Philosophie
Die Philosophie hieß es einmal, sei die Königin der Wissenschaft. Diese Aussage ist gar nicht so verkehrt, denn sie wirft ein bezeichnendes Licht auf die o.g. Wissenschaft, sowie auf all die anderen Wissenschaften, die der obigen Phrase zufolge, unter ihr stehen.Während die Einzelwissenschaften einen konkreten Gegenstand vor sich haben, auf den man sich beziehen kann, sobald einer fragt, was das Thema der jeweiligen Disziplin sei, ist es etwas schwieriger derlei Auskünfte über die Philosophie zu geben. Die Philosophie hat nämlich keinen eigenen von den anderen Wissenschaften unterschiedenen Gegenstand. Sie hinterfragt vielmehr all das, was die anderen Wissenschaften abhandeln. Das heißt, sie handelt ihre Themen für sich selbst auch noch einmal ab eben auf philosophisch. Stolz verkünden einige ihrer Vertreter, das die Philosophie keine Wissenschaft sei, sondern ein Geisteshaltung: Ein Philosoph ist und das sei einmal ganz ernst gesagt ein unheimlich kritischer Geist. Um Erklärungen eines Gegenstandes bemüht sich die Philosophie schon gar nicht, sonder um ein kritisches Infragestellen, von daher ist sie ja auch nicht die "Liebe zum Wissen", sondern die "Liebe zur Weisheit".
Nicht Wissenschaft, sondern Geisteshaltung: Staunen, Infragestellen, kritisch Denken, Selbstreflexion
Die Philosophie nimmt genau das, was alle "Alltagsmenschen" notwendig als selbstverständlich hinnehmen, nicht als selbstverständlich hin, sondern hinterfragt es: Wenn sich zwei Leute unterhalten, würde ihnen ein Philosoph sagen, dass sie während ihrer Unterhaltung eine Voraussetzung mitmachen, nämlich die Sprache und dass sie sich darüber mal im Klaren seien sollten. Schließlich könnten Tiere z.B. nicht sprechen und dementsprechend wäre diese vermeintliche "Selbstverständlichkeit" eben gar nicht so selbstverständlich.
Die Philosophie ist unheimlich kritisch, nur kommt nie keine Kritik nicht heraus.
Was bei der Praktizierung eines solchen Programms für Zeug herauskommt, soll im Folgenden einmal gezeigt werden.
1) Kritik der Selbstsicherheit und des Selbstverständlichen und die "Reflexion auf die Bedingungen der Möglichkeit""Was Philosophie ist, wird wohl nicht definiert werden können, solange Philosophie lebendig ist" (Günter Patzig, Vorwort zu: Frege, Funktion, Begriff, Bedeutung, S. 14). Trotz diesem angeblichen Problem, fällt ihm ein paar Zeilen weiter unten dann doch eine ungefähre Definition ein, die eigentlich den Nagel auf den Kopf trifft: "Philosophie ist die Reflexion auf die Bedingungen der Möglichkeit genau dessen, was in jeder anderen als der philosophischen Einstellung für selbstverständlich genommen werden muß."
Wenn man eine "Voraussetzung", die die Leute bei allen ihren Handlungen mitmachen kritisiert, weil sie sich mit dieser "Voraussetzung" selbst nichts gutes tun, also etwas als "selbstverständlich" hinnehmen, was gar nicht so "selbstverständlich" ist und ihnen schadet, dann ist das Anliegen diese Voraussetzung in Frage zu stellen und sie den Leuten auszutreiben indem man ihnen erklärt, dass sie etwas falsches und für sie schädliches veranstalten überaus berechtigt und vernünftig.
So geht die Philosophie jedoch nicht vor. Sie kritisiert keine falschen Voraussetzungen, sondern versucht nur den Leuten ihre Voraussetzungen ins Gedächtnis zu rufen. Darüber hinaus versucht sie sich nicht die "Selbstverständlichkeiten" zu erklären, dann würde sich auch zeigen in wieweit diese vernünftig sind, was also von ihnen zu halten ist sondern, sie zu rechtfertigen, indem sie nach den "Bedingungen" fragt, die diese überhaupt "ermöglichen" d.h. nach der Notwendigkeit ihrer Existenz fragt.
Der große Hammer an dieser, in der Philosophie sehr beliebten Fragestellung ist also, dass mit ihr nicht gefragt wird, was der jeweilige Gegenstand z.B. der Staat, die Moral, das Erkennen ist, sondern wodurch seine Existenz überhaupt ermöglicht wird. Und mit dieser Fragestellung wird der Philosoph notwendig zum Anwalt seines Gegenstandes, zum Parteigänger.
