, dessen Denken und Fühlen genauso dau-ernd um das
eigene - ungeliebte - Kollektiv kreiselt. c) Einen kleinen
Widerspruch enthält die nationale Gesinnung aber doch: Wenn sich das
eigene Kollektiv, die Nation, vorgestellt wird als etwas, dessen
Mitgliedschaft einem ebenso-sehr zur Ehre gereicht, wie
verpflichtet, dann wird die eigene Gemeinschaft gleichzeitig als
etwas Höheres gesehen, dem man dient und in dem man dafür aufgehoben
ist. Das passt aber nicht zusammen: Entweder handelt es sich um eine
Gemeinschaft, deren Teil man ist, dann dient man nicht ihr, sondern
die Gemeinschaft dient einem, ist Mittel der gemeinsamen Anlie-gen,
um deretwillen man die Gruppe gebildet hat; oder aber, man dient
einem Kollektiv, dann ist es aber nicht das eigene, sondern man ist
der Dödel eines fremden, gegensätzlichen Anlie-gens an dem man nicht
Teil hat. d) Die nationale Idee unterstellt eine
Zwangsgemeinschaft, der die Angehörigen einer Nation untergeordnet
sind. Gleichzeitig lebt die Idee der Nation von der Uminterpretation
dieses Zwangsverhältnisses in eine Unterordnung, die man
widersinniger Weise aus freien Stücken, für sich eben, eingeht. Der
Dienst an der Nation, zu dem man gezwungen ist, wird umgedeu-tet in
einen Dienst, den man für sich selber, für die eigene Gemeinschaft
leistet. Dieser Wider-spruch eines Dienstes an der eigenen Identität
ist nur denkbar, wenn man das Gemeinwesen gedoppelt denkt als die
eigene Gruppe, deren Mitglied man ist, und zugleich als etwas
Höhe-res, dem man untersteht.
These 3
Patriotismus/Nationalismus ist theoretisch falsch und
praktisch schädlich. a) Die nationale Idee ist ein Wahn,
insofern nämlich, als eine Prüfung, was einen die Belange der Nation
angehen, nicht stattfindet. Umgekehrt: Alles Deutsche ist auch die
Sache eines gu-ten Patrioten; was gut für Deutschland ist, ist auch
gut für ihn - nicht, weil er etwas davon hätte, sondern weil er nun
einmal Teil dieses Großen Ganzen ist. Eine Prüfung, ob man
überhaupt, und wenn ja, wie von Maßnahmen der Politik und der
deut-schen Repräsentation betroffen ist, darf vom Standpunkt der
nationalen Gesinnung aus über-haupt nicht stattfinden. Wie sagte
Alt-Bundespräsident von Weizsäcker so schön: “Wir kön-nen die
nationale Identität annehmen oder ablehnen. Wir entkommen ihr
sowieso nicht. Späte-stens im Ausland werden wir als Deutsche
wahrgenommen.” Also: Weil wir als Deutsche im-mer irgendwie von der
Nation betroffen sind, müssen wir für die deut-sche Sache Partei
ergrei-fen und uns für den Erfolg der Nation einsetzen. Müssen
wir nicht! Der Verweis darauf, dass wir alle von den Geschicken der
Nation betroffen (gemacht) sind, wäre rationell genommen ein
Auftrag, herauszufinden, was die Belange der Nation sind und wie man
selber in ihnen vorkommt. Der patriotisch-nationalistische
Stand-punkt verlangt das Gegenteil: Nichts überprüfen, einfach dafür
sein! b) Dass ein objektiver Blick aufs Gemeinwesen vom
nationalen Standpunkt aus nicht gern ge-sehen ist, ist kein Zufall:
Was gut für Deutschland ist, ist eben nicht gut für jeden Deutschen:
- Die “Herausforderung” durch die “Globalisierung”: Gilt das
nicht als guter Grund dafür, dass Lohn und Lohn-„Nebenkosten” viel
zu hoch sind; wird nicht für den “Standort Deutsch-land” der
Sozialstaat heruntergefahren, ein Billiglohnsektor eingeführt und
