Sozialstaat
die Armutsverwaltung der kapitalistischen Gesellschaft


These 1: Selbst das Lob des Sozialstaats "Zum Glück leben wir in der Sozialen Marktwirtschaft, denn da hat der Staat den ungezügelten Kapitalismus in soziale Bahnen gelenkt" dokumentiert, dass soziale Maßnahmen nichts Gutes für die Leute sind, sondern die Verwaltung von deren Armut.

Der Staat wird dafür gelobt, dass er es ist, der die hiesige Wirtschaftsweise - den Kapitalismus - sozial-verträglich macht. Damit ist unterstellt, dass der Kapitalismus von sich aus nichts Soziales hat, sondern im Gegenteil - er ist es ja, der als korrekturbedürftig behauptet wird - dauerhaft Not und Elend hervorbringt.

Nun redet das Lob des Sozialstaats davon, dass der Kapitalismus dadurch einen sozial-verträglichen Charakter bekommt, dass der Staat ihn gegen seine Grundrechnungsart auf soziale Gesichtspunkte verpflichtet.
Wenn aber der Staat diese Armut produzierende Wirtschaftsweise nicht einfach abschafft, sondern bestehen lässt und um soziale Maßnahmen ergänzt, dann stellt er sich nicht nur gleichgültig gegen die Gründe der Armut. Er tut dann kund, dass es ihm um diese – unsoziale – Wirtschaftsweise zu tun ist, an der ihm bestimmte unsoziale Wirkungen zum Problem werden. Dann ist die Rechnungsweise des Kapitalismus aber auch das gewollte Prinzip und der Sozialstaat eine Zutat.

Die gelobten sozialstaatlichen Maßnahmen sind dann aber auch nicht die Veränderung des unsozialen Kapitalismus, sondern der Umgang mit seinen Wirkungen, also die Verwaltung der durch ihn hervorgebrachten Armut. Und der Sozialstaat selbst ist somit kein Dokument für die Zügelung oder Überwindung des Elend stiftenden Charakters des Kapitalismus, sondern ein Dokument für dessen Fortbestand – sonst müsste man gar nicht sozial sein.
Wenn schon das herkömmliche Lob des Sozialstaats wenig schmeichelhafte Sachen über ihn und seine Wirtschaft unterstellt, ist es nicht verkehrt sich einmal anzuschauen, worauf sich die sozialstaatlichen Maßnahmen beziehen, was deren Grund ist und was der Sozialstaat wie leistet.
 

These 2: Die sozialstaatlichen Maßnahmen dokumentieren, dass zur proletarischen Existenz die dauerhafte Infragestellung derselben dazugehört.

Dem Sozialstaat wird hoch angerechnet, dass er die Arbeitslosenversicherung, die Rentenversicherung, die Pflegeversicherung, die Sicherheit am Arbeitsplatz, den bezahlten Urlaub und die Krankenkasse, das Kinder- und Erziehungsgeld, das Wohngeld und die Hilfe zum Lebensunterhalt einrichtet und sich damit um die Wechselfälle des Lebens kümmert. Schaut man sich einmal an, worin denn diese Wechselfälle bestehen, wird man das Soziale gar nicht mehr für so lobenswert erachten:

- Arbeitslosenversicherung: Für Leute, die durch Arbeit ihr Geld verdienen, ist es offensichtlich gar nicht selbstverständlich, dass sie das auch können. Vielmehr sind sie ständig vom Verlust ihrer Einkommensquelle bedroht, weil andere über ihre Beschäftigung entscheiden. Dieser Verlust ist für Lohnarbeiter ein nicht bewältigbarer Schicksalsschlag, indem sie mit dem Einkommen jeglichen Auskommens verlustig gehen. Der Lohn sieht Rücklagen für solche Ausfallzeiten nicht vor.

- Rentenversicherung: Für Leute, die durch Arbeit ihr Geld verdienen, ist es offensichtlich ganz selbstverständlich, dass sie das irgendwann nicht mehr können. Die Arbeit hierzulande ist offenbar so organisiert, dass sie die Arbeitenden verschleißt, so dass sie dafür nicht mehr zu gebrauchen sind. Auch dieser endgültige Nichtgebrauch ist für Lohnarbeiter ein nicht bewältigbarer Schicksalsschlag. Auch hier entfällt mit dem Arbeitsplatz das Einkommen, und zum Zurücklegen hat der Lohn nicht gereicht. Und dass sicher ist, dass es eine beträchtliche Anzahl von Lohnarbeitern gibt, die die Belastungen des Arbeitslebens gar nicht bis zum Rentenalter aushalten, dokumentiert die Erwerbslosenrente.