Diese Fragestellung beinhaltet noch eine weitere Kleinigkeit: Dadurch, dass der Philosoph sich keinen Gegenstand erklären will, sondern sagen will, wodurch dieser Gegenstand überhaupt sein kann, versucht er nun eben diese Bedingungen zu finden, die ihm seine Existenz ermöglichen. Und Bedingungen sind so ungefähr das theoretisch dünnste, was es gibt, das demonstriert ja schon der Brecht, wenn er sagt, dass die wichtigste Bedingung für das Denken ein Stuhl ist. In der Kategorie der Bedingung werden keine Notwendigkeiten ausgesprochen, nur Umstände, die mit dem jeweiligen Gegenstand z.T. nur marginal etwas zu tun haben, ohne dass man auch nur ein Wort über den Gegenstand selbst erfährt. Eine Bedingung bedeutet nichts, eine Bedingung kann erfüllt sein, ohne dass der Zustand, dessen Möglichkeit geklärt werden soll, eintritt.
Also über das Denken selbst ist noch kein Wort gefallen, dafür kann der Philosoph die ganze Welt ins Verhältnis zum Denken setzen eben als die Bedingungen.
Und damit noch nicht genug, wenn der Philosoph erstmal bei einer Bedingung gelandet ist, die ihm seinen Gegenstand ermöglichen soll, so kommt er schnell dahin, dass er sie plötzlich als Problem seines Gegenstandes umdefiniert. Die Sprache z.B. wird einerseits als "Bedingung der Möglichkeit" von Wissenschaft angeführt und hinterher, nachdem einige scharfsinnige Philosophen bemerkt hatten, dass man mit der Sprache auch Unsinn sagen kann, wurde die Sprache zum Problem der Ermöglichung von Wissenschaft und führt dann auch den
Pluralismus in der Wissenschaft auf dieses Problem zurück.
2.) Polemik gegen "Wissen" und Suche nach der Wahrheit des GanzenIm nächsten Zitat nun wird behauptet
, "dass am Anfang jeder philosophischen Suche immer ein Erstaunen steht, eine gewisse Art etwas als nicht endgültig hinzunehmen, etwas als nicht völlig natürlich zu betrachten." Diese "Infragestellung" ist allerdings "auf eine später aufzudeckende Wahrheit gerichtet. Die Worte eine Wahrheit sind im Übrigen nicht so exakt, wie sie sein sollten: Fragmentische Wahrheiten, die voneinander isoliert werden, gehören dem Bereich der Wissenschaft und nicht der Philosophie an; es ist vielmehr die Wahrheit, um die es sich immer handelt, aber von dem Augenblick an, da die Reflexion ein bestimmtes Niveau erreicht hat, erstreckt sich die Infragestellung auch auf die Wahrheit selbst;" (Marcel, Die Verantwortlichkeit des Philosophen, in: Salmun, Was ist Philosophie?, s.68). Das Herabblicken auf die Einzelwissenschaft, die sich mit "bloß" fragmentischem Wissen herumärgern sollen und sich nicht wie Philosophen mit der allumfassenden Wahrheit beschäftigen, ist sehr fehl am Platz, denn Wissen über die Bierbrauerei und Wissen über Dioxin ist berechtigterweise voneinander getrennt oder philosophisch: "fragmentisch". Der Philosoph hier sucht aber die Wahrheit schlechthin und das ist nichts anderes als die Suche nach einem Generalschlüssel, mit dem er sich alle noch so unterschiedlichen Erscheinungen und Dinge auf der Welt erschließen und unter einen Hut subsumieren kann: Dieser Denker hat das Bedürfnis nach einer Weltanschauung!Es stellt sich außerdem auch noch die (rhetorische) Frage ob man eine Wahrheit überhaupt in Frage stellen kann. An einer Wahrheit gibt es nämlich leider nichts zu rütteln und zu bezweifeln.
