KALASCHNIKOW
Das Politmagazin


"Globalisierung"

- die Sachzwang-Ideologie zur Konkurrenz der Nationen um das internationale Kapital

Man kann es nicht mehr hören, dieses immer angebrachte, alles erklärende Schlagwort der Wirtschaftspolitik. Denn erstens ist es ein Berufungs- und Rechtfertigungstitel der Mächtigen in Staat und Wirtschaft. Politiker, Unternehmer, Gewerkschafter und Presseleute stellen mit der Formel von der "Globalisierung" und der dazugehörigen "Verteidigung des Standorts Deutschland" als unwidersprechlich richtig und notwendig hin, was sie dem Normalbürger zumuten: die rentabilitätsfördernde Schaffung und die lohnsenkende Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die Absenkung der Renten, die Privatisierung der Gesundheitsrisiken, die Auflösung der Flächentarifverträge, die Streichung der Vermögens- und Gewerbekapitalsteuer einerseits, die Erhöhung der Mehrwert- oder Benzinsteuer andererseits - und was der ausdrücklich so genannten "sozialen Grausamkeiten" mehr sind. Alles das muß sein, wenn "wir" als industrielles Land überleben wollen.

Ohne jeden Ton von Entschuldigung plädieren die politischen Macher auf Ohnmacht gegenüber diesem unwidersprechlichen Sachzwang - und leiten aus dieser Herausforderung des deutschen Standorts Imperative zu einem neuen, rücksichtslosen Gebrauch ihrer Macht ab. Die Globalisierung der Märkte, heißt es, lasse eine Lohn-, Sozial-, Wirtschafts- und Steuerpolitik nach nationalen Traditionen und Gerechtigkeitsvorstellungen nicht mehr zu. Die Grenzen hätten ihre "Schutzwirkung" verloren, seitdem "transnationales Kapital" alle Länder der Erde als Standorte vergleicht und sich zur Niederlassung nur entschließt, wo die Leistungen eines Standorts Weltspitze, seine Kosten dagegen minimal sind. Heute stünden nicht mehr nur die Exportprodukte eines Landes im internationalen Wettbewerb, sondern alle Elemente seines politisch-wirtschaftlichen Innenlebens. Der "ohnmächtig gewordene Nationalstaat" muß es dem Kapital recht machen, sonst haut es ab. Und das will er auch. Dafür reicht seine Macht nämlich schon noch, daß er das Volk neuen Lebensbedingungen unterwirft und seinen inneren Laden im Interesse einer politisch herbeigeführten Steigerung der Kapitalrendite umkrempelt.

Die Verkünder des aktuellen Sachzwangs legen keinen Wert auf eine Differenz zwischen einem besseren sozialen Wollen, das leider nicht geht, und einem bedauernswerten Müssen. Sie entschuldigen sich für nichts, sondern danken es der "Globalisierung", daß sie "Fehlentwicklungen unserer Wohlstands-" und "Verkrustungen unserer Konsensgesellschaft" aufgedeckt hat, die sowieso beseitigt gehören, und "unhaltbare Besitzstände" - gemeint ist nicht der wirkliche Besitz! - endlich unhaltbar gemacht hat. Damit geben sie selbst bekannt, daß der Sachzwang, auf dessen Unwidersprechlichkeit sie sich berufen, sie nicht zu etwas "zwingen" würde, was zur Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland nicht paßt. Im Gegenteil: Wie stets, wenn Unternehmer oder Staatsleute sich auf Sachzwänge berufen, legitimieren sie die ohnehin verfolgten nationalen Zwecke mit deren eigenen Erfordernissen.

Sachzwänge sind Zwänge der Konkurrenz. Konkurrierende Unternehmen oder Nationalökonomien tun sie sich wechselseitig an, wenn sie sich um die Aneignung der gleichen nur einmal vorhandenen Kaufkraft schlagen. Den Erfolg, den die Konkurrenten suchen, bestreiten sie sich wechselseitig: jeder von ihnen "muß" seine Kosten senken, um dem anderen Marktanteile wegzunehmen und die eigenen zu verteidigen. Jenseits dieses Zwecks der Konkurrenten gibt es keinen Zwang. Sachzwang ist also immer eine Lüge. Ein Konkurrent versteckt sich hinter dem anderen, der ihn "zwingt". Der andere kann dasselbe von sihc behaupten - und das mit demselben. Wenn Staaten sich in die internationale Konkurrenz begeben, wenn sie sich am Weltmarkt bereichern wollen, dann müssen sie die Konkurrenz dort auch gewinnen. Dann ist "Konkurrenzfähigkeit" ein Zwang - der Zwang ihres eigenen Zwecks.