die Tariflandschaft nach allen Regeln der Kunst dereguliert? -
Die deutsche Konkurrenzfähigkeit: Haben nicht die Lohnabhängigen mit
viel Leistung und sinkendem Lohn für die Billigkeit deutscher
Exportschlager zu sorgen? Wer hat was von den Verkaufserfolgen auf
dem Weltmarkt? Diejenigen doch nicht, die sich von Lohn und Gehalt
immer weniger kaufen können! - Der solide Staatshaushalt: Werden
nicht dafür die staatlichen Leistungen für die Bevölke-rung
zurückgefahren und die Steuern erhöht? Eine Prüfung, worin die
Betroffenheit der Normalbürger besteht, würde so allemal bei dem
Befund landen, dass die “Lebensqualität” der “breiten Massen”
offenbar ein einziger Wider-spruch zum Erfolg der Nation ist, dass
der Erfolg der Nation sich mit dem Wohlstand der “arbeitenden
Bevölkerung” nicht verträgt, sondern umgekehrt der Erfolg der Nation
auf der Armut der Lohnabhängigen beruht. c) Dem
patriotischen/nationalistischen Blick erscheint die ganze Welt auf
den Kopf gestellt: Menschen, die nur als Mittel, Manövriermasse und
Opfer der nationalen Anliegen vorkom-men, fassen sich als Teilhaber
auf. Dabei könnte einem noch an dem Argument, dass man wegen
seiner Betroffenheit von Erfolg und Misserfolg der Nation dafür sein
muss, auffallen, dass ein Nutzenverhältnis, ein Verhält-nis von
Geben und Nehmen zwischen dem Großen Ganzen und dem einfachen
Menschen nicht vorliegt: Nie wird versprochen, dass der Erfolg der
Nation zu Saus und Braus beim arbeiten-den Volk führt. Stets wird
die Lage der Nation nur negativ mit der Lage der Normalbürger
ver-knüpft: Die Opfer, die nicht zu knapp verlangt werden, werden
stets als die bedauerliche Kon-sequenz eines unzureichenden Erfolgs
oder einer Zwangslage der Nation hingestellt. Posi-tiv folgt nichts
aus guten Gewinnen und politischen Erfolgen der Nation - außer schon
wieder: be-scheiden sein, um diese Erfolge nicht zu gefährden!
d) Der Preis dafür, dass sie eine kapitalistische
Klassengesellschaft als Gemeinschaftswerk nehmen, ist den Opfern des
Systems dabei nicht einmal unbekannt; sie sehen ihn nur anders: An
Kriterien des Nutzens darf das frei erfundene Geben und Nehmen in
einer Nation niemals gemessen werden. Da ist selbst die
Idealisierung des Dienstes noch verräterisch genug: Jeder hat erst
einmal seinen Dienst für das Große Ganze zu erbringen, und dieser
Dienst wird dann vom Gemeinwesen entsprechend honoriert. Die
“Gemeinschaft” bestimmt, welcher Dienst an-gemessen ist und bestimmt
gleich dazu, wie welcher Dienst honoriert und anerkannt wird:
“Gemeinnutz geht vor Eigennutz!”. Auch wenn praktisch nichts
anderes als das Ja zur Pflichterfüllung herauskommt, das Ideal wird
nie aufgegeben, dass der Dienst seinen gerechten Lohn nach sich
zieht. Die Behauptung ist: Wenn jeder an seinem Platze seine Pflicht
erfüllt, blüht das Gemeinwesen und alle haben etwas davon. Stellt
sich Unzufriedenheit ein, werden Gerechtigkeits-, Neid- und
Schuldfragen gewälzt, aber nie die Frage, ob es ein Fehler war,
Opfer für die nationalen Anliegen zu brin-gen. Nationalisten
wähnen sich als Teilhaber und Volksgenossen gerade dadurch, dass sie
sich total unterordnen und nicht mehr nachrechnen, was sie davon
haben. Als “Herr im Hause Deutsch-land” fühlen sie sich gerade
dadurch, dass sie als Deutsche ihre Pflicht erfüllen - und dieselbe
Dienstbarkeit an der Nation auch von allen anderen verlangen.
