Inhalt

Das Ideal aller Philosophen:
Der sokratische Weise: Ich weiß, daß ich nichts weiß!

Mit der Absage an das metaphysische Ableiten, mit der Radikalisierung desselben und seiner Ersetzung durch Seinsphilosophie stellt sich Heidegger nur in einer - für die Kollegen zugleich sehr bewundernswürdigen - Hinsicht gegen das Fach: er schließt es ab. Und tut damit, was jeder Philosoph möchte und sich schon lange keiner mehr traut.

Dem ewigen Ringen um verantwortbaren Sinn, haltbare Maximen und wegweisende Zeitdeutungen, die sich alle nicht nur wechselseitig bestreiten, sondern selbst vom Autor, kaum ausgesprochen, ihr Ungenügen und ihren bloßen Versuchscharakter bescheinigt bekommen, setzt Heidegger seine endgültige Antwort auf alle metaphysischen Fragen entgegen. Während alle inhaltlichen weltanschaulichen Angebote nur als Teil des ewigen Ringens, nie für sich Geltung beanspruchen können, gibt Heidegger eine Antwort, die nurmehr das methodische Prinzip der metaphysischen Sehnsucht ausspricht und so apodiktisch auftreten kann.

Er hat nicht so Unrecht mit seiner Auffassung, das Sein sei das, was alle Metaphysiker stets gesucht haben. Die Idee der höheren Notwendigkeit der Wirklichkeit ohne das Relative von Beziehungen, was in der Kategorie der Notwendigkeit aber zugleich unvermeidlich drinsteckt - das war es doch, oder? Als das eigentliche Wesen der Dinge die Macht, die sie wirklich macht; den Widerspruch einer absoluten Notwendigkeit überwindet der Hokuspokus mit dem Sein:

"Warum ist das Seiende der Möglichkeit des Nichtseins entrissen? Warum fällt es nicht ohne weiteres und ständig dahin zurück?" (Einführung, S. 31)

Durch das Sein natürlich, welches das Seiende als seine Manifestation hervorbringt und im Sein hält.

Es ist, als ob Heidegger sagen würde: Ihr wollt verehren, was euch so passiert und was mit euch angestellt wird, ihr wollt das, was wirklich ist, als eine höhere Notwendigkeit betrachten? - Dann tut's doch! Vor allem aber sucht keine dem Verstand verdaulichen Zwischenschritte! Das metaphysische Bedürfnis ist nur eine Haltung und kein Argument - nehmt sie gefälligst ein und ziert euch nicht. Anders ist das Metaphysische nicht zu haben! Freilich, Heidegger entlarvt so nicht das Bedürfnis, er teilt es und will es befriedigen, indem er ihm seine Sehnsucht nackt und vermittlungslos als Antwort gibt.

Das blödsinnig Tautologische und beschwörend Hymnische seiner Traktate, das jeden, der nicht gleich auf die philosophische Aura abfährt und das eigene Nichtverstehen als Gütesiegel der Schrift nimmt, Heidegger als irrationalen Guru weglegen läßt, hat ihm vom Fach nie Vorwürfe eingetragen; nein, das fällt den Kollegen durchaus als Konsequenz ihres Bemühens auf. - Was Heidegger so unausweichlich und das Philosophieren nach ihm auch nicht gerade leichter macht.

Mit seinem Mut zur tiefen Phrase verwirklicht Heidegger noch ein zweites sonst unerreichtes Ideal der Philosophie: die Einheit von Sache und Methode: Andere verkünden einerseits ihre Sinnsprüche und Deutungen, versichern nebenher sokratisch, daß sie nichts wüßten, und dementieren doch mit dem einen das andere. Heidegger ist auch hier der Konsequentere: Er macht den Idiotismus des antiken Weisen, der schon damals, in einer Zeit bescheidener Kenntnisse, nicht zwischen Wissen und Unwissen unterscheiden wollte, gleich zum Inhalt seiner Welterkenntnis. Er denkt über alles nur noch sub specie des Seins nach, und wird dadurch so total metaphysisch-methodisch, daß es kein Auseinanderfallen von Methode und Sache mehr gibt. Während die meisten modernen Fachvertreter Methodologen sind, also Leute, die sagen, wie man denken müßte, wenn man's täte, hat sich Heidegger durch seine konsequente Verwechslung des Prinzips metaphysischer Fragen mit der Welt den Ruf erworben, er sei ein sachhaltiger Denker und habe die erlebte Welt selbst zum Thema. Dies alles, weil er die demokratisch gebotene skeptische Stellung zu Einsichten gleich zum einzigen Inhalt seiner Einsichten macht.

