"Das ist doch undemokratisch!"

Einige Anmerkungen zu einer verbreiteten Unsitte in der �ffentlichen Debatte

Kritische Geister beschweren sich �ber viele Punkte des �ffentlichen Lebens, die ihnen sauer aufsto�en, mit dem Satz "Das ist doch undemokratisch". Ob es sich um eine Diskussionsrunde oder um ein Uniseminar, um irgendwelche H�ndel mit Beh�rden oder um den Streit der Studierendenvertretung mit der Univerwaltung, um die Beschl�sse von Regierungen oder die der Hochschulleitung handelt, immer wieder wird der Einspruch "Das ist doch undemokratisch!" bei solchen Gelegenheiten vorgebracht. Den kritisierten Personen werden dann die Attribute "selbstherrlich", "autokratisch" oder "machtgeil" an den Kopf geworfen.
Merkw�rdig ist diese Kritik in der Hinsicht, dass hier ein Verfahren, eine Methode, ein bestimmter Weg, zu einem Resultat oder zu einem Beschluss zu kommen, als Wert behandelt wird, von dessen Einhaltung alles abh�ngen soll. Deswegen wei� man in der Regel nicht so recht, was der Kritiker an einer Aussage, an einer Ma�nahme oder an einem Beschluss eigentlich auszusetzen hat. Kritisiert wird ja nicht der Inhalt und Zweck, sondern die Art des Zustandekommens, das Verfahren, ganz unabh�ngig vom Inhalt, ohne �ber ihn �berhaupt zu reden. Umgekehrt schlie�t diese Kritik am Verfahren ein, dass alles, aber auch wirklich alles dann in Ordnung geht, wenn es auf demokratischem Wege zustande gekommen ist.
Dabei k�nnte einem eine genauere Betrachtung dieses hochgehaltenen Verfahrens schon zeigen, dass es f�r alles andere als die Bonit�t der Entscheidungen b�rgt, die auf diesem Wege zustande kommen. Wie geht und was leistet also demokratische Beschlussfassung?

  1. Wenn Entscheidungen dadurch gerechtfertigt und deshalb f�r alle verbindlich sind, dass sie das Ergebnis eines demokratischen Verfahrens, also irgendeiner Form der Abstimmung, sind, so geht es bei den Entscheidungen eben nicht darum, dass nach Analyse des Sachverhalts und den darin begr�ndeten R�ckbezug auf die jeweiligen Interessen ein sachlich vern�nftiges Ergebnis am Schluss steht. Denn dann m�sste man solange argumentieren und Gr�nde daf�r oder dagegen anf�hren, bis Einstimmigkeit in der Auffassung und Einsch�tzung des Sachverhaltes erzielt wird, oder sich eben trennen, weil �berhaupt keine gemeinsamen Interessen und damit keine gemeinsame Sache vorliegen. Eine Abstimmung ist dazu keinerlei Beitrag, sondern unterbindet ja gerade diese Auseinandersetzung. So ist das demokratische Verfahren eben die Ignoranz gegen�ber einer vern�nftig geplanten gemeinsamen Sache.
  2. Wenn die Leute an einer Entscheidung �ber das Verfahren, z.B. Handheben, Kreuzemalen, beteiligt sind, dann sind ihre jeweiligen Gr�nde und Interessen der Entscheidung gegen�ber gleich-g�ltig. Das Ergebnis ist ja nicht bestimmt durch die Gr�nde, sondern durch die Stimmen. Und durch die Ausz�hlung dieser gelten alle Gr�nde, auf denen die einzelnen Stimmabgaben beruhen, als nichtig. Das demokratische Verfahren ist dadurch geradezu als Ignoranz gegen die Abw�gungen und Vorhaben der einzelnen Leute charakterisiert.
  3. Wenn es beim demokratischen Verfahren die Stimmen sind, die eine verbindliche Entscheidung herbeif�hren, dann geht es bei ihm auch um die blo�e Tatsache, dass eine Entscheidung gef�llt wird, die f�r und gegen alle verbindlich ist. Dann ist aber auch das demokratische Verfahren die Verselbst�ndigung von Vorhaben oder von Personal zur Aus�bung bestimmter �mter gegen�ber dem Willen der dar�ber Befindenden. Es ist Erm�chtigung.
  4. Wenn der Inhalt des demokratischen Verfahrens nichts anderes als Erm�chtigung ist, dann ist die Rolle der Abstimmenden auch dadurch bestimmt. Dann sind sie in einer Abstimmung auch nur gefragt und an allen Entscheidungen beteiligt, weil und sofern sie bereit sind, die eigenen Interessen der Mehrheitsentscheidung unterzuordnen. Mit Ber�cksichtigung auch nur eines einzigen Interesses der Abstimmenden ist das nicht zu verwechseln. Denn die Bedingung der Abstimmung ist ja gerade die Bereitschaft zur Relativierung der eigenen Interessen, und die Abstimmung selbst das Absehen von ihnen.

Wenn jemand mit der Kritik "Das ist doch undemokratisch" das demokratische Verfahren oder den Abstimmungsprozess als Kritiktitel im Munde f�hrt, dann spielt er in seiner Unzufriedenheit mit dem Resultat den Prozess des Zustandekommens gegen das Resultat aus. Der Kritiker schaut sich also nicht an, wie, wodurch und warum ist das Ergebnis zustande gekommen, sondern geht schon immer davon aus, ein solches Ergebnis k�nne nur durch die Nicht-Einhaltung der demokratischen Verfahrensregeln zustande kommen. Dann will sich der Kritiker durch die schlecht befundenen Ergebnisse seine gute Meinung �ber die Demokratie, �ber das demokratische Procedere nicht nehmen lassen. Er h�lt daran fest: a) Demokratie sei daf�r da, dass die Interessen der Leute zum Zuge kommen, b) bei einem f�r schlecht befundenen Resultat k�nne es sich nur um einen "Betriebsunfall" handeln, und c) deswegen sei eben ein Mehr an Demokratie n�tig.
Mit der Kritik "Das ist doch undemokratisch" leistet man sich so den Widerspruch, im gleichen Atemzug von Parlamenten, Beh�rden, der Hochschulleitung usw. zu behaupten, sie seien demokratisch und undemokratisch zugleich. Merkw�rdig ist dann nicht, dass sich eine solche Kritik ausgerechnet an die verfehlende Instanz richtet und die Korrektur des "Verfahrenfehlers" an sie zur�ck delegiert.

Sozialistische Gruppe Erlangen