Umgekehrt macht sie ihre Pflichterfüllung erst zu Teilhabern an so
etwas Großem wie Deutschland; ihre Unterordnung adelt sie und
erfüllt sie mit Selbstbewusstsein.
These 4
Patriotismus/Nationalismus ist die Trennung der
Unzufriedenheit vom Ja zum Gemein-wesen und die Uminterpretation
jedes Missstands in einen Mangel an nationalem Erfolg, dem der Ruf
nach Gewalt auf dem Fuße folgt. a) Nationalisten sind
Untertanenseelen, die sich gar nicht als solche begreifen. Der
“Obrigkeit” zu “gehorchen” gilt als historisch überwundene
“Unmündigkeit”, die sich kein reifer Bürger nachsagen lässt. Seine
praktische Dienstbarkeit für die herrschenden staatlichen und
gesell-schaftlichen Zwecke würde ein moderner Staatsbürger niemals
damit begründen, dass ihm Pflichterfüllung und Gesetzestreue “von
oben” vorgeschrieben wird. Jeder tut seine Pflicht “aus
Verantwortung für Deutschland”, für jenes fiktive
Gemeinschaftswesen, dem er sich zu-gehörig weiß. Und in dieser
Hinsicht ist ein Patriot dann sehr anspruchsvoll: Er verlangt
die-selbe Pflichterfüllung auch von allen anderen, allen voran von
denen, die in Staat und Wirt-schaft das sagen haben, von deren
Entscheidungen in seinen Augen das Schicksal der Nation abhängt.
Patrioten sagen also erst einmal Ja - und zwar zu allem: Ja zur
Klassengesellschaft und Ja zur staatlichen Herrschaft, indem sie
alles, was es im demokratisch regierten Kapitalismus an Funktionen
gibt, als unterschiedlichen Dienst an und Beitrag zum
nationalen Gemeinschafts-werk interpretieren. b) Damit ist dann
allerdings auch der Unzufriedenheit, die sich in einer
Klassengesellschaft notwendiger Weise einstellen muss, der Weg
gewiesen; sie wird nach folgendem Strickmuster national(istisch)
gewendet: Wenn die Nation das Versprechen ist, dass alle ihre
dienstbaren Geister bei ihr gut aufgehoben sind, dass
Pflichterfüllung honoriert wird, dann ist die schlechte Lage ihrer
Mitglieder ein Zeichen dafür, dass es um den Erfolg der Nation
schlecht bestellt ist. Nationalisten halten also ganz
grundsätzlich ihren Glauben an ihr Eingebettet-Sein in die
na-tionale Gemeinschaft hoch, und zwar gegen die Erfahrung des
Gegenteils. Wenn im Namen des Nationalerfolgs rationalisiert und
entlassen, der Lohn gesenkt, die Steuern erhöht und die soziale
Absicherung kaputt gemacht wird, dann sehen sie darin nicht den
Klassenkampf von oben, der es ist. Frei nach Morgenstern kann es in
ihren Augen keinen Gegensatz von Staat und Volk, Kapital und Arbeit
geben, weil es zwischen der Nation und ihren Gefolgsleuten keine
Unverträglichkeiten geben darf. Sie schließen lieber rück von ihrer
Misere auf eine Mi-sere der Nation: Armes Deutschland! Wenn die
Arbeitslosenzahlen nicht zurückgehen, kann es kein echter Aufschwung
sein. Wenn vom Lohn der Beschäftigten die Sozialkassen nicht voll
werden, haben “wir” über “unsere Verhältnisse” gelebt; usw. usf. -
das ist die Logik patriotischen Denkens, der sich auch Linke nicht
verschließen wollen: Die Kategorie der “Krise” ist hier die Art und
Weise, wie die Not der Opfer des Kapitalismus als Indiz einer
schlechten Lage der Nation genommen wird. c) Mit der
Fehldiagnose ist dann auch der Ausweg vorgezeichnet, den sich ein
Pa-triot/Nationalist vorstellt: Der Nation muss wieder auf die
Sprünge geholfen werden - und zwar mit dem, was dem nationalen Wahn
schon immer als Mittel des Nationalerfolgs er-scheint: Die
Mitglieder der Nation müssen mehr/besser in den Dienst der
nationalen Sache ge-nommen werden. Und damit der Dienst auch seine
gedeihliche Wirkung zeitigen kann, ist mehr nationaler Egoismus
gegenüber dem Ausland gefragt, das einem die Erfolge immer
abspenstig machen will. So landet die Unzufriedenheit von
Nationalisten notgedrungen immer bei ein und demselben: dem Ruf nach
Gewalt: Nach innen gegen pflichtvergessene Mitbürger, und nach außen
gegen die anderen Nationen, die den rechten Respekt vor der eigenen
vermissen lassen. d) So werden Patrioten/Nationalisten kritisch:
als totale Idealisten der nationalen Sache. Jede Unzufriedenheit
wird gedeutet als Missstand, der ein Leiden der Nation indiziert.
