Uni Göttingen, ZHG 008, 12. Juni '95, 18.30 Uhr

Podiumsdiskussion


Eingangsstatements

Helga Schuchardt

Ich möchte zunächst zu der Frage ,,Müssen wir sparen?'' und zur Umstrukturierung in Niedersachsen eingehen und genau darauf, aus meiner Sicht logischerweise, Antworten geben.

Zunächst hoffe ich, daß sie mir unterstellen, daß ich nicht aus Raffgier spare, sondern daß man es deshalb tut, weil die finanzielle Situation so ist, wie sie ist. Und ich gehe davon aus, daß sie mir das unterstellen, denn Politiker geben allemal lieber Geld aus, als daß sie mitteilen müssen, was alles nicht mehr läuft.

Zur Situation: Wir haben in Niedersachsen im Haushalt eine mittelfristige Planung. Und die mittelfristige Planung für die Jahre 1992 bis 1996 erwartete eine Einnahme von 33,9 Mrd. DM. Tatsächlich sind es 28,9, also 5 Mrd. DM weniger als das worauf wir uns 1992 glaubten einstellen zu können. Dafür gibt es objektive Gründe: Einmal ist Niedersachsen nicht abgekoppelt, sondern ist Teil einer globalen Entwicklung. Zweitens ist Niedersachsen ein Teil der Bundesrepublik Deutschland, in der sich plötzlich ein paar Millionen mehr die im wesentlichen gleichen Ressourcen teilen müssen und das hat seine Konsequenzen. Und das ist auch richtig so, daß es so ist. Wir haben eine Schuldenentwicklung in diesem Land, die nicht ganz so schlimm ist wie beim Bund, denn inzwischen werden 25% des Bundeshaushalts in Zinsen umgesetzt. Wir sind nur bei 11% und wir sind wild entschlossen, diese Protzentsätze möglichst nicht steigen zu lassen, weil das natürlich immer auch die verfügbaren Mittel für andere Bereiche reduziert.

Ich weiß, daß bei Ihnen die Diskussion darüber geht, daß sie sagen: ,,Ja wenn das so ist - wollen wir vielleicht auch gar nicht leugnen -, dann müssen die Prioritäten natürlich so gesetzt werden, daß der Bildungsbereich nicht tangiert ist.'' Nun muß man wissen, daß Bildung eine der Hauptaufgaben des Landes ist. Wenn ich den Schuldendienst nicht mitrechne, d. h. die Gelder, die wir an die Bank zurückzahlen müssen, denn die können wir ja nicht für andere Dinge ausgeben, dann sind wir bei knapp 30% Ausgaben im Bereich Bildung. Das umfaßt alles von Kindergärten bis zu Erwachsenenbildung einschließlich der Hochschulen. Ich denke, da sieht man bereits, daß angesichts einer solchen Situation, man diesen Bereich nicht außenvor halten kann, zumal, wenn man davon ausgeht , daß z. B. im Bereich der allgemeinen Bildung, also des Schulbereichs in Niedersachsen, unabhängig von der jeweiligen parteipolitischen Dominanz in diesem Land, diese höher ist als anderstwo, d. h. wir sind, was die Qualität betrifft deutlich im oberen Drittel zu finden und andere Länder, die wir im Augenblick wegen ihres Reichtums beneiden, z. B. Bayern, liegen im unteren Drittel. Insofern sieht man, daß in Niedersachsen Bildung keineswegs zweitrangig eingestuft wird und dabei wollen wir im Prinzip auch bleiben, aber untangiert kann dieser Bereich nicht bleiben.

Wir sind dauerhaft in dieser Situation und darauf müssen wir uns einstellen: Neues, was dringend notwendig ist - und das weiß jeder, der an einer Universität ist, daß man praktisch immer wieder neues entstehen lassen muß - heute nicht mehr allein aus dem Wachstum heraus möglich ist, sondern man muß gleichzeitig auch sagen, was man auf der anderen Seite meint, sich nicht mehr leisten zu können. Das heißt, wir sind in der Situation, daß wir auf der einen Seite Entwicklungen zulassen oder ermöglichen und auf der anderen Seite Einschränkungen beim Namen nennen müßen.

Und nun kann man einen bequemen Weg suchen, oder man kann einen unbequemen Weg gehen. Ich habe einen gewissen Hang zum unbequemen Weg. Ich hätte folgendes tun können: Jeder wird einsehen, angesichts der sich so verändernden Situation, daß wir selbstverständlich bei der Hochschulentwicklung und auch bei der Fachhochschulentwicklungsplanung zusätzliche Stellen, die wir uns vorgenommen haben, nicht mehr leisten können. Ich hätte sagen können: Der Bund stellt die Finanzierung des Hochschulsonderprogramms, das berühmte Möllemann I und daraus wird eine ganze Reihe von Mitarbeitern hier an der Universität finanziert, Ende dieses Jahres ein und und das Land übernimmt keine Gegenfinazierung. Schließlich haben auch wir nicht einen unerheblichen Anteil von Landesüberlaststellen, die wir nicht mehr brauchen, wenn die Überlast langsam davongeht, so daß wir auch diese Mittel einstellen könnten. Jeder hätte gesagt, das sieht man ein, und keiner hätte davon geredet, daß hier in Niedersachsen besonders gespart werden würde. Damit hätte aber praktisch das Einsparvolumen schon erreicht werden können.

Wir haben uns entschieden, den unbequemen Weg zu gehen, d. h. diese Mittel zu erhalten, nämlich den Landesanteil der Hochschulsonderprogramme, soweit aus Bundesmitteln, die unverzichtbar sind, aus dem Landesüberlastprogramm zu übernehemen und die Hochschulentwicklungsplanung weitergehen zu lassen. Dazu aber parallel ein Kürzungsprogramm - kein Sparprogramm - weil wir das Geld, das überigbleibt, nicht auf die hohe Kante legen, sondern wir haben es nicht. Wir haben versucht, das Hochschulstrukturkonzept auf eine sachliche Ebene zu stellen, die wie wir finden einsichtig sein muß. Und das sieht man ein, werden Sie natürlich auch gleich sagen, aber wenn es dann auf die einzelnen Fachbereiche runtergebrochen wird dann sieht man es wieder nicht ein.