- Pflegeversicherung: Für Leute, die durch Arbeit ihr Geld verdienen, wird offensichtlich damit gerechnet, dass Altern für sie Siechtum ist und sie zum Pflegefall werden, wenn sie nicht vorher sterben. Offenbar sind sie in ihrem Alltag, also im Betrieb, Strapazen ausgesetzt, die ihnen später das Laufen oder Atmen sehr schwer fallen lassen. Sie sind dann auf personelle und technische Unterstützung verwiesen, die sie sich aber nicht leisten können. Der Lohn kann ja auch nicht für alles reichen.

- Sicherheit am Arbeitsplatz: Für Leute, die durch Arbeit ihr Geld verdienen, ist der Arbeitsplatz offensichtlich ein gefährlicher Ort. Die Arbeiter müssen vor ihren Arbeitsinstrumenten (z.B. Maschinen) sowie ihren Arbeitsmaterialien (z.B. Chemikalien) und ihren Arbeitsbedingungen (z.B. Luft im Betrieb) in Schutz genommen werden. Offenbar sind die Arbeiter ihrem Arbeitgeber mehr auf Verderb als auf Gedeih ausgeliefert, wobei offensichtlich der Produktionszweck Leib und Leben des Arbeiters gefährden.

- bezahlter Urlaub und Gesundheitswesen: Dass Arbeit Vernutzung ist, dokumentieren auch die gesetzlich vorgeschriebenen Erholungszeiten, in denen das Beschäftigungsverhältnis für einige Zeit zwangsweise außer Kraft gesetzt wird. Damit der Arbeiter in dieser Zeit überhaupt Geld zum Leben hat, muss der Staat neben den Zwangspausen Regelungen für ein Ersatzeinkommen verordnen. Für Leute, die durch Arbeit ihr Geld verdienen, ist es offensichtlich auch ganz selbstverständlich, dass sie einen beträchtlichen medizinischen Aufwand brauchen, wovon Gesundheitswesen und Krankenkasse zeugen. Ihre Gesundheit, d.h. ihre physische Konstitution, ist also bei ihren normalen Tätigkeiten einem Dauerbelastungstest unterzogen. Die Entlohnung dieser Tätigkeiten lässt für sie Krankheitszeiten zur Notlage werden, so dass sie dann weder ihren Lebensunterhalt geschweige denn die medizinischen Kosten tragen können.

- Kinder-, Erziehungsgeld: Für Leute, die durch Arbeit ihr Geld verdienen, ist es offensichtlich ganz selbstverständlich, dass Kinder in erster Linie nicht tragbare Kosten bedeuten. Der Lohn reicht also nur mehr schlecht als recht für die Eltern, und wenn da einer von beiden wegen Aufzucht ausfällt, dann ist die Katastrophe vollends vorprogrammiert.

- Wohngeld: Für Leute, die durch Arbeit ihr Geld verdienen, ist es offensichtlich gar nicht selbstverständlich, dass sie sich ein Dach überm Kopf leisten können. So sind die Ansprüche von Wohnungsvermietern in Ballungsgebieten, also dort, wo sich üblicherweise ihre Brötchengeber ansiedeln, aus ihrem Lohn nicht zu bewältigen.

- Hilfe zum Lebensunterhalt: Für Leute, die auf Geldverdienen durch Arbeit angewiesen und dabei mit solchen Wechselfällen ihres Lebens wie (dauerhafter) Arbeitslosigkeit, Alter, Erwerbsunfähigkeit, Krankheit, Scheidung, Kindern, Wohnungsnot oder mehreren von ihnen konfrontiert sind, geben die sozialstaatlichen Maßnahmen offenbar nicht einmal eine Existenzgrundlage ab. Deren Lebensunterhalt ist dadurch keineswegs gesichert. Damit die überhaupt in dieser Gesellschaft überleben können, muss ergänzend oder als alleiniger Unterhalt ein staatliches Almosen organisiert werden, mit dem die Ärmsten der Armen ihr trostloses Dasein zu fristen haben. 