Und keine Regierung macht es einem Patrioten gut genug, beweist doch
alles, was einem nicht passt, dass die nationale Sache nach innen
und nach außen nicht konsequent genug betrieben wird. So paart
sich kritische Distanz zu allem, was “die da oben machen” mit einem
radikalen Ja zu dem Laden, dem man angehört, - und zu seiner
Herrschaft: Es ist nicht nur das Ja zur Mit-gliedschaft in dem
Verein, den die Regierung regiert. Es ist das Ja dazu, regiert zu
werden, und zwar aus der jeweiligen Landeshauptstadt von einer
Regierung, die den Dienst der Volksgenossen zum Wohle der Nation
organisieren soll, durch das sich Patrioten berechtigt sehen, sich
als Betroffene über das Tun und Lassen ihrer Herren zu beschweren:
Ihre Dienst-bereitschaft verleiht ihnen das Recht und die Pflicht,
auf dem Lohn ihres Dienstes zu bestehen: für die Nation, und im
Gefolge davon auch für sie. e) Dabei ist die kritische Distanz,
die noch jeder Bürger zu seiner Regierung wahrt, der pure Schein:
Von all dem, was die Regierung mit der Macht des Staates und ihrem
Recht, als ge-wähltes Herrschaftspersonal den Bürgern ihren Willen
aufzuoktroyieren, zur Sache der Nation macht, mag sich ein moderner
Bürger mit noch so vielen speziellen Vorbehalten distanzieren, eine
Aufkündigung der Loyalität ist nicht zu befürchten. Mit der
Einbildung, Deutscher zu sein, reiht sich jeder Bürger ganz
prinzipiell in den Club regierter Menschen ein, deren
Dienstbarkeit organisiert sein will. Und dann lässt er sie
organisieren, von der zu-ständigen Instanz, versteht sich. Hinterher
und daneben beschwert er sich darüber, dass die Zuständigen in
Berlin, denen er die Zuständigkeit gar nicht bestreiten will, es
nicht so gut gemacht haben, wie er es als pflichtbewusster Bürger
verdient hätte. Das verschafft noch jeder Regierung die
Freiheit, ihre vielkritisierten Entscheidungen unge-rührt
durchzusetzen.
These 5
Patriotismus/Nationalismus ist gemein und mörderisch: Jede
Unzufriedenheit radikali-siert den nationalen Standpunkt und führt
zur Fahndung nach Schuldigen, die das “eigentlich” gedeihliche
Zusammenwirken der Nation beschädigen. a) Der durch die
eigene Treue und den eigenen Glauben verbürgte Wahn, die Nation sei
an und für sich in Ordnung und eine positive Gemeinschaft ihrer
Mitglieder, führt zur Suche nach Schuldigen, wenn sich die
eingebildeten oder wirklichen Indizien für einen Misserfolg der
Na-tion mehren: Wenn die Nation nicht zu den Erfolgen kommt, auf die
sie ein Recht hat, und wenn sie deshalb (!) nicht so für ihre
Mitglieder sorgen kann, wie sie es sollte, dann ist das ge-deihliche
Zusammenwirken der Volksgenossen beschränkt, gehemmt. Dann muss es
welche geben, die den Dienst am großen Ganzen torpedieren. Es
steht also von vorneherein fest, dass es eine fünfte Kolonne geben
muss - denn sonst würde der nationale Erfolg ja nicht ausbleiben!