Wir haben sechs Kriterien entwickelt, die sich als stichhaltig erwiesen haben:

Erstens: Wir wollen prüfen, wo wir mit unseren Kapazitäten deutlich über dem Bundesdurchschnitt liegen und dies aus wirtschaftsstrukturellen Gegebenheiten und aus der Arbeitsteilung zwischen den Ländern nicht gerechtfertigt ist.

Zweitens: Wir haben nachgeprüft, wo die Nachfrage dauerhaft zurückgegangen ist. Und das ist für mich ein Beweis dafür, daß wir an den Hochschulen noch ganz viel zu verändern haben, weil wir bestimmte Bereiche, in denen die Nachfrage in der Vergangenheit nicht vorhanden war und in Zukunft auch nicht entstehen wird, trotzdem in der ganzen Breite aufrechterhalten haben. Drittens: Bereiche, in denen der wirtschaftliche Wandel eine Reduzierung erlaubt. Es gibt bestimmte Bereiche, die werden heute nicht mehr nachgefragt, weder in der Forschung noch in der Lehre.

Viertens: Bereiche, die bereits jetzt eine Mindestgröße unterschritten haben. Ich denke, daß man es an den Hochschulen nicht akzeptieren kann, daß es Fachbereiche gibt, die ausgeplündert werden. Es gab auch hier in Göttingen einen, nämlich den Fachbereich Erziehungswissenschaften, den habe ich geschlossen und das ist sicherlich nicht der einzige, der an Universitäten ausgeplündert wird. So hat auch der Erziehungswissenschaftliche Fachbereich in Hannover nur noch eine Anfängerkapazität von 181 Studenten und das heißt, daß sich die Universität aus diesem Fachbereich bedient hat und irgendwann bekommt dann der Fachbereich eine unterkritische Ausstattung. Es gibt noch weitere Beispiele in denen das der Fall ist, und ich denke daß man den Hochschulen abverlangen muß daß sie hier einschreiten. Falls sie dazu nicht in der Lage sind muß das Ministerium selbst hier ersatzweise die Verantwortung übernehmen. Das heißt: Wenn es kein seriöses Angebot mehr für Studienplatznachfrager gibt, und wenn Studiengänge angeboten werden, die nicht mehr in einer wissenschaftlich ausreichenden Breite ausgestattet sind, dann müssen diese Fachbereiche geschlossen werden. Das betrifft nicht nur den Fachbereich Erziehungswissenschaften, sondern auch andere Fachbereiche.

Fünftens: Standortübergreifende Vergleiche. Es gibt Universitäten bzw. Fachbereiche, die eine deutlich bessere Stellenausstattung haben, als andere Universitäten, nicht nur im Bundesvergleich, sondern auch in Niedersachsen. Hier muß geprüft werden, welche Ursache das hat und ob das überhaupt gerechtfertigt ist. Das heißt, wenn sich bei einem Leistungsvergleich eine Seite als überausgestattet herausstellt dann muß das Konsequenzen haben.

Sechstens: Im Laufe der Zeit, je älter eine Universität, desto mehr, gibt es sogenannte verdeckte Kapazitäten. Hier ist wissenschaftlicher Mittelbau von Forschung und Lehre freigestellt um bestimmte Tätigkeiten auszuüben, die teilweise noch aus dem letzten Jahrhundert begründet sind. Dies wurde zum Teil bis in die heutige Zeit beibehalten, aber wenn es darum geht Ausbildungskapazitäten zu schaffen, dann können wir uns diese Stellen nicht mehr leisten und müssen sie abbauen. Der Unterschied zwischen den Hochschulen ist hier zum Teil dramatisch.

Dies waren die 6 Kriterien unseres Kürzungsprogramms und natürlich hat die Politik und dafür läßt sie sich auch wählen, die Verantwortung für die Punkte zu leisten, die ich eben quantitativ angesprochen habe. Aber damit das Kürzungsprogramm qualitativ umgesetzt werden kann bedarf es der Mithilfe der Hochschulen. Deshalb bin ich sehr froh darüber, daß sich die Hochschulleitungen nach ersten grundsätzlichen Gesprächen bereiterklärt haben über die jeweiligen Quantitäten, die die einzelnen Hochschulen zu erbringen haben, zu reden. Und gemeinsam versuchen wir dann anhand der obigen Kriterien, die einvernehmlich waren, das Optimum für die einzelnen Universitäten zu erreichen. In diesem Zusammenhang ist der Vorwurf der Kollaboration von Herrn Schreiber zu sehen, doch damit muß er leben können, aber ohne eine Zusammenarbeit können wir für die Universitäten nichts erreichen.

Zum letzten Punkt: Wir werden ausgehend von der jetzigen Situation, wenn das Strukturprogramm umgesetzt worden ist, uns darüber unterhalten müssen, ob das derzeitige Finanzierungskonzept der Hochschulen, das festbetonierte Finanzierungskonzept, überhaupt weiter funktionieren kann. In anderen Ländern ist das längst nicht mehr der Fall, sondern nur noch in Deutschland glaubte man sich ein solches Finanzierungskonzept leisten zu können. Wir machen uns nun zusammen mit den Hochschulen Gedanken, wie man leistungsbezogene Zuschüsse an die Hochschulen gestalten kann. Das heißt, Anzahl der Studienplätze, Studienerfolg und Forschungsleistung sollen zukünftig bei der Verteilung der öffentlichen Mittel eine Rolle spielen. Hier sind wir noch sehr am Anfang, aber ich gebe folgendes zu bedenken: Wenn wir es nicht schaffen, ein Hochschulsystem mit insgesamt flexibleren Finanzierungs- und Leistungsstrukturen zu konstruieren, dann werden wir in 10 Jahren wieder in einer ähnlichen Situation sein. Wir müssen Entscheidungsstrukturen erreichen, die es uns ermöglichen von Jahr zu Jahr neu zu entscheiden, was Neues möglich ist und was nicht mehr möglich sein wird. Vor dieser Entscheidung können wir uns in den 90er Jahren und in das nächste Jahrtausend hinein überhaupt nicht mehr drücken. Es ist viel unbequemer, als zu der Zeit, in der ich angefangen habe Politik zu betreiben. Damals redeten wir von Expansion und Reform und ähnlichem mehr. Das war eine schöne Zeit und ich wünsche mir sie manchmal zurück, aber davon sind wir weit entfernt. Aber wenn Reformen nur möglich sind, wenn Geld da ist, nicht nur wenn kein Geld da ist, dann können wir uns aus der Politik verabschieden und das hatte ich eigentlich nicht vor.

