Die Psychologie des bürgerlichen Indiviuduums
Vortrag
Warum stellt sich ein RCDS-Mann, wie neulich hier auf einer Veranstaltung, hin und fragt nach der alternativen Gesellschaft, die wir bauen möchten. So als hätte er, bekanntermaßen zum RCDS gehörig, alle Lust, die gesellschaftlichen Verhältnisse umzukrempeln, sich daheim die Stirn zerfurcht, alle Alternativen durchgeklappert und dann beschlossen leider - : es gibt keine Alternative zu der Gesellschaft, wie sie ist. Die politische Heuchelei perfektioniert, stellt er sich hin und fragt seine Gegner: ja wenn ihr mir sagen könntet, wie es anders geht, dann wäre ich ja sofort bei euch. Warum gibt es so etwas in unserer Gesellschaft?
Warum wollen alle Leute vortreffliche, rechtschaffene Menschen sein? Will sagen: warum hat jeder von uns - und überhaupt redet man bei Psychologie, wenn sie rationell betrieben wird, erst einmal sehr lange über jeden (was mit jedem seinem Verstand, seinem Geist, seiner Praxis los ist) - warum will jeder von uns sein Ideal von sich selbst verwirklichen. Typisch kommt das vor im Tagtraum. Wo man - insbesondere in der Jugend - sich ständig ausmalt, man wäre entweder ein großartiger Professor oder ein großartiger Fußballspieler usw... Man baut sich ein Ideal von sich auf und denkt sich ständig: wie könnte man das realisieren, so müßte man sein. Man stellt sich so richtig in der Rolle des großen Könners vor.
Warum schämen sich die Leute? Insbesondere dann, wenn sie Mißerfolg haben? Muß doch kein Grund zur Scham sein. Das ist dasselbe wie die Frage: Warum gibt es den Spruch "Armut ist keine Schande"? Oder warum geben denn so viele Leute an und wissen es, und die anderen, die um sie herum sind, wissen es auch?
Warum wollen denn so viele Leute spontan sein - ganz natürlich - und ihren Verstand als Hindernis betrachten?
Warum gibt es erwachsene Menschen, Frauen wie Männer, die, wenn sie etwas getan haben oder gerade im Begriffe zu tun sind, das mehr oder minder leidlich zuwege bringen, dann von sich behaupten, sie wären eben so und das läge an ihrer Erziehung? Sie sprechen also sich die Freiheit des Willens ab, erklären sich zu einer Wirkung ihrer vergangenen Tage.
Wieso werden aufgeklärte, moderne Menschen verrückt oder bringen sich um?
Warum zehren Enttäuschungen in der Liebe mehr am bürgerlichen Subjekt als Enttäuschungen im politischen Leben?
Solche Sachen will ich alle erklären und zwar nur mit Seitenbemerkungen.
(...) Sonst würde ich die Verklärung des Seelenlebens, wie es die Psychologie betreibt,
machen. Drei Teile aus der Gliederung zu entnehmen. Den ersten einfach zur
Wiederentdeckung dessen, was man eigentlich ist. Die klassische idealistische Sichtweise
des bürgerlichen Subjektes eines Hegel oder Kant - auch Kant hat ja darüber was
geschrieben in Band Zehn der Gesamtausgabe (die Anthropologie ist das bei ihm) - sagt so:
Der Mensch als vernünftiges Wesen ist: a. Natur b. Aber nicht nur, sondern eine Natur, in
die sich schon sein Geist eingebildet hat. Der Geist ist in seinen ersten Bestimmungen
Gefühl, Sinneswahrnehmung, sich ins Verhältnis setzen zur Außenwelt. Daraus folgt, man
weiß sich als Unterschiedenen von der Welt. Man hat also nicht nur ein Bewußtsein von
den Gegenständen, die einen umgeben, sondern auch ein Selbstbewußtsein. In diesem
Selbstbewußtsein ist man anschauend, sich vorstellend, sprechend, verständig,
analysierend, denkend, vernünftig. Was ich jetzt hier gesagt habe ist eigentlich nur eine
Gliederung vom subjektiven Geist bei Hegel oder vom Aufbau der Anthropologie bei Kant. Das
komische ist, daß bei diesen Bestimmungen des Menschen vieles richtig ist und trotzdem
eins immerzu auffällt: Daß eine Bestimmung des bürgerlichen Subjektes, als Kontrast zu
heute (zu dieser Veranstaltung), nicht gesagt wird: Das ist das bürgerliche Subjekt,
sondern: das ist ein jedes Subjekt. Das ist nicht gesellschaftlich bestimmt, sondern so
funktioniert das Seelen- und Geistesleben jedes Individuums. Heute (hier) heißt es: So
funktioniert das Seelen- und Geistesleben jedes Individuums in der bürgerlichen
Gesellschaft. Deswegen:
Teil A: Das moralische Individuum Wie funktioniert ein abstrakt freier Wille?
1. Was heißt bürgerliches Subjekt?
Da geht es nicht um den Gebrauch des Verstandes. Da geht es um einen bestimmten Gebrauch des Verstandes. Der Anfang der Individualität, der historisch oder lebensgeschichtlich gemacht wird durch die ersten Erziehungsschritte, wenn einem Kind die ersten Wörter beigebracht werden, vielleicht auch noch vorher, die ersten Bewegungen, die Kontrolle über seine Gliedmaßen, Stehenlernen, Gehenlernen, der erste Schritt, der ist auch logisch der erste, der heißt: Wenn ich einen Verstand mir erwerbe, wie geht er zu gebrauchen? Auf das "Wie?" kommt es an. Das ist die erste Behauptung. Der Aktivist des erfolgreichen Anstandes wird hier genannt. Das ist die abstrakteste Bestimmung des bürgerlichen Subjektes. Soll sich jeder erinnern.
(-Zwischenfrage-) Gut ich versuche es. Wenn man seinen Verstand
betätigt, als Kind oder als Erwachsener, tritt man dann den Gegenständen (sei es
Universität oder Fußballspiel oder sonst etwas) in der Weise erkennend gegenüber, daß
man fragt: Was hat es den mit der Sache auf sich? Nein, behaupte ich. Man sagt: Was kann
ich denn daraus machen? Was ist denn da raus zu holen? Das unterstellt natürlich ein
gewisses Maß an Bescheidwissen über die Sache. Man kann mit einem Fußball nicht
telefonieren und ein Telefon kann man nicht trinken usw. Es ist da die theoretische
Auseinandersetzung im Sinne von Wissen über die Gegenstände tatsächlich unterstellt.
Aber sofort als verwendbares Wissen. Noch einmal anders: Wie sehen wir denn den Staat, die
Verkehrszeichen, unsere Eltern, usw.? Der Aktivist des erfolgreichen Anstandes
meint nichts weiter, als das wir berechnend die Welt betrachten. Man kriegt mit der
Entwicklung des Verstandes zugleich beigebracht, wie sich der Verstand bei der Betrachtung
alles möglichen zu relativieren hat, oder es ist nicht alles worauf man sinnt, wenn man
sein eigenes Interesse verwirklichen will - und dazu braucht man ja wohl den Verstand - es
ist nicht alles erreichbar. Es gibt Ge- und Verbote in der Welt. Man stößt auf
Hindernisse. Man weiß also: Wenn man etwas über eine Sache, insbesondere über
gesellschaftliche Umstände, weiß, weiß man sogleich, was erlaubt ist und was nicht. Man
sagt also nicht einfach: na da gibt es Gegenstände meines Interesses, die nehme ich mir.