b) Es fragt sich, wer die Sau ist, die das Zusammenwirken der
Deutschen stört. Dieser Fahndungsgesichtspunkt wird fündig bei
allen, die sich - vermeintlich oder wirk-lich - dem Dienst
entziehen. Obdachlose, Verbrecher, sonstige Taugenichtse geraten ins
Visier des Fahndungswahns. Aber auch in durchaus respektablen
Volksgruppen werden Schuldige gefunden: Pflichtvergessene
Unternehmer, die ihr Kapital im Ausland arbeiten lassen, statt für
deutsche Arbeitsplätze zu sorgen; Casino-Kapitalisten, die lieber an
die Börse gehen, statt in Produktivvermögen zu investieren;
Arbeitslose, die einen Job finden könnten, aber lieber als
Hängematten-Hänger rumhängen, Arbeiter mit Besitzstandsdenken
u.v.a.m. c) Ganz prinzipiell, und ohne dass es
irgendwelcher Indikatoren für Pflichtvergessenheit be-dürfte,
richtet sich der Verdacht immer auf solche, für die das ebenso
verpflichtende wie pri-vilegierende Treueverhältnis zur eigenen
Nation nicht vorliegt: Die Ausländer, die als Mitglie-der anderer
Nationalitäten in einem Treueverhältnis nicht zum eigenen, sondern
zu einem fremden Club stehen und insofern immer schon als
Repräsentanten (Agenten) einer fremden Macht beargwöhnt werden,
stehen grundsätzlich in dem Verdacht, das eigene Gemeinwesen zu
schädigen. Mitglieder fremder Völker werden immer als welche
gesehen, die sich hier eingenistet haben: Sie leben hier, ohne
dazuzugehören, ohne also das Privileg eines Deutschen verdient zu
haben, und ohne der deutschen Nation verpflichtet zu sein. Also
stehen sie prinzipiell in dem Ver-dacht, nur aus Berechnung hier zu
sein. Sobald in den Augen eines Patrioten irgend etwas schief läuft,
schlägt das immer vorhandene national(istisch)e Resentiment um in
die Gewiss-heit, hier Schädlinge und Schmarotzer vor sich zu haben.
Die Ausländer leben von “uns”, ko-sten “uns” “unsere Ressourcen” und
bringen damit alles durcheinander, was Deutschland sein könnte,
würden sie sich nicht an unseren Fleischtöpfen mit bedienen. Die
- wie auch immer geartete - nationale Krisendiagnose landet also
sehr schnell bei der Fest-stellung einer Beschädigung der nationalen
Identität. Und die ist dann sehr frei gegen den Nachweis
irgendwelcher bestimmter Nachteile, die die Ausländer stiften
würden. Die Auslän-der beschädigen das Recht der Nation, Nation zu
sein und damit das Recht jedes Deutschen, sich hier daheim zu
fühlen. Hierhin gehört nicht nur der Übergang aller
Ausländer-klatschen-den Skins, die die fehlende Würdigung ihres
Deutschtums im eigenen Lande selbst heilen wollen, indem sie
Deutschland von undeutschen Elementen säubern. Hierhin gehören auch
alle Sprachregelungen der offiziellen Politik von “Überfremdung” und
“durchrasster” Gesell-schaft, die dem nationalen Wahn recht
geben. d) Diese Gewissheit, die sich aus dem nationalen
Wahn speist und deswegen keine Gründe braucht, sucht dann nach
Belegen für ein feststehendes Urteil: Kopftücher werden zum Indiz
dafür, dass “die” sich hier sowieso nicht integrieren wollen, also