Wie wenig die "Globalisierung" der Staatsräson unserer Republik widerspricht, beweisen ihre Vertreter, sobald sie den Risiken dieser subjektlosen Geschichtstendenz immer ihre Chancen entgegenstellen. Kein Politiker strebt danach den Trend zu bremsen und etwa die Offenheit des Weltmarktes wider zurückzunehmen - lieber sagen sie alle, das ginge gar nicht! Während sie über die Globalisierung der Märkte klagen, sind sie es selbst, die per internationaler Wirtschaftspolitik die Liberalisierung der Märkte und die Öffnung fremder Länder immer weiter treiben. Im Moment geht es darum, letzte Reservate nationaler Zuständigkeit - die staatlichen Infrastruktursektoren, Telekommunikation, Luftverkehr etc. - für den Profit international tätiger Konzerne zu öffnen. Man braucht den Staatsleuten also nicht abzunehmen, daß sie in einer echten Klemme sind. Sie verstecken sich hinter einem anonymen Sachzwang - angeblich soll das moderne Transportwesens und das Internet die Märkte globalisiert haben -, während sie gleichzeitig die Öffnung anderer Länder betreiben und den Sachzwang selbst stiften.

Man kann das Gerede von der Globalisierung zweitens schon gleich nicht mehr hören, wenn es aus der kleinen Welt der Linken kommt. Die verwickelt sich nämlich ernsthaft in das falsche Problem, ob nun ein echter Sachzwang vorliegt, Ohnmacht und Entschuldigung der Macht also glaubwürdig sind, oder ob doch bloß ein ideologischer Popanz zur Einschüchterung der Gewerkschaften aufgebaut wird, dem diese keinen Glauben zu schenken bräuchten. Die offizielle Berufung auf den Sachzwang globaler Märkte wird nach der falschen Alternative von Wollen und Müssen begutachtet: Sind die Mächtigen wirklich ohnmächtig? Müssen die Politiker? Oder wollen sie nur? Verarmen sie die Bevölkerung gar mutwillig, nur um die Reichen immer reicher zu machen? Einige Linke bemerken die Verzichtsbotschaft und die nationalistische Stoßrichtung des Geredes von der Verteidigung des deutschen Standorts. Die Ideologie wollen sie nicht gelten lassen und dementieren, um den unwidersprechlichen Sachzwang zurückzuweisen, gleich den Zwang der Konkurrenz. Als ob es den nicht gäbe - halt für denjenigen, der in ihr bestehen und gewinnen will. Politiker und Wirtschaftsführer müßten dieser Auffassung nach, auch wenn es ihnen um Weltmarkterfolge und den Reichtum Deutschlands geht, nicht verfahren, wie sie es tun. Diese Kritiker deuten auf die hohen Exportüberschüsse, und lesen daraus, daß der deutsche Standort nicht so schlecht sein kann, wie die "Globalisierungspropheten" sagen; sie bemerken, daß fertige Fabriken nur selten abgerissen und anderswo wieder aufgebaut werden, und finden, daß das Kapital gar nicht so mobil und daher "der Kapitalismus weitgehend national orientiert" ist. Als ob sie selbst den sozialen Konsequenzen der "Standortverteidiger" zustimmen müßten, wenn sie die Internationalisierung des Kapitals und die nationale Konkurrenz um die Nutzung des Weltmarkts zugeben würden, leugnen sie, was jedes Kind weiß: Daß heute jede bessere Firma ein "Multi" ist, für den ganzen Weltmarkt produziert, bei Anlageentscheidungen die Standortangebote aller Herren Länder prüft und tatsächlich in allen Weltregionen produziert.

