Motivation - was ist das?

Der alte Pennälerwitz "Alles schläft und einer spricht, dieses nennt man Unterricht" findet bei motivationsbewußten Pädagogen immer wieder Gefallen. Genau so - so stellen sie sich vor - muß es zugehen, wenn es der Lehrer nicht schafft, die Schüler, zu motivieren. Zwar weiß jeder, daß es so im Unterricht nur in den seltensten Ausnahmefällen zugeht, weil nicht einmal Religionslehrer so genügsam sind, die Schüler einfach in Ruhe zu lassen. Aber als Gegenbild zum (ebenso ausgedachten) Idealunterricht tut diese Karikatur immer wieder ihre Dienste: So sollte Unterricht nicht sein, er sollte vielmehr unter lebhafter Beteiligung der Schüler ablaufen. Und so ein Idealunterricht, behauptet die Pädagogik, sei der Ertrag gelungener Motivation.

l.

"Motivation" ist nicht einfach ein anderes Wort für "Interesse". Wer aus Interesse bei der Sache ist, der muß nicht extra betonen, daß er sie nicht nur tut, sondern auch noch mit seinem Willen dabei ist. Er beschäftigt sich ja nur mit dem Thema, weil es ihm wichtig ist. Wenn die Präge aufkommt, ob einer motiviert ist oder nicht, dann ist die Stellung des Willens zu einer ungewollten, aber als notwendig eingesehenen Betätigung das Thema. Der bekannte Seminarseufzer "Heute bin ich mal wieder gar nicht motiviert" drückt das aus. Der Student hat nicht die geringste Lust auf die professoralen Ausführungen, will ihnen aber auch nicht mit der Absage "kein Interesse" kommen. Er meint nämlich, daß er sich gleichwohl dafür interessieren sollte/müßte und drückt das als Schwierigkeit aus, seinen Willen auf die Beine zu kriegen. Und da ist immer ein Stück Heuchelei dabei: Man würde angeblich zu gern wollen wollen, aber man kann nicht - geradeso als hätte er mit einem Willen zu kämpfen, der gar nicht sein eigener ist. In Wahrheit ringt der Studiosus ja nur mit seinem widersprüchlichen Vorsatz, sich einer ungeliebten Notwendigkeit stellen zu wollen. Das Extrawenn es um eine Beschäftigung geht, an der er Interesse hat.

2.

Die Pädagogik geht davon aus, daß der Mensch immerzu motiviert werden muß und bei richtigem Einsatz von Motivationsstrategien auch für jeden Stoff motivierbar ist. Damit faßt sie es als Eigenschaft des Willens, zum Wollen immer erst bewegt werden zu müssen. Sie denkt den Willen zum einen als inhaltsleere Potenz, die sich andererseits auf jeden Inhalt richten kann, wenn man ihr nur auf die Sprünge hilft. Der Wille lauert immerzu im Menschen und würde gern etwas wollen, muß aber, um sich betätigen zu können, Inhalte und Ziele verpaßt kriegen: "Wollen würde ich schon, wenn mir nur einer sagte was!" Diese ebenso leere wie für alles bereite Willigkeit trägt kein Mensch mit sich herum. Sie behauptet ja eine Interessiertheit, die kein Interesse an etwas bestimmtem ist, sich aber ausgerechnet deshalb für alles und jedes interessieren soll. Nicht einmal, wer von sich sagt "Ich weiß nicht, was ich will", ist so gestrickt: Der kann sich zwischen verschiedenen Sachen, die er im Unterschied zu anderen allesamt interessant findet, nicht entscheiden.

3.

Die pädagogische Konstruktion vom motivierbaren und motivationsbedürftigen Willen verrät das Interesse an einem Schüler, der eines Gegensatzes zu den schulischen Anforderungen gar nicht fähig ist. Sein Wille ist ja so beschaffen, daß er zu allem zu haben ist, ganz egal welche Ziele der Lehrer im Unterricht verfolgt. Schlimmstenfalls ist der Schüler unmotiviert, hat es also nicht geschafft, seinen vorhandenen Lernwillen auf den Stoff zu richten. Und schon beweist jeder widerspenstige Schüler dem Pädagogen nur eins: Entweder hat der Pädagoge beim Motivieren versagt oder es handelt sich um einen verkorksten Typen, der sich ganz besonders schlecht motivieren läßt. In jedem Fall ist dieser also ein einziger Hilferuf nach pädagogischer Motivation. So hat die Pädagogik noch jeden Schüler sehr prinzipiell für die Vorhaben des Lehrers vereinnahmt. Gegen Manipulation hat natürlich jeder Lehrer seine Einwände. Aber entspricht die Vorstellung vom motivierbaren Schüler, der richtig behandelt jederzeit zum interessierten Mitmachen zu haben ist, nicht dem Ideal vom total manipulierbaren Individuum?

