Das Ausbildungswesen in der bürgerlichen Gesellschaft

A. Von der Freiheit der Wissenschaft zu den Notwendigkeiten der Ausbildung

Die Freiheit der Wissenschaft beruht wie jede andere Freiheit auf dem Schutz des Staates und verbietet von daher die Illusion, daß mit ihr die Unabhängigkeit wissenschaftlichen Forschen von den Zwecken der Gesellschaft institutionalisiert sei. Wenn die Untersuchung sämtlicher natürlicher Phänomene und die Verfertigung parteilicher Erklärungen von allen gesellschaftlichen Vorgängen vor dem Zugriff gesellschaftlicher Interessen in Schutz genommen wird, dann bedeutet dies im Gegenteil, daß Wissenschaft gebraucht wird und als Mittel für die Bewältigung praktischer Probleme den Interessen, für die sie da ist, entzogen werden muß. Die Gesetzesparagraphen, in denen die Aufgaben der Hochschulen und die Sicherung der an ihnen betriebenen Wissenschaft festgelegt sind, lassen keinen Zweifel daran, worauf es dem Staat bei diesem Schutz ankommt:

"Wissenschaft und Kunst haben gesellschaftliche Wirkungen und Bedeutung. Die wissenschaftliche Entwicklung beeinflußt maßgeblich die gesellschaftliche" (Regierungsentwurf für ein Hochschulrahmengesetz vom 29.9.1973, Begründung zu § 3) "Der wissenschaftliche und künstlerische Auftrag der Hochschulen erfüllt gesellschaftliche Funktionen."(ebenda, Begründung zu § 2)

Die moderne Wissenschaft ist also um ihrer Funktion willen frei, ihre Institutionalisierung als arbeitsteilige Sphäre ist Zeugnis ihrer Notwendigkeit für die praktischen Belange der Gesellschaft, die sich Wissenschaft als Beruf leistet. Überwunden ist also der Zustand früherer Gesellschaften, in denen Wissenschaft das zufällige Privatgeschäft einiger weniger war, denen ihre Stellung ihre luxuriöse Tätigkeit erlaubte - auf der Grundlage eines Mehrprodukts, dessen Hervorbringung mit der Anwendung ihres Denkens noch nichts zu tun hatte. Die Philosophie, die Wegbereiterin der modernen Wissenschaft, gilt selbst ihrem letzten Vertreter noch als ein Luxus, nicht als ein Mittel des praktischen Lebens:

"Die Philosophie kann man daher eine Art von Luxus nennen, eben insofern Luxus diejenigen Genüsse und Beschäftigungen bezeichnet, die nicht der äußeren Notwendigkeit als solche angehören."(HEGEL, Geschichte der Philosophie l. WW Bd.18, S.70)

Die vorbürgerliche Philosophie betrieb diesen Luxus fast ausschließlich in Gestalt moralischer und religiöser Verherrlichung der gegebenen Ordnung, und im Mittelalter sprach sie ihre Identität mit dem Glauben offen aus -

"Die wahre Philosophie ist die wahre Religion, und die wahre Religion ist die wahre Philosophie."(Scotus Euringena) (Diese Stellung zu den Gegensätzen der Gesellschaft, deren Mehrheit Not zu leiden hatte, hat sich die Philosophie in beiden Abteilungen ihrer modernen Überbleibsel bewahrt: sowohl die mit dem "Wesen des Menschen" beschäftigten Seinsfragensteller als auch die Erkenntnistheoretiker bemühen sich nach Kräften um die Legitimation to Mängel der heutigen Gesellschaft, wobei es ihnen gelingt, das revolutionäre Anliegen der bürgerlichen Philosophen, die in Gegensatz zu den Herrschaftsverhältnissen ihrer Zelt standen - sie forderten den modernen Staat, Wissenschaft, Recht, Ausbildung etc. - für die konservative Apologetik des inzwischen zustandegekommenen Kapitalismus zu verwenden.)

Das unfreie Erkennen der Natur war gewöhnlich spezifischen Zwecken unterworfen und kam über den Charakter eines Hilfsmittels für die Bewältigung von überkommenen Problemen der Landwirtschaft und des Kriegswesens nicht hinaus: es fehlte dieser Naturwissenschaft der Stachel einer Produktionsweise. welche die Aneignung der Natur beständig umwälzt, sowohl Mittel des Genusses als die Verfahren zu ihrer Produktion beständig revolutioniert. Wissenschaft war nicht jene "solideste Form des Reichtums", deren sich die Gesellschaft als Bedingung ihrer materiellen Produktion versichern mußte, auf die sie angewiesen ist, sobald die Produktion von Überfluß ihr Zweck geworden ist und die Naturnotwendigkeiten der Existenzsicherung aufgehört haben, der gesellschaftlichen Arbeit ihren Stempel aufzuprägen.
Die Unfreiheit der vorbürgerlichen Wissenschaft bestand also in ihrem unmittelbaren Zusammenfallen mit bestimmten gesellschaftlichen Interessen. deren Vertreter sich selbst der Pflege einer Erkenntnis annahmen, die der Aufrechterhaltung ihrer Position galt. Und wo Mächtige andere für sich denken ließen, wurde die Wahrheit stets bestraft, sofern sie dem nicht diente, der sich ihrer bedienen wollte. Die Unfreiheit der Wissenschaft war gleichbedeutend damit, daß nur zum Gegenstand der Erkenntnis wurde, was auf der Grundlage persönlicher Abhängigkeitsverhältnisse die Nutznießer einer bornierten Produktionsweise interessierte.
Die Freiheit der bürgerlichen Wissenschaft dagegen wird von seifen der Staatsgewalt nicht zufällig negativ begründet. Der moderne Staat hat es mit einer Gesellschaft zu tun, die in edlen Belangen der Wissenschaft bedarf, so daß die Unterwerfung des Erkenntnisfortschritts unter partikulare Interessen das Risiko einschließt, daß dieses Mittel nur unzureichend entwickelt wird:

"Einerseits müssen die verschiedenen Wissenschaftsbereiche Ihre Strukturen und die Konsequenzen ihres eigenen Fortschreitens ständig überprüfen und sich über die Bedeutung ihrer Mitverantwortung für die gesellschaftliche Entwicklung klar sein. Andererseits gilt es, die Wissenschaften davor zu bewahren, daß Erkenntnisprozesse durch Gruppeninteressen in ihrer Entwicklung gehindert werden. " ( Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Struktur und zum Ausbau des Bildungswesens im Hochschulbereich nach 1970. Bd.1, S.12)

Mit dem Diktat, das der bürgerliche Staat seinen Bürgern durch die Institutionalisierung einer freien Wissenschaft auferlegt, entspricht er dem Verlangen dieser Gesellschaft nach Wissen ebenso wie der Art und Weise, in der konkurrierende Privatsubjekte an Wahrheit eben interessiert sind: sie befördern sie, was die Erkenntnis der Natur angeht, nur bedingt, d.h. sofern ihre Anwendung ihrem Sonderinteresse zum Erfolg verhilft - und die Gesellschaft pflegen sie stets von ihrem Nutzen aus zu beurteilen, was gleichbedeutend mit dem Desinteresse an richtigen Theorien und dem Anspruch auf die Präsenz sämtlicher partikularen Standpunkte im Wissenschaftsbetrieb ist.
Wenn der bürgerliche Staat die freie Entwicklung der Wissenschaft garantiert, entspricht er einer Notwendigkeit der Gesellschaft, um deren Erhaltung es ihm zu tun ist. Indem er diese Leistung durch die Trennung der Wissenschaft vom praktischen Leben vollbringt, entzieht er sie der Verfügung seiner Bürger - statt ihr Wissen zu vermehren, ruft er einen Berufsstand ins Leben, der sich lebenslang damit beschäftigt, Theorien zu ersinnen. So daß sich die verselbständigte Wissenschaft, mit all ihren Einsichten in die Bewegungsgesetze der Natur und ihren allen möglichen Interessen untergeordneten Betrachtungsweisen des gesellschaftlichen Lebens, schließlich den Vorwurf gefallen lassen muß, sie sei nur "graue Theorie". Solche Schmähungen werden dem Denken ausgerechnet in einer Gesellschaft zuteil, die sowenig ohne das Denken auskommt, daß sie sich ganze Heere professioneller Denker leistet. Mit ihren tagtäglich erneuerten Phrasen über die Nutzlosigkeit der Wissenschaft erinnern zudem nicht nur Männer der Praxis die Wissenschaft daran, wofür sie da ist - insbesondere die Vertreter der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften pflegen sich selbst und ihren Kollegen beständig ins Gewissen zu reden; während in den Naturwissenschaften die Selbstverständlichkeit "reiner Theorie" ohne größere Umstände praktiziert wird, weil man weiß, daß richtiges Wissen noch allemal seine Tauglichkeit erweist und früher oder später in Technologien umgesetzt wird, ist es in dem Teilbereich bürgerlichen Erkennens, in dem es um die Wahrheit nie geht, an der Tagesordnung, sich der mangelnden Praxisbezogenheit zu bezichtigen. Hier stellt man sich der Frage, die dem Erfolg im bürgerlichen Getriebe gilt: was kann jemand mit diesem Stück Theorie, mit jener Aussage, mit unserer Hypothese anfangen ? Hilft ihm das Zeug beim Zurechtkommen im Konkurrenzkampf, bei seinem Dienst am Staat, beim Ertragen von Konflikten...? Daß man sich vom Wissen, das man verlangt, nicht leiten lassen will. sondern nur solches "Wissen" verlangt, das für die Fortführung längst akzeptierter, aber nicht immer einfacher Geschäfte tauglich ist. gehört zu den breitgetretensten Bekenntnissen des bourgeoisen Verstandes, die keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, was in der vom Staat veranstalteten Ausbildung geschieht. Wenn die partikularen Interessen die Sonderung der Wissenschaft vom praktischen Leben notwendig machen, weil sie der Entfaltung der Wissenschaft hinderlich sind. so geschieht diese Institutionalisierung des Theorietreibens unter den Fittichen des Staates doch eben nur um der Zufriedenstellung eben dieser Interessen willen. Wenn es also darum geht, die Früchte der Erkenntnis denen verfügbar zu machen, die sie in ihrer Praxis anwenden wollen, also Leute auszubilden und damit in die Lage zu versetzen, die ihrem Interesse entstehenden Aufgaben zu bewältigen, dann ist ihre Ausbildung auch alles andere als Bildung: auf die Aneignung von Wissen kommt es dabei nach Maßgabe der gesellschaftlichen Funktion an. auf die sie es abgesehen haben. Und wenn ein Kultusminister, der beweisen will, daß ,, Bildung und Beruf" keinen Gegensatz darstellen, ex officio verkündet:

"Bildung ist Bedingung für berufliche Leistung in einer differenzierten Berufs- und Arbeitswelt."( Hans MAIER: Bildung und Beruf - ein Gegensatz In: Kirche und Gesellschaft. Nr.l9.Hrsg. von der Katholischen sozialwissenschaftlichen Zentralstelle Mönchengladbach. Köln 1974, S.6), erinnert er uns noch an eine andere Konsequenz der Tatsache, daß der Staat Wissenschaft und Ausbildung organisiert, weil die bürgerliche Gesellschaft sie benötigt. Ohne ihre Ausbildung sind die Leute gar nicht fähig. einen Beruf auszuüben - was umgekehrt heißt, daß in ihrer Ausbildung darüber entschieden wird. was aus ihnen wird! Mit dem Fortschritt der Wissenschaft ist dem bürgerlichen Staat also ein Unternehmen ganz anderer Art übertragen: seine Sorge gilt seit den überstandenen Geburtswehen der neuzeitlichen Universität nicht so sehr der Freiheit der Wissenschaft, die er getrost dem Interesse der gebildetsten aller Staatsdiener überlassen kann, die genau wissen, wie sie Gelder beantragen müssen und wann sie unliebsame Kollegen in kritischer Diskussion aus ihrem Stand zu eliminieren haben - er bemüht sich nach Kräften darum. seinen werdenden Bürgern nützliches Wissen, für die Ausübung eines Berufs brauchbare Kenntnisse beizubringen. Er hat sie für einen Job zu qualifizieren, also mit Fähigkeiten auszustatten, die gebraucht werden, mit denen sie sich nützlich machen können - und das ist alles andere als die Vermittlung der wissenschaftlichen Erkenntnisse, die in den Idiotensilos unserer Universitäten Zustandekommen.
Die staatliche Ausbildung entzieht die Bildung der Individuen den im Schoße der Familie gegebenen Möglichkeiten ebenso wie dem Selbsterhaltungsinteresse von bornierten Ständen, etwa der Handwerkerzünfte, die ihre Berufskenntnisse von Generation zu Generation weitergaben. Auch die Kirche hat ihre Rolle in der höheren Bildung verloren, die sie ihrem eigenen Nachwuchs angedeihen ließ - soweit ihr im staatlichen Ausbildungswesen bestimmte Aufgaben übertragen werden, muß sie sich den Zwecken dieser Veranstaltung beugen: eine ihren ausschließlichen Interessen entsprechende Erziehung kann sie nur an Leuten vollziehen, die wesentliche Teile des ordentlichen Ausbildungsganges hinter sich haben. Dennoch besteht kein Grund zum Feiern, wenn Staatsmänner Sprüche wie die folgenden von sich geben:

"Gegenüber der mehr familienbezogenen, ans Haus gebundenen älteren Bildung und ihrer ständischen Gliederung, gegenüber der Figur des Hausunterricht" und des Hauslehrers trat seit dem 19. Jahrhundert das .Allgemeine' (allgemeine Schulpflicht, allgemeinverbindliche Prüfungen und Berechtigungen) in den Vordergrund." (Hans MAIER; Die Schule ist kein Freiraum. These l.)

Diese Erinnerung an alte Zeiten dient nämlich nur der Vorbereitung einer Warnung: niemand soll glauben, daß heute jeder lernen kann, was er will. Daß alle zur Schule dürfen, heißt noch lange nicht, daß es keiner Unterschiede in der individuellen Bildung mehr bedürfe:

"Wenn moderne Demokratie nicht den abstrakten Citoyen, sondern den konkreten .homme ritue' (Burdeau) freisetzt, dann muß auch das Schulwesen konkret-individuelle Freiheit und nicht nur nationales und soziales Normalmaß im Zeichen des Allgemeinen bieten."(ibid.)

Mit seiner politologischen Warnung vor dem Normalmaß macht der Kultusminister einer Illusion den Garaus, die er gar nicht mag: daß aus dem Zugang zur Schule, zu der der Staat seine jungen Bürger verpflichtet, weil sie für ihre beruflichen Dienste nicht so geeignet sind, wie Gott sie schuf, ein Recht abzuleiten sei, am Wissensschatz der Nation zu partizipieren und der Entwicklung der Individualität entsprechend dem gesellschaftlich erreichten Niveau zu frönen. Wenn der Staat mit der Institutionalisierung von Wissenschaft und Ausbildung einer gesellschaftlichen Notwendigkeit gehorcht, dann besteht kein Anlaß zu Hymnen auf das "wissenschaftliche Zeitalter" - die höheren Sphären von Erkenntnis und Bildung sind in "einen Händen sicher, nichts anderes zu werden als ein Instrument der Notwendigkeiten, denen sie sich verdanken. Nichts kann das Desinteresse des bürgerlichen Staates an der Unterrichtung des Volkes in den Wissenschaften besser bezeugen als der mühselige Prozeß der Durchsetzung eines allgemeinen Ausbildungswesens: weder lag dem Staat etwas daran, den Idealen der Philantropen in Sachen moralischer Unterweisung praktische Geltung zu verschaffen, noch ließ er sich von aufklärerischen und national gesinnten Philosophen zur Einrichtung einer Volkserziehung überreden. Und selbst die Klagen der Kapitalisten über die Verrohung ihres Arbeitsviehs, das unfähig war zum sachgerechten Gebrauch der Arbeitsmittel in den Fabriken, in denen es zugrundegerichtet wurde, waren ihm nicht Anlaß genug, ein Ausbildungswesen in Angriff zu nehmen. Erst der Kampf gegen die Kinderarbeit konnte den Staat dazu bringen. sich um die Zurichtung seines Volkes für die Dienste zu bemühen, zu denen es ausersehen war, wobei sich diese Zurichtung jahrzehntelang darauf beschränkte, die für den Beruf erforderliche, mithin lebensnotwendige Unterweisung tunlichst hinter die moralische Erziehung zu Fleiß, Gottesfurcht und Bescheidenheit, vor allem aber zur nationalen Gesinnung zurückzustellen. Es versteht sich von selbst, daß die Loslösung der überkommenen Universität, einer Institution der Kirche, aus ihren ständischen Diensten eine Folge der Notwendigkeiten war, denen der Staat im Ausbildungswesen gehorchte - daß also die Freiheit der Wissenschaft ein Produkt des Bedarfs der Industrie nach ausgebildeten Arbeitern, damit der bürgerlichen Gesellschaft nach Ausbildern und nach Institutionen darstellt, die das Wissen und diejenigen zur Verfügung stellen, die es weitergeben.
Die moderne Wissenschaft präsentiert sich in ihrem Nebeneinander von richtiger Naturerkenntnis und parteilichen, somit falschen Theorien über alles Gesellschaftliche als Mittel des Staates und der Konkurrenz, welche der Staat erhält. Sie agitiert in der letztgenannten Abteilung offen gegen die Opfer von Staat und Konkurrenz, beschwört geradezu ihre "Notwendigkeit" und stellt sich so bereitwillig den praktischen Problemen, die dem Staat aus der Fortführung seiner Geschäfte mit denen, die den Schaden haben, erwachsen, so daß sich das Ergebnis der hier angestellten Untersuchung voraussagen läßt: die Realisierung solcher Art Funktionalität, dieser Art von Unterwerfung unter "die" Praxis, die im Ausbildungswesen vollzogen wird, kann nur nähere Auskünfte über die Gesellschaft liefern, die sich diese Wissenschaft leistet.
Nach der Analyse der modernen Zurichtung von tauglichen Gliedern unserer Demokratie wird auch die Freude über den "Fortschritt" hinfällig, die sich mancher bei dem Verweis auf die Durchsetzung des Ausbildungswesens noch gestattet haben mag. Auch diejenigen, die bei allem, was die arbeitende Klasse erkämpft hat, glasige Augen bekommen (weil sie nicht wissen, daß sie bisher vor allem den Klassenstaat erkämpft hat), werden ihren ganzen Idealismus aufbieten müssen, wenn sie von der Demokratisierung der Schule nicht ablassen wollen. Kurz: der Staat verfolgt mit der Ausbildung keine anderen Zwecke als die Wissenschaft, die frei unter seinem Schütze gedeiht; er schreitet lediglich zur praktischen Unterwerfung seiner Bürger unter die Notwendigkeiten, die seine Theoretiker, für notwendig halten. (Die in diesem Teil angeführten Gesetzestexte, Äußerungen von Staatsmännern und ihnen hilfreich zur Seite stehenden Wissenschaftlern ersparen uns also von vorneherein die Frage nach der Richtigkeit der enthaltenen Argumente. Einerseits ist klar, daß alle Dummheiten der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften hier nicht nur wiederholt werden, sondern das ideale Feld ihrer Betätigung finden. Andererseits geht es auch nicht dem Scheine nach um Erklärungen. Es sind Maßnahmen und ihre Zwecke, die verkündet, bisweilen gerechtfertigt werden - und die "Begründungen" verweisen auf Unannehmlichkeiten, die den Betroffenen zugemutet werden, sowie auf das Interesse, das der Staat an ihnen hat.)
So erteilt er zunächst den Hochschulen ihren Bildungsauftrag und macht die Herren Wissenschaftler eindringlich darauf aufmerksam, daß die schönen Forschungsstätten nicht für sie gebaut werden. Es kommt ihm auf

