3.
Die Religion ist für alles zuständig; sie kritisiert viel
- eben weil sie legitimiert. Für ihre Ermahnungen fordert sie Gehör;
um sich damit durchzusetzen, darf sie nicht konfliktscheu sein. Zum Gegner
der Staatsmacht aber wird die Religion, wenn sie sich, d.h. ihre Rolle
als Organisator der ideellen Volksgemeinschaft gefährdet sieht - und
deshalb die sittliche Gemeinschaft selbst, auf die sie das nationale Zusammenleben
gegründet wähnt. In diesem Fall beharren Gottesmänner darauf,
selbst die wahren Repräsentanten des Volkes zu sein, und bezichtigen
die Regierung nicht nur der Sünde wider den Allerhöchsten, sondern
des Volks- und Landesverrats. Mit ihrer gottlosen Orientierung an volksfremd
en Werten schwächen die politischen Eliten die sittliche Gemeinschaft,
untergraben die nationale Identität und liefern die Heimat einem feindlichen
Ausland aus.
"Wie andere kulturelle oder rassistische Überhöhungen staatlicher
Gewalt stellt auch die Religion das Verhältnis von politischer Macht
und Staatsbürgermoral auf den Kopf. Sie lebt die Einbildung, die von
ihr organisierte Moralität des Volkes und das darauf gegründete
Zusammengehörigkeitsgefühl seien die wahren Staatsgrundlagen;
der äußere Machtapparat nur das ausführende Organ der geistigen
Identität. Die Gläubigen und ihre Vorbeter fühlen sich wohl
und daheim in ihrer Nation, solange sie selbst sich diese Einbildung abnehmen
- damit verkraften sie alle Härten des Regiertwerdens"-, und sie nehmen
sich ihre Einbildung ab, solange der wirkliche Staat es ihnen erlaubt.
Wenn die geistlichen Herren den Staat auf gutem Kurs wissen, glauben sie
sich und ihm gerne, daß er aus ihrem Geiste handelt. Wenn das Staatspersonal
gar zum Beten und beichten vorbeikommt, ist sowieso alles klar. Wenn sich
aber im Land die Harmonie nicht einstellen will, die der Anstand und eine
gottgewollte Lebensführung aller eigentlich herbeiführen müßten,
und/oder wenn die Staatsmänner sich Versäumnisse beim Gottesdienst
zuschulden kommen lassen, dann fragen sich die religiösen Führer,
welchem Herren die Mächtigen eigentlich dienen. Angesichts der Enttäuschung
ihrer Einbildung beharren sie auf ihr: Sie führen das Sündenregister
der Machthaber und wenn sie sich erst einmal davon überzeugt haben,
daß im Regierungspalast ein teuflischer Wille herrscht, sehen sich
gerufen, sich als alternative Staatsführung aufzustellen. Dann predigen
sie politische Alternativen im Namen des Glaubens und verstehen sich als
fundamentale politische Opposition, dazu verpflichtet, in den Gang der
weltlichen Gewalt im Sinne gottgewollter Herrschaft einzugreifen. )
"Die Einsicht, daß die Staatsführung eine systematische
Zerstörung der sittlichen Basis der Gemeinschaft betreibt und daß
zur Rettung der Nation ein Umsturz nötig ist, kann sich den religiösen
Führern ganz verschieden aufdrängen. Iran und Algerien, die beiden
prominentesten Fälle fundamentalistischer Politisierung, sind Beispiele
dafür.