Hans-Ludwig Schreiber

Ich darf zunächst sagen, daß ich Einsparungen im universitären Bereich für kontraproduktiv und falsch halte. Ich darf Gerhard Schröder zitieren, der gesagt hat - damals war ich Staatssekretär nach der Universitätskrise und saß hinter meinem Minister, dem Vorgänger von Frau Schuchardt auf der Ministerbank und sackte immer mehr in mich zusammen, als er sagte: ,,Das sind die letzten Dösbaddel, die hier im Bildungsbereich sparen. Das bringt ja gar nichts. Erstens es bringt nichts und zweitens ist es kontraproduktiv.''

Also die Auffassung vertrete ich weiterhin auch, gerade im Interesse unserer Universität. Auf der anderen Seite sitze ich hier als ,,Kollaborateur'' und ich bekenne mich auch zu dieser Rolle. Wir haben mit der Ministerin um die Einsparungen gerungen, das können sie mir glauben, und wir haben viel getan. Wir haben erhebliche Fehden gehabt.

Wir haben den Vorwurf des AStA gehabt, daß wir überhaupt mitmachten, überhaupt redeten über Einsparungen.

Sicher, es ist so, wenn man überhaupt über die Einsparungen redet, dann wird man irgendwie in das System einbezogen und dann wird man auch daran mitschuldig. Aber dazu bekenne ich mich, daß wir das mußten und daß wir dabei doch einiges haben verhindern können. Die Universität Göttingen stand im Visier aller andern Universitäten bei den Einsparbemühungen. Wir sind alt, verblichen, nicht mehr auf der Höhe der Zeit, haben die dicksten Ressourcen, haben Speck auf den Rippen - überall. Ich habe dem entgegnet, sie sollen nicht vom Präsidenten auf die Universität schließen.

Wir sollten 14-15% unserer Ressourcen abgeben und nun sind es 8%.

Göttingen galt als das Paradies, in dem viel zu holen war. Sicher, Göttingen ist in manchem ein Stück besser ausgestattet und es hat zwischen den Universitäten die heftigsten Schlachten gegeben. Man hat gesagt Göttingen hat 25% mehr Biologiestudenten, aber 50% mehr Ressourcen. Das ist richtig, aber, die anderen, die damit verglichen wurden - Osnabrück und Oldenburg -, sind Ausbauruinen, die so Elend dran sind, daß man da nicht richtig unterrichten kann. Und wir haben erbittert darum gekämpft, daß wir hier nicht zum Ausschlachtungsort würden, bei dem man die Ressourcen herausholt, um es im ganzen Land so schlecht zu machen, wie es in anderen Einrichtungen auch schon ist. Ich habe gesagt, es solle nicht mit dem Rasenmäher gespart werden, d. h. daß man nicht jedes Pflänzchen, das auch nur 2 Zentimeter seinen Kopf über die niedersächsische Tiefebene heraushebt, auch noch abscheren sollte. Das sollte geschehen nach dem Willen auch vieler Universitäten, die sich jetzt anstellen, wenn sie jetzt 2,5% abliefern sollen, wogegen wir 10% abliefern müssen. Das ist ein sehr harter und unproduktiver Eingriff. Wir werden in vielen Gebieten schwerst dadurch geschädigt. Wir werden gezwungen, die Hilfskraftdotation zurückzufahren. Wir können Berufungen nur noch in sehr engen Grenzen durchführen, weil wir die Mittel, die wir dafür gewinnen - aus zeitweise freien Stellen - abgeliefern werden müssen. Das alles ist für uns außerordentlich übel. Ich muß sagen, am schlimmsten trifft es den Fachbereich Wirtschaftswissenschaften. Da zieht man nämlich alle Überlastmittel ab, obwohl die Studenten noch da sind. Und sie sollen reduziert werden - das ist wahrscheinlich auch nicht unvernünftig - sie sollen umgeleitet werden auf die Fachhochschulen, weil der Fachbereich so groß und immobil geworden ist, daß man mit ihnen überhaupt nicht mehr arbeiten kann. Und jetzt werden alle Überlastmittel abgezogen und dann stehen die Studenten da. Wir werden große Einbrüche haben in vielen Gebieten. Wir haben uns aber trotzdem entschlossen, bei dem Einsparkonzept mitzumachen. Wir können uns vor der Einsicht nicht verschließen, daß die staatlichen Finanzen zur Zeit in erheblicher Bedrängnis sind, die ja auch andere ganz wichtige Bereiche betreffen, und da können die Hochschulen ihren Teil wahrscheinlich nicht einfach verweigern. Das Geld wird uns sonst sowieso auch weggenommen werden und ist jetzt schon weggenommen worden - etwa die 2% Stellen die wir in diesem Jahr abliefern müssen, die sind in der Geldzuweisung schon von vornherein in Abzug gebracht worden - immerhin 4 Mio. DM. Wir müssen weitere 6 Mio. globale Minderausgaben abliefern - also 10 Mio. in diesem Jahr insgesamt. Wenn wir uns überhaupt nicht darauf einlassen würden, zu versuchen, die Einsparungen so wenig schädlich für die Studenten, so wenig schädlich für die Universität zu machen, dann würden wir, glaube ich, den Studenten und der Universität einen Tort antun und uns falsch verhalten. Darum haben wir versucht zu kollaborieren und zu sagen, ,,die 293 Stelleneinheiten, die wir abgeben müssen, sollen so verteilt werden, daß es möglichst wenig Schaden anrichtet.'' Und ich verstehe, daß man in einigen Bereichen auch durchaus einige Stellen einsparen kann, in Bereichen, in denen es einen massiven Rückgang der Studentenzahlen gegeben hat etwa - bei den Agrarwissenschaften, in der Geologie und in der Physik - dort hat es massive Rückgänge gegeben und dort kann man etwas einsparen. Aber was von uns jetzt abverlangt wird, ist viel zu viel. Wir kommen im nächsten Jahr in unrettbare Schwierigkeiten, wenn wir monetär abliefern müssen. Uns wird jedes Jahr 2% der Mittel für Stellen weggenommen - ob wir Stellen abliefern können oder nicht. Das ist ein Mechanismus und da versuchen wir die Stellen abzuliefern, bei denen es uns so scheint, als würde es am wenigsten weh tun. Wir machen auch Projektionen auf die Zeit nach der Jahrtausendwende, um dann möglicherweise Stellen, die wir heute abgeben müssen, dann wieder ersetzen zu können - z. B. eine zweite Professur in Anthropologie oder etwa auch ein zweite Professur im Englischen, die in Abgang gestellt wird. Es bewegt sich ja gar nicht so viel. Ich habe vor einiger Zeit öffentlich gesagt, ,,alles was sich bewegt wird erschossen'' und da ist was dran - das ist nicht ihr Vergnügen Frau Ministerin, bloß das Elend für uns ist es - die Stellen, die möglicherweise als entbehrlich gedacht werden könnten, sind nicht frei, sondern werden es erst im nächsten Jahrtausend. Es sind aber die allerwichtigsten Stellen, die uns weggenommen werden, weil sie jetzt frei werden.

