Fragen, die keine sind

  1. Was kann ich wissen?
  2. Was soll ich tun?
  3. Was darf ich hoffen?

lauten in der klassischen Formulierung KANTs die "Grundfragen der Philosophie". Dass die Antworten strittig blieben, macht gar nichts. Denn die Fragen selbst sind eindeutige Antworten, auf die der Philosoph nichts kommen l�sst. Unter der Bescheidenheitsparole "Erkenne Dich selbst!" und reichlichem Gebrauch von Modalverben weist der "dem Menschen" sein Pl�tzchen im "Weltganzen" zu: Keine "Frage", die nicht einen Gesichtspunkt ideeller Ein- und Unterordnung formulierte. "Unser Wissen"? Begrenzt. Soll der Mensch ja nicht glauben, er w�rde sich auf der Welt auskennen. "Die Praxis"? Ohne Ge- und Verbote undenkbar. Die Religion? Kein untert�niger Aberglaube, sondern humanes Grundbed�rfnis. Die Philosophie m�chte auch diesen Wahn "innerhalb der Grenzen der blo�en Vernunft" sehen. Ausgerechnet im Glauben an die dem�tigen Sinndeutungen, mit denen sich moderne Untertanen in ihrer staatlichen "Heimat" einhausen, wird dieses Fach rationalistisch. Muss das alles nicht �berhaupt, k�nnte es nicht noch besser, noch grunds�tzlicher begr�ndet werden?
Dieses antimaterialistische Programm mutet dem Verstand einiges zu.

Die drei Grundfragen Kants, deren Aufwerfen immer schon ihre Antwort ist, sollen hiermit zur�ckgewiesen werden.