- Ich mach jetzt einen Vorgriff auf einen viel späteren Teil, nur das sich jeder mal
denken kann. - Geklaut wird doch nicht so, daß man irgendwo eine schöne Sache sieht -
Zack eingesackt. Geklaut wird doch mit einer Überlegung. Vielleicht zuerst mit einem
schlechten Gewissen, dann wird ein gutes Gewissen daraus, dann muß man sich noch
umschauen, ob der Mann im Laden das nicht sieht - erwischt werden will man ja auch nicht -
usw. Es wird doch alles mit einer Berechnung gemacht. Was man über die Welt sagt, und
dann auch, wie man sich ihr gegenüber praktisch stellt. Der spezifische Gebrauch des
Verstandes, den wir alle irgendwie gelernt haben und hoffentlich auch alle irgendwie
beherrschen, geht ganz einfach so, daß man befindet: ich haben erstens ein Interesse und
zweitens richte ich die Verfolgung dieses Interesses relativ zu den Gegebenheiten, zu den
Erlaubnissen, Ge- und Verboten der bürgerlichen Welt ein. Doppelt ist der Verstand hier
bestimmt als: - Er gehorcht den Antrieben, die Bedürfnisse, Neigungen, Interessen usw.
anmelden. Und er kontrolliert die zugleich. Jetzt bin ich schon beim zweiten Punkt.
2. Wir denken in der Form der lohnenden Selbstkontrolle
Wir denken in der Form der lohnenden Selbstkontrolle. Wir betrachten die Welt als eine Chance, die einem gegeben wird, die einem aber auch nur dann gegeben wird, wenn man sich nach ihren Umständen richtet. Also der Spruch "Aber das kannst du doch nicht machen", den man einem anderen sagt, ist keine wissenschaftliche Kritik an dem ausgesprochenen Willen von dem anderen, sondern ist der Hinweis darauf: "Das geht doch nicht, da setzt du dich entweder gegen meine Interessen oder gegen allgemeine oder gegen sonst was in einen Gegensatz. Da bringst du dich doch in Konflikt mit der Welt. Dein Interesse gilt es doch zu verfolgen, und so mußt du auch denken und berechnend sein auf dieser Welt." Nur wenn du dich an die Ge- und Verbote hältst, ja dann ist sein Interesse auch berechtigt. Dann wird die Welt zur Chance. Als Verbrecher, als einer, der ständig Verstöße unternimmt, gegen das, was gar nicht legitim ist, was sich gar nicht gehört - vielleicht kommt es gleich in der Form des moralischen Anstandsgebotes daher - da erreichst du doch gar nichts. Ein paar Beispiele dazu. Wie selbstverständlich klingen unserem Verstand Urteile wie "Mit Anstand bringt man es zu nichts." Was ist da unterstellt, gegen die ersten beiden Punkte der Gliederung, die paar dürftigen Bestimmungen eines bürgerlichen Subjektes? Mit Anstand bringt man es zu nichts heißt:
Es zu etwas bringen liegt im Interesse der Leute, die so etwas sagen.
Daß man es mit Anstand zu tun hat, ist diesen Leuten auch geläufig und das ist jetzt immer Jeder.
Daß sich Anstand und Erfolg ausschließen, hat er eben bemerkt, und deswegen urteilt er, daß Anstand nicht lohnend sein könne.
Umgekehrt: Wenn man einem Menschen das Kompliment macht, er sei ein
wirklich netter, guter Kerl, was ist denn das Kompliment? Das ist halt ein Trottel. Warum
gibt es das? Wieder den Rückschluß. Man hält den Anstand, das sich ans Erlaubte halten
- so denken und handeln, wie es das als anerkannte Vorschrift in der Welt gerade mal gibt
- das hält man für korrekt. Zweitens bescheinigt man dem anderen, das er so einer wäre,
der sich an das alles hält und drittens sagt man ihm: Aber bringen tut es der natürlich
zu nichts. Sein Leben lang anständig geblieben, also auch immer ein Trottel geblieben. Da
gibt es das Wechselspiel der beiden bürgerlichen Maßstäbe, die der Verstand besitzt.
Anstand und Erfolg. Auf beide soll es ankommen. Die sollen unter einen Hut kommen. Und so
wird gedacht. Also denk mal an die Verurteilung von irgend etwas unanständigem. Nehmen
wir die Sprengungen, die an der Universität passiert sind oder irgendwelche politischen
Auftritte. Wenn da irgendwas verurteilt wird, da steht das Urteil nicht in der Weise fest,
das Anstand nicht vorhanden, Minus ist. Es kann auch ein Plus sein, nämlich vom anderen
Maßstab her, nämlich dem des Erfolgs. Komplimente, die die beiden Maßstäbe vereinen,
wie z.B. "Du bist über Anstand zum Erfolg gekommen" und doch ein Kompliment
bleiben, gibt es nur bei Leuten, die sich den Erfolg tatsächlich auch mit Anstand
erwerben können. Na wer ist das wohl? Da unterscheiden sich eben die Klassen oder die
Hierarchie der Berufe oder sonst was. Für den normalen Menschen - und da rechne ich sogar
noch Studenten dazu - ist vollkommen klar, das sich die beiden Maßstäbe, denen er sich
unterwirft, die er zum Kriterium der Beurteilung der Welt macht, wenn er nachdenkt über
sie, es muß etwas rausspringen aus der Sache, sie muß mein Mittel sein, sie ist es aber
nur beschränkt. Ich muß mich also an die Umstände, an die Erlaubnisse halten, wenn sie
überhaupt als mein Mittel in Frage kommen soll. Die Kreuzung dieser beiden Maßstäbe,
ihr Widerspruch, ihr Nicht-Zusammengehen, ist eine Selbstverständlichkeit. Deswegen gibt
es besagte Gemeinplätze. Das geht sogar so weit - Übergang zu Punkt drei - das wir alle
gewohnt sind, daß wir die beiden Kriterien Anstand und Erfolg in allen Fragen des
gesellschaftlichen Lebens auch zu scheiden wissen. Daß wir also durchaus mächtig sind,
unser Interesse, von dem wir wissen, daß es mit Anstand nicht über die Runden zu kriegen
ist, anderen Leuten so vorstellig zu machen, daß wir heucheln. Das wir also unser
besonderes Interesse als allgemeines verkaufen.
3. Heuchelei
Jeder, der eine Forderung aufstellt, jeder, der sich beschwert über
die Welt, ist der Heuchelei mächtig. Irgendetwas passiert - im politischen Leben oder im
Geschäftsleben - da sagt man halt: "Das ist ungerecht, das gehört sich aber
nicht". Da ist man nicht das Gesetzbuch und der Richter und die Polizei, die das
wirklich praktisch macht, indem sie Gesetzesbrecher verfolgt und bestraft. Man ist ja gar
kein Bestrafer. Man ist ja nicht das Subjekt des Rechtes, sondern man nimmt quasi die
Subjektivität des Rechtes in sich auf und beurteilt Sachen als ungerecht oder gerecht,
anständig oder nicht. Das geht so weit, daß wir gewöhnt sind z.B. auch die Welt zu
verurteilen und zwar in Bausch und Bogen. Und zwar nur von dem Standpunkt der Heuchelei
aus. Wir sind gewöhnt zu sagen: Die Menschen sind schlecht. Da kommt natürlich was
furchtbares raus. Die Freiheit von einem Individuum - so wie es hier und heute erzogen ist
und fertig dasteht, einen Verstand hat - besteht darin, sich als guten Menschen
hinzustellen. Sich zu präsentieren als einen, der, wenn es nach ihm ginge, immerzu
anständig wäre und wohl auch Erfolg dabei hätte. Da es aber gar nicht nach ihm geht in
der Welt, da also die Welt aus lauter unanständigen Menschen neben ihm besteht, und vor
allen Dingen Erfolgsgeiern, das einer Sau graust, kann nicht einmal er, dieses
rechtschaffene (Punkt 4) Individuum, sich in der Welt so aufführen, wie es ihm eigentlich
recht wäre: nämlich mit Anstand.