Die Gegenpartei auf der Linken sieht die Sache haargenau umgekehrt und bestreitet die Bestreitung der "Globalisierung": Sie bestätigt mit bedeutungsvollem Geraune vom Fetischsystem das bürgerliche Gerede von der "Globalisierungsfalle", in der die Staaten ausweglos gefangen seien. Diese Richtung übertreibt die Ideologie vom Sachzwang bis zu der Behauptung, der kapitalistische Staat sei von den Märkten entmachtet worden, seine Machtmittel und Regulationsmechanismen würden heute versagen, so daß er hilflos zusehen müsse, wie die Märkte herrschen. Als ob die Verwertung des Werts nicht ein bewußtes politisches Personal bräuchte, das diesem ökonomischen Zweck das Land unterwirft, zeichnen die Befürworter der Globalisierungsdiagnose ein Bild vom "entwirklichten Staat" daß man Mitleid mit der Institution der politischen Herrschaft bekommen möchte. Während die einen immer nur die Freiheit und den Willen der bösen Herrschenden entdecken, sehen die anderen durch ihre Brille immer nur die Unfreiheit der Macht und die blinde Notwendigkeit, der diese unterworfen ist. Voll ausgelastet mit ihren moralischen Reflexion, zeigen beide Seiten kein Interesse für den Grund und Zweck der aktuellen wirtschaftspolitischen Manöver.

Die nationale Konkurrenz um die Früchte der internationaler Ausbeutung

Auskünfte über die Neuigkeit der "globalen Märkte sind nicht leicht zu bekommen. Läßt man sich von Wirtschaftswissenschaftlern und Politikern aufklären, so bekommt man einerseits mitgeteilt, daß eine ganz neue Lage eingetreten sei; die, sobald sie charakterisiert werden soll, in lauter Komparativen dessen besteht, was schon 50 Jahre lang de kapitalistische Weltwirtschaft ausmacht: Die Märkte sind offener, die internationale Verflechtung intensiver, die Transportkosten niedriger, die Transaktionszeiten im Geldhandel nur noch Millisekunden - und das alle macht die Konkurrenz auf dem Weltmarkt immer härter. So kommt das Neue, das alle Zuständigen bemerkt haben wollen, jedenfalls nicht zur Sprache.

Mehr verrät schon das Problembewußtsein, in dessen Namen die Herausforderung angenommen wird: Die "Risiken der Globalisierung" haben mit der Frage zu tun, ob das Kapital heute noch dem Staat dienstbar ist bzw. nutzbar gemacht werden kann, oder ob nun die Staaten dem Kapital dienen, ohne von seinem Wachstum zu profitieren. Die Alternative ist einerseits falsch. Solange diese Produktionsweise existiert, hat der Staat sich bereichert und seine materielle Basis vergrößert, indem er den Profit der Kapitalisten unter seiner Hoheit zu seiner Sache gemacht hat. Dem Kapital zu dienen, war die Weise des Staates, sich den nationalen Dienst seiner Kapitalisten zu sichern. Das ist angesichts der erreichten Internationalisierung der Kapitale - vor allem in der jederzeit mobilen Form des Geldkapitals - heute nicht mehr selbstverständlich. Die Politiker freilich, die von Chancen und Risiken der Globalisierung quatschen, sind nicht von Zweifeln darüber geplagt, ob das Kapital für die Nation noch bedeutsam und nützlich ist; sie machen sich mit der gebotenen Rücksichtslosigkeit an die Reformen, die es braucht, um ihrem Land die Bereicherung an der internationalen Geschäftstätigkeit zu sichern - und insoweit das Kapital zu "nationalisieren". Sie geben ein Beispiel des zeitgemäßen polit-ökonomischen Nationalismus.

1. Das Stöhnen über "Globalisierung" betrifft nicht die Internationalisierung des kapitalistischen Geschäfts selbst, sondern nur den Grad des Erfolgs, mit dem die deutsche wie manche andere Regierungen nicht zufrieden ist. Die Mobilität des Kapitals, das sich weltweit mit Kaufkraft und Rohstoffen eindeckt, das jeden Erdenwinkel nach rentabler Arbeit, also profitablen Investitionen absucht, ist nämlich etwas älter als diese Klagen. Sie ist das ausdrückliche Programm der gesamten Weltwirtschaftsordnung nach dem 2. Weltkrieg (Bretton Woods) und Leitfaden der europäischen Gemeinschaft. In den Jahren eindeutig nationaler Bereicherung aus ihr, war die Rede nicht von Problemen der Globalisierung, sondern von der wohlstandssteigernden Wirkung der "internationalen Arbeitsteilung".