"den ständigen Wechselbezug zwischen dem aus Forschung und Lehre kommenden Impulsen und Erfahrungen einerseits und den Ansprüchen der Gesellschaft an eine wissenschaftliche Berufsvorbereitung andererseits" (Regierungsentwurf für ein Hochschulrahmengesetz. Begründung zu § 10)

an, und er stellt mit diesem Gesetzestext, dessen Jargon nicht zufällig an die Phrasen kritisch-rebellierender Studenten erinnert, klar, daß er außerhalb des wissenschaftlichen Fortschritts liegende Kriterien geltend macht, wenn er die Erträge der Forschung unter die Leute bringen laßt. Der "Wechselbezug" zwischen der Wissenschaft, deren theoretische Unterwerfung unter die bestehende Praxis aus dem Erkennen in der Tat eine Quelle von "Impulsen" werden läßt, und der Praxis, die als gesellschaftlicher Anspruch auftritt, ist längst zugunsten der letzteren entschieden.
Es geht nicht um die Gestaltung der Praxis auf der Grundlage und mit Hilfe von angeeignetem Wissen, sondern um das Zurechtkommen mit den "Anforderungen einer hochentwickelten Industriegesellschaft", die in deren arbeitsteiligen Funktionen enthalten sind. Der Ausbildung an den Hochschulen wird

"ein praktisches Ziel gesetzt: wissenschaftliche und künstlerische Berufsausbildung oder Berufsvorbereitung" (ibid., Begründung zu § 2)

Wenn die gesamte Diskussion um die Hochschulreform von Kontroversen über die zu erreichende "Praxisnähe" und die Überwindung der "Praxisferne" bestimmt wurde, dann deswegen, weil sämtliche Parteien in diesem Streit die Nützlichkeit von objektiver Erkenntnis bezweifelten und die Unterwerfung der Ausbildung unter die Interessen der gesellschaftlichen Gruppen anstrebten, für die sie sprachen. Der traditionellen Ausbildung und im Gefolge davon auch der Wissenschaft legten sie zur Last. daß sie keine tauglichen Instrumente für die Bewältigung der sie interessierenden Probleme darstellten, und verlangten vom Staat Reformen, die über die Funktionalisierung des Ausbildungswesens für ihre Anliegen ihre Schwierigkeiten aus der Welt schaffen sollten.
An der Art und Weise, wie unser Staat mit solchen Ansprüchen seiner unzufriedenen Bürger fertig geworden ist, läßt sich nicht nur studieren, daß der Zweck eines demokratischen Ausbildungswesens keineswegs einem prinzipiellen Desinteresse des Staates an gebildeten Individuen widerspricht. Seine Reaktion auf die Beanstandungen an den Mängeln des überkommenen Ausbildungsbetriebs macht auch deutlich, daß seine Dienste nicht mit der Beseitigung von Hindernissen zu verwechseln sind, von Hindernissen, an denen die Mehrzahl seiner Bürger scheitert und ihren Unmut entwickelt.
Während er auf der einen Seite keinen Zweifel darüber aufkommen läßt, daß auch ihm etwas an der Veränderung der Universitäten, höheren Schulen und Grundschulen liegt, richtet er sich auf der anderen Seite bei seinen Reformbemühungen keineswegs nach den Ansprüchen, die aufmüpfige Studenten und enttäuschte Lehrer sowie Eltern angemeldet haben. Die praktische Zielsetzung des Staates deckt sich nicht mit dem Interesse derer, die im Ausbildungssektor eine Veranstaltung sehen, die ihr Fortkommen fördert oder behindert - was sich zunächst daran zeigte, daß eine Spezies von Wissenschaftlern auf den Plan gerufen wurde, die sich mit den ökonomischen Wirkungen der Ausbildung befaßte. Von ihnen hofften die maßgeblichen Männer der Politik zu erfahren, welche Entscheidungen das wirtschaftliche Wachstum befördern, welche bildungspolitischen Maßnahmen die Produktivität des Kapitals erhöhen und wie der Produktionsfaktor Wissenschaft und Technik zur Konkurrenzfähigkeit der BRD im internationalen Wettbewerb beitragen kann. Die Bildungsökonomen entwickelten durch die schöpferische Verwandlung ihrer jeweiligen Interessen in verzinkte Berechnungen ihren Pluralismus von Theorien und demonstrierten außer der Überflüssigkeit ihrer Ratschläge für den Staat wenigstens in einem ihre Nützlichkeit; sie bewiesen trotz aller Divergenzen das, wovon sie mit ihrem Staatsstandpunkt ausgegangen waren: daß Wissenschaft und Ausbildung nicht unter allen Umständen ein lohnendes Geschäft sind und der Staat gut daran tut, den in seiner Gesellschaft lautgewordenen Rufen nach Erweiterung der wissenschaftlichen und Ausbildungsinstitutionen nicht ohne weiteres zu folgen. Zwar wurde von niemandem die Notwendigkeit solcher Anstrengungen bestritten - einen generellen Zusammenhang zwischen einem Mehr an Wissenschaft und Vermehrung des nationalen Reichtums wollte jedoch niemand so recht behaupten. Und auch dies kam heraus: daß Qualifikationen, die aus Bildungsprozessen sich ergebenden Fähigkeiten der Individuen, zwar in jedem Fall dem Staat Kosten verursachen, aber deswegen noch lange nicht immer Nutzen bringen und begrüßt werden. Und diese "Erkenntnis" bringt Nutzen: Wenn sich Staatsagenten die "Argumente" ihrer bildungsökonomischen Berater zueigen machen, dann sind sie auch in der Lage, den mit dem Ausbildungswesen unzufriedenen Bürgern aufs Eindringlichste vorzurechnen, daß es ihr Schaden ist, wenn sie sich mit Hilfe von Bildung mehr Erfolg sichern wollen und keine Rücksicht darauf nehmen, daß sich der gewünschte Erfolg nur einstellt, wenn sie etwas Brauchbares gelernt haben. Insbesondere Kultusminister zeichnen sich dadurch aus, die Bedarfsrechnungen von Ökonomen, die klar zeigen, wie wenig Ausbildung für wie viele Berufe genügt, in bildungspolitische Agitation zu übersetzen. Zwar haben sie sich gemeinsam mit Bildungsökonomen und Soziologen angesichts der zunehmenden Nörgelei an den vorhandenen Schulen und Hochschulen einige Sorgen gemacht und auch ihnen war es eine Zeitlang zweifelhaft, ob die eigene Nation künftig in der Konkurrenz mit anderen Nationen, die viel auf ihr Ausbildungssystem verwenden, Schritt halten würde. Doch nach den Jahren der Reform besinnen sich diese Typen wieder darauf, daß der Gang durch die diversen Bildungsanstalten vor allem deshalb wichtig ist. weil er die Jugend auf verschiedene Berufe verteilt - und daß in der Hierarchie dieser Berufe nicht alle ganz oben landen können. So lautet die Analyse von Hans MAIER zur Lage des Ausbildungswesens in den 70er Jahren:

"Heute sind viele Forderungen der Bildungsreformer nicht nur erfüllt, sie sind teilweise übererfüllt worden. Damit aber sind neue Probleme entstanden. Studienmöglichkeiten für alle Abiturienten konnten dank einer gewaltigen Anstrengung zur Gründung neuer und zum Ausbau der vorhandenen Hochschulen angeboten werden. Doch auf die Dauer war es unmöglich, den tertiären Bereich im Tempo des Sekundärschulausbaus zu vermehren. Und nun gewann ein Gesetz der Bildungsexpansion Geltung, das in den euphorischen Anfangsjahren nicht beachtet, ja geleugnet worden war: Wenn drei- bis viermal soviel Anspruchsberechtigte nach dem gleichen, nicht grenzenlos vermehrbaren. Gut - weiterführende Bildung, Studienplätzen, Akademikerpositionen - nachfragen, wird der Wettbewerb harter. Eine zunehmend größere Zahl muß ausscheiden - oder immer länger warten. Damit war der Numerus clausus programmiert: als Folge eines überhöhten Tempos der Bildungsexpansion und einer Inflation der Ansprüche. Dieser Stau vor den Hochschulen wirkte auf die Schulen zurück und setzte dort das Leistungsprinzip abrupt wieder in Kraft, das man in den Jahren der antiautoritären Welle sanft aus den Schulen herauskomplimentiert hatte." (Hans MAIER: Ein Pyrrhussieg der traditionellen Bildungsidee. In: SZ vom 17.9.76)

Wenn wie hier - im Seitenhieb auf die Reformpartei - ein Zuviel an Bildungsexpansion getadelt wird, läßt sich die Frage nach dem Wofür nicht umgehen. Obgleich der Arbeitsmarkt, der uns zur Antwort auf diese Frage führt, viele verschiedene Positionen als Angebot bereithält, fragen zuviele Leute mit Hilfe ihrer Bildungsanstrengungen nach den gleichen Positionen nach, die zudem für MAIER unter die Kategorie "nicht beliebig vermehrbarer Güter" gehören. Der Haken liegt dabei nun nicht in der traurigen Wahrheit, daß die Arbeitsteilung, die er zum Argument macht, sowohl der Bezahlung nach wie in bezug auf die Anstrengung, welche die verschiedenen Berufe auszeichnet, so hierarchisiert ist, daß alle möglichen Leute am liebsten einen studierten Beruf hatten; auch die offen eingestandene Tatsache, daß für die niedrigeren Berufe Bildung zur unerwünschten, weil kostspieligen Ausstattung der sie ausübenden Individuen wird, stört maier nicht. Auch ohne "Bildungsexpansion" ist das so gewesen, und trotz der unseligen Veränderungen im Bildungswesen sorgt ja der härtere Wettbewerb dafür, daß sich letztlich doch nichts ändert: weder ist es dazu gekommen, daß in Bayern übermäßig viele Kultusminister amtieren, noch fehlt es Mitte der siebziger Jahre an Knochenarbeitern - im Gegenteil, die Behörde von Herrn Stingel meldet beständig eine erkleckliche Zahl von Arbeitslosen! Der Kultusminister übersetzt sogar "Konkurrenz" in "Leistungsprinzip", um klarzustellen, daß ihm die ehernen Gesetze des Arbeitsmarktes, die sich wider alle reformerische Unvernunft Bahn brechen, recht geben und als Regulativ ihre Wirkung tun.
Die Kritik an den im Zeichen des "Bürgerrechts der Bildung", des "Kampfes gegen den Bildungsnotstand" durchgeführten Erweiterungen des Bildungswesens richtet sich gegen die "Inflation der Ansprüche", die entstanden ist. MAIER weiß auch genau, was das "Leistungsprinzip" leistet, denn er erwähnt ganz nebenbei Anspruchsberechtigte, denen der Arbeitsmarkt erst beibringen muß, daß ihnen weder Anspruch noch Berechtigung bei ihrer Nachfrage eine Hilfe sind. Die alte Form der Verteilung der Jugend auf die Hierarchie der Berufe war ihm lieber, weil sie die Bildungsanstalten gar nicht erst so vielen Leuten zugänglich machte und somit erst gar nicht den Beweis zuließ, den mittlerweile eine ganze Reihe von Oberschülern und Studenten angetreten haben: daß sie für Berufe und fortführende Ausbildungsgänge tauglich sind, ohne allerdings "nachgefragt" zu werden. Dieser "Leistungsnachweis" ohne gesellschaftliche Anerkennung erzeugt Unzufriedenheit; er stellt nicht nur die Mär vom Leistungsprinzip in Frage - das, wirklich angewandt, bis heute Herrn MAIER für seine wissenschaftlichen Versuche noch keinen Proseminarschein eingebracht hätte, es läßt die Betroffenen wie die vom gleichen Mißerfolg Bedrohten am Staat zweifeln, dessen Männer immer darauf beharren, daß sie Schulen für ihre Bürger bauen. So sehr sich der Minister auf das Regulativ des Arbeitsmarktes verläßt, so wenig schätzt er die Wirkungen der in den Bildungssektor verlagerten Konkurrenz, denn aufgrund der zur Gewohnheit gewordenen Garantien, die gewisse Zeugnisse früher boten, fordern diese Wirkungen zur Kritik heraus. Und die mag MAIER nicht, selbst wenn sie vom Standpunkt des empörten Staatsbürgers aus vorgetragen wird:

"Die bis jetzt geschilderten Ungleichgewichte und Verzerrungen wären freilich zu regulieren, die falschen Wege der Bildungsreform zu revidieren gewesen, hätte sich nicht in den späten sechziger Jahren ein Begriff (!) von Bildung und Bildungsplanung in der Öffentlichkeit durchgesetzt, der sich gegen jede Korrektur von außen immunisierte. Die Meinung verbreitete sich, Bildung sei ein autonomer Wert in sich, der auf die 'Sachzwänge' von Beruf und Bedarf keine Rücksicht zu nehmen habe. Studentenrevolte und Frankfurter Schule sind Synonyme für diese Entwicklung." (ibid.)

Mit dergleichen Angriffen auf falsche Begriffe von Bildung bringt es dieser CSU-Politiker nun schon einige Jahre lang fertig, einerseits so zu tun, als hätten er und seine Parteifreunde nicht nach Kräften am Reformwerk der letzten Jahre mitgewirkt und sich nicht ebenfalls bei Bürgern, die dem Ideal des "Rechts auf Bildung" anhängen, lieb Kind gemacht; andererseits verschaffen ihm diese falschen Erklärungen des Wandels in Sachen Bildungspolitik stets den Übergang zur Notwendigkeit, die er den Leuten beibringen will:

"Inzwischen beginnen unter dem Druck von Wirtschaftskrise und (auch) Akademikerarbeitslosigkeit diese Tendenzen abzuflauen. Eine realistische Sicht der Dinge setzt sich wieder durch. Eine vernünftige Bildungspolitik muß daraus die Folgerung ziehen, daß es in den kommenden Jahren darauf ankommt, das Gleichgewicht zwischen Beruf und Bildung, beruflichem und allgemeinem Bildungswegen wiederherzustellen. das durch die einseitige Werbung für die allgemeinbildenden und akademischen Schulen und Hochschulen auf Kosten des beruflichen Bildungswesens gestört und verzerrt worden ist." (ibid.)

Die "realistische Sicht der Dinge", die er für die künftige Bildungspolitik nutzbar machen will, besteht nicht etwa darin, daß die "berufliche Bildung" (man beachte die Verwandlung der schönen höheren Positionen in "Nicht-Berufe"!), d.h. die Ausbildung für gewöhnliche Lohnarbeit, mies ist. Nein, nur das "Gleichgewicht" zwischen beruflichem und allgemeinem Bildungswesen ist gestört und verzerrt worden! Wodurch? "Durch die einseitige Werbung" für den höheren Kram. Deutlicher kann man nicht ausdrücken, daß man die Ausbildungsinstitutionen als ein Mittel zur Verteilung des Materials auf die diversen Berufe ansieht und die Leute m ihrem gleichgewichtszerstörerischen Drang nach einem besseren Aus- und Einkommen als eben das umverteilende Material handhaben will. MAIER aber kann es deutlicher ausdrücken, und er tut das, weil er ein demokratischer Staatsmann ist, der seine Bürger lieber überredet, als sich über den Umweg des kalt reagierenden Arbeitsmarkts und heißer Demonstrationen von Studenten, Eltern, Schülern etc. Situationen einzuhandeln, in denen er die Gewalt des Staates einsetzt (obgleich er sich darauf durchaus versteht); deshalb fährt er fort:

"Dazu ist die Emanzipation des beruflichen Bildungswesens vom Übermächtigen Druck allgemeiner Bildungsüberlieferungen nötig. Kerschensteiner muß - endlich! - neben Humboldt treten." (ibid.)

Die Übersetzung dessen, was ihn ärgert: daß zuviel Leute hoch hinaus wollen und das Vertrauen in die Nützlichkeit ihres Staats mit all seinen Bildungseinrichtungen verlieren, wenn sie nicht dürfen, in die Erfindung eines "übermächtigen Drucks" von Überlieferungen hat Format. Sie führt nämlich zu dem absonderlichen Emanzipationsprozeß des "beruflichen Bildungswesens" von falschen Vorstellungen, die sich in den Köpfen der Leute befinden, die ihre Kinder lieber Studienrat werden lassen als Schreiner. Wodurch auch ausgesprochen ist, daß sich nicht das berufliche oder sonst ein Bildungswegen zu ändern hat, sonder die - durch zuviel Humboldt-Lektüre zustandegekommenen - falschen Erwartungen an die Segnungen höherer Bildung.
Die Identifikation von HUMBOLDT mit der Einstellung der Bürger, die der Staatsmann MAIER nicht mag, ist die zweite reife Leistung dieses Bayern, der sich mit faschistischen Argumenten äußerst gut in der Demokratie zu bewähren weiß - aber nicht etwa deshalb, weil sie falsch ist. Daß moderne Wissenschaftler und Staatsmänner die großen alten Männer der bürgerlichen Philosophie für ihren Mist vereinnahmen, gehört zu den Selbstverständlichkeiten ihres Berufs. Reif ist vielmehr das Vorhaben maiers zu nennen, die von ihm geliebten Ideen KERSCHENSTEINERs nicht an die Stelle der verachteten HUMBOLDTschen Vorstellungen treten zu lassen, sondern neben sie. Damit wird aus dem "Pyrrhussieg" der traditionellen Bildungsidee deren Sieg über die falschen Leute, nämlich über die, welche sich besser an KERSCHENSTEINER halten sollten. Und damit auch die Pädagogik-Studenten, die sich immer nur mit Curriculum-Forschung und Sprachbarrieren sowie mit Vergleichen von lernenden Kindern und Ratten herumschlagen, erfahren, warum der Kultusminister einen ehemaligen Münchener Stadtschulrat neben HUMBOLDT treten lassen will, und auf diese Weise der Mehrheit seines Volkes empfiehlt, im Interesse des "Gleichgewichts" zwischen beruflicher und allgemeiner Bildung vom Aufstiegsstreben abzulassen, reißen wir ein Zitat aus dem Zusammenhang:

"Der Sinn der Arbeitsschule ist, mit einem Minimum von Wissensstoff ein Maximum von Fertigkeiten, Fähigkeiten und Arbeitsfreude im Dienste staatsbürgerlicher Gesinnungen aufzulösen" (G. KERSCHENSTEINER: Begriff der Arbeitsschule. Leipzig - Berlin 1913, S. 79)

Und noch eins:

"Die Begabung der Massen liegt ... durchaus nicht auf den Arbeitsgebieten rein geistiger Tätigkeit, sondern der manuellen Arbeit" (op.cit.,S.24)

So gekonnt MAIER auch die Zielsetzung darlegt, die mit seinem Amt verbunden ist - Originalität muß ihm abgesprochen werden. Er selbst zitiert verschämt einen SPD-Kollegen, der keinerlei Wert darauf legt, etwas von der konservativen Bildungspolitik Abweichendes zu sagen. Ulrich LOHMAR, ebenfalls Professor und Politiker, sieht die Sache so:

"Bildung als Bürgerrecht wurde von den Sozialdemokraten und Liberalen im letzten Jahrzehnt in einer Weise verwirklicht, die den sozialistischen (!) Gedanken der Chancengleichheit mit dem Bildungs- und Aufstiegbegriff des Bürgertums vermischte", (U. LOHMAR: Bankrott des Aufstiegsideals . In: DIE WELT vom 8.7.1976)

Daß das "Aufstiegsideal" aus demselben Grund "bankrott" geht wie alle Ideale, hat dieser selbstkritische Sozialdemokrat nicht bemerkt. Die Natur des Ideals als zorn- und troststiftende Begleiterscheinung der Beschränkungen des realen bürgerlichen Lebens ist für Sozialdemokraten ein "Geheimnis", weil sie mit der Anbetung der Ideale ein brauchbares Mittel für das Vorgehen des Staates gegen die Leute gefunden haben. (Vgl. MSZ 5/1975: Orientierungsrahmen '85) Daß aber nicht jeder dasselbe machen kann wie das "Bürgertum", also "aufsteigen", ist diesem Fanatiker der Konkurrenz, die er "Chancengleichheit" nennt, aufgefallen. Deshalb behält er diesen "sozialistischen Gedanken" bei und tritt dafür ein, daß die kleinen Unterschiede, die am Ende verschiedener Ausbildungsgänge zutage treten, als gleichwertig zu betrachten sind;

"Die Grundfrage einer demokratischen Gesellschaftspolitik richtet sich auf das Verhältnis von geistiger, administrativer und körperlicher Arbeit. Wäre man von der Gleichwertigkeit beruflicher Neigungen, Tätigkeiten und Fertigkeiten - nicht von ihrer Gleichheit - ausgegangen, dann hätten sich wohl nicht so viele Eltern und Jugendliche auf das einseitige Karrieremuster von Abitur und Studium festgelegt," (LOHMAR: Bankrott ...)