4. Rechtschaffenheit
Warum die ganze Vorabteilung "was heißt bürgerliches
Subjekt?" Weil das den ganzen Gebrauch unseres Verstandes ausmacht. Natürlich
besteht nicht unsere ganze Tätigkeit aus dem. Es sind ja nur die dürftigsten
Formbestimmungen, wie wir die Welt anschauen. Das zweite ist, daß das zugleich auch die
erste Formbestimmung ist, die wir uns anschauen. Ein Mensch der sagt "Ich will
rechtschaffen sein, ich will es einerseits zu was bringen im Leben, andererseits dabei
sauber bleiben", was sagt den der von sich? Der sagt: "Ich habe aus den
Vorschriften der Welt nicht nur Gelegenheiten gemacht, die ich mir nutze, sondern ich bin
quasi die Inkorporation des Sich-So-Verhaltens zur Welt, wie sie es fordert. Und darin
habe ich überhaupt meine Freiheit.". Ein kleiner Exkurs. Wenn es um Psychologie
geht, meint man doch, da geht es um die Individuen. Stimmt ja auch. Wie führen sie sich
so auf? Wie läuft es bei ihnen im Kopf und wie handeln sie deswegen. Weil das ja Leute
mit Willen und Bewußtsein sind. Daß also jetzt über den bürgerlichen Staat, über
Ausbeutung, über Klassen usw. nicht die Rede ist, ist vollkommen selbstverständlich. Und
kaum fängt man an einmal das Individuum zu bestimmen, merkt man, es ist durchaus von
Klassen und allem möglichen (...) die Rede. Wie denn? Ja das, wenn der Maßstab Erfolg
und Anstand, das Urteilsvermögen - so nenne ich es jetzt mal - das (...)-leben eines
Individuums bestimmt, dann sieht das natürlich ganz getrennt aus, je nachdem, ob das ein
erfolgreicher Knopf ist, oder einer, der scheitert. Beim Scheiternden - vorhin schon
erwähnt worden - geht das ganz schnell in Selbstmitleid über. Der sagt dann: "Ich
bin zwar anständig, aber mich lassen sie zu nichts kommen und das ist ungerecht und
deshalb ist die Welt ganz beschissen. Da ist noch nichts politisches drinnen, also der
politische Inhalt, der ist da leicht hinzu zu denken. Da wird ja der eine ein
Wechselwähler, der zweite wird ein Revisionist, der dritte wird ein Faschist. All das
möchte ich dann erklären, warum das so ist. Aber nur von der subjektiven Seite her.
Klar, das wird ein kritischer Mensch zur Welt vom Standpunkt seines Ideals des
rechtschaffenen Individuums aus. Er vergleicht sich mit der Welt, wenn er urteilt, denkt
und handelt. Die Aussage ist verrückt. Wie kann ich mich mit der Welt vergleichen.
Natürlich geht das nicht. Man kann doch nicht irgend so einen Stoffel mit der Welt
vergleichen. Welt ist doch was ganz anderes. Die besteht aus Häusern und Staaten und was
weiß ich alles. Das geht nur dann, wenn man einen Vergleichsmaßstab entwickelt und zu
dem seinen gemacht hat. Wenn man sich also ein Ideal vom rechtschaffenen Leben gemacht
hat, dieses Ideal in der Welt ausspürt und zugleich negiert. Enttäuscht ist über: Daß
ich, der ich doch eigentlich in die Welt zu passen hätte, und die Welt eine Welt voller
Chancen und Gelegenheiten ist, immerzu feststellen muß, sie ist es ja leider doch nicht.
Aber nicht, um diesen doppelten Maßstab des Denkens, des Verstandesgebrauches aufzugeben,
kritisiert ein normales Subjekt die Welt. Sondern, um ihn festzuhalten. Ein Heuchler - und
ich will noch einmal darauf aufmerksam machen, daß das erst einmal jeder ist (es kostet
Jahre, sich das abzugewöhnen) - will doch die beiden Maßstäbe, die nicht zusammen
gehen, krampfhaft zusammen bringen. Der merkt doch: Es nützt mir zwar nichts, anständig
zu sein, aber Anstand und Würde vorzutragen, als den Grund für mein besonderes
Interesse, daß nützt mir etwas. Der nimmt also die Maßstäbe und die Gebote und
Erlaubnisse der Welt explizit zum Vorwand und alle in seiner Umgebung wissen es und
treiben es umgekehrt ebenso. Anders gesagt: Heuchelei ist die von uns allen anerkannte
List, sich geltend zu machen und dabei zu sagen, man wäre es nicht selbst, sondern die
öffentlich anerkannten Prinzipien wären das, woran einem eigentlich liegt. Diese List
versagt ja ihren Dienst bei einer ganzen Reihe von Leuten. Eben bei allen Gebeutelten. Das
zu erklären, warum die keinen Erfolg haben, na ja, da muß man Ökonomie treiben und
Politik studieren. Da muß man sich anschauen, warum das so ist, wie die Welt wirklich
eingerichtet ist. Das Denken eines bürgerlichen Subjektes geht nicht so. Das stellt sich
mit seiner errungenen Freiheit, die Welt so zu beurteilen, als wäre sie eine Chance und
sich als den klasse Typen. Vielleicht auch als den cleveren Typen. Da ist der Maßstab des
Erfolges überwiegend. "Ich bin zwar nicht anständig, aber clever, raffiniert."
Diese beiden Maßstäbe so umzusetzen, daß er sich jetzt der Welt zuwendet - und jetzt
komme ich schon zum Teil B - und fängt an, sich umzutreiben.
Teil B: Die Bewährung des bürgerlichen Individuums in seiner Heimat, der kapitalistischen Gesellschaft
Der Teil B verhält sich zum Teil A wie Beispiel zu Prinzip. Vielleicht hat sich der ein oder andere gewundert. Was heißt bürgerliches Subjekt? Ausgerechnet das wird erzählt. Ja was habe ich den erzählt? Daß die Menschen moralische Subjekte sind und so ihr Denken und Handeln nur abwickeln. Ja klar. Mehr soll es auch nicht heißen. Aber wie treten die Leute in die Welt? Mit eben dieser Bestimmung. Ja da muß einem auffallen, worin die Wucht dieses dürftigen Anfangs - doppelt ist der Mensch, interessiert und anständig, und er meint, es gäbe eine lohnende Selbstkontrolle in der Welt - (liegt). Es ist also jetzt keine Staatsableitung, keine Ableitung der Arbeitswelt und keine Ableitung des Liebesspiels. Sondern ich will nur mal zeigen, wie sich die Leute tatsächlich mit diesem blöden doppelten Maßstab aufführen.