Die "Wechselfälle des Lebens", auf die der Sozialstaat reagiert, sind also weder Wechselfälle noch solche "des Lebens", sondern Normalität der proletarischen Existenz. Und diese Existenzgefährdungen schafft der Sozialstaat nicht aus der Welt, sondern verwaltet sie.
 

These 3: Die vom Staat lizensierte Kalkulation der Unternehmer ist der Grund für die Notlage seiner lohnabhängigen Untertanen.

Woher kommt es, dass Leute, die ihr Lebtag lang arbeiten, also lauter nützliche Sachen herstellen, nicht mehr davon haben als die Einteilung ihrer Not und die Ruinierung ihrer eigenen Gesundheit? Offenbar ist es so, dass ihre Arbeit gar nicht ihren Interessen, sondern fremden, die im Gegensatz zu den ihren stehen, dient. Welche Interessen das sind, ist allgemein bekannt: die der Arbeitgeber (oder auch kurz "die Wirtschaft" genannt, weil ihr Interesse halt das ökonomisch maßgebliche ist), deren Geschäft es ist, mit der Arbeit ihrer Beschäftigten ein Geschäft zu machen. Und weil nun einmal Unternehmer Arbeit eben nur dann und nur insoweit "geben", als sich für sie die Anwendung derer, die Arbeit "nehmen", rentiert, haben die Beschäftigten für den Geschäftserfolg geradezustehen: einmal mit ihrem Lohn, der für den Unternehmer Kostenpunkt ist, zum andern mit ihrer Ableistung von Arbeit, die die für den Verkauf bestimmten Produkte des Unternehmens herstellt, von der der Unternehmer als Quelle seines Gewinns also nicht genug haben kann, wenn er die Arbeiter schon bezahlt. Lebensstandard und Gesundheit der Arbeiter sind halt unverträglich mit dem ökonomischen Prinzip, in dem der private Geschäftserfolg das Maß abgibt.

Dieses ökonomische Prinzip installiert und schützt der Staat durch das Privateigentum: Er verordnet seiner Gesellschaft, dass alle brauchbaren Sachen und jedes Fleckchen Erde der exklusiven Verfügung von Privatpersonen unterliegen. Damit schafft er einerseits für den Teil seiner Untertanen, die vom Lebensnotwendigen, also von den Mitteln zur Herstellung der Güter für ihren Bedarf, ausgeschlossen sind, weil andere darüber exklusiv verfügen, den Zwang, zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes gegen Entgelt in fremden Diensten zu arbeiten. Andererseits verschafft er dem anderen Teil, der nicht bloß sich, sondern Produktionsmittel besitzen, die Freiheit, Arbeit immer dann und insoweit stattfinden zu lassen -, also Arbeiter anzuwenden -, wie diese zur Vermehrung seines Eigentums taugt. Der Staat schafft mit seiner Gewalt ein Produktionsverhältnis, in dem sich die Arbeit der einen als hinreichendes Mittel bewährt, die Kommandogewalt der anderen über die Arbeit zu vergrößern. Bleibende Grundlage und Resultat dieser vom Staat ins Recht gesetzten Wirtschaftsordnung ist der Ausschluss der Arbeiter von den Produktionsmitteln, d.h. ihre Armut.
 

These 4: Mit seinen sozialen Maßnahmen stellt der Staat die Funktionalität der Arbeiterklasse und deren Armut für das kapitalistische Geschäft her.

Der Staat richtet den Kapitalismus ein und damit den lebenslangen Verschleiß und die lebenslange Armut der Arbeiter. Wenn nun der Staat als Sozialstaat in seine kapitalistische Wirtschaft regelnd eingreift und sich dabei auf die Notlagen der Arbeiter bezieht, dann offensichtlich deshalb, weil der Kapitalismus seine eigene Grundlage - den Arbeiter - ruiniert. Der Staat hat dafür Sorge zu tragen, dass es diese Grundlage für den Fortgang des kapitalistischen Wirtschaftens überhaupt gibt:

Kapitalisten geht es um ihren Geschäftserfolg. Die Arbeit der lohnabhängig Beschäftigten hat für den Unternehmensgewinn und damit für dessen Wachstum zu taugen, ansonsten findet sie nicht statt. Die zweckmäßige Organisation dieser Arbeit besteht in der gewinnbringenden Einrichtung des Verhältnisses von Lohn und Leistung: für möglichst wenig Geld, also für einen möglichst geringen Lohn, möglichst viel Leistung abverlangen, also über den Arbeiter möglichst lange kommandieren und ihn dabei möglichst schnell arbeiten lassen. So kommt der Arbeiter im Unternehmenszweck rein negativ vor. Dass der Arbeiter vom Lohn leben muss, dass die Organisation seiner Arbeit als Leistungsverausgabung und sonst nichts seine unmittelbare physische Ruinierung bedeutet, ist sein Pech und nicht Bestandteil der unternehmerischen Kalkulation. Der Arbeiter ist nun einmal derart das Mittel des Unternehmenswachstums, dass das Unternehmen ihn rücksichtslos gegen ihn anwendet.