Und daher haben wir an einem Einsparkonzept gearbeitet, weil wir nicht der illusionären Meinungen sind, Geld könne man bei den Banken - etwa durch Verstaatlichung oder ähnliche Operationen - holen, sondern weil wir meinen, im Kampf, der Auseinandersetzung um das richtige Sparkonzept ist etwas zu erreichen.

Ich meine daß in den Bildungsbereich mehr hinein sollte, aber die Vorstellungen, die hier neulich verbreitet worden sind, sind schlicht naiv: man müsse eben nur zu den Banken und zu den Unternehmen gehen und da habe man schon genügend Geld, wenn man das sozialisiere. Manche wollen auch schlicht einen anderen Staat, der sehr viel schlechter wäre.

Wir versuchen, mit möglichst wenig Schaden aus der Geschichte herauszukommen. Wir kämpfen um jede Stelle und versuchen die Universität vor der Katastrophe zu bewahren. Und deswegen machen wir mit beim Sparkonzept - nicht aus Freude und nicht weil wir es für richtig halten, sondern nur um die Universität vor schwerstem Schaden zu bewahren. Ich habe lange überlegt, ob ich das überhaupt weiter mitmachen könnte und ich bin nicht aus Freude und nicht aus Bequemlichkeit in diesem Amt geblieben, sondern weil ich gemeint habe, jetzt sei es für die Universität besonders schwierig und ich dürfte mich nicht davor drücken. Wir befürchten nun, daß noch weitere Einsparungen auf uns zu kommen, denn 2,1 Mrd. fehlen Niedersachsen 1996. Da ist dann meine Frage, was soll denn da noch passieren? Auf unseren Knochen ist jetzt gar kein Fleisch mehr. Soll das jetzt auch noch abgeschnitten werden? Dann müßten wir schließen. Wir haben im November mal überlegt, ob wir nach dem Beispiel einer anderen Hochschule, die das machen wollte, auch schließen sollten. Wir konnten damals unsere Stromrechnung nicht bezahlen. Leider haben uns die Elb-Werke Kredit gegeben. Wir hätten sonst vielleicht mal eine Woche zumachen können, um unsere Not zu demonstrieren. Wir haben uns aber auch gedacht, das dürfen wir einfach auch im Interesse der Studenten nicht tun, denn die haben das Interesse ihre Ausbildung auch weiterhin durchführen zu können. Dafür setzen wir uns ein und dafür kämpfen wir und dafür beschimpfen wir uns dann auch gelegentlich, wenn Göttingen als der Hort der Seeligen angesehen wird. Wir sind nicht der Hort der Seeligen, wir sind eine außerordentlich lebendige und leistungsfähige Hochschule. Die Kennziffern, die in einigen Bereichen erhoben worden sind, zeigen, daß hier billiger ausgebildet wird - schneller, billiger und erfolgreicher als in anderen Hochschulen. In manchen Bereichen durchaus, wenn sie etwa die Physik nehmen - allerdings wenn sie Teile der Germanistik nehmen, da sieht's nicht ganz so gut aus. Aber die Studienbedingungen sind doch auch wirklich miserabel, wenn man das Verhältnis von Lehrenden zu Lernenden sieht.

Deswegen werde ich müde zu sagen, wenn man sieht wie wenig Bücher in den Seminaren, z. B. bei den Juristen da sind, dann sind die Bedingungen wirklich elend und mich wundert nicht, daß Studenten dagegen protestieren, wenn man sie in die Hochschulen reinläßt und sie dann nicht hinreichend verproviantiert. Aber bitte, Frau Ministerin, sie haben auch kein Geld auf der Kasse und in Folge dessen:

An uns liegt's nur hier zu sehen, daß auch in Göttingen nicht nur blasierte Professoren durch die Gegend laufen, sondern daß hier viele Studenten sind, die adäquat unterrichtet werden müssen und die eine adäquate Ausbildung zu verlangen haben. Und wir wehren uns massiv dagegen, übermäßig herangezogen zu werden. Unseren Teil meinen wir beitragen zu müssen - so weh es uns tut und so schlecht und so kontraproduktiv es ist. Ich kann ihnen auch sofort an einer Hand Beispiele nennen, wie schädlich es ist, wenn wir hier eine Stelle wegnehmen, da eine Stelle wegnehmen, für ein Praktikum oder für dies und das. - Aber das brauche ich ihnen ja nicht erzählen, daß wissen sie ja selber.