5. Demokratisches Knechtsbewußtsein
Demokratisches Knechtsbewußtsein heißt der erste Punkt - also der
Punkt 5 - in B. Wißt ihr, wie das geht? Das ist der Begriff des Stammtisches. Der kann
auch in der Cafeteria einer Universität sich abwickeln. Der kann sich sogar in
politologischen Seminaren abwickeln. Das ist die Beschwerde darüber, daß die Politik
ihren eigenen Idealen nicht entspricht. Da gibt es keine Demokratie in der Welt, die sich
nicht fragen lassen müßte, ob sie denn wirklich demokratisch ist. Da gibt es keinen
Staatsmann, der sich nicht fragen lassen müßte, ob er die Macht auch gescheit gebraucht.
Da gibt es eine Horde von Ungerechtigkeitsbeschwerden, die alle praktisch überhaupt
nichts zu bedeuten haben. Da verschafft sich jeder von uns - ob Wähler oder Nichtwähler
ist da vollkommen gleich - die Genugtuung der subjektiven Freiheit, indem er seine Meinung
über die Welt der Politik, über die Taten der Politiker, usw. verkündet. Das komische
ist: Wenn wir antreten und kritisieren - es ist ja jetzt hinreichend bekannt, wie wir das
machen. Wir sagen, das ist verkehrt. Da treffen wir des öfteren - und zwar nicht nur im
Bereich der Wissenschaft, sondern auch vor den Betrieben und sonstwo - auf Leute, die
sagen : "Kritisieren tu ich schon lange. Mir machen die Politiker nichts vor. Ich
weiß doch, wer oben und unten sitzt. Mir ist doch vollkommen klar, daß die machen, was
sie wollen. Mir brauchst du keine Aufklärung zu geben." Dann steht man da und ist
ganz hilflos. Warum denn? Weil der Mensch eben behauptet, er hätte alles durchschaut. Er
wäre total negativ eingestellt zu den Formen der Herrschaft, die über ihn abgewickelt
werden. Weil er behauptet, er hätte überhaupt alles durchblickt, und dann muß man
zusehen, wie er alles mitmacht. Das komische ist, daß sich im demokratischen Leben die
erste große Bewährungschance für ein freiheitlich gesinntes Subjekt ergibt. Der
kritisiert die Parteien und das politische Leben, indem er die schlechteste Meinung von
der ganzen Welt von diesen Burschen und Typen hat. Und dann wählt er sie. Nehmt mal das
Argument: "Das kleinere Übel wählen". Der Mensch behauptet er wüßte, daß
die ganze Politik ihm eh nur Kosten verursacht. Und dann sagt er: "Aber wenn die Welt
schon so ist und ich sie durchschaut habe, dann sorge ich für die geringsten
Kosten.". Das kann man auch umdrehen. Das ist auch ein Urteil über sich, was er da
fällt. Da sagt er: "Ich bin zwar unfrei, aber frei bin ich darin, daß ich eine
furchtbar schlechte Meinung über meine ganze Umgebung habe, soweit sie politisch
organisiert ist.". Demokratisches Knechtsbewußtsein ist eben etwas anderes als in
früheren Gesellschaftsformen, wo Knecht Nicht-Anerkennung der ganzen Person bedeutet hat.
Im demokratischen Knechtsbewußtsein fallen eben die beiden Seiten Erfolg und Anstand so
auseinander, daß erstens der Mensch weiß und sagt und denkt, daß ihm ein Erfolg nicht
beschieden ist, zweites daß das ungerecht sei und drittens daß die Politiker oder sonst
wer schuld daran sind. Auch nach Schuldigen sucht er. Und dann hat er darin, daß er das
alles sagt und denkt und meint, seine volle Anerkennung als Knecht. Das erinnert einen
immer an dieses Heine-Gedicht, "Der Knecht singt gern ein Freiheitslied des Abends in
der Schenke." Ja klar, der Knecht singt gerne das Freiheitslied. Er braucht es ja
wohl auch. Die Welt als Betätigungsfeld meiner Interessen betrachten - was aus dem A-Teil
herausgekommen ist - , so seinen Verstand gebrauchen, heißt halt auch, sich ständig
entweder enttäuscht, begeistert oder irgendwas dazwischen über die politischen Taten
auslassen. Die Lüge, die von Anfang an in diesem Bewußtsein der lohnenden
Selbstkontrolle drinnen steckt - das die Welt gar nicht mein Mittel ist und die Politik
schon gar nicht - wird also aufrecht erhalten, um sie zu dementieren. Nicht, das man dann
ein Gegner der Herrschaft ist, oder der gnädigerweise zugestandenen Freiheit, die auch
immer wieder gekündigt werden kann und so hin und her, wie es im politischen Zirkus der
Staaten zugeht. Nicht das will man gesagt haben. Sondern man will die Kritik
ausschließlich vom Maßstab der Anerkennung her bemühen. Und als solcher Mensch fühlt
man sich dann eben kritisch.
7. Konkurrenz und Leistung in der Arbeitswelt
Nehmt mal die zweite Abteilung: Konkurrenz und Leistung in der Arbeitswelt. Wer, der irgendwann mal gejobbt hat, hat sich noch nicht bei folgendem Verfahren erwischt? Jetzt haben sie mit mir wieder das und das gemacht. Ich sag dir eins Hans. Das war aber wirklich das letzte mal, daß ich mir das hab bieten lassen. Das ist die Empörung. Worin besteht sie? Die Empörung über die eigene Unterwerfung, die gerade abgelaufen ist. Die wird vorstellig gemacht für andere Leute als: "Ich lasse mir das nicht bieten!" Das sagt nur der, der es sich gerade hat bieten lassen. Und er sagt das gleich in der Form, das jeder Bescheid weiß. "Das nächste Mal sag ich ihm die Meinung." Als ob er jetzt nicht gerade Gelegenheit dazu hätte und Grund vor allen Dingen. Nein, er nimmt sich halb-öffentlich und öffentlich vor, daß er sich einiges demnächst nicht mehr gefallen lassen will. Näher zu Konkurrenz und Leistung. Wie beurteilt denn ein Mensch, der schafft, sich anstrengt, also sich um seinen Erfolg bemüht, das auch mit Anstand tut, auch den Anstand in Form der List, der Heuchelei einsetzt, sich selber? Ja, da gibt es auch die ganze Skala, wie sieht er denn aus, er kommt ja zu nichts. Was sagt er? Er sagt nicht: "Ich bin der Gelackmeierte, und da muß ich was ändern." Er sagt ja was ganz anderes. Er sagt: "Ich bin nicht leistungsfähig genug." Jeder weiß es. Es gibt Leute, die landen in der Hierarchie der Berufe weit unten und haben als Erklärung dafür lässig parat: "Ja weil ich halt nicht mehr kann." Das kann sich vermitteln über das blöde Argument: "Ich hab in der Schule nicht aufgepaßt, nichts gelernt und jetzt habe ich die Quittung dafür gekriegt." Was ist den die Generalaussage? "Ich will ja eigentlich, aber ich kann nicht mehr." Ein Übergang, der sich mit dem Gebrauch zweier schlichter Modalverben erledigt. Die Absicht, in der Welt mit Anstrengungen aller Art zum Erfolg zu kommen, wird durchkreuzt von der Welt. Jetzt nimmt der Mensch nicht mehr die Welt als Schuldigen her, sondern er bezichtigt sich als Grund seines eigenen Scheiterns. Das ist ein ganz wichtiger Übergang, weil er die Wissenschaft der Psychologie so beflügelt. Der Übergang zur Fähigkeit. Noch einmal zum Übergang selbst zurück. Das ist ja die Anerkennung einer Welt, die einen laufend beutelt, die da aus dem Subjekt