3.) Kritik des Alltagsbewußtsein und des Bestehenden"Die wahre gesellschaftliche Funktion der Philosophie liegt in der Kritik des Bestehenden." An solchen philosophischen Meisterleistungen stört sich heute niemand mehr. Das, was so stark gesellschaftskritisch klingt, ist in Wahrheit eine inhaltslose Phrase: Was soll denn das "Bestehende" sein? Allgemeiner geht es ja gar nicht mehr. Tod, Sprache, Leben, Häuser, all das könnte man unter "das Bestehende" verstehen, nur gibt es am Tod und an der Sprache nichts zu kritisieren. Der Tod ist ja vielleicht eine unschöne Sache, aber man muß sich leider mit ihm abfinden und vielleicht zusehen, dass man ein angenehmes Leben führen kann. Man muss sich dann mal Horkheimers Begründung für eine Kritik vorstellen: Er kritisiert etwas, weil es das "Bestehende" ist.
"Das bedeutet keine oberflächliche Nörgelei über einzelne Ideen oder Zustände, so als ob der Philosoph ein komischer Kauz wäre. Es bedeutet auch nicht, dass der Philosoph diesen oder jenen isoliert genommenen Umstand beklagt und Abhilfe empfiehlt." (Max Horkheimer, Kritische Theorie der Gesellschaft, Bd. II, S. 304). Diese Polemik ist reichlich fehl am Platz, denn warum soll man nicht über einzelne Ideen, Umstände oder Zustände "nörgeln", vielleicht ist die "Nörgelei" ja berechtigt? Aber auch hier merkt man schnell, dass es Horkheimer um ein "Ganzes" geht, unter das so hätte er es gern alles fallen soll. Nur dann wäre Kritik angebracht, und zwar unter dem schönen Titel "Kritik des Ganzen" oder "Kritik des Bestehenden".
4.) Transzendentales Hinterfragen des bloß Seienden und sein Rechtfertigen durch Einbettung in ein höheres Ganzes
"Metaphysik ist das Hinausfragen über das Seiende, um es als ein solches und im Ganzen für das Begreifen zurück zu erhalten." (Martin Heidegger, Was ist Metaphysik, Antrittsvorlesung Freiburg1923, Bonn1931, S.21). Diese Sinnstiftung verdankt sich der Veranstaltung Notwendigkeiten für das Seiende zu finden, um sich mit ihr zu versöhnen, sie zu rechtfertigen. Auf diese Weise wird dem Glauben und der Parteinahme ein weites Feld eröffnet und das ist auch gut so, denn schließlich wäre es sehr trostlos, wenn nicht noch hinter dem letzten irdischen Scheiß ein tiefer Sinn stecken würde.
Die Frage, nach dem "Woher", dem "Wohin" und "Wozu von Welt und Leben" (Martin Heidegger, Grundprobleme der Phänomenologie, Marburger Vorlesungen 1927, Ges. Ausg. Ffm 1983, Abt. II, Bd. 24, S.12) also die Frage nach dem Sinn des Ganzen postuliert einen höheren Zweck, der außerhalb "unseres" Lebens steht und dem widmen sich Hobbyphilosophen, das Dichter- und Künstlerpack, der kleine Mann auf der Straße, Linke, Studienräte einige von ihnen lieben es, vor ihren Schülern einen Seelenstriptease hinzulegen und sie mit Moralkacke und Problemen der dümmsten und lächerlichsten Sorte zu bequatschen und den Seelenklempner für sie zu spielen , feinfühlige und besonders tiefsinnige Schüler, die pseudointellektuelle Diskussionen führen, in denen kein einziger richtiger Satz vorkommt, oder auch die berufsmäßigen Denker und universitären Dummköpfe, wenn sie sich jene beknackte Frage stellen, die nicht minder doof ist, wenn sie sich ein Gelehrter stellt.
Mit der Frage nach dem Sinn der Welt oder des Lebens oder ganz allgemein formuliert: "Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts"? wird die Frage nach Gründen gestellt, die das Einverständnis mit der Welt vernünftig erscheinen lassen. In der Kategorie des Sinns spricht der Philosoph seine affirmative Stellung zu Welt als Eigenschaft von ihr selbst aus, und wo er zu dem Urteil gelangt, dass alles sinnlos ist, formuliert er den untertänigen Wunsch mit ihr doch einverstanden sein zu können (vgl. Albert Camus, Der Mythos von Sysiphos).
Da können die Proleten im freien Westen, die Kriegsflüchtlinge im Kosovo und in Serbien und die Negerkinder mit dem hübschen Hungerbauch aber aufatmen: Wenn es schon nichts zu fressen gibt, so hat doch alles wenigstens einen Sinn, so dass man sich auf das Wesentliche konzentrieren kann und sich nicht mit Nichtigkeiten wie Materialismus herumzuärgern hat.