Heidegger hat nur Einfalle, die dem Faß die Krone ins Geweih hauen. Zum Beispiel den folgenden:
"Als der Sinn desjenigen Seienden, das wir Dasein nennen, wird die Zeitlichkeit aufgewiesen." (Sein und Zeit, § 5)
Damit will er natürlich nicht einfach gesagt haben, daß wir selten außerhalb der Zeit herumstrolchen. Es geht nämlich um Sinn, und dafür ist die Zeitlich<:e(f zuständig. Wie mit allen Heiten, Keiten und Alitäten seiner Philosophie verhält es sich auch hier - das dünne Attribut einer jeder Realität spottenden Kategorie ("Seiendes" behauptet eben nur noch Realität überhaupt!) avanciert zu selbständiger Würde und damit gleich zum Grund:
"Die Seinsverfassung des Dasein gründet in der Zeitlichkeit.",
lautet eine schon etwas weitergehende Behauptung, und als "Folgerung" aus elfmal abgewandelten Sprüchen dieses Kalibers drängt sich ohne weiteres auch einmal dieses auf:
"Dann aber muß, wenn anders das Seinsverständnis zur Existenz des Daseins gehört, auch dieses in der Zeitlichkeit gründen." (Grundprobleme, S. 323)
Nach solchen Erörterungen, die sich an allen Ecken und Enden des Heideggerschen Werkes finden, weiß man über das "Dasein" genannte Treiben des Menschen allerhand Erhellendes. Erstens dauert es, zweitens nicht ewig, was drittens den "Schluß" zuläßt, daß es noch nicht fertig ist, solange es dauert:
"Im Dasein steht, solange es ist, je noch etwas aus, was es sein kann und wird. Zu diesem Ausstand aber" (diese "aber" sind stark!) "gehört das ,Ende' selbst." (Sein und Zeit, § 45)
Ja, wenn die Sache so ist, dann hat man es mit dem Dasein auch gar nicht zu tun, solange es dauert - zumindest nicht mit dem ganzen Dasein! Und das bringt ein Problem, das uns schnellebigen Zeitgenossen so lässig nicht aufgestoßen wäre;
"Im Wesen der Grundverfassung des Daseins liegt demnach eine ständige Unabgeschlossenheit... Solange das Dasein als Seiendes ist, hat es seine ,Gänze' nie erreicht." (Sein und Zeit, § 46)
Umgekehrt gilt freilich:
"Das Erreichen der Gänze des Daseins im Tode ist zugleich Verlust des Seins des Da." (Sein und Zeit, § 47)
Die Lösung dieses schwerwiegenden Problems, daß ein Dasein, solange es vor sich hinwurschtelt, in der Grundbefindlichkeit der Sorge ist, aber nie seine "Gänze" herkriegt und umgekehrt nichts mehr putzt, sobald es sie hat, ist in den Schlagwortkatalog der neueren Philosophiegeschichte eingegangen - und dies völlig zu Recht. Der schwierige Übergang, der noch zu machen war, unterscheidet sich allerdings erheblich von jenem alten Reiterlied, in dem die existenzielle Problematik in der ungemein schönen Schlußzeile mündet: "Sterben ist der schönste Tod!" Heidegger hat sich für eine etwas andere Variante entschieden, was man von einem Philosophen wohl auch erwarten durfte:
"Der Tod ist eine Seinsmöglichkeit, die je das Dasein selbst zu übernehmen hat. Mit dem Tod steht sich das Dasein selbst in seinem eigensten Seinkönnen bevor. In dieser Möglichkeit geht es dem Dasein um sein In-der-Welt-sein schlechthin."