"Der Islam ist Politik... Ich gehöre nicht zu den Mullahs, die
nur herumsitzen und mit ihrem Rosenkranz spielen. Ich bin auch nicht der
Papst, der nur sonntags religiöse Zeremonien veranstaltet. Selbstverständlich
werde ich mich überall einmischen." )
"Ajatollah Chomeini in Persien hat diese Erkenntnis auf die denkbar
einfachste Weise gewonnen: Vater und Sohn Pahlewi wollten einen säkularen
Staat nach dem Vorbild der erfolgreichen Mächte Europas errichten
und gingen die Modernisierung mit einem Kulturkampf gegen die überkommenen
Autoritäten und Würdenträger an: Sie verboten so ziemlich
all die Sitten, die die Mullahs im Namen des Koran geboten hatten: Die
Verschleierung der Frauen, die religiöse Tracht, die Abgaben, die
die Koranschulen finanzierten usw.:
""Mit der Parole der Königsliebe werden unsere religiösen
Heiligtümer beleidigt... Königsliebe bedeutet Plünderei,
Schändung des Islam, Mißachtung der Rechte der Gläubigen,
Verachtung unserer Gesetze, Schmähung des Koran, Ausrottung der Geistlichkeit
und Vernichtung der heiligen Botschaft. Die Grundsätze des Islam befinden
sich in Gefahr, unser Glauben befindet sich in Gefahr, die Wahrheit muß
ausgesprochen werden. Wer jetzt schweigt, sündigt gegen Gott." )
"Ein König, der in einem islamischen Land die geistliche Autorität
und das innere Band, das die Nation eint, mit Füßen tritt, will
sie schwächen, ausländischen Mächten ausliefern für
den schändlichen Prunk, dem sie ihm dafür ermöglichen: Der
König ist ein ausländischer Agent!
"Diese Regierung hat uns verkauft , sie hat unser Land verkauft und
diesen Verrat auch noch gefeiert... Das Parlament hat beschlossen, amerikanischen
Militärberatern, ihren Familien und zivilen Mitarbeitern Immunität
zu gewähren. Sie sollen in Zukunft vor Verfolgung verschont bleiben,
gleichgültig, welches Verbrechen sie begehen ... Wenn also ein amerikanischer
Dienstbote, mitten im Basar, einen Ayatollah niederschießt und ihn
anschließend mit Tritten verstümmelt, darf die iranische Polizei
ihn nicht daran hindern, auch iranische Gerichte dürfen ihn nicht
verurteilen. Ein Iraner wird minder bewertet als ein amerikanischer Hund.
Denn wenn einer von uns einen amerikanischen Hund überfährt ,
wird er dafür bestraft. Wenn aber der Koch eines amerikanischen Generals
den Schah überfährt, kann ihn niemand bestrafen... Sollen wir,
weil wir ein schwaches Land sind, unter den Stiefeln der Amerikaner zermalmt
werden?" )
"Den zahlreichen Opfern der persischen Modernisierung, die aus ihren
alten Verhältnissen herausgerissen, für den Ölreichtum des
Landes aber nicht gebraucht wurden, machte die Bewegung der Ajatollahs
das Angebot, sich ihr Unglück aus der Pflichtverletzung der Pahlewis
gegenüber der islamischen Nation zurechtzulegen - und für die
Wiederherstellung ihrer Würde einzutreten. Eine Sozialbewegung war
der dafür unternommene Kreuzzug nicht.
"In Algerien hat sich der Glaube über einen ganz anderen Weg zum
alternativen Nationalismus entwickelt. Der Sozialismus der antikolonialen
Revolution sah sich durchaus im Bunde mit dem Isalm; die Befreiung von
den fremden christlichen Herren setzte auf den tätigen Nationalismus
einer algerischen Identität. Houari Boumediène, Führer
der "algerischen Revolution" von 1965 bis 1978, wollte einen "starken,
autoritativen, sozialistischen und islamischen Staat".
""Er liebte es zu wiederholen, ,daß die, die vom Islam sprechen,
die Avantgarde der sozialistischen Revolution seien. Die wah re Revolution
könne nicht laizistisch sein.'" )
"Die neue Regierung ließ Moscheen bauen wie nie zuvor - aber
sie errichtete auch Industrien. Dafür verwendete sie die Erdölerlöse
und Kredite, die ihr wegen dieser Einkommensquelle zuflossen. Mit Stahl-
und Chemiewerken wurden sogenannte "industrialisier ende Industrien" errichtet,
die nach und nach das ganze Land zum Industriestaat machen sollten. Erst
als anfangs der 80er Jahre die Ölpreise fielen, Algerien darüber
auch seine Kreditwürdigkeit verlor, zum Aufsichtsobjekt des IWF wurde
und, um dessen Auflagen zu erfüllen, Lebensmittelsubventionen und
-import e zusammenstrich, begann die Hetze der Prediger gegen Materialismus
und Sozialismus.