Nationen, die ihre Gesellschaften auf das Wachstum von Kapital festlegen und dieses mit allen Mitteln ihrer politischen Herrschaft fördern, sind nämlich Fanatiker des kapitalistischen Inter-Nationalismus. Das lokale, in ihrem Hoheitsgebiet stattfindende Geldmachen erscheint ihnen als eine einzige Beschränkung. An und in der ganzen Welt wollen sie Geld, das ökonomische Mittel ihrer Macht, verdienen lassen.

2. Der Nation Geld verschaffen, ist der staatliche Auftrag, unter dem der grenzüberschreitende Geschäftsverkehr steht. Er hat die quantitative Seite, daß Exporterfolge positive Außenbilanzen also Zahlungseingänge aus dem Ausland bewirken; er hat aber zugleich und darin auch die qualitative Seite: Die Geschäfte sollen der Nation ein Geld verschaffen, ein gutes, stabiles, weltweit brauchbares und nachgefragtes. So stellen die Staaten die auf ihrem Territorium versammelten Produktivkräfte in den Dienst an ihrem Nationalkredit. Weil sie sich für die Betreuung ihres Kapitalstandorts jede Menge Schulden genehmigen und diese als Geldschöpfung organisieren, gerät das kapitalistische Geschäft auf dem Weltmarkt zum Richter über den Zustand des nationalen Geldwesens. Dort bekommen die Kreditgelder verschiedener Staaten, die konvertibel gemacht sind, von "den Märkten" ständig ihren relativen Wert als Weltgeld bescheinigt. Während Kapitalisten aller Herren Länder sich daheim und auswärts bereichern, fällen sie mit ihren Erfolgen und Mißerfolgen, mit ihrem Gebrauch und ihrem Vermeiden der verschiedenen nationalen Devisen beständig praktische Urteile über die ökonomische Macht der Nationen. Nicht zur Beschaffung von Erdöl und Südfrüchten erlauben und fördern Staaten den Außenverkehr, sondern zur Vergrößerung der ökonomischen Macht, die in der Qualität, der Stabilität und Nachgefragtheit ihrer nationalen Währung liegt. So betätigt sich der Staat als "ideeller Gesamtkapitalist" und macht die Relativierung des Gebrauchswerts durch den Tauschwert zu seiner Sache. Das nationale Geld und seine "Härte" ist die härteste Macht, die es in der Welt des Eigentums gibt: Die Nation, die mit ihrer Devise viel stabiles Weltgeld besitzt, sichert sich weltweit den Zugriff auf alle Elemente des Reichtums und der Macht - und schließt andere Staaten mit ihren Schwachwährungen davon aus.

Staatsführer sind Geldpatrioten, die das Wachstum im Land und außerhalb daraufhin taxieren, was es zur Stabilität der Währung und zu den Bilanzen der Nation beiträgt. Der internationalen Konkurrenz ausgesetzt, sind die einheimischen Kapitalisten ebenso wie geschäftstüchtige Investoren aus dem Ausland die Betreuungsobjekte staatlicher Fürsorge.