So bedauerlich es einem normalen Menschen erscheinet! mag, daß mit dem Tod seinem mehr oder minder geschäftigen Treiben ein Ende bereitet wird, so glücklich ist der Philosoph über seine Entdeckung der Möglichkeit des Todes, mit der das "Dasein" wirklich leben kann; der "existenziale Entwurf eines eigentlichen Seins zum Tode" ist der große Wurf eines ganz und gar verwerflichen und gar nicht geworfenen Denkers, der durchaus mahnend zu Werke geht, also zum Ausdruck bringt, daß er seinen Zeitgenossen etwas sagen will bezüglich einer richtigen Einstellung zum Leben. Mißverstanden haben ihn z. B. jene Existenzialistenjünglinge, die zuerst immer in schwarzen Anzügen zu allerlei Getränken herumphilosophiert haben und dann in den "Freitod" gegangen sind:
"Das fragliche Sein zum Tode kann offenbar nicht den Charakter des besorgenden Aus-seins auf seine Verwirklichung haben. Einmal ist der Tod als Mögliches kein mögliches Zuhandenes oder Vorhandenes, sondern eine Seinsmöglichkeit des Daseins. Sodann aber müßte das Besorgen der Verwirklichung dieses Möglichen eine Herbeiführung des Ablebens bedeuten. Damit entzöge sich aber das Dasein gerade den Boden für ein existierendes Sein zum Tode." (Sein und Zeit, § 53)
Man sieht, so einfach kann man es dem faschistischen Idealisten nicht recht machen. Er ist der Auffassung, daß ein "Vorlaufen" zum Tod praktiziert gehört, weil darin das Dasein seinen Sinn realisiert:
"Im Vorlaufen zum unbestimmt gewissen Tode öffnet sich das Dasein für eine aus seinem Da selbst entspringende, ständige Bedrohung."
Man hat sich selbstverständlich im Leben dem Tode zu stellen, womit sich die Logik der Möglichkeit, die Heidegger so kräftig bemüht, als die Apotheose der Bereitschaft zum Tode in Erinnerung bringt:
"Im Sein zum Tode dagegen, wenn anders es die charakterisierte Möglichkeit als solche verstehend zu erschließen hat, muß die Möglichkeit ungeschwächt als Möglichkeit verstanden, als Möglichkeit ausgebildet und im Verhalten zu ihr als Möglichkeit ausgehalten werden ..." (Heidegger unterstreicht selbst das, worauf es ankommt!) "Das Vorlaufen erschließt der Existenz als äußerste Möglichkeit die Selbstaufgabe (!) und zerbricht so jede Versteifung auf die je erreichte Existenz."
Dankbar stellt der desorientierte Mensch fest, daß die matten Möglichkeiten, die ihm durch die Sozialwissenschaften angeboten werden - Rolle und Norm als Orientierungshilfe bei der Sortierung von Erwartungen, Gesetz und Polizei als Möglichkeit der Entscheidung im Wirrwarr von ausweglosen Handlungsweisen, das Geld als Ermöglichung des Einkaufens von allen Reichtümern dieser Welt usw. usw. -, von der Philosophie bei weitem in den Schatten gestellt werden. Mit der Möglichkeit des Todes hat man doch endlich einmal etwas Handfestes, an das es sich zu halten auch lohnt. Wer seine Möglichkeiten vom Ende her bestimmt weiß, dem ist doch schon ganz anders zumute. Zumal es mit der "Vereinzelung", die der Tod so mit sich bringt, auch nicht so weit her ist - im Gegenteil, mit Hilfe recht verstandenen "Vorlaufens" sichert man anderen ihre Existenzmöglichkeiten:
Frei für die eigensten, vom Ende her bestimmten, d. h. als endlich verstandenen Möglichkeiten, bannt das Dasein die Gefahr (!), aus seinem endlichen Existenzverständnis die es überholenden Existenzmöglichkeiten der anderen zu verkennen..."
Als wollte Heidegger alle Mißverständnisse über die Bedeutung des erfüllten "Sein zum Tode" fürs Leben anderer aus dem Weg räumen, hat er sein philosophisch konstruiertes Prinzip gewissenhafter Unterwerfung für einfache Gemüter auch einmal anders ausgedrückt:
"Die ergriffene Endlichkeit der Existenz ... bringt das Dasein in die Einfachheit seines Schicksals. Wenn aber" (schon wieder!) "das schicksalhafte Dasein als In-der-Welt-sein wesenhaft im Mitsein mit anderen existiert, ist sein Geschehen ein Mitgeschehen und bestimmt als Geschick. Damit bezeichnen wir das Geschehen der Gemeinschaft, des Volkes... Im Miteinandersein in derselben Welt und in der Entschlossenheit für bestimmte Möglichkeiten sind die Schicksale im Vorhinein schon geleitet. In der Mitteilung und im Kampf (!) wird die Macht des Geschicks erst frei. Das schicksalhafte Geschick des Daseins in und mit seiner .Generation' macht das volle, eigentliche Geschehen des Daseins aus..."
So macht die Existenzphilosophie ihren Übergang zum kollektiven Opfer: Der Sinn des Daseins liegt im entsagungsvollen Kampf der Volksgemeinschaft, an deren unendlicher Idee teilzuhaben, durchaus ein Trost ist für einen, den die Endlichkeit seiner Existenz ergriffen hat.