Und die Entdeckung der "Gleichwertigkeit", des staatsmännischen Synonyms für Verachtung und Gleichgültigkeit gegen die Gründe der Unzufriedenheit, die es zu verwalten gibt, treibt Woche für Woche neue Blüten. Sagt der eine, daß "der Mensch nicht beim Akademiker beginnt", bemüht sich der andere, die "Möglichkeiten der Entfaltung" in jedem Beruf herauszustreichen. "Spezialisierung" ist nicht schlimm, weil sie "Vertiefung" gestattet ... "Es kann sehr gebildete Arbeiter geben und sehr ungebildete Akademiker" ... überhaupt:

"Bildung hängt nicht an Zertifikaten, akademischen Prüfungen. Bildung bat, wer seine Person entfaltet in dem Raum und Rahmen, in den er hineingestellt ist und in dem er Verantwortung zu übernehmen bereit ist." (MAIER; Ein Pyrrhussieg ...)

Wenn ein für das Bildungswesen zuständiger Staatsmann zu solchen Definitionen schreitet, sagt er keineswegs, daß es auf Bildung nicht ankommt. Er spricht aus, worauf es bei den Ausbildungsveranstaltungen des Staates ankommt. Am Resultat, an der sich "entfaltenden Person", die durch den Ausschluß von höherer Bildung in einen "Rahmen" hineingestellt wurde und sich dennoch pflichtbewußt fügt, verrät er den Zweck der Schule: die Zurichtung der Individualität auf die begrenzte Tauglichkeit für einen Beruf und die Erziehung zu einer Einstellung, die diese Reduktion verantwortungsbewußt hinnimmt.

B. Die Zurichtung der Persönlichkeit

Die Laufbahn der Persönlichkeit beginnt mit dem Eintritt in die Grundschule. Hier werden alle Kinder, ohne Rücksicht auf ihre Herkunft, in die Anfangsgründe des Wissens eingeführt. Sie erlernen die für jeden Beruf elementaren Fertigkeiten im Lesen, Schreiben. Rechnen, werden also zur bewußten Handhabung der in der Familie erlernten Sprache, d.h. zum Denken erzogen und zum Umgang mit abstrakten Quantis gebildet, welcher außer zum Geldzählen auch als Grundlage für eine erste Befassung mit den Naturgesetzen vonnöten ist. Daß die bürgerliche Gesellschaft ihre werdenden Mitglieder zur Allgemeinbildung verpflichtet, deutet darauf hin, daß ihr Bestehen nur durch Individuen gewährleistet wird. die ihren Verstand gebrauchen. Wie wenig dieser Fortschritt gegenüber allen früheren Gesellschaften Anlaß zur Freude ist, ergibt sich jedoch bereits aus dem Gebrauch des Verstandes, der den Kindern neben den rationalen Abteilungen ihrer Erziehung beigebracht wird. Von Anfang an dient der Deutschunterricht der moralischen Indoktrination, die sich zunächst als Interpretationsveranstaltung an diversen Lesestücken abspielt, aber auch im Religions-, Sozialkunde- und Geschichtsunterricht zur ausschließlichen Beschäftigung wird. Kaum hat das Kind begonnen, die Willkür seiner bisherigen geistigen Tätigkeit abzustreifen und an die Stelle albernen Assoziierens beliebiger Anschauungen, die sein Spiel begleiten, die kontrollierte Analyse seiner Vorstellungen treten lassen, wird ihm klargemacht, daß es mit der Erziehung zum theoretischen Verhalten, zum Begreifen all dessen, was es erfährt, so ernst nicht gemeint war. Die Entwicklung seiner geistigen Fähigkeiten ist nur bedingt, d.h. überhaupt nicht Zweck seiner Ausbildung, sondern soll für die Beherrschung einer praktischen Stellung, einer Einstellung bei allem, was es künftig tut und läßt eingesetzt werden. Es soll zwar kein Soziologe werden, aber so handeln, wie es Soziologen und ihre Kollegen von der Politologie in ihren vulgären Traktaten für notwendig erachten:

"Auch das soziale Verhalten wird nicht nur erfahren, sondern bewußt geübt, weil die Grundschule sich mehr und mehr als einen Teil der sozialen Umgebung versteht. Der Übergang aus der intimen Sphäre der Familie in die rauhere Welt der freien Gesellschaft setzt sich fort. Das Kind muß seinen Platz in der Gemeinschaft finden, es muß lernen, sich einzuordnen, aber auch sich zu behaupten. (Ernst HÖHNE: Der Neuaufbau des Schulwesens nach dem Bildungsgesamtplan der Bund-Länder-Kommission. Bamberg, 1972. S. 43)

Für die Übung dieses sozialen Verhaltens freilich leisten die Noten, die es in der Schule gibt, viel mehr als die mehr oder minder geschickten Versuche der Lehrer, ihren Zöglingen eine Gesinnung beizubringen. Denn die Beurteilung der Leistungen hat den unbestreitbaren Vorzug, daß sie sich auf den Probecharakter von Übungen gar nicht erst einläßt. Da wird nämlich festgestellt, was sich ein Schüler bereits angeeignet hat oder was ihm noch fehlt. Die Benotung schließt die Entscheidung darüber ein. ob der Benotete m die nächsthöhere Klasse aufsteigt oder nicht - und nach vier Jahren Grundschule stellt sich zumindest für die Eltern heraus, daß ihr Sprößling bereits eine Lebenschance vertan hat. Die Schüler mit den schlechten Noten können sich auf die Fortsetzung ihrer Bildung in der Hauptschule einrichten, die mit den guten Zeugnissen setzen die Entfaltung ihrer Persönlichkeit in der höheren Schule fort.
Wenn also Kindern die Notwendigkeit eifrigen Schulbesuchs damit erklärt wird, daß man lernen muß, um etwas zu werden, dann lehrt die praktische Erfahrung fast dasselbe; sie konkretisiert die Moralpredigt des Elternhauses. Man muß lernen, um etwas nicht werden zu müssen. Denn für den Teil der Schüler, der auf der Hauptschule bleibt, steht fest, was er nicht mehr werden kann. Die Laufbahn in den verschiedenen Schularten endet nämlich mit Abschlüssen, die zum Eintritt in bestimmte Arten der beruflichen Bildung berechtigen und von anderen Arten ausschließen. Diese Auslese hat allerdings mit einem bestimmten Beruf zunächst gar nichts zu schaffen - sie ist negativ und schließt ihre Opfer von den Qualen weiterer Allgemeinbildung aus bzw. reduziert diese beträchtlich. Einer großen Anzahl von Schülern wird so frühzeitig beigebracht, daß an der Fortsetzung ihrer Bildung nur noch begrenzte" Interesse besteht. Die Unterschiede in der Fähigkeit, sich Wissen anzueignen, geben nicht Anlaß, sich mit den Lernenden entsprechend ihren Mängeln so zu befassen, daß diese Mängel verschwinden - jede solche Differenz gilt als willkommenes Indiz dafür, daß es sich lohnt, die Besseren mit weiterführendem Wissen zu konfrontieren. und daß es sich nicht lohnt, die Schlechteren mit diesem Wissen zu belasten. Für die einen verlängert sich der Weg bis zu den eigentlich berufsbildenden Stufen der Ausbildung, für die anderen verkürzt er sich.
In einem "differenzierten Schulwesen" haben Kinder somit ausreichend Gelegenheit, "sich einzuordnen, aber auch sich zu behaupten." Wer die Kunst des Sich-Behauptens nicht beherrscht, kann sich auf die der Einordnung spezialisieren, die - das macht die laufende Leistungsbeurteilung und die ihr folgende Entscheidung klar - dringend erwünscht ist. Der Vergleich der Leistungen, der an der Beherrschung der rationellen wie irrationellen Momente des Bildungsprogramms vorgenommen wird. bringt die Unterschiede hervor, nach denen die Fortführung der Karriere innerhalb de" Ausbildungsgefüge" und die Verteilung des Schülermaterials auf die Hierarchie der Berufe erfolgt. Die Differenzierung der Schule wird von dieser Zielsetzung her als pädagogisch motivierte Rücksicht auf die Individualität der Schüler, die man nicht entwickeln will, gefeiert:

"Wenn jeder Schüler, wie es im Bildungsgesamtplan heißt, nach Neigungen und Fähigkeiten so gut, wie es nur möglich ist, motiviert und gefördert werden soll, dann verlangt auch diese Stufe (gemeint ist die Sekundarstufe I) ein System der Differenzierung, das auf die unterschiedlichen Anlagen und Gestimmtheiten der jungen Menschen Rücksicht nimmt. Der Anspruch auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ist durch das Grundgesetz garantiert."(E. HÖHNE, op. dt., S. 51)