3. Solange das Wachstum im Land und seine Außenbilanzen in Ordnung gehen, solange das nationale Geld gefragt ist und seine Summe wächst, sind die Verantwortlichen von den "Wohlstandsgewinnen" aus der "internationalen Arbeitsteilung" überzeugt. Von "Risiken der Globalisierung" reden sie, sobald ihre Rechnungen nicht aufgehen und der nationale Ertrag aus dem Weltgeschäft zu wünschen übrig läßt. Das ist zum Beispiel dann er Fall, wenn die guten Geschäfte, die Siemens, Hoechst und andere deutsche "Global Players" weltweit machen, ihrem Herkunftsland nicht zugute kommen. Daß sie ihr Wachstum vor allem im Ausland erzielen, muß nicht von sich aus zum deutschen Nachteil geraten: Auch aus Ausländern herausgeholte Profite bereichern die deutschen Stammhäuser und deutsche Aktionäre und vergrößern die Schlagkraft der hier beheimateten Multis. Das ist gut und gewollt. Ein nationaler Mißstand liegt vor, wenn derartige Erfolge mit einer Lage in Deutschland einher gehen, in der das Wachstum nicht anspringen will, die Steuereinkünfte schrumpfen und die Staatsverschuldung immer neue Höhen erreicht. Dann schlagen sich die Erfolge der transnationalen Konzerne offenbar nicht genug als nationale Zuwächse nieder. Der weltwirtschaftende Staat achtet eben sehr auf den Unterschied zwischen dem Reichtum, der sich bei ihm sammelt und dem, der anderswo landet. Das Wachstum der Weltwirtschaft überhaupt ist ihm kein Anliegen. Fällt sein Zuwachs für seine Ansprüche zu klein aus, dann stehen Anstrengungen an, die nationalen Reichtumsquellen zu schützen und "Fehlentwicklungen" zu korrigieren. Diese werden nicht, wie früher einmal, "vaterlandslosen Kapitalisten" zur Last gelegt, die nicht dort investieren, wo sie ihre Gewinne her haben; die Diagnose der Fehler gerät zur Selbstkritik der Nation, die es den Kapitalisten offenbar zu schwer macht, in und für Deutschland Arbeiter auszunutzen und Gewinne zu machen. Den Schutz der nationalen Reichtumsquellen organisiert der Staat, der sich am Weltmarkt bereichern will, nicht defensiv als altmodischen Protektionismus mit Schutzzoll und dem Verbot von Kapitalflucht, sondern als Kampf um den nationalen Anteil am Weltgeschäft. Mögen amerikanische Handelskriege mit Japan und europäische Importbeschränkungen auch in diesem Gegeneinander der Nationen zeitweise ihren Dienst tun, so ist die Devise des heutigen Schutzes der nationalen Reichtumsquellen, daß der Sieg in der Konkurrenz der beste Protektionismus ist.

4. Unter diesem Gesichtspunkt wird das Land ausdrücklich "Standort". Es wird anerkannt, daß es nicht (mehr) der selbstverständliche Boden der im Land beheimateten Kapitale ist. Als "Standort" ist das Land von vornherein Teil des Weltgeschäfts, seine Wirtschaftskraft ist so groß, wie es ihm gelingt, sich als Wahlheimat "transnationalen Kapitals" zu bewähren. Die Nation konkurriert nicht (mehr nur) mit Überschüssen, die ihr Innenleben hervorgebracht hat, ihr ganzes inneres Wirtschaftsleben ist Resultat einer Konkurrenz um Kapitalanlage - und die wird geführt um die Rendite auf eingesetztes Kapital.

Das Projekt: "Standortkonkurrenz gewinnen!" ist eine ausschließende Sache. Dieselben Nationen, die ihre Kapitalisten in die Welt hinausgeschickt und zur Nutzung aller Gewinnchancen, gleichgültig wo, aufgefordert haben, werden jetzt sehr territorial: Hier soll das internationale Kapital anlegen, nicht anderswo. Daß inzwischen auch Chinesen und Koreaner Autos, Computer etc. bauen können, ist kein Glück und kein Fortschritt, sondern eine Gefährdung der "alten Industrienationen" und ihres Vorsprungs, mit dem sie bisher den Weltmarkt untereinander ausgemacht und gegen den Rest monopolisiert hatten. Da addiert sich nichts! Was die "Schwellenländer" herzustellen vermögen, fehlt an Produktion in Deutschland. "Wir" müssen die neuen Konkurrenznationen aus dem Feld schlagen und ihre Reichtumsquellen entwerten, wenn "Wir" "unseren Wohlstand verteidigen" wollen. "Wir" oder die! Im Weltmaßstab sind Staaten Privateigentümer, die sich wechselseitig vom kapitalistischen Reichtum ausschließen.