spricht. "Ja, ich fasse die Welt (...) positiv als meine Chance auf." Chancengleichheit. Überhaupt die Welt bietet ja jedem (die Gelegenheit), daß er schmiedet und sein Hufeisen macht, und dann hat er es. Und das Urteil wird just in dem Augenblick festgehalten, wo man eine reinkriegt. Das Urteil kann aber doch nicht so stehen bleiben. Also denkt der Verstand mit einem Bombenschluß, reflektiert auf sich zurück und sagt: "Wenn die Welt - und indem sie - eine Chance ist für Leute, die sich anstrengen und anständig sind, dann muß es an mir liegen. Ich bin ein Versager." Das hat ja auch praktische Anstrengungen zur Konsequenz. Da geht ja auch der ein oder andere Mensch zum Doktor und strengt sich an und fragt den Psychologen. In Amerika ist das üblich. Da sagt man: "Um meines Erfolgs willens, um mein Leistungsvermögen aufzupeppen, gehe ich zum Psychiater. Der soll mich mal mit ein paar Motiven ausstatten oder die schlechten Motive beseitigen." Also wo der Mensch sich in der Form der Möglichkeit denkt, und sagt jetzt nicht: "Ich kann das nicht, also lerne ich es." Jemand der sagt: "Ich bin ein Versager." urteilt ja nicht: "Was habe ich gestern verkehrt gemacht? Woran geht es mir ab? Was, ich kann das und das nicht?! Dann wird es in Angriff genommen." Der Übergang zum Nicht-Können, also des sich zum Unfähigen erklären, ist ja ein ganz anderer. Der Mann kann nie mehr was im Leben, weil er sich ja selber die Fähigkeit abspricht dies oder jenes zu treiben und zu beherrschen. Er sagt ja nicht: "Gestern drei Fehler gemacht, - bemerkt -, heute anders gemacht." Sondern: "Ich bin so ein Trottel, der gar nicht in der Lage dazu ist, und darin unterscheide ich mich von anderen Menschen, die keine solchen Trottel sind." Das ist ganz wichtig, weil das lauter Urteile über Herrschaft sind, die da gefällt werden. Aber eben nicht als Urteile über Staat und Gott und die Welt, sondern als Urteile über sich selber, die nichts anderes bezeichnen, als den Stand, den das Individuum im Sich-Abarbeiten mit der Herrschaft, der es sich anständig unterwirft, erzielt hat. Es gibt eine ganze Reihe Sprüche und Verkehrsformen unter den Leuten, die nichts anderes signalisieren, als diesen Stand des Sich-Abarbeitens, dem man sich fügt. Als Subjekt des Satzes kommt da nie die Welt vor, sondern immer man selbst. Das ist in Formen des Mitleids oder der Selbstbezichtigung genauso üblich, wie im Gegenteil. Nehmt mal das Gegenteil. Wenn es auf Leistung ankommt und man hat einen anderen vor sich, mit dem man sich vergleichen kann, und das ist einer, der niedriger gestellt ist - einer, der es nicht so weit wie man selbst gebracht hat: Wie reagiert den derselbe Mann, mit dem selben Denken dann? Er sagt, es läge an dem und die ganze Welt bestehe aus unterschiedlichen Leuten, nämlich welche, die was können und welche, die nichts können; und ihr Erfolg bemißt sich nach dem, was sie können. Das ist sehr schnell zu haben, daß man sich in seiner Umgebung umblickt und sich denen gegenüber, die erfolgreich sind oder einem vorgeordnet, sehr devot und sehr zuvorkommend und umgekehrt von jedem, der es nicht soweit gebracht hat, dasselbe Verhalten einem selbst gegenüber erwartet. Ja, dann muß es ja auch die Heuchelei der Jovialität geben. Und die bürgerliche Welt ist ja voll davon. "Na nehmen sie doch Platz." Noch einmal zurück mit der Konkurrenz. In der Welt der Konkurrenz - über die ich weiter nichts sagen will, weil es eben um die subjektive Verarbeitung dieser Welt der Konkurrenz geht - betrachtet sich das Individuum tatsächlich erst einmal voll vom Standpunkt des Erfolges. Hat es Mißerfolg - jetzt komme ich schon wieder zu einer Beantwortung der Frage - zieht es aus dem Vergleich mit anderen, die ja nach wie vor zeigen, daß die Welt eine Chance ist, wenn man sie nur richtig zu nutzen versteht, den Schluß: 1. "es geht, aber ich kann es nicht. Also schäme ich mich." Die Umdrehung dieses schlichten Gedankens: "Es ist nicht anständig, keinen Erfolg zu haben" - wo also der Mensch seine beiden Maßstäbe so gegeneinander ausspielt, daß er den Erfolg als Ziel ansetzt und ihn selber schon für anständig hält. Deswegen kommt er sich als gebeutelter, als Mißerfolg habender Mensch, unanständig vor. Jetzt schämt er sich. Umgekehrt führt dieselbe Logik bei dem, der sich schämt - und bei dem anderen, der sich auch abwechselnd schämt und was anderes macht - dazu, daß er angibt, wie zehn nackte Neger. Er spielt sich auf als einer, der Erfolg hat. Aber das tut er nicht, um wirklich zu beweisen: "Schau, da ist meine Million". Sondern das tut er um der Selbstbestätigung willen, indem er sagt, er wäre einer der Fähigen, die auch wirklich mit der Welt, als einer Summe von Chancen, umzugehen wissen. Er hätte die Fähigkeiten und er wäre so einer.
Das ist nicht die wirkliche Betätigung dieses Menschen, daß er
schafft und sonst was, sondern das ist der freiheitliche Kommentar des bürgerlichen
Subjektes, wenn es wieder mal merkt, daß sich die List, die Heuchelei nicht ausgezahlt
hat. Wenn die Rechnung also mal wieder nicht aufgegangen ist, dann fängt es an und sagt,
sie wäre bei ihm, eben bei ihm aufgegangen. Das erklärt so schlicht der kleine
Sachverhalt, den jeder kennt, der mal in einem Betrieb war oder sich von dort hat
berichten lassen. Nämlich das kein Arbeiter dem anderen gerne sagt, wieviel er in seiner
Lohntüte hat ("Über Geld spricht man nicht"). Da kann man sich nämlich
entweder blamieren oder man kann den Materialismus des Neides beim anderen
heraufbeschwören, indem der merkt, daß man zwanzig Pfennig mehr die Stunde mit irgendwem
im Betrieb ausgemacht hat und jetzt daherkommt und sagt: "Das ist ungerecht, da
gehören mir ja vierzig Pfennig mehr. Ich beobachte ja ständig dessen Leistung.".
Also Scham und Angeberei gipfeln im Materialismus des Neides, an den sich jeder gewöhnt
hat. Also nicht zu kritisieren: "Was tut mir denn die Welt an." Sondern:
"Was tut mir denn die Welt an, obwohl ich einer bin, der ihre Maßstäbe respektiert
und sie in sich aufgenommen hat." Noch einmal von Anfang an, wie die Entwicklung ist.
Es sind ganz wenige Bestimmungen, wie ein bürgerlicher Verstand funktioniert. Er ist ein
moralisches Subjekt und wendet sich mit seiner Moralität allen Tätigkeiten zu, die ihm
geboten, oder zur Verfügung gestellt werden. Politik und Konkurrenz haben wir bisher
abgehandelt und haben gesehen, wie dieses moralische Subjekt die Welt beurteilt. (...) Das
redet eigentlich nur über sein Verhältnis zur Welt. Das sagt nicht mehr: "Der Staat
ist..., die Bundesregierung hat gestern... und das war der Zweck bzw. der Grund".