Dass in der Betätigung dieser Kalkulation die Kapitalisten nicht nur die Arbeiter dezimieren, sondern damit auch ihr eigenes Geschäftsmittel, veranlasst den Staat einzugreifen. Der will ja, dass Geschäfte gehen, und kann deshalb nicht zulassen, dass der haltlose Zustand der Arbeiter zum Ruin des Geschäfts führt. Für den Fortgang der Geschäfte muss der Staat der Geschäftspraxis seiner Kapitalisten die Rücksicht auf die Existenz ihres Geschäftsmittels aufzwingen. Er muss die Mittellosigkeit der Arbeiter, die sie zur abhängigen Variable des Geschäfts macht, und die Ruinierung ihrer Physis durch ihre Beschäftigung derart verwalten, dass die Existenz einer brauchbaren Arbeitermannschaft nicht durch das Geschäft gefährdet ist. Das Geschäft braucht nun einmal eine real-existierende Arbeiterklasse, die den Anforderungen des Geschäfts nachkommen kann - und das auch will, indem sie in ihrer Beschäftigung eine Perspektive für sich sieht.

Mit dem Sozialstaat kümmert sich der Staat um die Notlagen der Arbeiter und verhilft so der Arbeiterklasse allererst zu ihrer Existenz. Der Bezugspunkt für das sozialstaatliche Eingreifen ins Geschäft ist dabei nicht, was die Arbeiter brauchen - die sollen ja Geschäftsmittel sein und bleiben -, sondern die Kontinuität kapitalistischen Wachstums: Seine Arbeitermannschaft soll so verfasst sein, dass sie auch morgen noch kraftvoll rangenommen werden kann. Und genau das hat dann für die Arbeiter ihre Lebensperspektive zu sein!
 

Sozialstaat II
Die Sozialkassen - staatlich erzwungene Klassensolidarität


Der Staat stiftet mit seiner Gewalt ein Produktionsverhältnis, in dem die Arbeiter von den Verwirklichungsbedingungen ihrer Arbeit ausgeschlossen sind und diese ihnen als private Vefügungsmacht von Kapitalisten entgegentreten. Die haben in der Mittellosigkeit der Arbeiter das Instrument, über deren Arbeit zur Vermehrung ihres in Geld gemessenen Eigentums zu verfügen. Durch die Wirkungen der geschäftsmäßigen Erzielung von privatem Reichtum, bei der sich die Arbeiter als lohnende Kost zu bewähren haben, auf die Arbeitermannschaft sieht sich der Staat zum Eingreifen in das produktive Verhältnis der Klassen genötigt: Der Beruf des Kapitalisten, mit der Anwendung von Arbeit ein Geschäft zu machen, ruiniert die Arbeiter durch die geschäftsmäßig kalkulierten Löhne und durch die gewinnbringende Organisation und Dauer des Arbeitsprozesses und verunmöglicht damit den Beruf des Arbeiters, Mittel des Geschäfts zu sein. Der Staat, der an einem gedeihlichen Zusammmenwirken zwischen Kapitalisten und Arbeitern interessiert ist, muss um der Kontinuität des Geschäfts willen die lohnende Anwendung der Arbeiter durch die Kapitalisten beschränken, indem er dem Geschäft Rücksichten auf ihr Geschäftsmittel - die Arbeiter - aufzwingt. Mit dem Sozialstaat dient der Staat also beiden Klassen: der Kapitalistenklasse, indem er sich um die Voraussetzung kapitalistischen Geschäfts und Wachstums kümmert; der Arbeiterklasse, indem er der Klasse das Lohnarbeiterdasein ermöglicht.

These 5: 
Die sozialstaatlichen Maßnahmen beschränken die kapitalistische Geschäftstätigkeit um ihres Fortgangs willen, so dass der Staat seine Regelungen dem Gang der Geschäfte unterordnet.