Daß nämlich mit der Antwort: "Das Sein ist der Grund des Seienden!" keine einzige Frage nach dem Warum von irgendetwas beantwortet ist, weil ein Grund sich vom Begründeten schon noch irgendwie unterscheiden muß, weiß Heidegger am besten, ihm gilt das aber gar nicht als Kritik seiner Bestimmungen, sondern als Auskunft über das, was er da entdeckt haben will: Den Einwand, daß mit dem puren Gedanken des von allen Bestimmungen getrennten Seins das Unwirklichste zum Wesen erhoben wird, trägt Heidegger selbst vor:

"Wenn wir das Sein fassen wollen, wird es immer, als griffen wir ins Leere. ... Das Sein bleibt unauffindbar, fast so wie das Nichts, am Ende ganz so. Das Wort 'Sein' ist dann schließlich nur ein leeres Wort. Es meint nichts Wirkliches, Greifbares, Reales. Seine Bedeutung ist ein unwirklicher Dunst." (Einführung, S. 38 f.)

Der Fehler besteht eben in der noch immer nicht genug ausgerottenen Hybris des Menschen, auch noch das Sein fassen zu wollen. "Nach dem Sein fragen" ist etwas ganz anderes, als wissen wollen, was es darüber zu vermelden gibt. "Unsere Frage nach dem Sein" hat nämlich "wesentlich Entscheidungscharakter":

"...ob uns das Sein ein bloßer Dunst bleibe oder ob es zum Schicksal des Abendlandes werde..."

"Ist das Sein nur ein letzter Rauch einer verdunstenden Realität, dergegenüber das einzige Verhalten bleibt, sie völlig in eine Gleichgültigkeit verdunsten zu lassen? Oder ist das Sein das Fragwürdigste?" (Einführung, S. 53 u. 92)

Man muß schon wollen, daß das Sein mehr als ein leeres Wort ist. Dann freuich gewinnt es, nicht etwa Inhalt, sondern Gewicht, und seine Inhaltslosigkeit ist die Mitteilung, die das Menschenhim über die Welt letztlich zu erwarten hat. Daß es da nichts zu sagen und nichts zu vernünfteln gibt, ist die Einsicht in das Wesen der Dinge! Sie sind so unübersehbar wirklich, daß kein Gedanke je darüber hinweg könnte, und sie sind so unhintergehbar wirklich, daß kein Gedanke je dahinterkommen könnte. Das Sein ist das offenbare Rätsel. Es manifestiert sich in allem, aber es selbst bleibt verborgen. So daß das Wissen um die Verborgenheit - Heideggerisch gesagt - die Unverborgenheit des Sein ist:

"Alles Entbergen gehört in ein Bergen und Verbergen. Verborgen aber ist und immer sich verbergend das Befreiende, das Geheimnis.... Die Freiheit ist das lichtend Verbergende, in dessen Lichtung jener Schleier weht, der das Wesende aller Wahrheit verhüllt und den Schleier als den verhüllenden erscheinen läßt." (Technik, S. 25)

Der ganze Hokuspokus ist insofern nicht ohne Inhalt. Mit diesem für das Denken leeren Wesen wird als Antwort auf die metaphysischen Sinnfragen das Doppelte gegeben: Den Sinn, die höhere Notwendigkeit, in die Einsicht zu nehmen, Freiheit wäre, gibt es - aber getrennt vom Menschen und für ihn unzugänglich. Der Mensch ist von seinem Sinn, d.h. von dieser Schimäre der Legitimation, unaufhebbar getrennt. - Ein für Philosophen erschütternder und faszinierender Gedanke! Daß einer von einem Sinn kündet, dessen Eigentümlichkeit darin besteht, daß man ihn nicht wissen kann, kommt Fachphilosophen nicht wie ein ironisches Ad-absurdum-Führen der Sinnsucherei vor. Daß Heidegger die Verborgenheit des Sinns, sich uns ereignen läßt, wenn »wir uns dem Sein öffnen", daß von Verborgenheit, Sinn und seinem Fehlen aber nichts zu merken ist, wenn wir uns diesem Erlebnis nicht offen, das finden Philosophen keinen Witz, sondern ein Zeichen besonderer philosophischer Radikalität und Unerschrockenheit, mit der Heidegger der Sinnlosigkeit ins Auge schaut.