Ein Metaphysiker, der aus allem und jedem sein "Sein" herausabstrahiert und noch dazu dessen Sinn entdeckt hat, ist der festen Überzeugung, der Welt ihr Prinzip abgelauscht zu haben. Deswegen bemüht er sich auch nach Kräften, die Tragweite seines Prinzips für die Grundfragen, die seiner Meinung nach die Menschheit bedrängen, vorzuführen. Er subsumiert sämtliche Probleme von arm und reich, jung und alt unter seine Abstraktionen, so daß er gar nicht verwundert und ziemlich zufrieden zu dem Ergebnis gelangt, daß die philosophischen Kategorien in der Welt zu Hause sind und ihr Sinn ein ums andere Mal zum Vorschein kommt. Heidegger nimmt diese Mühe in dem Bewußtsein auf sich, Pionierarbeit zu leisten; er vergleicht sich mit den Größen der Philosophie vor ihm nur allzugern, unterschiebt ihnen nach guter wissenschaftlicher Sitte sein Anliegen und attestiert ihnen ihr Scheitern. So muß sich ein Descartes, der sich an Heideggers "Reduktion" aufs Sein gar nicht beteiligt hat, noch Jahrhunderte nach seinem Ableben sagen lassen:
"Es gelingt aber nicht, die verschiedenen Seinsweisen der so bezeichneten Seienden eigens und in ihrer Verschiedenheit herauszustellen, noch weniger, diese Verschiedenheit des Seins als Mannigfaltigkeit von Weisen des Seins einer ursprünglichen Idee von Sein überhaupt unterzuordnen." (Grundprobleme, S. 219)
Heidegger freilich gelingt das lässig - damit das "Sein" sich einer ursprünglichen Idee gemäß in einer Verschiedenheit von Seinsweisen hervortut, braucht es nicht einmal einen neuen falschen Gedanken. Dazu ist nur das "Verständnis von Sein" vonnöten, über das der Existenzphilosoph ja hinreichend verfügt:
"Sein und der Unterschied desselben vom Seienden kann nur fixiert werden, wenn wir das Verständnis von Sein als solches in den Griff bekommen. Das Seinsverständnis begreifen heißt aber das Seiende zunächst verstehen, zu dessen Seinsverfassung das Seinsverständnis gehört, das Dasein." (Grundprobleme, S. 322)
Für einen, dem "die Frage nach dem Sein der Stachel alles wissenschaftlichen Suchens ist" (Sein und Zeit), steht von vornherein fest, daß er die Frage, "was der Mensch sei", nur äußerst philosophisch, und das heißt wieder einmal polemisch gegen jegliche Wissenschaft - was immer diese auch behaupten mag - beantworten bzw. fragen kann. Er verfaßt einen extra Paragraphen mit dem Titel "Die Abgrenzung der Daseinsanalytik gegen Anthropologie, Psychologie und Biologie", in dem er ein ums andere Mal betont, daß er in solchen Disziplinen eines vermißt - die "Seinsfrage" nämlich; das ganze Getue hält er für enorm wichtig, obwohl für ihn schon zuvor feststand, "daß in der existenziellen Analytik des Daseins eine Aufgabe mitgefördert wird, deren Dringlichkeit kaum geringer ist als die Semsfrage selbst: Die Freilegung des Apriori, das sichtbar sein muß, soll die Frage, ,was der Mensch sei', philosophisch erörtert werden können. Die existenziale Analytik des Daseins liegt vor jeder Psychologie, Anthropologie und erst recht Biologie." (Sein und Zeit, §9)
So macht sich Heidegger an die Untersuchung "des Menschen", wie er ihn sieht: er ist ein "Seiendes", zu dessen Seinsverfassung das Seinsverständnis gehört, und als solches Dasein. Übermäßig spannend verspricht die "Daseinsanalytik" also schon deshalb nicht zu werden, weil alle Ergebnisse längst beschlossene Sache sind. Selbst der Sinn des Daseins kündigt sich schon an, wenngleich da einige originelle Wendungen nicht ausbleiben.
kommt bei Heidegger aus besagten prinzipiellen Gründen anders vor als bei seinen philosophischen Vorläufern. Er hält nichts vom Subjekt und seiner jahrhundertalten Idee, weil der Ansatz
"eines zunächst gegebenen Ich und Subjekts den phänomenalen Bestand des Daseins von Grund aus verfehlt." (Sein und Zeit, § 10)
Ebenso verwirft er die "Lebensphilosophie" ganz locker, ohne ihrem Getöse auch nur einen Fehler nachzuweisen:
"Auffallend bleibt, und das ist ihr grundsätzlicher Mangel, daß .Leben' selbst nicht als eine Seinsart ontologisch zum Problem wird."