5. Die Waffe in der Standortkonkurrenz ist die Attraktion, die eine Nation auf die internationalen Kapitalisten ausübt, die sie anlocken will. Diese besteht in lauter Gewinngarantien - obwohl es so etwas eigentlich gar nicht gibt; schließlich ist der Gewinn Resultat von Produktion und Markterfolg und nicht seine vorweg gesicherte Bedingung. Der Staat, der seinen Anteil am Weltgeschäft verteidigen und steigern will, bemüht sich um die Garantie exklusiver Geschäftsbedingungen, wie sie konkurrierende nationale Standorte nicht hinkriegen. Was er zu bieten hat, reicht von der Qualität des Geldes, das sich bei ihm verdienen, und der Masse an Kaufkraft, die sich ausnutzen läßt, über die Höhe der Subventionen, die Geschäftsleute kassieren, und die Niedrigkeit der Steuern, die sie zahlen, bis hin zu Preis und Leistung des alles entscheidenden "Produktionsfaktors" Arbeit. Damit Kapitalisten der deutschen Nation den Dienst tun, den Weltmarkt von ihrem Standort aus zu erobern, tut sie ihnen den Dienst, sich als ein einziges Angebot an ihren Profitwillen herzurichten. Der "ideelle Gesamtkapitalist" benimmt sich wie ein reeller und betrachtet das ganze Land wie einen Konzern, bestimmt, Weltgeld zu verdienen. Dieser Gesichtspunkt ergibt neue Unterschiede in seinem Subventionswesen, das einerseits in einen schlechten Ruf gerät, andererseits wichtiger wird denn je.

Die Aufrüstung des deutschen Standorts bedeutet keineswegs einfach ein Mehr an Produktion und Verkauf, sondern verlangt zunächst jede Menge Brachlegung. Werften, Kohle, Stahl, Landwirtschaft sind Grundlagen der industriellen Produktion, die das Land bisher als Voraussetzung für Gewinne in anderen Branchen sichergestellt hat; heute gilt dies als Geldverschwendung, die veraltete Industrien künstlich am Leben hält. Alles, was irgendwo auf der Welt billiger beschafft werden kann, gehört im Inland unterbunden. Kohle, Getreide, Strom etc., die hierzulande über dem Weltmarktpreis liegen, sind zwar materielle Beiträge zur Geschäftstätigkeit, sie sind auch Beiträge zum Umfang des inländischen Produzierens, Kaufens und Steuern-Zahlens, sie sind drittens die kapitalistische Lebensgrundlagen ganzer Regionen und ihrer Bewohner - aber das alles hat nichts zu gelten vor dem Gesichtspunkt, daß sie Kosten für die in Deutschland aktiven Kapitale sind, die über denen anderer Standorte liegen. Um des Grads der Rentabilität willen wird die Masse des Geschäfts reduziert.

Während alle Produktionen und Geschäftsfelder, die nicht in wenigen Jahren die "Kostenführerschaft am Weltmarkt" erreichen, kaputt gehen dürfen, werden die Felder, auf denen man sich Weltmarktschlager verspricht, vom Staat zum Erfolg geführt. "Erhaltungssubventionen" gehören beseitigt, Subventionen in die "Zukunftsindustrien" müssen steigen: Die Politik selbst schmiedet die Trusts und Konzerne von der Kapitalgröße, die nötig ist, um gegen auswärtige Weltfirmen anzutreten. Mit Telekom, Bahn, Stahl, Luftfahrt etc. schafft sich die Nation ihre "Global Players".

6. Die Bevölkerung bekommt den Umstand, daß ihr Vaterland sich den Weltmarkt als Reichtumsquelle erkoren hat, nicht in der Form billiger Bananen und toller Urlaubsreisen sondern vor allen so zu spüren, daß ihre Dienste nur mehr unter der Bedingung gefragt sind, daß sie jeden Vergleich mit Preis und Leistung jedes Hungerleiders in der Dritten Welt aushalten. Viel von der Arbeit, die bisher gewinnbringend war, erweist sich als nicht rentabel, sobald ihr Produkt irgendwo auf der Welt - wer weiß auf welche Weise - billiger hergestellt werden kann. Sie kann entfallen und mit ihr der Lebensunterhalt, der sich daraus ergab.