(!) bloß schmarotzen. Stati-stiken über Ausländerkriminalität sind
beliebt, weil sie belegen, dass “die” sowieso bloß zum Stehlen und
Messerstechen hier sind. Und überhaupt nehmen sie “uns” “unsere”
Weiber und Arbeitsplätze weg. Es ist also ganz falsch zu meinen,
Ausländerfeindschaft hätte ihren Grund in einer Täuschung über die
Ausländer, in “Vorurteilen”, die man widerlegen müsse, ohne den
Nationalismus an-zugreifen. Es ist umgekehrt: Die Vorurteile beruhen
auf der grundsätzlichen Ausgrenzung, die aus dem nationalen Wahn
kommt - und findet Belege, weil sie welche sucht. Deswegen fühlt
sich auch jeder Ausländerfeind, dem man ein sogenanntes Vorurteil
weggenommen hat, auch stets herausgefordert, sieben andere
ausländerfeindliche Urteile aufzusagen, die seinen festste-henden
Standpunkt belegen. e) Auf diese Idee, es handle sich um
Vorurteile, kommen die humanistischen Ausländerfreunde übrigens nur,
weil sie dieselben Nationalisten sind: Sie denken auch in nationalen
Kollektiven, dem “wir” und den “Türken”, “Italienern” usw. Sie
meinen vom nationalen Standpunkt aus nur, dass “wir” “uns” die
Großzügigkeit leisten können, Ausländer hier bei uns reinzulassen.
Manchmal meinen sie gar, dass “wir” sie brauchen - als Billiglöhner
in Gaststätten und Kran-kenhäusern, als Fachkräfte für die
Konkurrenz gegen die “technologische Herausforderung durch Amerika”
usw. usf. Am verräterischsten ist hier die hochmoralische
Aufforderung, im Ausländer doch auch “den Menschen” zu sehen.
Bereitwillig wird hier konzediert, dass einem der Hut schon
hochgehen kann, wenn man im Ausländer den Ausländer sieht. Deswegen
wird einem empfohlen, einmal von allem abzusehen, was den Ausländer
zum Ausländer macht, also den nationalen Stand-punkt mal zu
vergessen; dann kann man selbst im Ausländer einen “Menschen” wie Du
und ich sehen, der Verständnis und Respekt verdient hat.
These 6
Patriotismus/Nationalismus ist mit seinem ewigen “Deutschland
vor, noch ein Tor” igno-rant gegen die wirklichen Zwecke und Mittel
der Politik. - Und gerade deshalb sind Pa-trioten die lenkbare
Manövriermasse der Herrschaft. a) Deutsch über etwas
nachzudenken ist eine einfache Sache: Es kommt nur die eine
Unterscheidung vor, auf die beim Nationalisten alles ankommt: “Wir
und die ande-ren”. Alle Unzufriedenheit hat darin ihre Erklärung und
ihre Therapie: Wir müssen fester zu-sammenstehen, von jedem Mitglied
der Nation noch mehr Pflichterfüllung verlangen, Egois-mus
unterbinden, und uns damit gegen die anderen, die den deutschen
Erfolg unterbinden, bes-ser durchsetzen. Ein politisches
Programm ist das nicht. Jeder bestimmte Inhalt, der für die
nationale Sache angegeben wird, führt auch unter Garantie zu
Kontroversen; aber das macht gar nichts: Der Erfolg der Nation wird
gewollt, und zwar absolut. Alle zustimmenden und ablehnenden
Mei-nungen zu Maßnahmen der Politik fassen sich in der einen Sorge
zusammen: Dient die Regie-rung auch aufs Beste der Nation.
Garantiert sie “unseren” Erfolg und legen wir mit ihr Ehre ein?