Sondern der redet immer in der Form der subjektiven, ganz persönlichen Stellungnahme. Das
ist die Freiheit seines Meinens. In der Sphäre der Konkurrenz, wo gearbeitet wird und die
Rechnung auch präsentiert wird (kriegt man was dafür oder nicht? Hat sich die
Selbstkontrolle gelohnt oder nicht? Und immer hinten rauskommt: "Nein, sie hat sich
wieder einmal nicht gelohnt."), fängt der Mensch an, auf sich selbst loszugehen und
sich mit der Welt jetzt anders herum zu vergleichen, das er so schlecht gemacht ist für
diese Welt. "Ich passe da nicht rein." Es ist schon fast verrückt, aber uns ist
ein Beispiel eingefallen, das man kennt. Alte Leute, in einen sonderbaren Umstand
versetzt, meinetwegen auf den Olympiaturm geschleppt, schauen runter und sagen: "Ach
Gott, ach Gott, das ist nichts für mich." Ich will mal erklären, was da
stattfindet. Wer hat denn das je behauptet, daß der Olympiaturm für den gemacht ist.
Auch die Millionenstadt München ist doch nicht dafür geschaffen worden, daß er sich
daran ergötzt. Man muß also mit der Brille in der Welt rumlaufen, daß sie ein Mittel
und eine Chance für einen ist, wenn man solche Formen der Enttäuschung an den Tag legt.
Es ist ganz üblich zu sagen: "Hier fühle ich mich nicht wohl." Das ist sogar
schon ein Gemeinplatz in wissenschaftlichen Seminaren an der Universität geworden. Daß
der Mensch sich das freie Urteil herausnimmt, diesen Vergleich zwischen der Welt und sich
so einzurichten, daß er sagt: "Für mich, für mein Wohlbefinden ist das hier aber
nicht." Das halten manche Leute sogar für Kritik. Das hat natürlich nichts mit
Kritik am Seminar, an der Wissenschaft oder an der Gaststätte zu tun. Das ist einfach
diese Freiheit des Subjektes, das sich ständig mit der Welt vergleicht, worüber ich
vorhin das nötige gesagt hat. Eine Sache, die untubar erscheint, aber die tubar ist für
jeden. Spontimäßig gibt's dann diese Aussage auch. "Macht mich überhaupt nicht
an", sagen die Spontis. Ja ihr müßt euch mal überlegen, was das für eine Stellung
ist. Es gibt verschiedene Tätigkeiten. Man kann studieren, arbeiten, fressen, saufen,
usw. Aber daß die Welt so geschaffen ist, daß man sich hinstellen kann und sagen kann:
"Los Welt, mach mich doch mal an!", das ist natürlich die Vorraussetzung fürs
enttäuschte Urteil über irgendeinen Bereich der Welt, er wäre nicht meiner ureigensten
Subjektivität entsprechend. Die Liebe, ein seltsames Spiel. Der Fortgang in der
Argumentation, den ich erzielen wollte, war heimlich ein ganz simpler. Der Aktivist des
erfolgreichen Anstands merkt, daß es so nicht geht, wird zu einem Menschen, der sich von
der Selbstkontrolle einen Lohn verspricht, merkt das es nicht geht - also der Übergang
heißt immer: Merkt das es nicht geht - merkt, daß man Heuchler werden muß, wenn sie
überhaupt gehen soll und sich über die Welt ständig beschweren, sie würde den
höchsten Maßstäben der Gerechtigkeit absolut nicht gehorchen. Und dann auf einmal hat
er ein Ideal von sich, daß alles kracht. Er wäre so ungefähr das einzig rechtschaffene
Individuum, das in der Welt rumgeiert. Als solcher betätigt er sich in der Sphäre von
Politik und Arbeitswelt, das habe ich halbwegs knapp gehalten, weil man die Beispiele
nachher noch ohne weiteres einfügen kann, wenn einer meint, daß die Psyche des Menschen
so gar nicht beschaffen wäre. Ich will ja gerade zeigen, daß in diesen einfachen Formen
alles das herauskommt, was uns vom Psychologenzeug her vertraut ist, bis in die
Tageszeitung hinein. Auch hier (von Punkt sieben zu acht) ist der Übergang wieder: Er
merkt, daß es nicht geht. Aus seiner politischen Betätigung als Wähler, Wechselwähler
oder Nichtwähler - als Mitmacher eben - mit all der Freiheit des Meinens dazu, hat der
Mensch keinen Erfolg. In der Welt der Arbeit, wo er sich bewährt, kommt er bloß zu der
traurigen Überzeugung, das er eine Flasche ist. So ein Mensch denkt jetzt dran, und der
Übergang ist ein Hammer, weil ihn auch jeder beherrscht. So ein Mensch sagt: "Gut,
in der politischen Welt nicht geputzt, im Grund eine Flasche, jetzt aber auch einen auf
die Alte."
8. Privatleben
Die Familie, das Privatleben, das ist eine sehr objektiv bestimmbare Sache. Das ist vom Staat mit Gewalt eingerichtet, was sich dort ziemt und was nicht. Das habe ich am Anfang gesagt. Es gibt Erlaubtes und Verbotenes. Ich wollte nicht eine Staatsableitung oder eine Imperialismustheorie oder die Konkurrenz der Lohnarbeiter besprechen, sondern nur die subjektive Verarbeitung des Zeugs. Ich unterstelle also einige Wissensbrocken oder Vorstellungen darüber, wie es wirklich zugeht. Genauso die Familie. Da weiß man, was geht und was nicht geht. Da geht es jetzt zum achten mal, weil es der achte Punkt ist, wieder einmal um das Wahrmachen der Lüge, Anstand und Erfolg gehören zusammen. Die Lüge, die einem praktisch aufgezwungen wird, hat man zu der seinen gemacht, und jetzt versucht man es hier. Ich sag es euch, zum allerletzten mal versucht es das bürgerliche Subjekt dort. Das ist komisch. Ausgerechnet diese Sphäre wird ganz lässig zu der erklärt, wo man machen kann, was man will. "das ist die Sphäre, da komme ich endlich mal zum Warmmachen der Gleichung, wo auf meine Individualität - so wie ich bin - Rücksicht genommen wird. Überhaupt: "Das ist die Sphäre ihrer Betätigung. Hier ist der Raum meines Glückes.". Fast tautologisch wird hinzugesetzt: "Meines ganz persönlichen Glückes. Hier walte ich, obwohl sonst in der Welt ein Arschloch und ein Gedeckelter und einer, auf den niemand hören will. Hier bin ich ganz ich." Das ist psychologisch dasselbe, was wir in der Staatsableitung gesagt haben. Es ist kein Wunder, daß Ehen, Liebesverhältnisse, usw. kaputt gehen. Aber nicht in dem Sinn, das sie aufhören, sondern, das es dort ständig kracht. Das die hauptsächlichen Katastrophenmeldungen über zugrunde gegangene Individuen aus dieser Sphäre kommen, ist kein Wunder. Woran liegt es den? Stellt euch mal vor, ihr habt ein Gefühl. Ihr seht eine Frau oder einen Mann. Na da kribbelts ein wenig, hat man das Gefühl, und dann muß man schauen, wie man hinter der Alten her kommt. Ganz einfache Sache denkt man und das erste was sich bei einem einstellt ist: Soll man, darf man, kann man. Das ist schon die Bezweiflung des bißchen Gefühls. Natürlich nach welchen Maßstäben den? Anstand und Erfolg. Der Anstand kommt: na vielleicht hat man daheim schon eine Alte. (..) Der