Das vielleicht nur als Eingangsstatement: Wir können nicht anders! Wir machen diesen Einsparkurs mit, obwohl wir ihn für falsch halten und wir meinen, wenn er uns für nötig gezeigt wird, um das Hochschulsystem überhaupt aufrecht zu erhalten und um eine sinnvolle Weiterarbeit zu ermöglichen, so machen wir das in diesem Rahmen mit. So ist unsere Position und das habe ich auch gegenüber der Ministerin zum Ausdruck gebracht. Wenn Sie uns deswegen als Kollaborateure beschimpfen, so haben Sie zum Teil Recht. Ich kann mich gegen diesen Vorwurf überhaupt nicht wehren. Aber was sollen wir anderes tun? Ich meine wir müssen es tun - anders können wir die Universität gar nicht schützen.

Freerk Huisken

Vorbemerkung:

Eine Debatte mit obersten Dienstherren hat etwas Gespenstisches: Auf der einen Seite sitzt die Vertretung der Regierung mit der politischen Gewalt auf ihrer Seite, auf der anderen Seite die Vertreter der Hochschule mit nichts anderem in der Hand als ihren Argumenten. Die Debatte ist also vor ihrem Beginn bereits entschieden.1 Daß ich sie trotzdem für geboten halte, verdankt sich also nicht der Erwartung, das ,,Sparkonzept'' kippen zu können. Diese Debatte ist vielmehr wegen des desolaten Zustands der wissenschaftlichen Befassung mit den Hochschulreformkonzepten notwendig. Denn statt sich zu fragen, was das ,,Sparkonzept'' ist und will, wie es ihres wissenschaftlichen Amtes wäre, verhalten sich Hochschullehrer wie untertänige Buchhalter: Der Ministerpräsident, befiehlt das Sparen und schon überlegen sie eifrig, wie sie der - angeblich - notleidenden Landesregierung beim Sparen helfen können. Kein Wunder, daß G. Schröder ihre Mitwirkung beim ,,Sparkonzept'' ausdrücklich begrüßt. Allerdings spricht dieses Lob eher gegen als für solche Hochschullehrer. Das möchte ich in fünf Thesen zur nationalen Sparpolitik im Allgemeinen und zum ,,Hochschulstrukturkonzept'' im Besonderen in der gebotenen Kürze erläutern.

1.

Wenn private Haushalte sparen müssen, dann bedeutet dies, daß ihr Einkommen nicht ausreicht, um die lebensnotwendigen Ausgaben zu bestreiten. Ein monatlich gezahltes Geldeinkommen muß neu eingeteilt werden, in der Hierarche der Bedürfnisse des privaten Lebens müssen immer mehr Anschaffungen nach unten verlagert, d. h. vertagt oder zu unerschwinglichem Luxus erklärt werden. Wenn private Haushalte sparen müssen, dann ist bei ihnen Armut eingekehrt.

Wenn öffentliche Haushalte (Bund, Länder) ebenfalls erklären, daß sie sparen müssen, wenn sie behaupten, vergleichbare Sorgen zu haben wie die privaten Haushalte, dann mag solche Redeweise vielleicht dazu angetan sein, den Bürgern etwas ideelle Solidarität für die staatliche Finanzpolitik abzuverlangen, die Wahrheit über den Staatshaushalt enthält sie nicht. Denn welchem privaten Haushalt ist es vergönnt, sich zur Füllung seines Haushaltslochs einen Nachtragshaushalt zu genehmigen - wie das der öffentliche macht? Welcher Einkommensbezieher käme damit durch, von sich aus den Preis für Waren und Leistungen herunterzusetzen, etwa dem Vermieter mit dem Verweis auf die eigene Finanzquelle mitzuteilen, daß man in Zukunft nur noch zwei Drittel der Miete zu zahlen bereit ist - ein Verfahren, das dem öffentlichen Haushalt geläufig ist? Welcher zum Sparen genötigte Lohempfänger hätte die Freiheit, sich zur Behebung seiner Finanznot durch die Ausgabe von Schuldzetteln Bares zu verschaffen - wie dies bei öffentlichen Haushalten zu den normalen Formen der Geldbeschaffung gehört? Wenn Bund und Länder sparen, dann ist bei ihnen also nicht die Armut ausgebrochen, sondern dann wird die Beschaffung des staatlichen Geldreichtums unter eine neue Kalkulation gestellt; dann beschaffen sie sich erstens Zusatzeinnahmen z. B. durch weitere Staatsverschuldung und setzen zweitens bereits getätigte Einnahmen dadurch von traditionellen Zweckbindungen frei, daß sie massenhaft Menschen nötigen, mit weniger staatlichen Leistungen auszukommen. Die Wahrheit über das öffentliche Sparprogramm besteht also darin, daß es andere, private Haushalte zum Sparen zwingt.

Anteilnahme an staatlichen ,,Sorgen'' dieser Art ist also unangebracht.

2.

Dieser Gegensatz zwischen privaten und öffentlichen Haushalten hängt damit zusammen, daß die Verwalter der öffentlichen Finanzen das Privileg genießen, über die Ausgaben und (!) über die Einnahmen frei nach ihren politischen Kriterien entscheiden zu können. Wenn sie sich nämlich - wie der berühmte kleine Mann - als Inhaber eines Geldbeutels präsentieren, in dem immer zu wenig ist, dann unterschlagen sie sehr bewußt, daß sie selbst es sind, die über den Inhalt des Geldbeutels befinden, daß sie selbst ihn füllen. Sie sind nicht abhängig von der Lohn- und Gehaltsliste von Arbeitsgebern. Sie setzen vielmehr mit der Steuergesetzgebung selbst fest, welchen Teil des privaten Einkommens sie für sich konfiszieren wollen. Sie setzen die Preise ihrer Leistungen (Sozialstaat, Verkehr, Müll...) fest, beschließen dabei durchaus einmal, ,,Zugesagtes nicht voll zu bezahlen'' und Verträge aufzukündigen (Weser Kurier 3. 6. 95). Und sie beschließen Jahr für Jahr neu, in welcher mehrstelligen MRD.-Höhe sie sich erneut verschulden wollen (diesmal in Niedersachsen in der Rekordhöhe von netto 3,8 Mrd. DM, was immerhin 10% des Gesamtetats von 1995 ausmacht)
2. Wollte eine Privatperson mit ihrem Einkommen so verfahren, wie es bei öffentlichen Haushalten gang und gäbe ist, würde sie wegen Steuerhinterziehung, wegen Betrugs, Vertragsbruchs und wegen Geldfälschung sofort hinter Gitter wandern.