Der geschäftsmäßige Umgang der Kapitalisten mit ihrem Geschäftsmittel, den Arbeitern, erfordert einiges an staatlichen Regelungen zur Erhaltung einer brauchbaren Arbeiterklasse:

Die Unternehmer haben in der Mittellosigkeit der Arbeiter den Hebel, die Kosten, die der Lohn für sie darstellt, zu senken. Da die Arbeiter auf die Lohnarbeit als Quelle der Bestreitung ihrer Existenz angewiesen sind, müssen sie zu jedem Preis eine Beschäftigung finden. Der Lohn würde nur zum flächendeckenden Verhungern der Arbeitermannschaft reichen, würde er allein dem "freien Markt", also der Erpressungsfähigkeit der Kapitalisten überlassen sein und sein freier Fall nicht durch staatliche Regulierungen (z.B. Zulassung von Gewerkschaften, Festlegung von Mindestlöhnen durch Tarifautonomie oder durch staatliche Gesetzgebung) beschränkt werden. Das kostet und muss deswegen den Kapitalisten durch Zwangsgesetz abgetrotzt werden.

Was die Arbeiter in den Fabriken zu tun haben, ist Sache der Unternehmer. Dass die ihre Freiheit, den Arbeitsprozess zu organisieren, dazu nützen, aus den Beschäftigten möglichst viel Leistung herauszuholen, würde zum unmittelbaren physischen Ruin der Arbeitskräfte führen, würde der Sozialstaat nicht die Arbeitszeit nach Dauer und Intensität (z.B. Pausen, maximale Dauer des Normalarbeitstages, 6-Tage-Woche, Urlaubsregelung) beschränken. Diese Beschränkungen vermindern die Leistung, die die Unternehmer für ihren gezahlten Lohn verlangen dürfen, und erhöhen so die Arbeitskosten. Deswegen muss das den Kapitalisten durch Zwangsgesetz abgetrotzt werden.

Die Unternehmer richten ihre Fabriken ein und organisieren den Produktionsprozess. Dabei kalkulieren sie die Bedingungen der Produktion (z.B. Gebäudegröße, Licht- und Luftzufuhr) und die Produktionsmittel (z.B. Maschinen, Rohstoffe, chemische Prozesse) nach Maßgabe der Rentabilität, d.h. finanzieller Aufwand nur dann und insoweit, als er für den Gewinn nötig ist. So würde das lebendige Inventar durch Unfälle, Vergiftungen, Erstickungen, Verbrennungen, ... und durch das Fehlen von sanitären Einrichtungen oder Pausenräumen ziemlich schnell seinen Geist aufgeben, würde der Staat die Berücksichtigung der Arbeiter durch Vorschriften über den Modus der Einrichtung von Arbeitplätzen (z.B. Schutzvorrichtungen für die Arbeiter, Hygiene, Luftzufuhr, maximale Konzentration von Gift in der Luft, Lärmschutz, WCs, Sozialräume) nicht einfordern. Das kostet und muss deswegen den Kapitalisten durch Zwangsgesetz abgetrotzt werden.

All die sozialstaatlich durchgesetzten Rücksichtnahmen auf den Fortbestand der Lohnarbeiterexistenz sind Abzüge vom und für das Geschäft. Für den Fortgang der Geschäfte muss der Staat die Geschäfte beschränken.

Weil der Geschäftserfolg, die Vermehrung des in Geld gemessenen Reichtums, der ganze Beweggrund des sozialstaatlichen Eingreifens ist, brechen sich die sozialstaatlichen Einrichtungen aber auch immer wieder am Geschäftserfolg: In allen gesetzlichen Regelungen reflektiert der Staat darauf, dass die Beschränkung des Geschäfts diesem ja nicht hinderlich sein soll. Deshalb gibt der Staat mit seiner Sozialgesetzgebung nicht nur an, unter welchen Bedingungen die Vernutzung und der Verbrauch der Arbeiterklasse durch das Geschäft vorzugehen hat, sondern er führt in seinen Vorschriften immer auch gleich die Bedingungen an, unter denen er diese Beschränkung des Geschäfts außer Kraft gesetzt sehen will. Einschlägig für die staatliche Einsicht in das Zulassen von "Ausnahmen" ist § 618 BGB: "Der Dienstberechtigte hat Räume, Vorrichtungen von Gerätschaften, die er zur Verrichtung der Dienste zu beschaffen hat, so einzurichten und zu unterhalten und Dienstleistungen, die unter seiner Anordnung oder seiner Leitung vorzunehmen sind, so zu regeln, dass der Verpflichtete gegen Gefahr für Leben und Gesundheit soweit geschützt ist, als die Natur der Dienstleistung es gestattet."