Erfolg ist. Ja was ist den, wenn ich hingehe und frage: "Fräulein wollen sie mal mit mir?" und sie sagt: "Nein." Da stehe ich vielleicht saudumm da. Das erzählen die glatt dem Schorsch und dann: Oh, Äh, hm,.... Ja überlegt mal, was hier so vor sich geht. Immer wieder diese alten blöden Kriterien. Jetzt hat man aber bloß ein Gefühl. Man will aus dem Gefühl ein Argument machen dafür, daß man ihm wirklich nachgeben kann. So zwanghaft verhält man sich. Eine der bodenlosesten Unverschämtheiten, die sich ein bürgerliches Subjekt sich selbst gegenüber zunächst mal leistet. Ein Gefühl ist natürlich überhaupt kein Argument. Das hat man oder das hat man nicht und man kann auch nicht fragen, ob es echt ist oder nicht. Eben das tut man, wenn man es anzweifelt, sich fragt, ob es echt ist. Was ist den mit dem Echtheitsanspruch gemeint. Das bedarf doch keiner Verifikation, ob ich in die Alte verschossen bin oder nicht. Das merke ich ja wohl und wenn es in der Unterhose ist. Nein - jetzt kommt die Frage, ob es auch echt ist, ob es was lebenslängliches sein könnte. Ich erkläre das deswegen so, weil ich die Verrücktheiten, die nur aus dem billigen Anlegen der Maßstäbe des Anstands und des Erfolges an die Welt für ein Subjekt herauskommen, (hierfehltdasVerbvondemweilsatz). Ganz schnell ein Exkurs. Der Freud ist ein listiger Mensch. Der hat solche Sachen gewußt, bevor er den Übergang zur Psychologie gemacht hat. Der hat dieses Beispiel angeführt: "Ich bin nicht geneigt, meinen Vorgänger zu würdigen." oder: "Ich bitte sie daher auf unseren Chef aufzustoßen." . Diese Beispiele gibt Freud (Psychopathologie des Alltagslebens, Vorlesungen) und die führt er zurück auf die Kreuzung des Willens seine Pflicht zu tun - dem Erlaubten und dem Gebotenen zu folgen - und des Willens, dem eigenen Interesse gerecht zu werden. Die Heuchelei ist mißlungen. Das ist sogar ein richtiger Passus bei Freud, wo er so etwas erklärt. An solchen Sachen hätte er eigentlich den Witz des bürgerlichen Subjektes verstehen können. Er hat aber was ganz anderes daraus geschlossen. Da komme ich dann gleich drauf. Wenn ich mit der Frage antrete, ob mein Gefühl echt ist, taugt es was, ist es eine zuverlässige, eine brauchbare Grundlage, damit ich dem anderen Menschen nachsteige oder was mit ihm anfange. Das ist doch ein Anspruch an das Gefühl. Was das alles leisten soll, das hält doch kein Gefühl aus, was da für ein Maßstab an es angelegt wird. Das soll einem zum Erfolg bei der Alten verhelfen, soll einen anständig und sauber bleiben lassen (...) und soll einem hinterher noch ein gutes Gewissen verschaffen: "Ja, das hast du wirklich gedurft." Und soll viertens noch garantieren, daß das ganze ein Glück wird. Warum gibt es den in dieser Sphäre keine Unbefangenheit, sondern nur lauter Befangenheiten und deswegen auch das Ideal des Unbefangenseins? Also diesen Spontaneismus, man soll sich in dieser Sphäre ungefähr so betragen, wie ein Hirschkäfer (Verstand abschalten). Ich meine die echten Übergänge, die damals die Kommune zwei gemacht hat - und Linke haben sich das bieten lassen und haben Flugblätter und Hefte gedruckt - "Ach wir haben jetzt zwei Weiber in unserer WG. Das ist wie bei Pferden, die müssen eingeritten werden." Die haben der Moral nicht die Vernunft entgegengesetzt, sondern die schiere Unmoral, die abstrakte Negation. "Führen wir uns auf wie die Säue, das wird wohl die adäquate Verhaltensweise in dieser Sphäre sein." Also noch einmal zum Anfang. Warum gibt es das? Weil die Leute diese Sphäre als die Sphäre ihres Glücks, will heißen als endgültiger Ort im Leben, betrachten, in der sich Erfolg und Anstand harmonisch zusammenbringen lassen. Wo sie welche sind, die was gelten. Und zwar nicht als einfach gemocht werden, sondern wo sie als Gemochte endlich sie selber sind. Anerkannt sind, all das, was ihnen sonst im Leben abgeht. Geschätzt werden, vielleicht sogar ein bißchen verehrt. Immer ist die ganze Vögelei und das sich mögen mit diesen Ansprüchen konfrontiert und es ist überhaupt kein Wunder, daß die Sache an diesen Ansprüchen auch zur Katastrophe wird. Wenn ich mit diesen Erwartungen auf eine Frau zugehe - das soll sie mir verschaffen, indem sie mit mir geht -, dann beharre ich doch darauf, in dieser Sphäre mein Glück zu finden. Ja und was ist, wenn sich ihr Gefühl ändert und ihr fällt was neues ein? Da ist es doch kein Wunder, daß hier die Leute durchdrehen und sich wechselseitig umbringen. Da muß man natürlich vorher einen flotten Maßstab angelegt haben um dann zu dem Urteil zu kommen: "Die Liebe des anderen ist mein Recht und ich spiele mich als Richter auf, wenn die das Recht nicht tatsächlich erfüllt. Dann mach ich ernst mit der Richterei, dann ist ihr Leben nichts mehr wert." Umgekehrt soll es so etwas auch geben, daß die Gattin mal den Alten vergiftet. Merkt wie sich hier wieder die Klassen einerseits unterscheiden, andererseits den Beleg dafür geben, daß im Bereich des Psychischen, des Seelenlebens, alle Menschen wirklich gleich sind. Wozu konsumiert man denn die Stories von der Ingrid von Bergen und solchen Geiern? Man merkt genau, daß es da keinen Unterschied zwischen Reich und Arm gibt. "Wenn sie Liebeskummer haben, spielen die genauso verrückt wie ich, obwohl ich doch bloß ein Hilfsarbeiter bin." Das hat sogar noch Beweischarakter dahingehend, daß es ein Bedürfnis danach gibt, daß es anderen auch nicht gelingt, glücklich zu werden. Eine saudumme Vorstellung, die übrigens eine Fortsetzung des Materialismus des Neides ist. Ebenso wie die Form der Schadenfreude. Der Materialismus des Neides sagt ja nicht: "Was machen die mit mir, ich will mehr auf der Welt, ich überlege mir, wie was zu ändern geht." Sondern da ist das Urteil als Vergleich: "Was für ein rechtschaffener Mensch bin ich und wie rechtschaffen oder minder rechtschaffen ist der andere.". Dieser Maßstab: "Ist er anständig?" und "Leistet er was?" als zweiter Maßstab, dieses: "Was tut er denn für seinen Erfolg? Was kann er denn? Was bringt er denn?", diese beiden Maßstäbe zusammengebracht, Vergleich davon und dann: "Es ist ungerecht, daß ich weniger vom Leben habe als der." Das ist Materialismus des Neides und Enttäuschung. In der Sphäre der Liebe läßt sich jeder Mensch gern im Kino oder sonstwo vorführen. Daß genau das, was er macht - dieselben bürgerlichen Dummheiten, dieselben Idiotien, dasselbe Drangsalieren des Anderen, das