"Auch vorher schon hatte die neue Nation nur mit einem Teil ihres Volkes
etwas anfangen können, ihn ausgebildet und im industriellen Aufbau
eingesetzt. Ein wachsender Teil der rasch zunehmenden Bevölkerung
hat sich ziemlich unberührt von den neuen Errungenschaften auf dem
Land durchgeschlagen oder ist in die Städte des Küstenstreifens
abgewandert, um sich am besseren Leben der Stadt zu beteiligen. Dort wuchsen
die Slums und die Zahlen unbeschäftigter Jugendlicher. Alles das ging
im nationalen Aufbruch als Unkost einer besseren Zuk unft durch, solange
eben die Aufbauversprechen und die Fortschrittsperspektive aufrechterhalten
werden konnten. Erst seitdem das Land, eingezwängt in untilgbare Schuldenberge
gegenüber dem Ausland, den Fehlschlag der Industrialisierung eingesteht
und nun eben ohne Aufbauperspektive weitermacht, verli ert die Partei,
die den Staat geschaffen hat, die "nationale Befreiungsfront", den Bonus,
authentischer Vertreter der Nation zu sein - Pfründe und Lebensstandard
ihrer Funktionäre gelten nicht mehr als der Lohn für den Dienst
am nationalen Fortschritt und erscheinen deshalb als skandalöser und
korrupter Reicht um mitten in der Armut. Elend, Beschäftigungslosigkeit
und Verbrechen in den Slums erscheinen ihrerseits als korrespondierende
Korrumpierung der menschlichen Basis der Nation. )
"Die Kritik der Kleriker, die viele Anhänger findet, klagt nicht
die ausgebliebene Industrialisierung ein, die eine neue Mannschaft besser
anpacken müßte - alternative nationale Fortschrittswege sind
seit dem Ende des Sozialismus diskreditiert"-; sie kritisiert die Spaltung
der Gesellschaft vom Standpunkt der anständigen Armut und gläubigen
Gemeinde aus, einem Standpunkt, der frevelhafterweise von Fortschrittsgläubigen
mit i hren europäischen Ideen verlassen wurde:
"Ein politisches Programm bietet der FIS kaum, um so klarer benennt
er Schuldige an der Misere: die westliche Dekadenz und, so Madani, ,die
Entfernung des Volkes von den göttlichen Gesetzen'." "Nach der sozialistischen
Diktatur leidet die junge Generation an ideeller Leere. Sie ist auf der
Suche nach einem Ausweg und findet ihn im Koran, dem Islam." ",Wir brauchen
die islamische Alternative. Wir werden eine islamische Macht aufbauen,
deren Gesetze allein dem Koran und dem islamischen Recht, der Scharia,
folgen.` (Abbassi el-Madani)" )
"Die politisierenden Prediger nehmen die Armut, die Slums und den Müßiggang
nicht gebrauchter Menschen - gar nicht so anders als im industrialisierten
Norden - einzig als ein moralisches Verlottern dieser Gotteskinder zur
Kenntnis. Den Grund dafür wissen sie: Verwestlichung, in dieser Diagnose
des nationalen Identitätsverlusts fassen sich alle moralischen Verfehlungen
zusammen: Sozialismus, Materialismus, Hedonismus, Individualismus etc.
Der Grund des nationalen Niedergangs und dieser Niedergang selbst sind
für die Moralfanatiker, die das Land auf die sittliche Einordnung
seiner Untertanen gegründet sehen, ein und dasselbe. Und das Heilmittel
steht fest: moralische Aufüstung, sonst nichts!
"Für diese Wende in der algerischen Politik haben sich die islamischen
Integristen aufgestellt, eine Partei gegründet und sich wählen
lassen. Daß diese Wahl dann von der Militärregierung noch vor
ihrer zweiten Runde kassiert wurde, weil die Falschen im Begriff standen
zu gewinnen, war der wahrscheinlich überflüssige, aber endgültige
Beweis dafür, daß der FLN und seine Funktionäre nicht irregeleitete
Algerier sind, sondern Abgesandte des Teufels, die ihre Macht- und Geldgier
am Niedergang des wahren Algerien befriedigen. Für die Integristen
war das der Übergang dazu, den Kampf um die Mach t aufzunehmen.
4.