1. Was kann ich wissen?

  1. Wer etwas wissen m�chte, stellt sich diese Frage sicher nicht. Er hat ja einen bestimmten Gegenstand vor sich, den er erkl�ren will. Dazu muss er sich mit dessen Bestimmungen besch�ftigen und mit nichts sonst. Wissen stellt sich ein als Resultat dieser Besch�ftigung. Ist das geschehen, braucht man sich auch nicht mehr nach seiner M�glichkeit zu fragen. Und ob es wirklich Wissen ist, wird man nur herausfinden, wenn man die Schritte, die dorthin gef�hrt haben - die bestimmten Gedanken - nachvollziehend pr�ft.
    Der Philosoph geht die Sache viel prinzipieller an. Er stellt sich die Frage, ob nicht ein Fehler vorliegen k�nnte, der seinen Grund nicht darin hat, dass jemand falsch gedacht, sondern dass er �berhaupt gedacht hat, setzt also die eigent�mliche Vorstellung eines Fehlers in die Welt, der sich gar nicht denkend vermeiden, n�mlich als Fehler erkennen und korrigieren l�sst. Diese Art "Fehler" grenzt sich gar nicht als unkorrektes Folgern vom Schluss ab, dem Notwendigkeit zukommt, nicht als mangelhafte Erkl�rung vom Abstrahieren, das das Wesentliche einer Sache benennt. Es wird schlicht der bodenlose Verdacht aufgebracht, das Denken sei f�r seinen eigenen Zweck - Wahres �ber seine Gegenst�nde zu vermelden - nicht recht tauglich. Es gebe da wom�glich etwas, was prinzipiell jenseits seines Horizonts liegt. Ausgerechnet darum will der Philosoph, den nichts hei�er macht als was er nicht wei�, sich k�mmern: Die Idee des schlechthin Unzug�nglichen, die es �berhaupt nur als grundloses Misstrauen gegen Denken geben kann, soll allen Ernstes den Auftakt zu einem Forschungsprogramm abgeben.
  2. "Ist das Wissbare wissbar und wenn nicht, woher k�nnen wir das wissen?" (Woody Allen)
    Der Unterschied zwischen dem, was man wissen kann, und dem, was man nicht wissen kann, ist nicht zu haben. Was man nicht wissen kann, kann man eben nicht wissen. Der Philosoph freilich h�lt die Besch�ftigung mit dem, was man nicht wissen kann, nicht f�r einen Widerspruch, sondern f�r eine Schwierigkeit, die nicht leicht zu bew�ltigen ist. Wie ist das Wissbare vom nicht Wissbaren abzugrenzen? Daf�r m�sste er in den Bereich vordringen, von dem er �berzeugt ist, dass er der Erkenntnis nicht zug�nglich ist. Um zu behaupten, dass da etwas ist, was sich nicht erkennen l�sst, m�sste er schon angeben k�nnen, was es ist und worin die Differenz unserer Erkenntnis zu diesem Etwas besteht. Er m�sste also das Nichtwissbare wissen - das Phantasieren hat deswegen durchaus seinen Platz in der philosophischen Wissenschaft -, um ein f�r alle Mal sagen zu k�nnen, was zur Erkenntnis z�hlt und was nicht. Deshalb wei� zwar auch er nichts von "Grenzen des Wissens", aber ausdenken kann er sich solche "Grenzen" schon. Und ist es nicht ein gutes Argument gegen die M�glichkeit von Wissen, dass der Philosoph sich die M�glichkeit einer solchen Grenze ausdenken kann?
  3. Wie vernichtend das Urteil �ber das Wissen ist, das seine skeptische Frage lanciert, mag der Philosoph dabei gar nicht einsehen. Sonst w�rde er n�mlich auf Abbruch aller wissenschaftlichen Bem�hungen pl�dieren, statt auf Erg�nzung durch philosophischen Tiefsinn. Demgegen�ber geht das Vorhaben der Grenzziehung durchaus von einer bedingten Tauglichkeit des Denkens aus. Aber was soll das sein? Es ist ja keineswegs so, dass man sich zwischen "richtig" und "falsch" locker etwas Mittleres denken k�nnte. Doch eben darauf hat es das erkenntnistheoretische R�sonnement abgesehen, wenn es dem Denken Instrumentcharakter attestiert.
    Nicht der wirkliche Gedanke soll gepr�ft werden, sondern seine M�glichkeit, die subjektiven Voraussetzungen des Denkens vor ihrer "Anwendung" auf Gegenst�nde. Damit wird das Denken von seinem gegenst�ndlichen Bezug, seiner Objektivit�t, erst einmal getrennt. Im zweiten Schritt wird dann wieder gefragt, zu welchen Gegenst�nden es wie passen k�nnte. Man stelle sich also vor, alles Gedankliche am Gedanken liege fix und fertig vor, bevor er sich auf seinen Gegenstand richtet. Dann hei�t Denken, ein nur subjektives, sachfremdes Gedankeninventar an die Gegenst�nde herantragen, also die Sache bearbeiten, ver�ndern, so dass nicht mehr objektives Wissen, sondern nur noch eine Entstellung, ein subjektives Bild der Sache herauskommt. Jedes Urteil gilt als Vorurteil. "Im Kopf" hat man die Sache nur verfremdet durch die eigene subjektive Zutat. Die Sache ohne Zutat - das w�re die Wahrheit. Aber die kriegt man leider nicht in den Kopf. So soll jeder Gedanke etwas vom Subjekt und etwas vom Gegenstand haben, ohne dass man doch die Beitr�ge der beiden "Erkenntnisquellen" zu trennen verm�chte. Dazu br�uchte man ja wieder objektives Wissen zum Vergleich...
    Dann ist aber der ganze Prozess schlicht sinnlos und gar nicht hilfreich, wenn es darum geht, sich auf der Welt zu orientieren. Der Philosoph erinnert in diesem Zusammenhang gern an die Notwendigkeit des praktischen Zurechtkommens. Was ein unobjektiver Gedanke dazu beitragen k�nnte, bleibt sein Geheimnis.
  4. Die Frage nach den Grenzen der Erkenntnis ist einmal gestellt worden, um die metaphysische Spekulation aus der Wissenschaft zu verbannen: �ber Gott bringe der Geist nur widerspr�chliche Gedanken zustande. Da liege eben seine "Grenze". Die Pr�tention von Wissenschaftlichkeit sei auf diesem Feld einfach nicht am Platz.
    Auch nach dieser Seite taugt der Grenzengedanke nichts. Der Philosoph weigert sich einfach, dem religi�sen Denken seine - bemerkten! - Widerspr�che zum Vorwurf zu machen. Lieber trennt er sie von den gedachten Sachen - Gott, Unsterblichkeit und so Zeug -, um sie der Untauglichkeit des Denkens "in dieser Sph�re" anzulasten. So viel Respekt hat er vor den anpasslerischen Weltdeutungen der Religion, dass er lieber der Konsequenz des eigenen Denkens misstraut, als in dieser Sache einen definitiv abschl�gigen Bescheid zu wagen. Der Glaube ist eben Glaube und "�ber alle Vernunft". Wo hat man das blo� schon einmal geh�rt?
    Ein Erkenntnistheoretiker beabsichtigt eben keine Kritik falscher Gedanken. Wo es eine solche Kritik gibt, weist er sie in die Schranken und nimmt ihr die Spitze.