Vor aller Kritik steht also das patriotische Ja zum Erfolg der
Nation. Und dieses Ja ist auch der ganze Stachel der Kritik. b)
Die Unbestimmtheit dieses unbedingten Anspruchs auf Erfolg der
nationalen Sache führt denn auch zu Zerwürfnissen zwischen oben und
unten: “Deutsch” bestimmt eben gar nichts. Die Mittel und Ziele
der Berliner Politik: die Kalkulationen mit einer gewissen Anzahl
ausländischer Billigarbeiter, einer gewissen Anzahl ausländischer
Spezialisten; auch die Bündnisse mit anderen Nationen, die
Großmachtambitio-nen des geeinten Deutschland in und mit Europa und
die schwierigen Pfade, auf denen sie vor-angebracht werden - all das
“verstehen” nationalistische Kritiker nicht. Dass man durch
Be-nutzung ausländischer Arbeitskräfte im eigenen Lande und durch
Benutzung anderer Nationen die eigenen Machtbestrebungen voranbringt
- all das ist Patrioten nicht gradlinig genug. Es erscheint ihnen
wie eine unnötige Fesselung der eigenen nationalen Ambitionen und
als Zu-rücksetzung des eigenen Volkes. Kann man nicht einfach
rücksichtslos die Belange der Nation gegen die anderen durchsetzen
und für die Deutschen Volksgenossen sorgen? -, lautet ein ums andere
Mal die kritische Frage von unten. Und immer wieder werden falsche
Rücksichten auf das Ausland und die Ausländer entdeckt. c) Aber
das sind kleinere Zerwürfnisse. Denn erstens ist der Standpunkt:
Wir müssen uns mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln durchsetzen
- egal auf welchem Feld - durchaus auch der Geist, mit dem Schröder
und Fi-scher, Merkel und Gerhardt Politik machen. Also versteht man
von Seiten der Macher durch-aus den Standpunkt des Vereinsmitglieds,
dem ein Urteil über die patriotische Erfolgstüchtig-keit seiner
Befehlshaber zusteht. Man bedient das gute Deutsche Drängen von
unten - und zwar mit den Maßstäben, an denen man die eigene Politik
messen lassen will. Zweitens tut die Kriterienlosigkeit und
Ignoranz des national(istisch)en Bürgerstandpunkts hier gute
Dienste: Er ist durch die berufenen Vertreter Deutschlands so
wunderbar lenkbar. d) Das Verfahren ist das immer gleiche:
Zuerst verweisen die Politiker auf die Sorgen und Nöte ihrer
Landsleute, die sie durch ihre Politik hergestellt haben.
Selbstverständlich werden diese nicht als die gewollten Resultate
zielstrebiger Wirtschafts- und Großmachtpolitik ausgegeben, sondern
als - Probleme, an de-ren Bewältigung die Politmannschaft Tag und
Nacht emsig arbeitet. All das, was deutsche Politik ihren deutschen
Untertanen einbrockt, wird gedeutet als einziger Bedarf an - mehr
Po-litik. Und weil Probleme stets Ursachen haben, versäumt es
die Politikermannschaft nie, auf all jene Kräfte zu verweisen, gegen
die sie aus ihren Zielsetzungen heraus vorgehen will. Hier trifft es
sich gut, dass der nationale Wahn sowieso immer dafür ist, säumige
Volksgenossen mehr in die Pflicht zu nehmen und schädliche Egoismen
zurückzuweisen - man muss ihm nur zeigen bei wem. Und wenn er lustig
ist, darf sich der Bürger - im Rahmen des Erlaubten - auch als
kleiner Blockwart mit betätigen. Bleibt der Beifall für die
Politik einmal aus, werden Kritikaster und Feinde entlarvt, die den
Zusammenhalt zwischen der Regierung und dem Volk, für das sie sorgt,
zersetzen. Es gibt keinen Regierungszweck, der sich nicht in die
Fiktion eines nationalen Anliegens über-setzen ließe, und darin
Anspruch auf Anerkennung und Dienstbarkeit erhebt. Von der
Regie-rung ist dabei immer - im Dienst an der Sache der Nation,
versteht sich - Stärke und Rück-sichtslosigkeit verlangt, die sie
lässig bringt. Und so lange sie dabei auch noch ein erstklassi-ges
Gewissen an den Tag legt - steht es nicht schlecht um die Sache der
Nation!
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