Denselben Mangel müssen sich Husserl und Scheler gefallen lassen mit ihren Interpretationen der Personalität:
"Sie stellen die Frage nach dem ,Personensein selbst nicht mehr."
Da verwundert es überhaupt nicht, daß den Alten nicht dieser idiotische Einwand erspart bleibt, weil sie nämlich auch nicht Heidegger waren und den Menschen für ein vernünftiges Lebewesen hielten:
"Die Definition des Menschen: xxx in der Interpretation (!) animal rationale, vernünftiges Lebewesen. Die Seinsart des xxxx wird aber hier verstanden im Sinne des Vorhandenseins und Vorkommens. Der xxx ist eine höhere Ausstattung, deren Seinsart ebenso dunkel bleibt wie die des so zusammengesetzten Seienden." (alle Sein und Zeit, §10)
In seiner unnachahmlichen Seinsart vermißt der schwäbische Martin allenthalben sein Seinsgefummel und lüftet einige Male das Geheimnis, was e r denn nun vom Menschen zu sagen weiß. Dabei überlegt er jeden Schritt seiner Deduktion sehr sorgfältig. Schließlich geht es ja bei dem Seienden, auf den sich der philosophische Scharfsinn konzentriert, nicht um irgendwas oder - wen:
"Das Seiende, dessen Analyse zur Aufgabe steht, sind wir je selbst."
Und worin besteht das Dichten und Trachten von so Leuten wie unsereinem? Diese sich unmittelbar aufdrängende Frage schreit geradezu nach einer Antwort, vielleicht sogar nach mehreren Antworten, zumal sich bei einem naiven Leser die grundfalsche Erwartung einstellen könnte, jetzt würde über "uns selbst" einmal anderes erzählt, als mit dem abstraktesten aller Verba und seinen Derivaten auszudrücken geht. Hier eine Auswahl der Antworten, die belegen, daß Heidegger wirklich ein Fundamentalontologe genannt zu werden verdient:
"Im Sein dieses Seienden verhält sich dieses Selbst zu seinem Sein." "Das Was-sein (essentia) dieses Seienden muß" (aber klar!) "sofern überhaupt davon gesprochen werden kann, aus dem Sein (existentia) begriffen werden." "Das .Wesen' des Daseins liegt in seiner Existenz."
Auch in seiner Behandlung der vor Tiefgang triefenden Frage "Was ist der Mensch?" zeichnet sich Heidegger vor allen anderen Philosophen aus. Dies gelingt ihm schon durch die Manier, in welcher er die Frage stellt und seine neue Antwort unausweichlich macht: dem Dasein gilt sein Grübeln, und wer so über den Menschen nachsinnt, kann zu gar keiner anderen Bestimmung kommen als zu der, daß unsereiner da ist. Wo andere Denker noch auf Zweck und Verlaufsform menschlichen Tuns zu sprechen kommen, enthüllt er, daß die Seienden ein Sein aufweisen (deswegen heißen sie ja auch so!) und sich auch noch zu diesem Sein verhalten. Während die philosophischen Kennzeichnungen des Menschen sonst irgendeine Variante des Dualismus von Natur und Geist, Niederem und Höherem, Materialismus und moralischer Selbstbeschränkung auftischen, enthüllt Heidegger, daß er für den Menschen dessen wirkliche Zwecke, Anstrengungen und Freuden, Tätigkeiten und Interessen nicht einmal mehr in ihrer beschränkten Gestalt gelten lassen will. Der bürgerlichen Konzession an individuelle Ziele und Neigungen, die stets bedingt gemacht wird - nämlich mit dem Gebot der Selbstverleugnung um "der" Gesellschaft, des "sozialen Ganzen", der "Zukunft" etc. willen -, erteilt die Existenzphilosophie eine Absage, indem sie Ernst macht mit der Abstraktion des Individuums von sich selbst, und zwar so, daß von seinem konkreten Tun und Treiben nichts mehr übrigbleibt. Der Angriff auf das Bedürfnis und auf sämtliche Interessen, die nicht "die" Gesellschaft und den Staat befördern und deswegen unter die Rubrik "Egoismus" fallen, ist bei Heidegger überflüssig - er ist mit der Reduktion aufs Dasein, das sich aufs pure Sein verlegt, abgeschlossen. Müßig, darüber zu spekulieren, ob Heidegger die Vorstellung bemüht hat, wie eine solche Abstraktion tatsächlich in der Realität aussieht: Er hat eben die faschistische Selbstaufopferung, den Kampf um die bloße Existenz, den Soldaten philosophisch als die Erfüllung des Daseins "entworfen"...