2. Was soll ich tun?

Auch diese Frage setzt in aller Unschuld ein Dogma in die Welt, den aparten Gesichtspunkt n�mlich, unter dem der praktischen Philosophie ihr Thema einzig interessant scheint. Es geht ihr nicht um die Gr�nde, die im wirklichen Tun und Lassen der Leute eine Rolle spielen - das w�re ja Wissenschaft: igitt! -, auch nicht um eine Kritik, die irgend jemandem Fehlkalkulationen vorrechnen w�rde, die f�r dessen Handeln konstitutiv sind - das w�re ja Materialismus: pfui! -, sondern um die Erkundigung nach letztg�ltigen Ma�st�ben, deren Vernachl�ssigung einem als Selbstwiderspruch der dritten Art anzukreiden w�re.
Dass man sich um das k�mmert, was einem n�tzlich und angenehm ist, h�lt ein Philosoph keineswegs f�r eine Selbstverst�ndlichkeit. Im Gegenteil - er kann nicht genug davor warnen. Denn das, was den Willen in seiner Freiheit erst so richtig ausmacht, soll den Philosophen zufolge ausgerechnet das sein, was ihm entgegensteht - ein Sollen, eine Pflicht. Sie fragen n�mlich nach "Normen", denen "der Mensch" exclusiv und deswegen untersteht, weil er Mensch ist; einer Verpflichtung also, die ihren Grund gar nicht in einem entgegenstehenden m�chtigen Interesse, sondern im Verpflichteten selbst hat.
Dies ist in mehrfacher Hinsicht widersinnig.
Dass sich der Mensch bei allem, was er treibt, die Frage vorlegt, ob es erlaubt oder ver- oder geboten ist, ist n�mlich gar nicht so normal. Wenn er es tut, liegt das schon daran, dass seine Zwecke l�ngst von einer anderen, dem Willen �bergeordneten Instanz, einer �berlegenen Gewalt also einer zweiten Beurteilung unterworfen werden; daran also, dass er der staatlichen Rechtsordnung subsumiert ist. Der Philosoph kann sich praktische Erw�gungen gleich nur noch unter den Kategorien der Gesetzgebung vorstellen Allerdings traut er seiner Identifikation von Handeln mit rechtm��igem Handeln dann selbst nicht so recht, sonst br�uchte er nicht st�ndig vor ungez�geltem Materialismus zu warnen.
Gegen den hat er einen ebenso grunds�tzlichen wie inhaltslosen Einwand: Ihm geht eben der Gesichtspunkt des Sollens, dieses ganz unbestimmten H�heren, dem sich alles Handeln in den Augen eines Philosophen zu unterstellen habe, ab. Dass der Philosoph die Frage nach dem Sollen als Ma�stab an alles Handeln anlegt - und der schn�de Materialist nicht -, ist schon die ganze Kritik. Zwar nimmt der Ethiker die Gr�nde, die die Leute f�r ihr Tun haben, gar nicht zur Kenntnis. Aber den Vorwurf, dass er sich eine noch viel prinzipiellere Begr�ndetheit und Reflektiertheit vorstellen k�nnte, mag er ihnen doch nicht ersparen.
In der Welt des Philosophen steht alles auf dem Kopf. Hier wird ein Gesetz nicht erlassen, weil es dem Gesetzgeber n�tzt, seine Einhaltung nicht erzwungen, weil sie den Untertanen schadet; vielmehr soll die Suche nach dem richtigen Gesetz dadurch erst auf den Weg kommen, dass Fans eines sehr ideellen Untertanenverh�ltnisses in der abstrakten Vorstellung von Verpflichtung �berhaupt ihr Herzensanliegen entdecken. Ganz als k�nnte man von einer Verpflichtung wissen, deren Grund und Inhalt einem g�nzlich unbekannt sind!

