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Der überlegene Totalosoph
Schluß mit dem Argumentieren in der Metaphysik!

So einig Heidegger mit seinen metaphysischen Kollegen im Bemühen um Einordnung unschöner Ereignisse und im Einsehen ihrer Unausweichlichkeit ist, sosehr kämpft der Seinsphilosoph doch auch gegen Metaphysik. Zum Beweis der Überlegenheit seiner Tour rechnet er den anderen den Widerspruch aller Philosophie vor: Man könne nicht das, was man anerkennen, verehren und dem man sich beugen will, vor den Richterstuhl der eigenen Vernunft zitieren und sich prüfend darüberstellen. Heidegger reizt den Widerspruch der Sinnsucherei in das andere Extrem aus und beweist seinen Kollegen, daß sie ihr ideologisches Anliegen nur dann unanfechtbar vertreten können, wenn sie dabei auf die rationale Form verzichten.

a) Die Frage nach dem "Woher, Wohin und Wozu von Welt und Leben" möchte sich die Notwendigkeit der Wirklichkeit oder eines Teils von ihr vergegenwärtigen, kümmert sich also um das, was für die Existenz verantwortlich ist. Dazu bedient sich diese Frage der Kategorie der Kausalität, wie sie in den naturwissenschaftlichen Theorien zum Zug kommt. Gesucht ist der Grund, die Ursache der Existenz.

Das Interesse der naturwissenschaftlichen und der metaphysischen Fragestellung ist allerdings grundverschieden. Wo jenes die Bestimmtheit der Beziehung, also die Notwendigkeit des Zusammenhangs - z.B. von schiefer Ebene und Hangabtrieb - wissen will, interessiert sich der Metaphysiker am selben Thema dafür, warum z.B. ein Erdrutsch hat passieren müssen. Und siehe da, dies leistet die naturwissenschaftliche Erklärung gar nicht. Wenn die Ebene schief genug ist, rutscht's, sonst nicht; die Ebene muß aber keineswegs so schief sein. Ob sie es ist, hat mit dem naturwissenschaftlichen Gesetz, das dann wirkt, wenn sie es ist, überhaupt nichts zu schaffen. Nicht die Naturwissenschaft, nur das kosmologische Bedürfnis, ein Ereignis als unvermeidlichen Schritt im Ablauf der Weltuhr aufzufassen, nötigt dazu, die erkannte Ursache wiederum zu hinterfragen; das heißt die Ursache ihrerseits als Folge einer anderen Ursache zu betrachten - und so fort ins Unendliche. Denn jede Grund-Folge-Relation erklärt die Folge für einerseits notwendig, insofern sie eben Folge ihres Grundes ist, andererseits aber für zufällig, da ihr Grund selber ein zufälliger Umstand ist. Heidegger benutzt den endlosen Regress, den Kant in den Antinomien der kosmologischen Ideen besprach, nun nicht etwa zur Kritik des falschen Bedürfnisses, das die Frage aufbrachte, sondern zur Kritik des dazu untauglichen kausalen Argumentierens. Er verteidigt das irrationale Anliegen der Frage gegen die argumentative Form ihrer Beantwortung, indem er diese Frage durch ein viel ursprünglicheres Fragen überbietet:

»Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr nichts?" (ebd., S. 3)

Radikalisiert zeigt die Frage ihren ganzen Unsinn. Anderseits ist die Radikalisierung aber auch nur die Konsequenz der Frage: geht es um die Unvermeidlichkeit von irgendetwas, dann geht es, siehe infiniter Regreß, genaugenommen um das Für-Notwendig-Halten des Wirklichen überhaupt, dann aber heißt die Frage eben doch: Warum gibt es überhaupt etwas?