Was außer dem Dasein mit Seinsverständnis so alles an Seiendem kreucht und fleucht, bietet dem echten Philosophen ebenfalls Gelegenheit zu allerlei Kunststücken, auf die ein Wissenschaftler nie verfällt. Diese Kunststücke wollen freilich auch durch die Ablehnung der Wissenschaft und durch die passenden Fragen vorbereitet sein:
"Was kann es besagen, ,die Welt' als Phänomen beschreiben? Sehen lassen, was sich an .Seiendem' innerhalb der Welt zeigt. Der erste Schritt ist dabei eine Aufzählung von solchem, was es ,in' der Welt gibt: Häuser, Bäume, Menschen, Berge, Gestirne. Wir können das .Aussehen' dieses Seienden abschildern und die Vorkommnisse an und mit ihm erzählen. Das bleibt aber offensichtlich ein vorphänomenologisches .Geschäft', das phänomenologisch überhaupt nicht relevant sein kann. Die Beschreibung bleibt am Seienden haften. Sie ist ontisch. Gesucht wird aber doch das Sein." (Sein und Zeit, § 14)
Wenn ein Seinsphilosoph über die Dinge spekuliert, über die er stolpert, so ist er nicht deshalb unzufrieden mit der Erfahrung und Beschreibung ihrer Eigenschaften, weil sie ihm noch kein Wissen bescheren über die Gründe und Gesetze, die erklären, warum verschiedene Gegenstände welche Eigenschaften aufweisen. Ihn bewegen tiefere Probleme: Inwiefern sind sie, die Dinge, und worin besteht ihr Sein?
"Das Seiende innerhalb der Welt sind die Dinge, Naturdinge und 'wertbehaftete' Dinge. Deren Dinglichkeit wird zum Problem; und sofern sich die Dinglichkeit der letzteren auf der Naturdinglichkeit aufbaut, ist das Sein der Naturdinge, die Natur als solche, das primäre Thema. Der alles fundierende Seinscharakter der Naturdinge, der Substanzen, ist die Substanzialität. Was macht ihren ontologischen Sinn aus?"
Damit auch keiner auf den Irrtum verfällt, Heidegger wolle ausgerechnet angesichts der Natur Materialist werden, also irgend etwas erklären, betont er alsogleich den ins Fundamentale reichenden Charakter seiner Fragen und Antworten, der erneut durch die Konstruktion einer Allgemeinheit zustandekommt, die von der Allgemeinheit seines Gegenstandes abgezogen wird. Das Sein des Philosophen besteht eben in seiner Philosophie als solcher, ergo seiner Philosophialität! Und die fundiert seine ganze Philosophie und ihn gleich noch mit. Selbstverständlich ist die Naturwissenschaft, die sich den besonderen Naturphänomenen erklärend zuwendet und darüber die wenigen Bestimmungen der "Natur als solcher" lässig aufdeckt, dieser Leistung nicht fähig - was auch einmal gesagt gehört:
"Aber fragen wir hierbei ontologisch nach der ,Welt'? Die gekennzeichnete Problematik ist ohne Zweifel ontologisch. Allein wenn ihr selbst die reinste Explikation des Seins der Natur gelingt, in Anmessung an die Grundaussagen, die in der mathematischen Naturwissenschaft über dieses Seiende gegeben werden, diese Ontologie trifft nie auf das Phänomen ,Welt'."