Dabei tut es der Persönlichkeit keinen Abbruch, wenn sie aufgrund von Schwierigkeiten, relativ schnell - relativ, weil im Vergleich mit den Leistungen der anderen sich entfaltenden Persönchen - das dargebotene Wissen neben der es infragestellenden Einstellung zu ihrer Sache zu machen, von gewissen Bemühungen der staatlichen Auslesebeamten verschont bleibt. Sie bewährt sich gerade in dem Eingeständnis, daß es bei ihr zu mehr nicht langt, "trotz" der Anstrengungen der Lehrer, ihren Fähigkeiten gerecht zu werden: jeder auf der Hauptschule verbliebene kann sicher sein. daß er - so wie er ist und dumm, wie es seiner Individualität entspricht gebraucht und geschätzt wird. Ohne lange Jahre hindurch in Besinnungsaufsätzen die Vor- und Nachteile von allem und jedem gegeneinander aufgerechnet zu haben, aber auch ohne die wirklichen Kenntnisse, die ein Realschüler oder Gymnasiast mitbekommt, wendet er sich der speziellen Ausbildung für seinen Beruf zu. Das elementare Wissen aus seiner vorangegangenen Laufbahn wird nur noch in dem Maße erweitert, wie es für die Beherrschung seiner praktischen Tätigkeit unerläßlich ist. Und die praktische Ausbildung findet gewöhnlich bereits in dem ,,Rahmen" statt, den die Betroffenen ihr Leben lang nicht mehr verlassen, weil sie in ihn ,,hineingestellt" worden sind: Im Betrieb, wo die Unterweisung aufs Erfreulichste mit der Benützung der werdenden Persönlichkeit zusammenfällt. Wenn dabei Bierholen und Saubermachen dem Lehrling als Bestandteile seiner Ausbildung als zweifelhafte Mittel für sein Fortkommen im Beruf erscheinen und er bei seiner Kritik von diversen Organisationen unterstützt wird, finden sich noch stets Befürworter der Art und Weise, wie mit ihm umgesprungen wird. Und ihr Hinweis auf die Lehrjahre, die keine Herrenjahre sind, verdient Beachtung, drückt er doch schlagend aus, daß vor allem darauf Wert gelegt wird, dem Lehrling die Tugend der Unterordnung beizubringen. die dringend in den Jahren nach der Lehre vonnöten ist - denn auch diese sind keine Herrenjahre, sondern lassen ihn spüren, daß der "Ernst des Lebens" begonnen hat. In ihren. Volksweisheiten, die den Auszubildenden einmal als den hinstellen, der gewisser Annehmlichkeiten noch nicht würdig sei, das andere Mal sein Lernen mit Vorzügen versehen, derer er sich später nicht mehr erfreut, spricht die bürgerliche Gesellschaft die Wahrheit über die ,,berufliche Ausbildung" aus - freilich so. daß für die Rücksichtslosigkeit gegenüber den Opfern solcher Ausbildung Partei genommen wird.
Begründet ist die Hoffnung auf einen künftigen Lohn der Anstrengungen, die man in der Ausbildung auf sich nimmt, jedoch bei denen, die es geschafft haben, in die Sphären der höheren Bildung aufzusteigen. Aber auch bei ihnen ist das Zugeständnis, das ihnen gemacht wird - sie dürfen länger lernen und bleiben vom Zwang, sich nützlich zu machen, ein paar Jahre verschont, die ihre Altersgenossen in der Fabrik zubringen -, an die Bedingung geknüpft, daß sie sich durch ihre theoretische Ausbildung tauglich machen für die Funktionen im praktischen Leben. Und diese Bedingung erfahren sie in Form des von der Hauptschule bekannten Leistungsvergleichs, in dem sie sich vor anderen Bewerbern um die schönen Positionen, die MAIER als nicht beliebig vermehrbare Güter bezeichnet, verdient machen müssen.
Diesen Beweis dafür, daß sie für die begehrten Stellen im Staatsdienst die richtigen Leute sind, treten die Studiosi erst einmal dadurch an, daß sie während der Zeit ihrer Ausbildung ihren Lebensunterhalt mit wenig Geld bestreiten. Die kärglichen Unterstützungen durch den Staat, die zudem oft als Darlehen verabreicht werden, reichen nicht und stimulieren die angehenden Akademiker zu allerlei Nebenbeschäftigungen sowie zu einer gedeihlichen Orientierung an den Zumutungen des Elternhauses. Da sich die Nebenbeschäftigungen auf die Leistungsfähigkeit im Studium negativ auswirken und die Zuwendungen der Familie in vielen Fällen die Unterwerfung unter die Wünsche der Eltern nur unzureichend entgelten, zeichnen sich viele Studenten nicht nur durch Schwierigkeiten bei der Absolvierung ihres Studiums, sondern durch einige Unzufriedenheit mit ihrem Los aus. Sie kritisieren den Staat, weil er das Zustandekommen ihrer Qualifikation zu einer Frage ihrer Opferbereitschaft macht, obgleich er doch durch die Einrichtung von Universitäten, von entsprechenden Ausbildungsgängen und Prüfungen dem Bedarf "der" Gesellschaft nach akademischen Berufen gerecht werden will. Dieses Beharren auf der Berechtigung zum Studium und seiner materiellen Absicherung beantwortet der Staat damit, daß er es zur Pflicht macht, sich in der Konkurrenz zu bewähren, verweist auf seinen Geldmangel sowie auf die ehernen Gesetze des Arbeitsmarktes, die auch für Akademiker gelten, und beschränkt sich darauf, Gesetze für die Prozeduren des höheren Bildungswesens zu erlassen, die die Konkurrenz organisieren, statt die gewünschten Erleichterungen des Studiums zu verschaffen. Sofern Studenten diese Maßnahmen zum Anlaß nehmen, statt nur zu studieren auch noch zu demonstrieren, erfahren sie, daß es gerade bei der künftigen Elite der Nation, die sich zum größten Teil im Staatsdienst beruflich betätigt, auf die Persönlichkeit ankommt. Der Staat gibt ihnen eine weitere Gelegenheit, sich als fähige Anwärter für Positionen in seinem Aufgabenbereich darzustellen, indem er .kritisch gegen sich gerichtete Aktivitäten durchweg mit Kommunismus gleichsetzt. Seine Vertreter in den Ausbildungsinstitutionen registrieren aufmerksam die politischen Regungen in der Studentenschaft und nehmen bereits durch die Sonderbehandlung unliebsamer Argumente bei der Vergabe von Zertifikaten in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften einen Teil jener Selektion vor, die den Zweck des universitären Prüfungswesens darstellt. Zur Durchsetzung im Konkurrenzkampf gehört also drittens - zumindest außerhalb der Naturwissenschaften - die gekonnte Unterwerfung unter die parteilichen Bemühungen bürgerlichen Denkens, deren Fortschritt als Reaktion der Wissenschaftler auf die Zwecke erfolgt, die von den Ausgebildeten in ihrem Beruf erfüllt werden sollen.
So weisen die hierarchisch gegliederten Institutionen der Ausbildung bei all ihren Differenzen doch eine Gemeinsamkeit auf. In allen wird fröhlich .konkurriert - einerseits um den Aufstieg in die nächsthöhere Anstalt, andererseits um eine günstige Ausgangsposition für den Wettbewerb, der sich dem schulischen oder universitären anschließt. Allenthalben, entwickeln .sich Personen, Individuen, die den Fortschritt ihrer Fähigkeiten zum Mittel der Überlegenheit gegenüber anderen machen und. dabei tunlichst dar-"auf achten, daß sie keine Kraft auf Bildungsanstrengungen verwenden, die -sie im Vergleich, dem sie unterworfen, sind. nicht voranbringen. An den Kapazitäten der Schulstufen und der Nachfrage des Arbeitsmarktes finden sie eine zuverlässige, vom Staat bereitgestellt bzw. von den ehernen Gesetzen "der Wirtschaft" glücklich eingerichtete Orientierungshilfe dafür, wie sehr sie sich in der jeweiligen Spezialität, zu der sie sich vorgeboxt haben oder an der sie hängengeblieben sind, anstrengen müssen. Und keine dieser Anstrengungen, auch wenn sie ihnen gelingen, kommt ihnen automatisch zugute. So sehr es also für sie im Gang ihrer Ausbildung darauf ankommt. viel zu leisten, so wenig ist ihre Leistung das Kriterium ihres Erfolgs - sie zählt nur im Verhältnis zu der ihrer Konkurrenten. Schließlich messen sich alle Beteiligten bei der Entfaltung ihrer Persönlichkeit am Bedarf, an der begrenzten Nachtrage nach gebildeten Individuen, so daß sich des öfteren eine Qualifikation, die ein paar Jahre zuvor noch manchen Aufstieg garantiert hat, heute das Scheitern vieler wissenslustiger junger Menschen bedeutet.
Mit den Auslesepraktiken relativiert das bürgerliche Ausbildungswesen das Urteil, welches die moderne Gesellschaft mit der Institutionalisierung der Ausbildung für alle über sich seihst fallt: daß ihr Funktionieren, d.h. die Reproduktion ihrer Mitglieder deren Bildung erheischt. Der Irrtum, dem die Staatsidealisten verfielen, als ps noch um die Durchsetzung eines allgemeinen Bildungswesen.s ging. ist heutzutage kaum noch lebendig; die Vorstellung, daß der Mensch ein gebildeter zu sein hat -

"Der wahre Zweck des Menschen - nicht der, welchen die wechselnde Neigung, sondern welchen die ewig unveränderliche Vernunft ihm vorschreibn - ist die höchste und proportionierlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen. (Wilhelm v, HUMBOLDT: Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen. Reclam. Stuttgart 1967, S. 22)

entlarven die Staatsidealisten von heute als grobe Illusion, weil sie ihre Aufgabe nicht in der Propaganda der Bildung, sondern in der Effektivierung der Ausbildung sehen, die eine ,,Industriegesellschaft" braucht und sich leisten kann. Der Mensch ist für sie einer, wenn er das Geschäft der Abstraktion von seiner individuellen Neigung und Entwicklung absolviert .hat und brauchbar geworden ist. sich um seiner Brauchbarkeit willen zu beschränken weiß:

"Wir werden alle - als Gesamtgesellschaft - künftig über mehr Wissen, mehr Erkenntnis verfugen als jede Generation vor uns; aber wir werden zugleich als einzelne weniger vom Ganzen wissen als frühere Generationen(!). Wie im technischen und sozialen Leben werden wir auch in anderen Bereichen Fachleute, Spezialisten sein; und das bedeutet: intensives Ausschnittswissen, aber ebenso breite Zonen des Nichtwissens;; jeder wird im Maß seines spezialisierten Wissens auch unwissend sein."( H. MAIER: Die Schule ist kein Freiraum. These 1)