Das aber - da hat Heidegger ironisch Recht - kann mit den Mitteln des Denkens nicht bewiesen werden! Das, was verantwortlich für die Wirklichkeit des Wirklichen ist, der metaphysische Wahn der Notwendigkeit, ist nicht kausal zu begreifen.

b) Derselbe Regreß stellt sich ein bei der Suche des Urstoffs, aus dem die Welt gemacht sei, damit sie in ihm einheitlich und harmonisch sein kann. Am Thema der "Substanz"-Antinomie sagt Heidegger ausdrücklich, daß vom Metaphysiker nicht ein noch mikroskopischeres Quark oder Neutron gesucht wird, aus dem die Bestandteile des Atoms wiederum bestehen, sondern etwas qualitativ anderes. Wer den Stoff sucht, der das Wirkliche der Wirklichkeit ausmacht, dem ist mit einem "x besteht aus y, z, usw." nicht gedient. Dies ist der Gehalt der schon zitierten Thales-Kritik:

"Wenn Thales auf die Frage, was das Seiende sei, antwortet: Wasser, so erklärt er hier Seiendes aus einem Seienden, obgleich er im Grunde sucht, was das Seiende als Seiendes sei. In der Frage versteht er so etwas wie Sein, in der Antwort interpretiert er Sein als Seiendes." (Grundprobleme, S.453)

c) Nicht nur in kosmologischen, gerade auch in den offen moralischen und sinnsuchenden Fragen findet Heidegger das Legitimieren, woraus das ganze Philosophieren besteht, kontraproduktiv.

Soll eine Last (Steuer, Entlassungen, Krieg) und deren freiwilliges Ertragen (Gehorsam, Tugend, Pflicht) gerechtfertigt werden, dann muß zu Höherem, Wichtigerem als dem Legitimationsobjekt gegriffen werden. Um jenes Höheren willen ist dieses dann wertvoll. Die Last, bei der der Belastete nicht nach dem Nutzen fragen darf, stattdessen nach der Rechtfertigung, ist wertvoll, insofern sie nützlich für Anderes ist. Ihr Wert ist sehr relativ; eigentlich ist sie kein Wert für sich, sondern ein Mittel. Ein Wert ist in diesem Rechtfertigen nicht das Legitimierte, sondern gerade umgekehrt das Legitimierende. Bei dem allerdings fragt sich wieder, und wieder endlos im Regreß: "mit welchem Recht?"

Auch das moralische Legitimieren hat so seinen Widerspruch, den Heidegger gegen das Einsehen-wollen des Höheren und Verpflichtenden wendet. Er dreht das Verhältnis direkt um: Der Versuch, einzusehen, warum man als Mensch auf den Gesichtspunkt der Nützlichkeit verzichten soll, stellt alles als Mittel und Zweck dar und zerstört dasjenige, um dessentwillen der ganze falsche Gedanke zustandegekommen war: den Eigenwert, das Hohe und Große der Tugend, Last, Aufgabe, das das Opfer wert gewesen wäre. Heidegger bekennt sich viel unverschämter als andere Philosophen zu dem grundsätzlichen Gegensatz von Erklären und Verehren, von Eigenwert und Begründen und macht diese Einsicht zur Grundlage seiner Philosophie.

"In welcher Weise auch immer das Geschick der Entbergung walten mag, die Un-Verborgenheit, in der alles, was ist, sich jeweils zeigt, birgt die Gefahr, daß der Mensch sich am Unverborgenen versieht und es mißdeutet. So kann, wo alles Anwesende sich im Lichte des Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs darstellt, sogar Gott für das Vorstellen alles Heilige und Hohe, das Geheimnisvolle seiner Ferne verlieren..." (Technik, S. 26)

Heideggers Absage an die Metaphysik ist eine eigenartige Sache: sie gilt dem scheinbar Rationalen an ihr. Er glaubt, wie alle Philosophen, an die höhere Notwendigkeit der Zeitläufte und die höheren Bestimmungen des Menschen; Versuche aber, diesen Glauben zu beweisen, beurteilt er vom Glauben her: Sie freveln an ihm, denn sie zerstören, was sie suchen. Denken kann gar nicht das an den Dingen erfassen, worauf es metaphysisch einzig ankommt. Es mag dieses und jenes an Eigenschaften und Beziehungen herausfinden können, aber ihren Wirklichkeitscharakter kann es nicht denken: ihr Sein, so daß

"der Metaphysik das Sein als solches gerade verborgen, in der Vergessenheit bleibt, und dies so entschieden, daß die Vergessenheit des Seins, die selber in die Vergessenheit fallt, der unbekannte, aber ständige Anstoß für das metaphysische Fragen ist." (Einführung, S. 21)

Daher auch das scharfe Verdikt des Philosophen gegen die Philosophie. Von den "Drei Gefahren für das Denken" gilt ihm "das Philosophieren" als "die schlechte und darum wirre Gefahr".