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Der Kollege im Anliegen Sinnsucherei:
Denken aus dem Geist der Rechtfertigung

Wer von denen, die ein Bedürfnis nach Philosophie verspüren, die sich selbst und die conditio humana erkennen wollen, würde Heidegger nicht zustimmen, wenn er seine ganz rohe Definition der philosophischen Aufgabe formuliert?

"Ganz im rohen genommen zielt die Philosophie immer auf die ersten und letzten Gründe des Seienden und zwar derart, daß dabei der Mensch selbst in betonter Weise hinsichtlich des Menschseins eine Deutung und Zielsetzung erfährt." (Einführung, S. 12)

Daß der Mensch eine Deutung seines Menschseins braucht, damit er weiß, was er soll, ist Heidegger so geläufig wie sonst einem Philosophen: Sonst täte der Mensch ja glatt, was er gerade will, oder was er bloß muß. Etwas grundsätzlich Höheres, als er bloß will, einen Oberzweck fürs ganze Leben, ein "Weiß-Warum" braucht der Mensch, weil er sonst bloß muß, was er sowieso muß. Übernimmt er aber dies als eingesehene eigene Aufgabe, dann bewahrt der Mensch sich in allen Zwängen seine geistige Freiheit und kann in der und durch die Selbstdeutung die Einbildung pflegen, Subjekt der eigenen Lebensumstände zu sein.

Diese Grundform aller Ideologie - von Hegel schön formuliert als:

»Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit" - ist ersichtlich mit Unangenehmem befaßt. Angenehmes nämlich wird genossen und nicht durch Einsicht verwunden. Es geht um eine Einstellung, die sich Übles gefallen lassen will, aber nur unter der Bedingung, daß man ihr gute Gründe nennt. Freiheit - auch da sind sich Philosophen aller Richtungen einig - wäre vollkommen mißverstanden, wenn man sie als Befreiung von Zwängen und Zurückdrängen von Notwendigkeiten auffaßte, sie ist die subjektive Anerkennung beider: die geistige Bereitschaft von Mitläufern, in erzwungenen Lebenslagen so zu tun, als habe man sie sich genau so herausgesucht.

Andererseits ist diese Freiheit nur eine durch eigene Einsicht m die Notwendigkeiten. Die Absicht, nicht mehr gläubig zu verehren, was die weltlichen und kirchlichen Herren dem normalen Knecht als verehrungswürdig hingestellt hatten, war die Geburtsidee von Philosophie und Aufklärung. Die Absicht, genau dasselbe autonom, durch Selberdenken zu leisten, verlangt geistige Anstrengungen, die von vornherein mit Wissenschaft nicht zu verwechseln sind, obwohl sie es auch auf ein Beweisen abgesehen haben.

Beweise, die eine Einsicht in die Notwendigkeit produzieren sollen, sind schon ihrer logischen Form nach von denen der Wissenschaft unterschieden. Wissenschaftliche Beweise zielen auf die Eigenart ihrer Forschungsobjekte, ihrer Gesetze und notwendigen Eigenschaften, um sie als erkannte auf das Interesse an ihrer Benutzung zu beziehen. Kritik ist eine Form davon. Notwendigkeit in der Wissenschaft ist ein Verhältnis der Sache zu ihren eigenen Momenten, sie ist das Verhältnis des Gesetzes oder des bestimmenden Zwecks einer Sache zu ihren Eigenschaften, die der verwirklichte Zweck sind. Von dieser Sorte Wissen und seiner Nützlichkeit will die Philosophie nichts wissen:

"Die Philosophie ist daher auch kein Wissen, das man wie handwerkliche und technische Kenntnisse unmittelbar anlernen, das man wie wirtschaftliches und überhaupt Berufswissen unmittelbar anwenden und jeweils aufseine Nutzbarkeit verrechnen könnte." (ebd., S. 10)

Notwendigkeit versteht sie deshalb ganz anders: Metaphysische Argumentationen zielen nicht auf Bestimmung, sondern auf Ableitung ihrer Gegenstände. Die Notwendigkeit, die sie meinen, geht nicht auf das innere Verhältnis ihrer Objekte, sondern auf deren Existenz. Nicht, was die betrachteten Dinge sind, sondern daß sie sein müssen - ihre Unvermeidlichkeit— will man sich vergegenwärtigen. Mit dem Wort "begreifen" meinen Metaphysiker einordnen einer Sache oder eines Ereignisses in ein größeres Ganzes: den Kosmos, einen objektiven Weltenplan, die Weltgeschichte oder auch nur in einen subjektiven Weltenplan, persönliche Weltanschauung oder das Ganze eines Lebenssinns. Aus dem größeren Ganzen soll dann umgekehrt Platz, Rang, Notwendigkeit, also Recht der einen leidigen Sache gefolgert werden, die eingesehen werden soll. Dieses geistige Treiben des Legitimierens geht somit stets von der verhandelten Sache weg. Heidegger sagt auch das ausdrücklich:

"Metaphysik ist das Hinausfragen über das Seiende, um es als ein solches und im Ganzen für das Begreifen zurück zu erhalten." (Metaphysik, S. 21)