Das Ideal, das so formuliert wird, ist das der einsehbaren Pflicht. Ein harter Widerspruch! Entweder, etwas leuchtet ein: Es gibt einen Grund daf�r, und wegen dieses gepr�ften und f�r richtig befundenen Grundes will man es. Dann braucht man niemanden, der einen - auf den eigenen Zweck! - verpflichtet. Oder es verh�lt sich anders: Es muss einem abverlangt werden, einen Zweck zu verfolgen. Dann liegt darin auch das Eingest�ndnis, dass der Verpflichtete von sich aus keinen Grund dazu hat. Der Philosoph will beides gleichzeitig: "Das Vern�nftige" soll einen bleibenden Gegensatz gegen das "Vernunftwesen" Mensch haben.
Eine recht untert�nige Selbstinterpretation wird da verlangt: das Bekenntnis n�mlich, ein inkonsequenter D�del zu sein, der die eigenen Einsichten nicht festhalten kann. Sehr konsequent soll man sich als einen auffassen, der dauernd mit "unvern�nftigen" Regungen, Neigungen, Trieben oder gar "Wollungen" zu k�mpfen hat und dem deshalb die eigene Vernunft zur mahnenden Instanz wird. "Den Menschen" kennt der Philosoph als eine Witzfigur, die schrecklich gern brav sein will - und sich selbst dabei immer im Weg ist. Die Konstruktion eines gespaltenen Wesens "zwischen Engel und Affe" (!!), aus dem Unsinnsgedanken der einsehbaren Pflicht geboren, soll den dann umgekehrt auch noch begr�nden!
Als Beleg f�hrt der Philosoph "langfristige Interessen" an, die der Mensch, dieses schwache Wesen, �ber den "kurzfristigen" immer vernachl�ssige. Das legt zwar eher den Verdacht nahe, dass von einer Fiktion die Rede ist - ausgerechnet das Wichtigste soll immer vergessen werden! -, aber der Ethiker legt eben manchmal Wert auf die Feststellung, dass Pflichten nichts als hilfreich und n�tzlich sind. Dann scheut er auch die Behauptung nicht, dass man schon zum konsequenten Planen und Kalkulieren sage und schreibe eine Moral brauche.
Den Widerspruch dieses Ideals einer n�tzlichen Selbstbeschr�nkung bemerkt ein Philosoph schon wieder h�chst eigenartig: Das Argumentieren mit dem Nutzen der Moral beleidigt den Gegenstand seiner Verehrung: Dass die Moral nur f�r den Materialismus gut ist, das kann und darf nicht sein! Wo bleibt denn da das Absolute? Deshalb erg�nzt er sein utilitaristisches Werben f�r die Moral um sein Gegenteil: Die Moral ist etwas an und f�r sich Ehrfurchtgebietendes. Einem wohlerzogenen, gutgewaschenen Menschen braucht man das auch gar nicht zu sagen, weil ein anst�ndiges Wesen einen Sinn f�r die hohen Werte hat. Diese sch�ne Tautologie passt wirklich gut zur Idee des unbedingten und unausweichlichen Sollens. Daf�r l�sst sie wieder das Argumentative schmerzlich vermissen ...
Und so treibt sich denn die Ethik in dem nicht aufl�sbaren Widerspruch herum, dass man f�r Werte nicht argumentieren kann, 1. weil jede Begr�ndung deren Anspruch auf absolute Geltung relativiert - an den angef�hrten Gr�nden eben, relativ zu denen die Moral dann gerechtfertigt ist. 2. Weil jede Begr�ndung der Absolutheit der Moral umgekehrt - jeden Anklang an Gr�nde vermeidend - nur in der tautologischen Versicherung dessen bestehen kann, dass es sich um etwas durch sich selbst Respekt gebietendes Absolutes handelt.
Ein Ende dieser Bem�hungen, die auf den passenden Ausdruck, das angemessene Bild f�r den Gedanken gehen, der mit jener "Grundfrage der Philosophie" l�ngst feststeht, ist nicht abzusehen. Schlie�lich sind die Ethiker fest davon �berzeugt, erst kraft der von ihnen letztg�ltig zu definierenden Idee der Verpflichtetheit des Menschen lasse sich �ber den Charakter der Pflicht entscheiden. Ausgerechnet eine Abstraktion, die von allem Inhalt existenter Verbindlichkeiten von Recht und Moral absieht und nur noch die Form des Gebots selber �brigbeh�lt, soll als Prinzip und Ma�stab in der Frage dienen, was "dem" Menschen "berechtigterweise" abzuverlangen sei. Dass so alles und jedes gerechtfertigt werden kann, wusste schon HEGEL. Man verpasst nur jedem erdenklichen Zweck eine h�here Weihe, indem man ihm das Pr�dikat fraglosen Gebotenseins anpappt:

"Die Feigheit darf ... nicht so ungeschickt sein, nicht zu wissen, dass die Erhaltung des Lebens und der M�glichkeit, anderen n�tzlich zu sein, Pflichten sind, - nicht von der Pflichtm��igkeit ihres Handelns �berzeugt zu sein und nicht zu wissen, dass in dem Wissen das Pflichtm��ige besteht; sonst beginge sie die Ungeschicklichkeit, unmoralisch zu sein."

Ihre eigene Heuchelei ist der Moralphilosophie dabei so wenig ein Problem, dass sie sie unentwegt ausplaudert. Wohl legt man Wert auf den Schein selbst�ndiger Pr�fung von Recht und Moral im Lichte ethischer Letztbegr�ndung. Doch die Resultate solcher Ableitungs- und Rechtfertigungsbem�hungen misst man dann wieder umstandslos an dem, was eh gilt. Dass etwas "unserer moralischen Intuition" widerspricht, gilt der Ethik n�mlich als vernichtendes Argument, weil nur die �bereinstimmung mit dem gesunden Volksempfinden die Objektivit�t ihres Prinzipiengefummels "beweist":

"Das lie�e sich auch wohl schon im voraus vermuten, dass die Kenntnis dessen, was zu tun, mithin auch zu wissen jedem Menschen obliegt, auch jedes, selbst des gemeinsten Menschen Sache sein werde." (KANT, Grundlegung)

Fresst Schei�e, Millionen Fliegen k�nnen nicht irren! Das kommt heraus, wenn Philosophen "Begr�ndung" schreien, Rechtfertigung meinen, und deswegen wild entschlossen sind, "nichts unhinterfragt gelten zu lassen".

3. Was darf ich hoffen?

Moderner ist es die Frage nach dem Sinn.

Der Gedanke, eine Sache oder die Welt �berhaupt m�ssten einen Sinn haben, ist keine Erfindung von Philosophen. Der b�rgerliche Mensch, der sich z.B. eine sinnvolle Arbeit w�nscht, ist mit seinen Lebensumst�nden unzufrieden, k�mmert sich aber nicht darum, warum sein Interesse nicht zum Zuge kommt, sondern will seine Unzufriedenheit bew�ltigen. Ausgangspunkt der Frage nach einem Sinn ist immer der Zustand, der mir nicht recht ist. W�re etwa die Arbeit bestimmt durch und bemessen an den Interessen derer, die arbeiten, w�rde die Frage erst gar nicht aufkommen. Dann w�re n�mlich klar, wof�r und warum man arbeitet Die Frage nach dem Sinn dagegen unterstellt die Erfahrung, beim Arbeiten fremden Zwecken, die mit dem eigenen Wohlergehen unvereinbar sind, zu gehorchen, - und will diesen Tatbestand andererseits gerade nicht zur Kenntnis nehmen. Sie will vielmehr wissen, ob es nicht einen �bergeordneten Gesichtspunkt gibt, der diese sch�dliche Angelegenheit in einem f�r mich akzeptablen Licht erscheinen l��t. Arbeite ich f�r das Wohl des Vaterlandes, um ein gottgef�lliges Leben zu f�hren oder einfach, um "mich zu verwirklichen", ja dann verstehe ich die Verh�ltnisse, in denen ich lebe, um zu arbeiten.