Wenn sich die Gläubigen in aller Gottergebenheit entschieden haben,
daß das Leben unter der frevelhaften Staatsführung nicht mehr
auszuhalten ist und Schicksalsergebenheit jetzt Sünde wäre, werden
sie zur politischen Partei und planen den Aufstand. Sie hetzen das gute
Volk gegen die Staatsmacht auf und werben für das wahre islamische
Leben. Bei ihren Bemühungen um das Volk, dessen Anstand sie die Heimat
wiedergeben wollen, müssen sie allerdings feststellen, daß die
ungläubigen Teufel, die sie aus dem Amt jagen wollen, die stärkste
Stütze ihrer Macht im gottlosen Leben des Volkes haben. Die Islamisten
sehen sich vor der Aufgabe, einen von oben nach unten verrottenden Volkskörper
zu heilen. Der Machtkampf, den sie anzetteln, richtet sich daher nur zur
Hälfte gegen die Staatsmacht - zur anderen richtet er sich mit gezieltem
und ungezieltem Terror gegen den sündigen Alltag.
"Der fanatische Wille zur national en Wiedergeburt aus dem Glauben
ist kein politisches Interesse, das neben anderen stünde und zu Kompromissen
fähig wäre: Die Vertreter der beleidigten Volksidentität
sehen sich nicht politischen Kontrahenten mit einem anderen Regierungsprogramm
gegenüber, sondern Verbrechern an der islamischen Volksgemeinschaft.
Sie haben das Böse selbst vor sich, das keinen anderen Sinn haben
kann, als ihren Gott zu beleidigen. Dieses Böse haben sie zu bestrafen
und auszurotten.
"Differenzierung erfährt die Bewegung über eine Frage, die
unvermeidlich aufkommt, wenn die Religion, der Hort des reinen Guten, in
die Niederungen de s Machtkampfs hinabsteigt: Wie bekommt man das gute
und zugleich moralisch verwahrloste Volk hinter sich? Die einen, die Prediger
und Vorbeter, bleiben gleich in ihren Moscheen und hetzen gegen die gottlose
Regierung. Von den dadurch motivierten politischen Aktivisten ist es in
Algerien der FIS, der sich als - ver hinderte - parlamentarische Partei
sieht und mit dem Terror direkt nichts zu tun haben will, den er "versteht".
Er wirbt das normale Volk für den Umsturz und knüpft dazu an
dessen Anstand und dessen Nöte an. Er propagiert den "Islam als Lösung",
indem er auf den niederen Ebenen der Staatsverwaltung, auf denen er sich
festsetzen konnte, ein vorbildlich gottgefälliges Leben aufzieht mit
Armenspeisung und Sittenstrenge. )
"Die radikaleren Teile der Bewegung halten sich weniger an die werbende
Güte als an die Gerechtigkeit ihres frommen Aufstands: Sie bekämpfen
die Verwestlichung an all denen, die sie dafür haftbar machen . Zwischen
Polizei und Militär, die den Machtkampf gegen die Islamisten am Gesetz
vorbei als Ausrottungskrieg führen, und anderen Beispielen von Sittenlosigkeit
unterscheiden sie nicht groß. Sie ermorden Schulmädchen, die
erstens eine weltliche Ausbildung anstreben und zweitens keinen Schleier
tragen; Ausländer, die die alte Vormacht Europas verkörpern und
mit dem Vorbild ihres ruchlosen Lebensstils die islamischen Sitten des
Volkes verderben. Auf ihrer Abschußliste stehen Lehrer an Schulen
und Hochschulen, die mit ihrer westlichen Wissenschaft die Weisheit des
Koran aus dem Staatsleben verdrängt haben; Journalisten, als Hort
des Laizismus und westlicher Staatsauffassung, sowie alle Träger und
Einrichtungen öffentlicher Volksbelustigung: Fernsehleute, Filmemacher,
Schauspieler und Intendanten; Musiker, die die falschen Texte singen und
die falschen Töne spielen. Darüberhinaus gerät der algerische
Normalbürger ins Visier, der sich zur Geschäftszeit auf belebten
Plätzen herumtreibt. Das ganze Leben, mit seinem Kaufen und Verkaufen,
der Kaffee im Kaffeehaus und die Zeitung - alles Sünde. Autobomben
auf belebten Plätzen teilen dies dem genußsüchtigen Volk
mit. Die Angst vor dem islamischen Strafgericht soll das Volk bekehren
und es zum Instrument gegen die Staatsmacht formen.