Es fehlt also dem Staat nicht absolut an Geld. Dieses soll vielmehr vermehrt und dabei zugleich anders ausgegeben werden. (Zunahme des Haushalts um 3,7%; dabei schrumpfen viele Haushaltsposten wie z.B. Umwelt oder Landwirtschaft, einige wie Wissenschaft und Kultus legen unter-, einige, wie Inneres, Justiz oder Verbindlichkeiten [Zinsen, Pensionen und Finanzausgleich] überproportional zu).

Deswegen ist es unangebracht, dem Bund bzw. dem Land bei seinem Sparprogramm für die Hochschulen mit konstruktiven Vorschlägen zur Seite zu treten. Vielmehr sind die politischen und ökonomischen Kriterien der akuten Einnahmen- und Ausgabenpolitik einer gründlichen Prüfung zu unterziehen.

3.

Daß die staatliche, auf der Finanzhoheit basierende Einnahmenpolitik deswegen noch lange nicht willkürlich verläuft, Finanzminister sich hüten, ein Füllhorn, mit den gut am Markt liegenden deutschen Staatsschulden angereichert, über jedermann auszugießen, ist nur zu offensichtlich. Wir säßen sonst nicht hier! Genauso ersichtlich ist es aber auch, daß es der öffentliche Haushalt weder vor-, noch nötig hat, an allen Haushaltsposten gleichmäßig zu sparen. Da gibt es Posten, bei denen gekürzt wird, und umgekehrt finden sich welche, die aufgestockt werden.

Zu klären sind also zwei Fragen:

Zu a:

(In aller Kürze.) Die zentralen staatlichen Finanzquellen haben schon ihre Tücken. Die Steuerpolitik hat zu berücksichtigen, daß den Unternehmen nicht die Wachstumsquellen wegbesteuert werden - weswegen sich die Steuer bei den Lohneinkommen der abhängigen Einkommensbezieher schadlos hält (schon wider ein staatlich verfügter Sparzwang). Und die Verschuldungspolitik hat die Inflationsrate im Auge zu behalten. Dies nicht deswegen, weil die Finanzpolitiker den Bürgern das Leben nicht weiter unnötig verteuern wollen, sondern nur wegen der Auswirkung der Inflation auf den Wert der DM. Auf den Geldmärkten wird nämlich mit Argusaugen beobachtet, ob die Staatsschulden, mit denen Deutschland die Massen an umlaufender DM erhöht, nur die Preise von Waren (Inflation) erhöhen, oder ob die Schulden des Wachstum, d. h. die kapitalistische Gewinnmaschinerie national ankurbeln. (Pseudo-Indikatoren dafür sind: Staatsquote, Verschuldungsquote...vgl. dazu auch den Maastricht-Eiertanz) In dem Maße nämlich, wie deutsche Schulden deutsches Wachstum - das übrigens immer auf Kosten des Wachstums von ausländischen Konkurrenten geht - ankurbeln, vertrauen die Besitzer deutschen Geldes bzw. deutscher Schuldscheine der Stabilität dieser Währung, kaufen sie, legen sich in ihr an und machen so die DM-Schulden stark. Dies widerum ist national die Grundlage für die weitere Staatsverschuldung. Es ist also unwahr, wenn behauptet wird, die staatlichen ,,Sparprogramme'' sollten zu einer Schuldenzurückführung oder gar zur Entschuldung führen. Das geht bei mehr als 1,5 Billion DM gar nicht mehr (Bundeschulden bis Ende 1994 1: 1,019 Billion; plus Länder und Gemeinden: 1,559 Billion; dazu kommen noch einige ,,Sondervermögen'' und die Schulden von 1995; nach Bundesschuldenverwaltung SZ 6. 6. 95). Die Staatsschulden hart zu machen durch ihre Verwendung für das Kapitalwachstum, damit neue Staatsschulden gemacht werden können, ist der ganze Witz. Der Name für diese neue Brutalität, die nach außen zu Währungsdesastern und Handelskriegen und nach innen zum Sozialstaats-,,Abbau'', zu Lohnsenkungen und zu Massen entlassungen führt, heißt: Standortpolitik.

zu b:

Deswegen ist es auch kein Wunder, daß sich bereits nach kurzer Überprüfung der Gewichtung bei der Ausgabenkürzung schnell ein Prinzip herausstellt: Sogenannte kosumtive Ausgaben (z.B. kürzt die Landesregierung u.a. beim Sozialen Wohnungsbau; Asylbewerberunterkünften, Kindertagesstätten, Lehrerstellenneubesetzung, Kliniken, Behörden...), also Ausgaben, die von Bürgern direkt oder über staatliche Dienstleistungen konsumiert werden und dann eben futsch sind, werden ungleich mehr oder weniger zusammengekürzt, als Ausgaben, die direkt oder vermittelt den ökonomisch produktiven gesellschaftlichen Bereichen zugute kommen, und von denen sich der Staat betriebliche Gewinne und damit nationales Wachstum erwartet - das übrigens nichts mit Arbeitsplatzsicherung zu tun hat. (das trifft z.B. die Expo, Straßenbau, Entsorgung, Wirtschaftssubventionen bzw. Überprüfung des ,,Gießkannenprinzips'' der Wirtschaftsförderung: Wo lohnt sich Förderung [z.B. bei der Castor-Behälter-Produktion?] wo halten Betriebe bzw. Wirtschaftsbereiche den Kriterien der Weltmarktkonkurrenz nicht stand?).

Wer sich in staatliche Sparpolitik einmischt, der muß also wissen, daß er sich in nationale Standortpolitik einmischt. Und wer sich in staatliche Standortpolitik - und sei es auch nur ideell einmischt - , der muß wissen, daß er sich einerseits zum geistigen Parteigänger einer neuen Radikalisierung der Weltmarktkonkurrenz macht und daß er andererseits einer Zunahme der nationalen Massenverarmung das Wort redet.