Mit dem interessanten Einwand, daß einer wissenschaftlichen Naturbetrachtung - selbst wenn es ihr gelingen sollte, einen für Philosophen schon recht passablen und grundsätzlichen "Begriff der Natur" insgesamt zu formulieren - die Heideggersche Idee des Phänomens "Welt" nie aufgeht, ist endgültig klargestellt, daß es beim "Sein", das dem Dasein gegenübersteht, ausnahmsweise einmal nicht ums Sein geht. Als ob sich Heidegger plötzlich auf die Logik besinnen würde, die ihm die Auffindung eines Unterschieds aufnötigt zwischen dem Dasein, dessen Wesen ja in seiner Existenz liegt, und der Welt der Dinge, fühlt er sich zu einer erhellenden Mitteilung gedrängt:
"Ein Zeug ,ist' strenggenommen nie. Zum Sein von Zeug gehört je immer ein Zeugganzes, darin es dieses Zeug sein kann, das es ist. Zeug ist wesenhaft »etwas, um zu...'. Die verschiedenen Weisen des ,Um - zu' wie Dienlichkeit, Beiträglichkeit, Verwendbarkeit, Handlichkeit konstituieren eine Zeugganzheit." (Sein und Zeit, § 15)
Die Suche nach dem "ontologischen Sinn", der dem Gerümpel innewohnt, mit dem das Da-Sein sich so konfrontiert sieht, verläuft also auch noch erfolgreich. Heidegger gibt sich einen Augenblick so, als wollte er ausnahmsweise den allergesündesten Menschenverstand bemühen und dem Rest der Welt, in dem das Dasein ist, nur eines bescheinigen: Es handelt sich um brauchbares Zeug. Doch denkt er auch hier wieder ebenso verkehrt wie tief. Erstens weiß er gar nicht, daß die Bestimmung des Mittels etwas Relatives ist, im Verhältnis zu "Zweck" steht; zweitens ist er nicht daran interessiert, den Mittelcharakter - eine sehr profane Angelegenheit - in den Rang einer für sein Denken bedeutsamen Kategorie zu erheben. Er denkt an so etwas wie Mittelhaftigkeit, die in den Dingen waltet, und diese Chimäre einer "objektiven" Bestimmung zwingt ihn dann zur Frage nach dem korrekten Verständnis.
So souverän wie sich der Philosoph über die tatsächlichen Zwecke, welche die Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft verfolgen, hinwegsetzt und ihnen ihre Existenz als das letzte "Weiß-warum" zugesprochen hat, so lässig übergeht er die Bestimmungen der gegenständlichen Welt, um im Bezug des Menschen auf sie ihr wahrhaftes Sein aufzuspüren. Daß aus "Dingen" nur aufgrund ihrer Eigenschaften auch nützliche Dinge werden, und daß ihre Verwendung die Kenntnis ihrer Gesetzmäßigkeiten zur Voraussetzung hat, ist ihm weiter nicht wichtig. Elegant erinnert er an die Bezeichnung der "Dinge" durch die alten Griechen ( !), findet das deutsche Wort "Zeug" als gelungene Übersetzung und stürzt sich auf die Ergründung der "Zeughaftigkeit des Zeugs"; seiner tiefen Einsicht-
"Zeug wird es immer nur durch seine ,Zuhandenheit'" - verleiht er Nachdruck durch die scharfsinnige Analyse eines handwerklichen Vorgangs:
"Der je auf das Zeug zugeschnittene Umgang, darin es sich einzig genuin in seinem Sein zeigen kann, z.B. das Hämmern mit dem Hammer, erfaßt weder dieses Seiende thematisch als vorkommendes Ding, noch weiß etwa gar das Gebrauchen um die Zeugstruktur als solche. Das Hämmern hat nicht lediglich noch ein Wissen um den Zeugcharakter des Hammers, sondern es hat sich dieses Zeug so zugeeignet, wie es angemessener nicht möglich ist." (Sein und Zeit, § 15)