Was dieser Spezialist mit einem intensiven Ausschnittswissen in bezug auf die unumgängliche Unwissenheit moderner Staatsbürger ausspricht, ist der durch das Ausbildungswesen realisierte Zweck jener Universalität der Wissenschaft, deren man sich an unseren Universitäten befleißigt. Der Fortschritt der bürgerlichen Wissenschaft, der sich angesichts der Parteilichkeit der Geistes- und Gesellschaftswissenschaft als illusorisch herausstellte - die wissenschaftliche Betrachtung sämtlicher Erscheinungen dient nicht ihrer Erkenntnis und ihrer bewußten Gestaltung, sondern der Unterwerfung der Individuen unter die vorgefundenen, mit Gewalt aufrechterhaltenen Verhältnisse -, relativiert sich auch in bezug auf die naturwissenschaftliche Abteilung. An den Praktiken der Wissensvermittlung läßt sich sehen, was MAIER als unumgängliches Gebot des modernen Lebens propagiert: Der Gebrauch allen Wissens - des richtigen wie des falschen - vollzieht sich in der Weise, daß sich die Mitglieder der "Industriegesellschaft" spezialisieren, sich mit der Verfügung über einen Ausschnitt" an Kenntnissen und Fertigkeiten bescheiden und sich auf eine bornierte Funktion innerhalb der gesellschaftlichen Arbeitsteilung festlegen. In den allgemeinbildenden Schulen geht es eben nicht um die allgemeine Bildung der Individuen, sondern um die Verwendung des dargebotenen Wissens zur Veranstaltung eines ausgedehnten Tests, in dem festgestellt wird. auf welche Spezialität sich die Schüler einzulassen haben.
Diese Verwendung allgemeiner Bildungselemente geschieht nun keineswegs gegen den Willen derer, die dem Ausleseprozeß der Schulen unterworfen sind, wie die mißmutige Kritik an den Etappen ihrer Ausbildung zeigt, in denen sie ihre Qualifikation für speziellen Berufen gewidmete Bildungsgänge unter Beweis stellen. Sie mißbilligt die allgemeine Unterweisung aufgrund der Unbrauchbarkeit für ihren späteren Beruf, mißt also die in der Schule zu erbringenden Leistungen von vorneherein an der Funktionalität für die künftige Spezialisierung. Eine solche Kritik übersieht wegen ihres Einverständnisses mit der Vereinseitigung nicht nur die Tatsache, daß die rationellen Elemente theoretischer Bildung Voraussetzung sind für die Spezialität, auf die es dem einzelnen ankommt. Sie leugnet auch die Effizienz der moralischen Erziehung werdender Persönlichkeiten. weil sie die in der Schule propagierte Einstellung für selbstverständlich erachtet, akzeptiert. Wer auf die Schule schimpft, weil sie einem für das spätere Zurechtkommen im Beruf nicht brauchbare, überflüssige Qualen abverlangt, gehört noch stets zu den Opfern der Dressur, deren positiven Zweck er nicht wahrhaben will. Noch jeder dieser Kritiker beweist die Fruchtbarkeit der von ihm als nebensächlich abgetanen Bestandteile seiner Erziehung, wenn er sich in den Kollisionen der Konkurrenz, mit denen er konfrontiert wird, der moralischen Prinzipien erinnert, die ihm in der Schulzeit mit auf den Weg gegeben wurden. Dabei spielt es keine Rolle, auf welcher Stufe der gesellschaftlichen Hierarchie er gelandet ist: der Handwerker und Arbeiter entdeckt manchen Spruch aus seinem Lesebuch wieder, wenn er für die Durchsetzung der eigenen Interessen und die Beschränkung ihm unangenehmer Ansprüche anderer eintritt, aber auch dann, wenn er sich sein Scheitern als Pech, seine Unzufriedenheit als Sache der Gewohnheit einredet. Und der Studierte, dem bei der Kenntnisnahme des Rüstungshaushalts Zweifel an der Rechtschaffenheit der Staatsmänner kommen, läßt sich ein Wort aus dem Lateinunterricht einfallen: ,,Si vis pacem ..."
Wenn sich. Pädagogen darüber Gedanken machen, ob nicht zugunsten gezielter Ausbildung in Richtung auf einen bestimmten Beruf die allgemeine Bildung einzuschränken sei, kommen sie ebenfalls von ihrem Interesse an der Spezialisierung her auf die Funktion und den Segen der Ausbildungsphase zu sprechen, die sich dadurch auszeichnet, daß sie die Sozialisierung noch nicht vornimmt:

..Die pädagogische Sorge vor denen, die noch nicht oder nicht früh genug ihre individuellen Begabungen in der Auseinandersetzung mit Inhalten. Aufgaben und Problemen erweisen, zwingt die Schule dazu. länger als bisher die Bildung allgemein zu halten und nicht zu früh zu spezialisieren." (U. FREYHOFF: Begabung und Bildsamkeit. In: Zeitschrift für Pädagogik. Beiheft 5. Weinheim 56, S. 158.)

Die "pädagogische Sorge" gilt eben auch dem Gelingen des Nachweises, auf den alles ankommt: als Bemühung um die sich entfaltende Individualität tritt hier das Interesse an der vergleichenden Sichtung des Potentials auf, das es rechtzeitig zu verteilen gilt. Und gerade die "kritischen" Pädagogen haben für das Prinzip der Auslese die albernsten Formeln erfunden, die mit einem Kompliment bedacht würden, würde man ihnen den Vorwurf des Idealismus machen. Wenn KLAFKI Bildung "dialektisch" als "Erschlossensein einer Wirklichkeit für einen Menschen" und "Erschlossensein dieses Menschen für seine Wirklichkeit" (W. KLAFKI: Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Weinheim, 1965, S. 43) versteht, also einmal als Mittel für die Lernenden preist, das andere Mal den Lernenden zum Material der "Wirklichkeit" stempelt, dann hat er - ganz undialektisch- einen Widerspruch zur Selbstverständlichkeit erklärt. Daß Schüler lernen müssen, um für die vorgegebene "Wirklichkeit" der bürgerlichen Berufswelt ..erschlossen" zu werden, ihre Ausbildung also ihre Vereinseitigung ist. weil sie nicht als gebildete Leute, sondern als Lehrer oder Schlosser, als Politiker oder Hilfsarbeiter etc. gebraucht werden, gerät noch jedem philosophierenden Pädagogikprofessor zur Natur der Bildung. Wenn Bildungstheoretiker das Telos aller Bildung in der Tauglichkeit des ins "Leben" entlassenen Ausgebildeten für einen Beruf erblicken, stellen sie sich theoretisch auf den Standpunkt der neugierigen Frage an den ehemaligen Schulkameraden, die sich taxierend danach erkundigt, was der andere "denn so treibt". Von dem Bedürfnis, zu erfahren, wie weit es jemand gebracht hat, unterscheidet sich ihre Besprechung und Kritik der Ausbildungsinstitutionen nur dadurch, daß sie es für eine ausgemachte Sache halten, daß Schulen eben für die Verteilung von Leuten auf Berufe dazusein haben und sie im Einverständnis mit dieser staatlichen Auslese von dem ..Vorurteil" einer bewertenden Klassifizierung der Berufe nobel absehen. Insbesondere demokratisch gesinnte Pädagogen und Kultusminister pflegen die Hierarchie der Berufe, der die Schulen des Landes ihren "Output" zur Disposition stellen, zu ignorieren: sie schätzen geradezu diejenigen Absolventen der Bildungsanstalten, die sich frühzeitig verabschieden, und werden nicht müde zu betonen, daß sie ebensoviel wert seien - was eine Luge ist. Ihre Sorge gilt daher der Beachtung zweier Prinzipien: dem der Leistung und dem der Chancengleichheit. Mit der Aufgabe des Ausbildungswesens, die Jugend auf die arbeitsteiligen Funktionen der Gesellschaft zu verteilen, einverstanden, dreht sich für den Politiker wie seine pädagogischen Ratgeber alles darum, wie eine Verteilung dieser Art stattzufinden hat. Und die. Lösung, die praktisch schon gefunden war, lange bevor meterweise Literatur über "Begabung und Lernen" die Regale füllte, besteht in dem bekannten Verfahren, die werdenden Personen selbst zur Entscheidung darüber heranzuziehen, wozu sie es bringen. Von MAIER wird die Konfrontation der Jugendlichen mit Kenntnissen aller Art zum Zwecke der Selektion wiederum trefflich im Vergleich mit früheren Zuständen gewürdigt:

"Hier (im .alten Bildungswesen) wurden nicht, wie heute, freie Bildungsangebote gewählt, es gab dafür nur einen sehr beschränkten Markt, die Lebenslose fielen nicht, sie wurden nach vorherbestimmtem Plan verteilt." (H. MAIER: Die Schule ist kein Freiraum. These 2)