Die übrigen Abteilungen der nationalen Arbeit werden für die Standortkonkurrenz fit gemacht: Sie sind zu teuer. Der Staat fördert gleichzeitig die Einsparung von Lohnkosten durch die Einsparung von Arbeitskräften und die Verbilligung der in den Büros und Fabriken verbliebenen. Auch hier kommt der ideelle Gesamtkapitalist unübersehbar zur Sache: Er, der über den Klassen steht, sorgt nicht nur für ihr ökonomisches Zusammenwirken und den sozialen Frieden dabei, er macht sich im Interesse des Standorts zum Protagonisten der Ausbeutung und zum Interessenvertreter des Kapitals gegen die Lohnabhängigen. Dies so sehr, daß es z.B. im Streit um die Lohnfortzahlung Zerwürfnisse zwischen der Politikermannschaft in Bonn und den deutschen Unternehmern gab, die sich wechselseitig Feigheit vor dem Feind vorwarfen und von einander ein härteres Vorgehen beim Lohnsenken verlangten. Ein nicht geringer Teil des Lohns, die sogenannten Nebenkosten, sind ohnehin Gegenstand staatlicher Entscheidungen. Diese von Marx "historisch-moralisches Element" genannten Lohnbestandteile, die ganz wesentlich den Lebensstandard definieren, der Arbeitern zugestanden ist, werden politisch heruntergefahren. Aber auch bei den zwischen Gewerkschaft und Kapital ausgehandelten Lohnteilen, verlassen sich die Standortpolitiker weder darauf, daß beide Seiten schon wachstumsfördernde Preise für die Arbeit aushandeln, noch darauf, daß das Millionenheer der Arbeitslosen schon genug lohndrükend wirken wird. Sie setzen Staatsmacht ein, um die Lohnsenkung zu beschleunigen, mit Mindestlohn und Entsendegesetz am Bau, Reformen an der Bindewirkung von Tarifverträgen etc. Die "Wohlstandsgewinne", die Nation aus dem globalen Geschäft zu ziehen beabsichtigt, vertragen den Lebensstandard nicht, der bei deutschen Proleten normal gewesen ist.

Verelendung, eine längst widerlegt geglaubte Begleiterscheinung des Wachstums kapitalistischen Reichtums, ist nun keine Begleiterscheinung und schon gleich kein Versagen der Wirtschaft, sondern nationales Programm. Diese Waffe in der Standortkonkurrenz verspricht Vorteile vor allem dort, wo es noch etwas zum Zusammenzustreichen gibt. Schließlich ist ihre Wirkung ja fragwürdig, angesichts dessen, daß sie in allen konkurrierenden Nationen gleichermaßen zur Anwendung kommt. Bei rapide steigender Produktivkraft der Arbeit verarmen die Lohnarbeiter in allen Ländern des OECD Raums.

So gestaltet sich der Dienst, den die Nation für ihren Reichtum von den kapitalistischen Klassen einfordert, und die Weise, wie sie diesen Dienst einfordert, systemgerecht verschieden: Der Dienst der Kapitalisten besteht im Gewinnemachen, das sowieso ihr Interesse ist; diesen Dienst sichert sich das Land durch eine Liste von Sonderangeboten, die Umworbenen nicht ausschlagen können. Der Dienst der Arbeiterschaft besteht im ungeschminkten Zwang zum Opfer für das Land. Kein Wunder, daß auf feste nationale Gesinnung bei diesen "Bürgern" sehr viel Wert gelegt wird: Die letzen Anhängsel des weltweiten Geschäfts, die sie sind, werden als die zuständigen Verantwortlichen angesprochen, die es in der Hand haben, ihr Land und ihre Lebensgrundlage gegen ein bedrohliches Ausland zu verteidigen: Dort sitzen andere Arbeiter, die durch ihre Billigkeit und Willigkeit deutsche Arbeitsplätze gefährden! Ihr könnt weiterhin vom Kapital leben, wenn ihr erstens schlechter davon lebt und zweitens billige Ausländer aus dem Rennen werft, die unsinnigerweise auch von Diensten am Kapital leben wollen. Die oder ihr!

  • Autor: Peter Decker, Der Autor schreibt für die Zeitschrift GegenStandpunkt
    Quelle: © Kalaschnikow - Das Politmagazin
    Ausgabe 10, Heft 1/98