So gelangt ein Philosoph durch die Abstraktion von den materialen Eigenschaften der Dinge zu ihrer Grund- und Haupteigenschaft, zur Nützlicher für den Menschen, und erklärt diese zu ihrer Beschaffenheit - wozu in der Tat keine leiseste Ahnung von den Naturgesetzen nötig ist. Das Beispiel des Hämmerns freilich, zu welchem ein wenig praktische Erfahrung auch eines Neandertalers genügt, entspricht den Ambitionen des wackeren Schwaben recht eindeutig: So wie sich das Leben des Menschen im Sein abspielt, in dem er sich daseinsmäßig bewährt, damit er da ist, so gerät die Natur sub specie ihrer "Zuhandenheit" nicht zum Mittel des Menschen, der brauchbare Eigenschaften an ihr entdeckt, sondern zum widerspenstigen Material seiner Bewährung. Die Leugnung der Bestimmtheit der natürlichen Dinge, in der die Philosophie ihre Abstraktionskunst wieder einmal unter Beweis stellt, und die unabhängig von den Gesetzen der Natur gefeierte "Zeughaftigkeit" ergeben zwanglos den Übergang zur moralischen Bewertung der Natur, an der sich der Mensch abstrampelt. Konnte Marx dem Kapitalismus bescheinigen, daß in ihm die Beherrschung der Natur als Prinzip der Industrie erreicht ist -
"Die Natur wird erst rein Gegenstand für den Menschen, rein Sache der Nützlichkeit; hört auf als Macht für sich anerkannt zu werden; und die theoretische Erkenntnis ihrer selbständigen Gesetze erscheint selbst nur als List, um sie menschlichen Bedürfnissen, sei es als Gegenstand des Konsums, sei es als Mittel der Produktion zu unterwerfen." (Grundrisse der politischen Ökonomie, S. 313) -,
so widerspricht dem Heidegger fast ein Jahrhundert später und begeistert sich für die Anerkennung der Natur als Macht für sich, bescheinigt ihr einige Boshaftigkeit und setzt ihrem "Um-zu"-Charakter auch dessen Gegenteil hinzu:
"In der Anfälligkeit, Aufdringlichkeit und Aufsässigkeit geht das Zuhandene in gewisser Weise seiner Zuhandenheit verlustig. Diese ist aber selbst im Umgang mit dem Zuhandenen, obzwar unthematisch, verstanden. Sie verschwindet nicht einfach, sondern in der Auffälligkeit des Unverwendbaren verabschiedet sie sich gleichsam..." (Sein und Zeit, § 16)
Kein Wunder, daß sich angesichts der Widerspenstigkeit des "Zuhandenen" die Sinnfrage geradezu aufdrängt! Wenn sich der Mensch gemäß philosophisch exakter Deduktion schwertut mit der Brauchbarkeit der Natur - wobei auffällt, daß der Nützlichkeitsstandpunkt durchaus den modernen Formen der Arbeit und Naturwissenschaft entnommen ist! -, dann ist über seinen Lebenswandel sehr Wesentliches zu Tage gekommen:
"Der Mensch ist nicht Herr des Seienden. Der Mensch ist der Hirt des Seins. In diesem .weniger' büßt der Mensch nichts ein, sondern er gewinnt, indem er in die Wahrheit des Seins gelangt. Er gewinnt die wesenhafte Anmut des Hirten, dessen Würde darin besteht, vom Sein selbst in die Wahmis seiner Wahrheit gerufen zu sein. Dieser Ruf kommt als der Wurf, dem die Geworfenheit des Daseins entstammt... Der Mensch ist der Nachbar des Seins." (Humanismus, S. 29)
Anmut und Würde eines Schafhirten hat Heidegger dem modernen Menschen anzubieten, wenn er seinen geistigen Kampf gegen den Materialismus in Theorie und Praxis des bürgerlichen Lebens führt. Produktion von Reichtum und Genuß sind dem professionellen Denker so fremd, daß er sich selbst als Professor ziemlich geworfen vorkommt und dem "Sein" ein freundliches "Grüß Gott, Herr Nachbar" entgegenschmettert. Dabei hatte er noch nicht einmal wie heutige Natur-Philosophen die Wirkungen vor Augen, die die kapitalistische Anwendung der Natur auf deren Brauchbarkeit für die Menschheit zeitigt. Während diese angesichts der "Umweltkatastrophe" auf ähnliche Gedanken kommen -
"Jahrtausendelang bedeutete Kultur ein Verhältnis zur Symbiose von Mensch und Natur, in welcher Natur zugleich als Feind (!), als Spenderin (!) und als Gegenstand pflegender Herrschaft des Menschen auftrat..."