5.
Wenn die gläubigen Retter der Nation die Macht erobert haben,
dann setzen sie im Besitz der Staatsmacht den moralischen Terror fort,
mit dem sie um die Macht gerungen haben. Das ist die Reform, die sie meinen.
Die ökonomischen Lebensmittel der Nation, die sie erben und irgendwie
verwalten, sind nicht ihr Thema.
"Das Beispiel des durchgesetzten islamischen Staats bietet der Iran.
Ein Heer von Revolutionswächtern hat nach dem Sieg über den Schah
erst einmal alle politischen Alternativen zu Chomeinis Kurs, insbesondere
alle Kräfte, die den Aufstand im Namen Allahs als Schritt in Richtung
irgendeines Sozialismus mißverstanden haben, ausgerottet und nach
dieser Seite hin das Werk des Schah vollendet. Seitdem wacht das Heer über
die Moral des Volkes, über das Alkoholverbot, über die Pflicht,
den Tschador zu tragen, und setzt die barbarische Gerechtigkeit der Scharia
durch. Es kümmert die moralischen Saubermänner wenig, daß
ihr Terror gar nicht mehr die geglaubte Sittlichkeit stärkt, sondern
nur Furcht und Schrecken verbreitet und damit den Kotau vor den Forderungen
der weltlichen Macht erzwingt. ) Aber dieser Unterschied kümmert ja
auch westliche Fans von Law & Order nicht, denen das erfolgreiche Anstandsregime
zweifellos Eindruck ) machen würde, wenn sie nur einen Augenblick
lang die Fremdartigkeit dieser Moral vergessen könnten. )
"Fabriken und Ölquellen, die die islamische Macht geerbt habt,
werden in "sozial verantwortlichem Privateigentum" irgendwie weiterbetrieben,
) ihre Entwicklung zählt nicht zu den Anliegen der gläubigen
Revolution. Wieviel Rücksicht auf das niedere Volk die soziale Verantwortung
verlangt, was hingegen auch die islamische Staatsmacht der Kosten-Ertragsrechnung
nicht abverlangen kann, entscheidet die hohe Geistlichkeit. Ob dabei die
Eigengesetzlichkeiten des Kapitals und die internationale Zuverlässigkeit
als Geschäftspartner immer gewahrt bleiben, darf bezweifelt werden
- und wird bezweifelt von den Sachwaltern des Weltmarkts. Dabei braucht
sich die islamische Revolution gar nicht bewußt gegen die Prinzipien
der Gewinnwirtschaft zu wenden; wo gerade der Eifer gegen die ererbten
Sünden des nationalen Ausverkaufs und des Imports verbrecherischer
Sitten tobt, wo also Rücksicht auf die sogenannten weltwirtschaftlichen
Sachzwänge als Grund des Niedergangs ausgemacht wird, da leben Sachverständige
und Pragmatiker gefährlich, die den Mullahs sagen wollen, was geht
und was nicht. Wo es um die Gottgefälligkeit des Wirtschaftens geht,
hat nicht der Sachzwang, sondern der Sachverständige Gottes das letzte
Wort.
6.
F ür die Mächte, die Welt und Weltmarkt beherrschen, ist
der islamische Fundamentalismus als Oppositionsbewegung wie als islamischer
Staat ein Feind. Daß man auch diesen Staaten ihr Öl abkaufen
und manche Fabrik verkaufen kann, zählt da wenig.
"Mag die geschäftliche Benutzbarkeit des islamischen Staates und
s einer Wirtschaft in den westlichen Hauptstädten zweifelhaft gefunden
werden, keinen Zweifel gibt es bezüglich der Feindschaft, die man
diesem Staat entgegenbringt. Die Umkehrung des Verhältnisses von Staatsmaterialismus
und Staatsmoral, die in diesem Staat stattgefunden hat, nehmen die westlichen
Fachleute der Weltordnung so zur Kenntnis, daß sich dort ein neuer
Geist aufgeschwungen hat - und zwar ein anti-westlicher. Mit ihrem frommen
Antiimperialismus erklären sich die Islamisten selbst zum Feind. Sie
weigern sich, "unsere Werte" als vorbildlich anzuerkennen und ihnen zu
folgen. Sie geben zu erkennen, daß sie s ich, wenn überhaupt,
nur widerstrebend auf die Spielregeln "unseres" Weltsystems einlassen.
