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Faschist - aus philosphischem Drang

Kein Wunder, daß die Fachkollegen sich mit einem kleinen und interessanten "Ärgernis" konfrontiert sehen, wenn der größte Philosoph des 20-Jahrhunderts Faschist gewesen ist. Das ehrliche Befremden dieser Gefolgsleute des Nachfolgerstaats darüber, daß ein großer Denker einem geschichtlich so diskreditierten Staatsprogramm anhängen konnte, kontrastiert damit, daß sie als Philosophen an seiner Philosophie einfach nichts Anstößiges finden können. Sie trennen die politische Parteinahme Heideggers von seiner Philosophie, nennen die eine Irrtum, die andere Weisheit - und werden damit auch nicht recht glücklich: Der große Philosoph - ein Idiot im praktischen und politischen Leben; das stellt der Weisheit, die Philosophie stiftet, nicht gerade das beste Zeugnis aus.

Also kommen Kritiker zum Zug, die nach Faschistischem im Oeuvre des Meister fahnden; d.h. nach dem, was ein demokratischer Verstand eben als faschistisch erkennt: politische Parolen nämlich, die ihn nicht gleich wieder an seinen eigenen Staat erinnern. Das aber sind l. gar nicht viele und 2. eben politische Parolen. War Heidegger Antisemit, antiliberal, Anhänger des Führerprinzips? - fragt die geistige Entnazifizierungskammmer, wird mehr oder weniger fündig und kommt so auf den Gehalt der Heideggerschen Philosophie erst gar nicht zu sprechen. Verdacht und Gegenverdacht sind auf dieser Basis gleichermaßen haltlos. *)

Daß edelfaschistischer Geist noch etwas anderes ist als eine Verpackung für politische Parolen, will den Philosophen an dieser Front nicht auffallen; er unterscheidet sich eben nicht von ihrem eigenen - demokratisch philosophischen - Geist, und von dem machen sie sich keinen Begriff, sonst hätten sie ihn nicht.

Auch faschistische Philosophie ist Philosophie, und nicht nur das: sie ist nichts anderes als radikale Philosophie. Es geht ihr, wie einer jeden, um die Deutung des Dichtens und Trachtens der Menschen im Lichte eines Höheren, dem sich der Mensch verpflichtet weiß, damit er Mensch sein kann. Die Heideggersche Deutung der heldischen Selbstverleugnung und des Sich-Einreihens des faschistischen Volksgenossen als Selbstverwirklichung kommt dabei ohne jede politische Erinnerung aus. Das Sein als Hauptanliegen des Menschen, das sinnferne Geworfen-Sein in einer Welt ohne Gott, das Sich-Entwerfen durch ein Vorlaufen in den Tod, die Entschlossenheit, mit der das Dasein seine zufällige Existenz wählt, damit es ihr die Treue halten und so auch etwas Wertvolles und ein Selbst sein kann - alles das finden demokratische Philosophen so philosophisch normal, daß sie höchstens noch zugeben müssen, daß vor Heidegger noch keiner das Ideal der Sinnsucherei so klar und unangreifbar ausgesprochen hatte. Er hatte kein der Philosophie fremdes faschistisches Ideal ins Spiel bringen müssen; er hat umgekehrt gezeigt, daß so etwas wie Faschismus ein Ideal der Philosophie ist: das Aufgehen des Individuums in einer es übersteigenden Kampfgemeinschaft, die das Opfer echt lohnend macht, das ist die endgültige Lösung der Sinnfrage.

Sowenig demokratische Philosophieprofessoren an diesem Gedanken eine, gar noch verwerfliche, politische Parteilichkeit ausmachen können, so leicht fällt es ihnen an anderer Stelle, theoretische und philosophische Gedanken unmittelbar mit Formen politischer Herrschaft zu identifizieren. In diesen Fällen ist ihnen die Front, der politische Gehalt und Auftrag ihres Fachs geläufig: Daß sich Hegel Wahrheit zutraute, eine objektive Vernünftigkeit der Gesellschaft prüfen und beweisen wollte, qualifiziert ihn zum totalitären Prä-Faschisten. Da kennen sich moderne Toleranzler aus: Unbescheidenheit im Denken ist eine Hybris der Vernunft; die Welt nach Einsichten einrichten zu wollen, ist eine gefährliche Heilslehre, die Unglück über die Menschen bringt. Dieser Geist hat Hitler und Stalin hervorgebracht. Nietzsche kritisierte die Heuchelei der Moral und den Geist der Rechtfertigung, das soll eine Rechtfertigung von Gewalt und Zügellosigkeit der Herrschaft gewesen sein und schnurstracks zum Faschismus geführt haben. Aber Heideggers Sein...?

Philosophen wissen ganz genau um die Gefahren der Moderne. Das Böse ist auf zweierlei Weise in die Welt gekommen: l. weil die Mächtigen auf Hegel und Nietzsche hörten und 2. nicht auf Kant. Besagte Mächtige müssen dazu weder die einen noch den anderen auch nur dem Namen nach kennen.

Wie soll diese gediegene Mischung aus Ignoranz und Hybris, die den Faschismus für verwirklichte Moralkritik und unduldsames Beharren auf Wissenschaft für Faschismus hält, in der Lage sein, Geist und Politik des Faschismus erstens zu unterscheiden, um zweitens ihre Identität zu bestimmen?


*) Auch der Pariser Nicolas Tertulian, der sich in seinem Beitrag zur Glaubwürdigkeitsdebatte um Heidegger nicht auf die Lebensgeschichte sondern auf die philosophischen Schriften beziehen will, und dort immerhin die Verherrlichung von Frontkameradschaft, Opfer und Tod entdeckt, versteht alles ganz falsch, wenn er am Schluß gezeigt haben will, "daß Heideggers politische Anschauungen tatsächlich im Mittelpunkt seines Denkens stehen." "Die These von der 'Seinsvergessenheit' lieferte die Rechtfertigung dafür, Demokratie, Liberalismus, Amerikanismus, Kommunismus, jüdischchristliche Überlieferung sowie die Kirche in Acht zu tun." (Frankfurter Rundschau 29.1.1988)