und Ideologien der Knappheit und des gestörten "Gleichgewichts" in die Welt setzen -
"Der Prozeß der naturwüchsigen Naturbeherrschung ist allerdings nun an einem Punkt angelangt, wo er sich gegen den Menschen selbst wendet. Erstmals kommt zum Bewußtsein, daß die Ressourcen der Natur hinsichtlich dessen, was die Lebensbedingungen der menschlichen Gattung ausmacht, endlich sind." (Stichwort "Natur" im Handbuch philosophischer Grundbegriffe, München 1973)-,
will Heidegger nicht vor einem verfehlten Umgang mit der Natur warnen, sondern im fragwürdigen Nutzen der Naturbeherrschung, den er der "Welt" ganz prinzipiell abgeschaut hat, den allerletzten Sinn des "Zeugs" preisen. So unterscheidet sich die bürgerliche Ideologie, die Herrschaft aus Naturbeherrschung und ihrem Fortschritt ableitet -
"Die naturwüchsige Expansion der Naturbeherrschung, weit entfernt, Herrschaft des Menschen über den Menschen zu verringern" (wie soll sie das auch?), "steigert vielmehr sowohl deren Notwendigkeit wie deren Möglichkeiten. Sie steigert die Notwendigkeit wachsender Manipulation des Menschen, um ihn zu einem brauchbaren Glied seiner eigenen Naturbeherrschungsmechanismen zu machen." ,
trotz der auch ihr zugehörigen Portion Verzichtspropaganda doch noch einigermaßen von der faschistischen Sinnfindung, die durch eine gründliche Hinterfragung zustandekommt:
"Wie wollen wir erfahren, was das Zeug in Wahrheit ist?... Wir wählen als Beispiel ein gewöhnliches Zeug: ein Paar Bauernschuhe ... Das Zeugsein des Zeugs besteht in seiner Dienlichkeit. Aber wie steht es mit dieser selbst? ... Müssen wir nicht das dienliche Zeug in seinem Dienst aufsuchen? Die Bäuerin auf dem Acker trägt die Schuhe. Hier erst sind sie, was sie sind. Ein Paar Bauernschuhe und nichts weiter."
Wollte Heidegger wirklich "erfahren", "was das Zeug in Wahrheit ist", dann müßte er eben die Beziehung zum Gebrauch, die er im "Zeug" ausgedrückt hat, verlassen und sich das, was da gebraucht wird, unabhängig von dieser Beziehung anschauen.*) Heidegger geht einen anderen Weg und bestimmt die durch den Bezug zum Gebrauch bestimmte Sache durch ihren Bezug zum Gebrauch: Das Zeugsein des nützlichen Dings besteht in seiner Nützlichkeit (Dienlichkeit) - eine theoretische Glanzleistung, die nur einem dient, der Vorbereitung der Hinterfrage:
"Aber wie steht es mit dieser (Dienlichkeit) selbst?"
Hier wird der Nutzen schlichtweg in Frage gestellt; nicht dadurch, daß er bestritten wird, sondern dadurch, daß nach dem Nutzen des Nutzens gefragt wird. Heidegger stellt den Nutzen in Frage, weü er ihn als ein Mittel braucht, freilich nicht für den Genuß der Menschen, sondern für Höheres:
"Und dennoch. Aus der dunklen Öffnung des ausgetretenen Inwendigen des Schuhzeugs starrt die Mühsal der Arbeitsschritte ... Durch dieses Zeug zieht das klaglose Bangen um die Sicherheit des Brotes, die wortlose Freude des Wiederüberstehens der Not, das Beben in der Ankunft der Geburt und das Zittern in der Umdrohung des Todes ...
Das Zeugsein des Zeugs besteht zwar (!) in seiner Dienlichkeit. Aber diese selbst ruht in der Fülle eines wesentlichen Seins des Zeugs. Wir nennen es die Verläßlichkeit. Die Verläßlichkeit des Zeugs gibt erst der einfachen Welt ihre Geborgenheit und sichert der Erde die Freiheit ihres ständigen Andranges."
Zwar (!) besteht das Zeugsein des Zeugs in seiner Dienlichkeit -aber damit ist noch gar nichts gesagt. Ein nützliches Ding befriedigt nicht etwa ein Bedürfnis des Menschen oder dient ihm als Werkzeug, Heidegger ist das zu billig; da müßte er ja über wirkliche Bedürfnisse und Zwecke reden. Der Nutzen ist seinem bescheidenen Willen nach ein Mittel für das fortgesetzte Ausstehen aller möglichen Qualen, die oben einzeln firmieren und unten in der "Fülle eines wesentlichen Seins des Zeugs" auftreten. Das Leben ist ein steter Kampf mit der widersetzlichen Natur, der Opfer verlangt; und dieser Kampf wird durch die nützlichen Dinge ermöglicht. Heidegger sagt auch klar, wer etwas davon hat - der Mensch jedenfalls nicht, dafür aber die Erde, denn ihr sichert die "Verläßlichkeit" die Freiheit ihres ständigen Andrangs. Da wird sich Mutter Erde aber freuen, weil sie vom Philosophen die Erlaubnis erhalten hat, ständig "anzudrängen" und die Menschheit zu traktieren. Umgekehrt hat auch die Menschheit in ihrer philosophisch deduzierten Qual eine recht eindeutige Perspektive!
*) Die Antwort auf diese Frage gehört zwar nicht in die politische Ökonomie, findet sich aber doch im .Kapital': MEW 23, S. 50