Weil sie sich nicht einordnen wollen, weil sie nicht rechnen wie "wir"
und die von "uns" kontrollierten Staaten, sind sie unberechenbar und ist
ihnen alles zuzutrauen: Terror in unseren Städten, Missionierung unserer
Ausländer und neue Glaubenskriege.
"Der Iran hat, kaum war der Schah gestürzt und die Macht der Mullahs
gegen andere Fraktionen der Revolution gefestigt, einen Krieg gegen den
Irak geführt, bei dem das Ziel der territorialen Eroberung und das
der Mission nicht klar geschieden waren. Nachdem die Kinder, die der Iran
als Märtyrer in den Krieg geschickt hatte, an der überlegenen
Rüstung des Irak gescheitert sind, bemühen sich die Mullahs nun
um Technologie-Importe und Kontakte zu potenten Lieferanten - allen voran
zu Deutschland. Damit ist aber immer noch nicht klar, ob sie "normal" werden
oder ihrem religiösen Fanatismus nur d ie Mittel beschaffen.
"Auf diese Unberechenbarkeit der islamischen Staaten und Bewegungen
stürzt sich der Ordnungsstandpunkt der Hauptmächte - freilich
nicht einheitlich. Die USA verfolgen schon immer und heute wieder mehr
denn je das Ziel, die Mullahs im Iran zu stürzen. Die alte Schmach,
als Besatzungsmach t aus dem Land geworfen worden zu sein, wirkt da nach,
vor allem aber trägt der Iran genauso wie der Irak zur Instabilität
des US-kontrollierten Nahen Osten bei: das macht die USA zum unversöhnlichen
Feind der Mullahs: Gegen Iran und Irak betreiben sie ein "dual containment".
Deutschland dagegen pflegt gar nicht so geringe Kontakte mit dem Land der
Mullahs, hat mit ihm viel Geschäft laufen und auch schon eine Diskussion
über Universalismus oder Kulturgebundenheit der Menschenrechte angefangen.
Im anderen Fall stützen Frankreich und die EU das algerische Militärregime
ziemlich unbedingt gegen die Fundamentalisten, die den dortigen Staat zu
übernehmen drohen; die "Stabilität des Mittelmeerraumes" ist
der alles entscheidende Gesichtspunkt. Diesmal fordern die USA den Dialog
mit den gemäßigten Kräften des FIS und wollen "den Islam
nicht diskriminieren". Als Bedrohung für das kapitalistische System
der Weltmächte, das sie gegen di e islamischen Glaubenskrieger zu
einem neuen Kreuzzug einigen und ihre Konkurrenz untereinander unterbinden
würde, ist der gläubige Antiimperialismus halt doch ungeeignet:
er ist kein politisches Weltsystem; die Nationen und Bewegungen, die sich
dazu bekennen, verfügen erstens nicht über die entscheidende
n industriellen und militärischen Machtmittel, um den Westen herauszufordern,
und sind zweitens untereinander zerstritten. Sie bleiben ein Gegenstand
der Konkurrenz und ein national verschieden wahrgenommenes Ordnungsproblem
im "Krisenbogen von Marrakesch bis Karatchi", wie unser Generalinspekteur
Naumann das ausdrückt.
"Die innenpolitische Dimension des Ordnungsproblems wird von den Mittelmeeranrainern
der EU, aber auch von Deutschland nicht weniger ernst genommen: Droht da
eine feindselige Politisierung "unserer" Ausländer? Neben den Verfassungsschutz,
der Ausländerextremismus unter Kontrolle h ält, und neben die
Ausweisung fundamentalistischer Aktivisten tritt der Versuch, dem falschen
Aufschwung der Religion auf dem geistigen Feld entgegenzutreten. Gegen
die Koranschulen, die eine für den Staat nicht mehr funktionale Religion
predigen, setzt das Land Nordrhein-Westfalen jetzt einen islamischen Religionsunterricht,
in dem der Staat für die richtige Auslegung des Koran sorgt. Man nimmt
den Kulturkampf im Erziehungswesen auf und sorgt für eine Gegenmanipulation,
die der Religion ihren Platz als Diener der Macht zuweist.