Weil nun einmal der Staat sich die Rücksichtnahme auf das Material der kapitalistischen Ausbeutung - die Arbeiterklasse - nur wegen des kontinuierlichen Wachstums leistet, ist es kein Wunder, dass Staaten, die über keinen erfolgreichen Kapitalismus kommandieren, sich keine sozialstaatlichen Einrichtungen leisten. Die haben nämlich alle Hände voll zu tun, überhaupt Geschäfte in Gang zu bringen.

These 6: 
Mit der Sozialkasse verpflichtet der Staat die Arbeiterklasse, für die Notlagen der proletarischen Existenz selbst aufzukommen, und schafft ihr damit eine Existenzgrundlage

Der Staat weiss um die Untauglichkeit der Erwerbsquelle Lohn und richtet mit den Sozialkassen (Arbeitslosen-, Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung) Vorkehrungen für die zeitweilige oder endgültige Erwerbs- und Einkommenslosigkeit der Arbeiter ein. Zur Finanzierung der Kassen verpflichtet er seine lohnabhängige Mannschaft, ein Drittel ihres Lohnes in die von ihm verwalteten Sozialkassen einzuzahlen. Er verordnet also, dass die Arbeiter selbst mit ihrem Lohn für die Notlagen ihrer Klasse zu haften haben. So setzt er seinen Beschluss um, dass die aufwendige Aufrechterhaltung der Arbeiterklasse keine Belastung für das Geschäft sein darf. Wenn es schon für das Geschäft nötig ist, die für es notwendige und aus ihm resultierende Armut zu verwalten, so sollen zumindest die Kosten dafür die Opfer selbst tragen.

Daß der Staat die Vorsorge für die Notlagen der proletarischen Existenz nicht der Privatinitiative der Lohnabhängigen überlässt, sondern die Sozialversicherungsbeiträge direkt an der Einkommensquelle als prozentualen Abzug vom Bruttolohn konfisziert, zeugt von der Gewissheit des Staates, dass sich die Lohnabhängigen nicht freiwillig versichern können. Denen darf man den Teil des Lohns gar nicht aushändigen, der für die sicher eintretenden Zeiten der Erwerbslosigkeit "zurückgelegt" werden soll. Ihr Lohn reicht nun einmal nicht zum Leben, geschweige denn zur vorsorglichen Einschränkung ihrer Lebensführung.

Mit dem zwangsweisen Einzug der Sozialversicherungsbeiträge zwingt der Staat die Lohnabhängigen, bei der Bestreitung ihrer Existenz so zu sparen, dass das Geld für die Notlagen ihrer Existenz (Erwerbslosigkeit, Alter, Krankheit, Siechtum) doch noch reicht. So dient der Staat mit den Sozialkassen der Arbeiterklasse darin, dass er den Lohn, der schon so nicht zum Leben reicht, durch Zwangseinzug und Streckung auf die gesamte Klasse und Lebenszeit zur Existenzgrundlage für sie macht. Durch den doppelten Zwang zum Opfer, das man als Erwerbstätiger für die Notlagen der Arbeiterexistenz aus dem Lohn zu erbringen hat, und das man als erwerbsloser Kassenfall ist, - also durch die Kollektivierung der Not innerhalb der Klasse, verhilft der Sozialstaat den Arbeitern dazu, dass Lohnarbeit überhaupt geht.

These 7: 
Mit den Sozialkassen definiert der Staat nach seinen Kriterien, wie die Vorsorge für die proletarischen Notlagen aussieht.

Der Staat verwaltet mit den Kassen nicht nur das, was vom Lohn abgezwackt werden muss, sondern legt auch fest, welche Leistungen wer wann und wie bekommt

Die Sozialversicherungen sind eben keine privatwirtschaftlichen Versicherungen, bei denen Versicherungsnehmer und Versicherung über Modus und Höhe der Einzahlungen und Auszahlungen kontrahieren, so dass dann der Versicherungsnehmer sich durch seine Einzahlungen einen Anspruch auf bestimmte festgelegte Leistungen erwirbt. Vielmehr erwirbt der Lohnabhängige mit der Einzahlungspflicht in die Sozialkassen nur einen Anspruch auf Berücksichtigung beim Empfangen von Leistungen, deren Art, Dauer und Höhe vom Staat je nach Kassenlage festgesetzt werden, die also davon abhängen, was die Klasse insgesamt einzahlt.