Wie paßt das Hochschulstrukturkonzept in diese Politik? Daß es mehr als ein Sparkonzept ist, müßte inzwischen klar geworden sein. Welche neue Struktur wird angestrebt? Zuvor aber ein kurzes Wort zum Prinzip der Hochschulen:

4.

Hochschulen haben - neben der Forschung und der Sicherstellung des Wissenschaftlernachwuchses - seit langem schon die Aufgabe, die Märkte für hochqualifizierte Arbeitskräfte zu bedienen. Es geht also um Qualifikationen. Die sind mit Bildung, mit Produktion von wissenschaftlicher Erkenntnis nicht zu verwechseln. Mit dieser Qualifikationsorientierung des Studiums ist eine merkwürdige Verkehrung des Verhältnisses von Wissenschaft und Gesellschaft eingerissen. Es ist nicht die wissenschaftliche Durchdringung der Gesellschaft, die ihr die Maßstäbe setzt, ihr dafür die Mittel an die Hand gibt und Menschen auf deren Anwendung zu ihrer aller Nutzen vorbereitet. Es ist umgekehrt: Die vorfindlichen gesellschaftlichen Interessen von Politik und Ökonomie bestimmen Wissenschaft und wissenschaftliche Ausbildung. Bildung hat sich am Maßstab der Brauchbarkeit für vorgegebene Zwecke zu orientieren: Wenn sich Bildung nicht darin bewährt, einen Beitrag zum kapitalistischen Wachstum oder zur Sicherung der inneren oder äußeren Souveränität des Nationalstaats zu liefern, gilt sie gesellschaftlich nichts - egal wie ,,gebildet'' der Mensch die Uni verläßt. Das ist das Maß, nach welchem Bildung in brauchbare und unbrauchbare Qualifikationen sortiert wird. Wer es wissenschaftlich infrage stellt, wer die Frage nach der Bekömmlichkeit von Kapitalwachstum und politischer Souveränitätsmehrung für die Bürger aufwirft, stellt sich außerhalb der gültigen Kriterien. Das bekommt er zu spüren an dem Ort, an welchem das genannte Maß zur Anwendung kommt, dem Arbeitsmarkt. Seine Bildung fällt als Qualifikation durch! Und das Durchsetzungsinstrument für dieses, die Wissenschaft denaturierende Maß hat es auch in sich: Es besteht in jener erzwungenen Koppelung von Qualifikationen und Einkommen, die Beruf heißt: ,,Wenn Du nicht studierst, was der Markt braucht, dann wirst Du nicht gebraucht, und d. h. daß Dir der Weg zu einem Einkommen verbaut ist, ohne daß Du in der Geldwirtschaft nicht leben kannst.'' An den Stätten des Geistes regiert ein Prinzip, das nicht auf begründete Urteile, sondern schlicht auf Erpressung setzt. (Jeder Student erfährt das spätestens bei der ersten Prüfung!) So ist dafür gesorgt, daß sich Bildungsinteresse und Erkenntnisbemühung von Studenten frühzeitig an einem Kriterium relativieren, das mit Wissenschaft sachlich gar nichts zu tun hat: Aussicht auf Geldeinkommen. Die Gleichgültigkeit der Studierenden gegenüber dem wissenschaftlichen Gehalt ihres Studiums und gegenüber dem gesellschaftlichen Inhalt ihrer Berufsfunktion ist das Resultat.

5.

Das neue Hochschulstrukturkonzept (HSK) will nicht etwa dies alles erst durchsetzen. Das ist durchgesetzt. Das HSK ist vielmehr der Teil eines sich national herausschälenden Konzepts, das den gesamten Bildungssektor den Erfordernissen von Standortpolitik anpassen will. Das Qualifikationsprinzip wird dabei radikalisiert. Es hat nämlich in jüngster Zeit eine Kritik am Bildungswesen begonnen, die mehr als nur Kostenfragen aufwirft, es vielmehr mit neuen Maßstäben konfrontiert. So haben Bildungspolitiker aller Partein seit einiger Zeit die folgenden aparten Bildungsskandale entdeckt:

Der erste Skandal (Nr. 1) heißt: die Zahl arbeitsloser bzw. fremdbeschäftigter Hochschul-Absolventen nimmt zu. Dr Skandal besteht in diesem Fall nicht darin, daß Wissen und Erkenntnisse ,,brach liegen'' und deren studierte Träger nicht wissen, wie sie ihre Miete bezahlen sollen. Die Bildungspolitiker sehen den Skandal vielmehr darin, daß zuviel Menschen wissenschaftlich ausgebildet werden, oder wie es H. Kohl formuliert hat, daß es inzwischen bald ,,mehr Studenten als Lehrlinge'' gibt. Das gesellschaftliche Bildungswachstum - ein nationaler Skansdal?! Diese Gesellschaft soll an einem Zuviel an Bildung leiden? Wie das? Haben wir nicht gelernt, daß Bildung zu den höchsten Gütern der Nation zählt, von denen es gar nicht genug geben kann? Und doch ist das der Befund. Und er folgt der hierzulande allein gültigen Logik der Qualifikation. Wenn Bildungspolitiker feststellen, daß ein Hochschul-Absolvent keinen Arbeitsplatz findet, dann lautet ihr Beschluß nicht etwa, daß dem Absolvent geholfen werden muß. Ihr Befund lautet, daß die gesellschaftlichen Finanzaufwendungen für sein Studium hinausgeworfenes Geld waren. Daß folglich nicht etwa gespart werden kann: An Personal, an wissenschaftlichen und Verwaltungs-Einrichtungen, die solche unnützen Studien anbieten.