4.

Die Pädagogik kennt verschiedene Arten von Motivation, die als verschieden wünschenswert gelten: Da gibt es einmal die "intrinsische" Motivation, die ganz aus der Sache selbst kommen soll. Daneben gibt es die "ex-trinsische" Motivation. Dabei soll man an Schüler denken, die sich der Sache widmen wegen Belohnung oder Bestrafung, Noten oder um es dem Lehrer recht zu machen. Die erste Motivation sei echt innerlich, die zweite mehr äußerlich, so meinen Pädagogen. Diese Sortierung ist nach der Logik der Motivation eigentlich unmöglich: Es war ja behauptet, daß der Schüler immer von außen ein Ziel vorgesetzt bekommen muß, damit sich sein Wille darauf richten kann. Folglich wäre eine aus dem Interesse an der Sache geborene Motivation eigentlich ein logisches Unding. Aber auch hier verrät der Pädagoge wieder ein wenig feines Ideal: Daß Schüler in der Regel der Berechnungen wegen, zu denen die Schule sie anhält, Engagement für den Stoff zeigen, stört den Pädagogen. Ihm schwebt ein Schüler vor, der ganz frei von Kalkulationen Interesse am Stoff faßt, bloß weil der Lehrer ihn auf die Tagesordnung setzt. Also ein Schüler, der dadurch die Harmonie zwischen Lehrervorhaben und Schülerwillen verbürgt, daß er frei ist von eigenen Berechnungen.
Mit der Scheidung von intrinsischer und extrinsischer Motivation gibt die Pädagogik ganz nebenbei selber zu, daß ihr Konstrukt vom motivationsbedürftigen Schüler erfunden ist: Eben hatte die Motivationstheorie noch ein Wesen ohne Eigeninteresse vor sich, das nur darauf wartet, seinen Willen mit einem beliebigen Inhalt gefüllt zu kriegen. Jetzt rangiert unter dem Titel "extrinsische Motivation" etwas, das der Sache nach nichts als Erpressung der Schüler mit dem Interesse an Schadensvermeidung ist: Die Schüler beugen sich den schulischen Anforderungen, zeigen also notgedrungen Interesse am Stoff, weil sie der drohenden Strafe, schlechten Noten, entrinnen wollen. Und solche Erpressung wäre wahrlich überflüssig, wenn der Schüler so funktionierte, wie ihn die Motivationstheorie zeichnet.

5.

Wenn praktizierende Lehrer sich nach dem Motivationsgedanken richten würden, müßten sie ihren Job aufgeben. Denn das was in der unterrichtlichen Praxis unter dem Titel "Motivation" stattfindet, widerlegt die pädagogische Einbildung vom motivationsbedürftigen und motivierbaren Schüler täglich. Praktisch hat es der Lehrer nämlich immer mit irgendwelchen Schülerinteressen zu tun und überlegt sich, wie er sie für den Unterricht nützlich machen kann. Nur deshalb gibt es sogenannte Motivationsprobleme: Weil die Schüler nicht wollen, wie sie sollen, aber doch wollen sollen, geht der Lehrer in der "Motivationsphase" auf die vorhandenen Schülerinteressen ein. Am Anfang der Stunde dürfen sie etwas machen, wozu sie Lust haben und das Engagement dafür soll dann abfärben auf den Unterricht danach. Das klappt sogar, aber nicht wegen innerer Antriebskräfte, die so auf den Stoff gelenkt würden. Wie sollte einer Schüler sich auch wegen einer Sache, die ihm gefällt, für eine andere interessieren, die ihn gerade anödet! Warum sowas klappt, weiß praktisch noch jeder Lehrer, wenn er sein "Ich kann auch anders" losläßt: Die Schüler wissen, daß ihnen der Lehrer ein Zugeständnis macht, für das sie sich anschließend im Unterricht durch Demonstration von Interesse erkenntlich zeigen sollen. Und sie wissen, daß der Lehrer, falls sie die Motivationsphase mißbrauchen sollten, qua Amtsbefugnis auch andere Saiten aufziehen kann. "Wenn ihr meint, der Stoff müsse euch nicht interessieren, dann wird euch eine überraschende Klassenarbeit schon eines besseren belehren!" Also tun sie ihm den Gefallen. Und er kann sich hinterher einbilden, er habe sie jetzt echt heiß gemacht auf den Stoff, also den idealen Einklang zwischen seinen Anforderungen und dem Schülerwünschen hergestellt.