Dass trotz dieser Trennung von (individuellem) Einzahlen und Anspruch auf bestimmte Leistungen der Staat bei der Arbeitslosen- und Rentenversicherung die Leistungen der Kasse an das Einzahlen rückkoppelt, hat schon seinen Sinn: Er macht sich zum Prinzipienreiter des Leistungsprinzip, gerade weil es für das Sozialversicherungswesen nicht konstitutiv ist. So besteht er zum einen darauf, dass Leistungen nur diejenigen bekommen, die es sich auch verdient haben. Er legt eine bestimmte Mindesteinzahlzeit und -höhe fest, die man erreicht haben muss, um überhaupt in den Genuss von Leistungen kommen zu können. Zum anderen will er, dass unterschiedliche Leistungen Abstufungen begründen. Er bestimmt eine gewisse Einzahldauer und -höhe als Qualifikation dafür, den Vollanspruch überhaupt zu bekommen. Die tatsächlichen Einzahlungen fungieren dann als größerer oder kleinerer Abzug von diesem Vollanspruch. Das "Leistungsprinzip" gilt für die Sozialversicherungen nicht positiv, sondern nur negativ – Abzüge begründend: Mehr als den Höchstanspruch gibt es nicht, auch wenn man mehr und länger eingezahlt hat.

Dagegen sieht der Staat im Gesundheitswesen von dieser Prinzipienreiterei ab, geht es doch dort unmittelbar um die Erhaltung der Brauchbarkeit seiner Mannschaft durch die medizinische Betreuung ihrer durch das Arbeitsleben arg ramponierten physischen Voraussetzungen.

Bei der Verwaltung der Auszahlungen aus den Kassen legt der Staat seine Kriterien an: Er bestimmt darüber, was die Existenzgrundlage des Lohnarbeiterdaseins zu sein hat. Ob der Zahnersatz dazugehört, was als Kassenleistung gilt, wieviele und welche Umschulungen ein Arbeitsloser zu machen und auf welche Jobs er sich zu bewerben hat, wie die Armut im Alter ausschaut und wann man diese genießen darf, welche Unterbringung für die Siechen angebracht und wer für deren Pflege zuständig ist, verdankt sich dem, was der Staat für seine Arbeitermannschaft und deren Beruf, Geschäftsmittel zu sein, als nötig und für deren "Lebensqualität" als angemessen erachtet.

Und weil es der Staat ist, der seinen lohnabhängigen Untertanen die Sozialkassen spendiert, hat er mit ihrer Verwaltung ein geeignetes Instrument, bei den Auszahlungen sonstige nationale Drangsale in Rechnung zu stellen: Da müssen dann Arbeitslosen- und Rentenkasse für revanchistische Ansprüche (Aussiedler) oder den gelungenen Revanchismus (Eroberung der DDR) herhalten oder die Krankenkasse familien-(Einschluss des Ehegatten und der Kinder) oder wirtschaftspolitischen (Förderung der Pharmaindustrie) Gesichtpunkten genügen.

These 8: 
Mit den Sozialkassen schafft der Staat den Automatismus: Je prekärer die Lohnarbeit, desto weniger Geld für die proletarischen Notlagen.

Mit der Einrichtung der Sozialkassen verordnet der Staat, dass für die proletarischen Notlagen nur das an Geld zur Verfügung steht, was der Staat in Form der Sozialversicherungsbeiträge vom Lohn konfisziert. Damit entsprechen dem steigenden Beanspruchungsbedarf - mehr Lohnabhängige sind zeitweise oder endgültig unbrauchbar - sinkende Einnahmen - die Unbrauchbaren verdienen nichts -, da sich nun einmal Einzahler und Leistungsempfänger aus demselben Personenkreis mit demselben Schicksal rekrutieren. Der Staat hat also mit den Kassen folgende Logik eingerichtet: Je weniger Arbeiter für das Geschäft rentabel sind, desto weniger steht für die Aufrechterhaltung der proletarischen Existenz zur Verfügung bzw. desto mehr verarmt die Arbeiterklasse, die Aktiven durch Beitragserhöhungen, die Inaktiven durch Leistungskürzungen.