Skandal Nr. 2, den Bildungspolitiker entdecken, ist einem Vergleich entnommen: In anderen europäischen Ländern studieren die Studenten angeblich kürzer und arbeiten dafür länger. Worin liegt der Skandal? Kann es nicht ein Zeichen für gründlichere und gediegener Ausbildung sein, wenn das Studium hierzulande länger dauert? Ist es nicht ein Zeichen für gehobene Lebensqualität, wenn die Lebensarbeitszeit sich verkürzt? Nein, alles umgekehrt: Hier wird gebummelt, der Staat ausgenutzt, Studenten machen sich auf seine Kosten ein schönes Leben und verweigern anschließend der Gesellschaft die Dienste. Also - schon wieder - muß nicht gespart werden, es kann - und zeitgleich wird damit dem ,,Mißstand'' der überzogenen Studienzeiten abgeholfen: Verkürzung von Studienzeiten, Verlagerung von Studiengängen auf Fachhochsvchulen, mehr Prüfungen, d. h. Aussortierung der ,,Bummelanten'', die die Frechheit besitzen, ein Studium ohne finanzielle Rückendeckung durchs Elternhaus zu beginnen.

Skandal Nr. 3 soll in einer angeblichen Abwertung der ,,beruflichen gegenüber der Allgemeinbildung'' (KMK; vgl. auch Standortpapier) bestehen. Da wollen einfach immer mehr junge Menschen höher hinaus, wollen studieren, wolles es einmal besser haben als ihre Eltern.3 Ein Skandal, wo doch die berufliche Ausbildung nach dem qualifizierten Hauptschul-Abschluß auch auf einen nützlichen gesellschaftlichen Dienst als Schichtarbeiter vorbereitet, wo doch das Handwerk einen goldenen Boden hat und ohnehin nicht jedermann zur Kopfarbeit ,,begabt'' ist (wie die katholische Bischofskonferenz unlängst festgestellt hat; FR 23. 9. 94), dann natürlich im Studium fürchterlich überfordert wird und in sein eigenes Unglück rennt, wenn er ein Lebenseinkommen von 5.000,- DM netto, mehr Urlaub und eine weniger ruinöse Arbeit anstrebt. Dem muß - natürlich im Interesse der Mensch selbst - ein Riegel vorgeschoben werden: Der Zug zum Abitur muß gestoppt, die Anzahl der Universitäts-Studenten reduziert, die Zahl der Absolventen mittlerer Allgemeinbildung mit anschließender beruflicher Ausbildung erhöht werden usw. Diese Umverteilung wird zudem weniger kosten, da sich die Bildungsdauer im Durchschnitt reduzieren läßt und es zudem kein Naturgesetz gibt, das die Zahl der Schüler pro Lehrer festlegt.

Fazit

Es ist also gar nicht so, daß eine Finanznot eine Ministerin in Bedrängnis gebracht hat, die am liebsten alles so lassen würde wie es ist, sie am liebsten jedermann ein Studium seiner Wahl, nach Länge und Inhalt, ermöglichen würde. Nein, die Vertreter des HSK setzen ihre Kritik am Hochschulwesen konstruktiv um. Und die heißt: Zuviele Leute studieren, das auch noch zu lange, viel zu bequem und nicht selten ohnehin das Falsche. Sie sind Parasiten an den Staatsfinanzen und betrügen damit ,,die Gesellschaft'' um die Dienste, die sie von ihnen verlangt und für die das Bildungswesen überhaupt nur eingerichtet ist.

,,Müssen wir sparen?'', heißt der Titel dieser Veranstaltung. Wieso: Müssen? Wieso: wir? Wieso: Sparen?


Anmerkungen

1
Dies hat sich leider im Verlauf der Veranstaltung mehr als bestätigt. Der Referent der nachfolgenden Thesen wurde von Seiten der Politik und der Universitätsleitung in einer Weise für diskussionsunwürdig erklärt - ,,verrückt'', ,,Wahngebilde'', ,,Steinzeitmarxismus'' -, die erstens belegt, daß es offenbar wieder Gepflogenheit ist, unbequeme theoretische Positionen für Ausgeburten eines kranken Hirns zu halten, und die zweitens deutlich macht, daß für die Inhaber der Macht und für ihre subalternen Teilhaber nur das als Wissenschaft gilt, was die Prämissen der Politik affirmiert. Schöner läßt sich die These 4 kaum belegen! [<--]

2
Die Neukreditaufnahme beträgt in Niedersachsen 1995 3,8 Mrd. DM. Die werden der Einnahmen-, der Habenseite zugerechnet. Die Gesamtschulden, die in der Jahresbilanz direkt gar nicht auftauchen, belaufen sich damit auf 55,3 Mrd. DM. Staatsschulden bestehen aus emittierten Staatspapieren und aus bei Banken aufgenommenen Krediten. Erstere verlangen nur Zinsbedienung, mit denen die ,,Seriosität'' der Schulden bewiesen werden soll, die also bis in alle Ewigkeit stehen bleiben. Die zweiten verlangen Zins und Tilgung, wobei alle drei Zahlungen praktischerweise wieder über Staatspapiere laufen können. Zins und Tilgung, die auf der Ausgaben-, also auf der Soll-Seite auftauchen, erreichen die Höhe von 10,2 Mrd. DM. Da die Neukreditaufnahme nicht zweckgebunden erfolgt, macht es auch keinen Sinn, neue Kredite mit angelaufenen Zinsforderungen zu verrechnen. Sie sind frei verfügbarer Staatsreichtum, ergänzen die Steuer- und sonstigen Einnahmen. [<--]

3
In den 60er Jahren wurde einmal ein ,,Bildungsnotstand'' ausgerufen und der Nachwuchs gedrängt, sich vermehrt bis zum Abitur zu quälen. Bildung sei Kapital, hieß es dazu fälschlicherweise. Die Bildungswerbung hatte Erfolg, die Abiturientenquote kletterte, die Zahl der Studenten wuchs. Sie wuchs so sehr, daß der NC eingeführt, die ZVS gegründet wurde und inzwischen über ein ,,akademisches Proletariat'' geklagt wird. Zurück, marsch marsch, heißt deswegen die neue Parole. Von wegen: Bildung ist Kapital! Jetzt heißt es: Nicht nachgefragte Bildung bringt unnütze Kosten! (vgl. dazu F. Huisken, ,,Weder für die Schule noch fürs Leben''; Hamburg 1992, S. 266ff) [<--]