Philosophen greifen die Sinnfrage auf und stellen sie generell als Frage nach dem Sinn des Lebens oder der Welt �berhaupt. Dabei betonen sie jedoch zu allererst, dass sie sich nicht anma�en m�chten, darauf eine Antwort zu geben. Denn es scheint ihnen sehr fraglich, ob der menschliche Verstand dazu taugt, in die tiefsten Geheimnisse / letzten Wahrheiten vorzudringen. Mit der gr��ten Selbstverst�ndlichkeit qualifizieren sie alles, was das Nachdenken in dieser Frage zuwege bringen k�nnte, von vornherein ab. Aber sie lassen es auch nicht.
KANT sieht die Sache so: "Wenn ich nun tue, was ich soll, was darf ich alsdenn hoffen?" Lohnt sich die Tugend, wo sie sich doch nicht lohnt? Statt zuzugeben, dass Moral, weil nicht lohnend, keine gute Sache ist, stellt er sich lieber eine Belohnung im Himmel vor. Hoffen kann er nat�rlich alles. Aber f�r sein Wunschdenken auch noch einen Grund, zumindest einen objektiven Anhaltspunkt haben zu wollen, das ist schon etwas viel verlangt.
Die religi�se Idee eines Himmelreichs, das den Menschen f�r alle erduldete Unbill im Leben entsch�digt, ist dem modernen Philosophen nicht ganz recht. Das h�rt sich f�r ihn noch zu materialistisch an. Sinn ist doch nicht der Trost, den sich brave Menschen so zurechtlegen, nicht etwas, das sich kleinlichen Berechnungen verdankt. Sinn ist doch objektiv, das Wesen der Welt. Dieses Wesen liegt nun nicht in den Dingen, die wir kennen - w�re auch seltsam, es kann ja nicht alles m�gliche Verschiedene das gleiche Wesen haben -, nein, da muss man schon tiefer hinter die Dinge blicken, um es zu entdecken. Aber was soll sich hinter der Realit�t finden? H�chstens die Einbildung. Das Eigentliche, das Philosophen behaupten, ist nichts als eine von ihnen erfundene Hinterwelt, �ber die sie dann die Auskunft verweigern, weil sie sich nicht anma�en m�chten ... (s.oben)
Nur Andeutungen und Metaphern bringen sie angesichts des "Unsagbaren" noch zustande. Klar ist dabei nur eines: Die Wirklichkeit wird von Philosophen zum bedeutungslosen Vordergrund erkl�rt. Alles, womit es der Mensch real zu tun hat, ist f�r sie nichts, erh�lt seine Bedeutung nur durch seine Beziehung auf etwas Jenseitiges. Die Sinnfrage verlangt gar keine Antwort. Das Bewusstsein zu pflegen, dass der Mensch ein St�ubchen im Universum und als solches gut aufgehoben ist, ist die Antwort.
Moderne Philosophen behaupten schon selber, dass die Frage die Antwort ist. Dem Menschen, sagen sie, ist es zu allen Zeiten schon darum gegangen, nicht nur wissenschaftliche, sondern "letzte Wahrheiten" zu finden. Also ist die Frage nach dem Sinn, da sie Tradition hat, nicht ganz von der Hand zu weisen. Der Mensch, so wird behauptet, ist �berhaupt so einer, der Sinnentw�rfe in sich tr�gt, der das Fragen und immer weiter Fragen einfach nicht lassen kann. Der Mensch als Tr�ger der Sinnidee, das ist doch auch eine Antwort. Sollen wir etwa den Menschen vorschreiben, worin sie einen Sinn sehen sollen? Aber mehr oder weniger im gleichen Atemzug beklagt sich der Philosoph dar�ber, dass der Mensch sein eigenes Wesen immer so wenig zur Kenntnis nimmt. Insbesondere heutzutage ist der Mensch leider im blo�en vordergr�ndigen "Zweckdenken" befangen und h�rt so gar nicht mehr auf die Stimmen aus der anderen Welt.
F�r einen Philosophen ist der Mensch ein eigent�mlich widerspr�chliches Gesch�pf, dem sein eigenes Wesen immer gepredigt werden muss. Nur, w�re es sein Wesen - man m�sste es ihm nicht st�ndig predigen.
"Leben, das Sinn h�tte, fragte nicht danach", sagt Adorno und beweist so, dass die Sinnfrage, kaum dass sie irgendein Idiot aufbringt, auch schon berechtigt ist: Das Fragen nach dem Sinn beweist schlagend, dass er fehlt, ergo dass es ihn gibt - als unabweisbares Bed�rfnis, das die schlechte Welt zwangsl�ufig hervorbringt. Dass die Sinnfrage eine falsche Reaktion auf eine "schlechte Welt" sein k�nnte, das mag auch ein kritischer Philosoph nicht denken.

Sinn ist, dass der Mensch einen sucht und braucht. Dass der Glaube an ein wie immer geartetes jenseitiges Reich vorhanden, gar verbreitet ist, ist das Resultat der tiefsten philosophischen Denkerei. Ein mageres Ergebnis? Vielleicht, aber die Existenzgrundlage f�r Philosophen.