Ob jemand in der Hierarchie des Schulwesens aufsteigt oder von ihren höheren Stufen und damit von Berufen mit besseren Reproduktionsmöglichkeiten ausgeschlossen wird - bei dieser (nicht nur logisch, sondern für die meisten Jugendlichen auch praktisch) negativen Entscheidung darf und muß jeder Betroffene selbst bestimmen. Er eröffnet sich den Zugang zu den höheren Sphären der Bildung durch den Nachweis, daß er in der Lage ist, sich den dargebotenen Bildungsstoff in einer bestimmten Zeit anzueignen. Die Vermittlung von Wissen und anderem wird dazu benützt, um die Leistungsfähigkeit des Lernenden zu prüfen: um festzustellen. ob er weiterer Bemühungen um seine Bildung wert ist. Diese Entscheidung hat soviel mit Bildung zu tun, daß sie weniger Wissen auf der einen Seite zum Anlaß nimmt, den Ungebildeten von der Aneignung weiterer Kenntnisse auszuschließen, und mehr Wissen auf der anderen Seite mit der weiteren Teilnahme am Prozeß der Ausbildung belohnt. Die Schule entfaltet die Persönlichkeit in der Weise, daß sie ihr das mühselige Lernen erspart, wenn sie dafür länger braucht als andere, und ihr dafür praktische Entfaltungsmöglichkeiten zuteil werden läßt. Die eigentümliche Rücksicht auf die Besonderheit des Lernenden besteht im Verzicht auf seine Bildung, sooft er sich im Vergleich mit anderen ungeschickt erweist. So erfährt schon das Schulkind, daß das Interesse an seiner Leistung das Gegenteil seines Interesses an Kenntnissen darstellt. Das, was es an Voraussetzungen mitbringt, an Fertigkeiten bereits besitzt, entscheidet über seinen Erfolg, der zunächst darin besteht, daß man sich weiterhin um seinen Fortschritt bemüht. Die ,,moderne Industriegesellschaft" richtet ihre Jugend für nützliche Funktionen zu. indem sie ihre "natürliche" Brauchbarkeit zum Kriterium für das Maß an erzieherischen Bemühungen erhebt. Das, was die Individuen ohne das Werk der Schule sind, die natürlichen und durch die soziale Stellung ihrer Familie bedingten Unterschiede entscheiden darüber, was aus ihnen wird. Die zufälligen Ausnahmen von konkurrenzfähigen Sprößlingen, die dem niederen Volk entstammen, bieten dabei eine günstige Gelegenheit, das Leistungsprinzip zu verherrlichen und im übrigen die Chromosomen für die Tatsache verantwortlich zu machen, daß eine radikale Minderheit "geistiger" und ,,administrativer" Arbeit frönt (vgl. Fn. 19), während die Mehrheit stets mehr arbeitet und weniger genießt, als ihr lieb ist.
Die staatlich organisierte Besichtigung des ohne Zutun der Schule vorhandenen "Potentials" hält also die werdenden Bürger konsequent dazu an. ihr Glück selbst zu schmieden: dabei gestattet jeder Lehrer den Kindern einige Erfahrungen mit dem Prinzip der Gleichheit, wenn er kraft seines Amtes die Differenzen seiner Zöglinge anerkennt und die Weichen dafür stellt, daß sie sich mit jedem Schuljahr vergrößern. .In der Unterwerfung unter den staatlich verordneten Vergleich, der an der Entwicklung gewisser Leistungen bei der Mehrzahl der Lernenden völlig desinteressiert ist, liegt das Geheimnis des Leistungsprinzips, das sich - und das macht manchem Schüler sein Leben lang zu schaffen - ja auch auf die Beherrschung "sozialen Verhaltens", des Sich-Behauptens und Sich-Einordnens erstreckt. Den Linken, die aus der Gleichheit ein Ideal machen, wenn sie die Unterschiede, die sie zum Resultat hat, erschrocken zur Kenntnis nehmen, sagt der realistische Staatsmann, wie sehr das praktizierte Leistungsprinzip der Gleichheit entspricht, natürlich nicht ohne den Hinweis auf die Schichten, deren Chancen (!) ungeheuer gestiegen sind:

"Viele sind geneigt, im Leistungsprinzip einen Widerpart der Chancengleichheit zu sehen. Das ist ein Irrtum. Historisch hat gerade das Leistungsprinzip die traditionellen Vorgaben und Prvilegierungen im Bildungswesen zugunsten bisher benachteiligter Schichten durchbrochen und dadurch der Chancengleichheit die Bahn geebnet. Auch für die Zukunft gilt: Den Weg zu mehr Chancengleichheit können wir ohne Leistungsprinzip nicht finden' (Heinz Heckhausen)." (H. MAIER: Zwischenrufe. S. 47)

Und dies ist keineswegs eine Meinung, eine ,,Interpretation" von Begriffen durch einen einsamen Konservativen, sondern die praktizierte Unterwerfung der Individuen unter die Konkurrenz im Ausbildungswesen, die unter dem Titel "Verbesserung der Chancengleichheit" von den Reformern ebenso beherrscht wird:

"Ziel qualitativer Reformen und aller quantitativen Ausbaupläne ist die Entwicklung eines Bildungswesens, das unter Berücksichtigung der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung den Anspruch des einzelnen auf Förderung und Entfaltung seiner Begabungen (wo nichts ist ...), Neigungen und Fähigkeiten erfüllt und ihn dadurch befähigt. sein persönliches, berufliches und soziales Leben selbstverantwortlich zu gestalten. Damit werden Chancengleichheit und Leistungsfähigkeit zu einander ergänzenden und bedingenden Prinzipien des künftigen Bildungswesens." (Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung: Bildungsgesamtplan. Bd. I. Stuttgart, 1973. S. 8)

Wenn sich Konservative und Reformer darüber streiten, wie sich die beiden sich ,,ergänzenden und bedingenden" Prinzipien am effektivsten organisatorisch umsetzen lassen - wobei die Vorwürfe gegen die andere Seite, ihre Vorschläge waren eine einzige Aushöhlung der Zielsetzungen demokratischer Ausbildung, nicht ausbleiben können -, dann teilen sie den Linken mit, daß ihre positive Anteilnahme an den Neuerungen im Bildungsbereich verfehlt ist. Allen, die den Kampf um die ..Verwirklichung der Chancengleichheit" gegen die professionellen Verwalter der Chancen führen, werden Belehrungen darüber verabreicht, daß es an der Chancengleichheit absolut nichts zu feiern gibt. Zur Befürwortung dieses Synonyms für Konkurrenz gehört nämlich

"die Einsicht, daß Chancengleichheit - um eine Unterscheidung von Heckhausen aufzunehmen - wohl Gleichheit der Startchancen, nicht aber Gleichheit der Zielchancen sein kann." (H. MAIER: Zwischenrufe. S. 47)

womit der Kultusminister nachdrücklich darauf hinweist, daß die Möglichkeit, alles zu werden, eben nicht bedeutet, daß keiner mehr Arbeiter zu werden braucht. Er erinnert daran, daß ein demokratisches Ausbildungswesen sich darin vom ..alten Bildungswesen" unterscheidet, daß es nicht durch Ausschluß der Kinder ganzer Klassen von der Ausbildung den Nachwuchs für die in der Gesellschaft benötigten Berufe regelt. sondern durch den Vergleich der Leistungen den Ausleseprozeß durchführt. Es läßt allen die Möglichkeit des Aufstiegs offen, um Chancen zu vergeben und vorzuenthalten, so daß der Nachwuchs der arbeitenden Klasse Gelegenheit bekommt, zu beweisen, wie wenig geeignet er für , .geistige" und "administrative" Tätigkeiten ist und die Ausnahmen der Regel als Bestätigung dienen.

,Im gleichen Maß. in dem die Vorgaben verschwinden (!), also die Egalisierung voranschreitet, tritt das Leistungsprinzip als einzig sozialneutrales (!) (und daher demokratiegemäßes) Verteilungskriterium in den Vordergrund." (H. MAIER: Die Schule ist kein Freiraum. These 2)

Damit spricht er das Geheimnis des demokratischen Staates aus, das in der Gleichbehandlung seiner in mancherlei Hinsicht unterschiedenen Bürger besteht. Das ,,sozialneutrale" Kriterium ist der beste Garant dafür, daß die "Lebensloge" so fallen, wie es den Verteilungsbemühungen des Staates entspricht. Wo die finanzielle und moralische Unterstützung durch das Elternhaus fehlt, bleibt auch der Wunsch der Eltern - "soll es einmal besser haben als wir" - unerfüllt. Und daß die Anwendung des pädagogischen Leistungsprinzips -

..Das pädagogische Leistungsprinzip gewährleistet, daß der Lernende am Ende seiner Schul- und Ausbildungszeit den harten gesellschaftlichen Leistungsanforderungen nicht unvorbereitet (!) gegenübersteht." (Deutscher Bildungsrat: Empfehlungen der Bildungskommission. Strukturplan für das Bildungswesen. Bonn, 1970) -

ihre. Notwendigkeit im geringen gesellschaftlichen Bedarf an Leuten hat, die mit wenig Leistung viel Geld verdienen; daß die Konkurrenz im Ausbildungsbereich den Zweck hat. die Mehrheit der Jugendlichen von den Segnungen höherer Bildung und den mit ihr zu erreichenden Berufen auszuschließen, führt der Staat in der Kapazität der Bildungseinrichtungen und der .Akkomodierung der Prüfungen an diese Kapazitäten eindringlich vor Augen. Der numerus clausus ist die konsequente Ergänzung der Konkurrenz, die zu viele zum Nachweis einer im Prinzip gültigen Befähigung zum Aufstieg angestachelt hat, und die akademische Arbeitslosigkeit trägt dazu bei, daß sich Intelligenz mit Zurückhaltung und Bescheidenheit paart - denn nur so ist sie in der bürgerlichen Gesellschaft gefragt, solange sie nicht in Amt und Würden das Interesse des Staates gegen die Bürger vertritt.
Wer sich in der Unterordnung unter die Gebote des staatlichen Ausbildungsbetriebes gegen seine Mitschüler und Kommilitonen, die eben seine Konkurrenten sind, durchsetzt, kann stolz darauf sein, es mit diesen seinen eigenen Leistungen zu etwas gebracht zu haben. Derjenige, der unterliegt und auf der Strecke bleibt, darf sich - und mit ihm seine Eltern - schämen ob seiner Unfähigkeit, die ihm niemand austreiben wollte, weil es um ihre Bestätigung ging. Und wenn er darauf hinweist, daß er eben kein Glück gehabt habe - was ihm keiner abnimmt -, ist er schon bei der Anerkennung dessen angelangt, daß die bürgerliche Gesellschaft ihn und sein Pech braucht, das ihn so schnell nicht wieder verläßt. Er ist einer von den Leuten, die den Rat unseres Kultusministers befolgen, mit ihrem Schicksal nicht zu hadern. Hans MAIER sagt den Opfern der Konkurrenz mit den Worten eines Physiologen (!) aus Heidelberg, daß der "Streß" ihre eigene Schuld sei:

,,Was den Streß angeht, so gibt es eine treffende Äußerung des bekannten Heidelberger Physiologen Professor Hans Schaefer: Streß ist das, was zu vermeiden zwar keineswegs immer, aber oft genug in unserer Hand steht. Streß ist der Inbegriff dessen, was unser Leben verkürzt, weil wir emotional reagieren. Die beste Lebensversicherung ist Gelassenheit, Anpassung, Resignation, also all das, was unsere radikale Jugend so verdammenswert findet." (Hans MAIER in Spiegel 39/1976.)

Damit weist er uns ein weiteres Mal darauf hin, wie sehr es bei der staatlich organisierten Freiheit der Berufswahl auf die Entfaltung der Persönlichkeit ankommt. .Ohne die Tugend, mit der die vielen auf der Strecke geblichenen Opfer der Konkurrenz ihr Lebenslos ertragen, das sie sich anders vorgestellt hatten, ist mit dem demokratischen Ausbildungswesen kein Staat zu machen.