Wenn die Unternehmer reihenweise Arbeiter entlassen und sich damit Lohnkosten ersparen, nehmen die Sozialkassen einerseits weniger ein, und sind andererseits mit mehr "Anspruchsberechtigten" konfrontiert. Dann steht die "Rettung der Sozialkassen" an: Weil der staatliche Unwille, Steuergelder für die Notlagen der proletarischen Existenz zu verschleudern, in den Sozialkassen schon längst als die sachliche Notwendigkeit existiert, Einnahmen und Ausgaben dieser wundervollen Einrichtungen zur Deckung zu bringen, gibt es das staatliche Diktat, dass aus dem bezahlten Lohn und sonst nichts das Kollektiv der Arbeiter durchgebracht zu werden hat, jetzt tatsächlich als selbständige Drangsal der Kassen, mit ihren Einnahmen klarzukommen - ganz so, als ob sich diese "Lage" der Sozialkassen nicht sozialstaatlichem Wirken verdanken würde!

Deswegen kann sich der Staat auf dieses institutionalisierte Dasein seines Zwecks als "Kassenlage" berufen, die jetzt sein Eingreifen nötig macht! Obwohl der Mechanismus der Sozialkassen vom Staat nur gemäß seiner Absicht, die Arbeiter kollektiv für ihr Klassenschicksal haften zu lassen, eingerichtet ist, bezieht sich der Staat auf jedes Mißverhältnis von Einnahmen und Ausgaben als "Kassenproblem", das unabhängig von ihm existiert und stellt die Kassen bzw. sich - er ist ja deren Verwalter! - als Opfer dar. Und wenn der Staat sich als Opfer präsentiert, ist klar, dass er welche macht: Beitragserhöhungen und Leistungssenkungen, also mehr Armut für die Lohnabhängigen, stehen an.

These 9: 
Mit der erzwungenen Klassensolidarität verwandelt der Staat die Schädigungen des Geschäfts in lauter Gegensätze innerhalb der Arbeiterklasse.

Der Staat verwaltet mit den Sozialkassen die Notlagen der proletarischen Existenz und bestimmt, dass die Lohnabhängigen selbst dafür aufzukommen haben. Indem der Staat die Kassen so organisiert, dass für die Fährnisse der (zeitweilig oder endgültig) außer Lohn und Brot Gesetzten die arbeitenden Arbeiter mit Abzügen von ihrem Lohn geradezustehen haben, verwandelt er alle Existenzbedrohungsen, die aus dem geschäftsdienlichen Gebrauch der Lohnarbeiter erwachsen, in ein rechtlich geregeltes Verhältnis zu den Kassen.

Da ist dann die Arbeiterklasse in Arbeitende, Erwerbslose, Kranke, Alte, Invaliden, Frauen und Männer, ... unterteilt. Jeder (zeitweilige oder dauerhafte) Angehöriger einer dieser Untergruppen des Proletariats hat spezifische Rechte und Pflichten gegenüber den Kassen und vermittels der Kasse gegen seine Klasse, d.h sowohl gegen die eigene Untergruppe als auch gegen die anderen: Da macht sich dann die steigende Arbeitslosigkeit als zunehmender Abzug vom Lohn (Beitragserhöhung), von der Rente (Ausfall in den Rentenkassen) und direkt vom Arbeitslosengeld bemerkbar. Oder die intensivere Vernutzung der Leute (Frühverrentung) ist da ein Problem für Rentner, Lohnempfänger und für die Krankenkassen und deren Klientel. Alle Schädigungen, die das Geschäft den Arbeitern zufügt, werden dadurch, dass der Staat mit den Kassen beschließt, der Lohn muss für die gesamte Klasse reichen, in einen praktischen Gegensatz zwischen den Arbeitern verwandelt. Und wegen dieser vom Staat mit den Kassen eingerichteten Gegensätze in der Arbeiterklasse tut der sich leicht, zur "Rettung der Sozialkassen" den Arbeitern Opfer abzuverlangen. Er verweist nicht nur auf die "Notlage" der Kassen, sondern spielt – im Namen der Gerechtigkeit! - die Protagonisten der von ihm installierten Gegensätze gegeneinander aus: Ja wenn die Jungen so viel an die Rentenversicherung abdrücken müssen, dann können doch die Alten nicht auf Besitzstandwahrung machen, usw. usf.