Ausarten von so gut wie jedem Liebesverhältnis in eine mittlere Katastrophe in der Lebensgeschichte des Individuums, das, was er kennt und immer wieder praktiziert - das entdeckt er an Gott und der Welt und die Massenmedien führen es ihm ständig sehr zu genüge vor. Umgekehrt sage ich: "Das ist doch mal eine Ableitung, warum der Stoff so unerschöpflich ist und immer diesen Filmfritzen einfällt." Die Ableitung heißt: Er interessiert als dieser Stoff, in dieser Verarbeitung tatsächlich jedermann. Ist euch klar, daß die Selbstüberprüfung des Gefühlslebens - "Taugt das wirklich als Voraussetzung für dieses große Programm, dem ich selber die Sphäre unterworfen habe" - die andere Seite hat, den anderen ständig auch zu überprüfen. Was soll das denn, sich immer wechselseitig zu fragen: "Was ist denn, läuft noch was? Du bist heute so komisch, liebst du mich noch? " Ja was soll man denn darauf sagen? Da kann man ja nichts Richtiges antworten. "Liebst du mich noch?". Sagt man "Ja", dann sagt der andere, da hat er gelogen. Die Frage ist doch das Mißtrauen. Wie soll ich das denn mit einem Wort ausräumen? Es geht ja hier gar nicht mehr um Auskünfte, sondern nur noch um die Überprüfung, ob das Verhältnis, das ich im Moment führe - die Vögelei, das Zusammenwohnen oder sonst was - noch meinem großartigen Maßstab entspricht. Hier soll Einheit sein zwischen Erfolg und Anstand und das Bewußtsein von der eigenen Güte. "Hier bin ich ganz ich selbst". Ja wie soll den die Antwort: "Ja, ich liebe dich noch" den Antworten dieser Frage standhalten? Sie ist geäußertes Mißtrauen. Man kann es natürlich auch anders machen und kann überhaupt nichts darauf sagen und ganz schnell Kartoffeln schälen oder abspülen gehen. Na klar. Aber dann muß ja sofort der Verdacht aufkommen: "Ich glaube, der geht fremd, der hat doch sonst nie Kartoffeln geschält." Also der Maßstab, der führt ja dazu, daß man den anderen jetzt tatsächlich besitzen will, weil der Anspruch, sein ganzes Glück in der Beziehung zu finden, so wuchtig ist. Das ist übrigens auch eine Gemeinheit sich selbst gegenüber, dahingehend, daß der Mensch nicht nur aus so etwas besteht. Denkt mal daran, wieviel Stunden man sich im Leben mit wem im Bett rumtreibt. Das ist sehr wenig. Da wird doch sofort eine Geringschätzung des übrigen Lebens draus oder von sich selber, soweit man nicht ein Geliebter und Liebhaber ist. Man flüchtet sich halt tatsächlich in die Sphäre des Gefühls als die vielversprechende. Und an diesem Anspruch scheitern die Leute dann miteinander. Nicht daran, daß einer aufhört, gehen die Liebesverhältnisse zu Grunde. Ja, das wird wohl auch manchmal vorkommen. Das wäre doch aber das allereinfachste. Dann beißt man die Zähne zusammen und hat seinen Kummer und ist betrübt und das dauert dann bei manchen vier Wochen, bei manchen ein halbes Jahr. So normal läuft es doch nie ab. Es ist ja immer die Katastrophe, daß dann der große Kampf einsetzt. Oder umgekehrt: Die Gefühle werden doch durch den Anspruch und das ständige Mißtrauen im Verhältnis selber zerstört. Die müssen ja baden gehen. Wer will denn nach zwei Stunden Psychogespräch - wo er nachts um zwölf noch ziemlich scharf auf die Alte war - behaupten, daß es jetzt losgeht. Das bringt ja kein Individuum mit sich fertig. Umgekehrt: Der bürgerliche Verstand, der das Mittel zum praktischen Rumtun in der Welt ist, hat Stufen durchlaufen und hat sich in der Welt gemessen und angestrengt,(...)
[Seitenwechsel]
"... und alles, was ich unternommen habe, nützt nichts, bringt
nichts. Also auf geht's zum nächsten Versuch, meine Maßstäbe tatsächlich zu
realisieren, in die Tat umzusetzen." Dieser Versuch kommt jetzt zu der Phase, wo die
bürgerliche Psychologie endlich ihre Heimat hat. Die Psychologie urteilt über all das,
was bisher erzählt worden ist, nichts. Die weiß auch gar nicht, wie Verstand geht und
wie der sich kontrolliert, dadurch, das er ein moralischer ist. Die Logik des
bürgerlichen Denkens und Handelns ist ihre Voraussetzung. Von der fängt sie an. Die
streichen bei "so sind bürgerliche Subjekte" glatt das "bürgerlich"
durch.
Teil C: Das Reich der Psychologie
Die Psychologie fängt überhaupt erst an, wenn der Mensch so ein fertiges und darüber gelackmeiertes Individuum ist. Dann wird nicht mehr gesagt: "So ist das bürgerliche Subjekt." Sondern: "So ist der Mensch und jetzt gibt es Neurosen, Psychosen, Krankheiten und alles mögliche." Der Mensch hat sein kritisches Ich. Da gibt es eigentlich nicht viel drüber zu sagen, es sei den, man will möglichst viele Beispiele oder Erinnerungen bringen, an das, was jeder kennt. Das ist formell gesehen nichts anderes, als daß der Mensch, mit seinem Scheitern und seinen beibehaltenen Maßstäben, sich jetzt tatsächlich als Kritiker der Welt vorkommt. Sagt einmal zu irgendeinem Kommilitonen: "Kommilitone, du bist nicht kritisch." Der springt euch mit dem Arsch ins Gesicht. Jeder ist doch kritisch. Das hat also nichts mit einer Kritik einer Schrift in der Wissenschaft zu tun. Oder man kritisiert die Handlungen eines anderen Menschen, weil man sie für nicht zweckmäßig hält. Modern kritisch das heißt: Weil der Mensch von Natur aus so ein Arschloch ist, ist er auch ein kritisches Arschloch. Also einer, der sich nicht bloß über alles sein Urteil rausnimmt, sondern sich auch sehr viel darauf zugute hält. Ich mache diesen Punkt ganz lässig und ganz kurz. Ich sage: "Auch das klappt nicht." Der mag sich zwar einbilden, daß er ein furchtbar kritischer Mensch ist und deswegen viel besser in der Welt rumläuft als jeder andere. Der mag sich über seine Art von Kritik an der Welt eine sehr gute Meinung von sich verschaffen. Auch mit der Meinung fühlt er sich nicht übermäßig wohl. Was erlebt er den in den Sphären der politischen Herrschaft, der Arbeit, der Konkurrenz und der Liebe? Na eben den Zirkus, den er veranstaltet. Das ist der Versuch, den Schein endgültig wahrzumachen, er könnte sich von den Drangsalen der Welt emanzipieren dadurch, daß er sich als einen hinstellt, der mit überhaupt nichts einverstanden ist. Das ist eine methodische Angeberei. "Ich bin kritisch." Da gibt es kritische Wissenschaft, kritische Theologie, usw.. Da möchte ich mal wissen, warum die kritisch sein sollen. Wozu denn. Die sollen erst mal richtige Wissenschaft machen. Nein, immer gleich bevor das Denken losgeht, soll es kritisch sein. Das ist die psychologische Seite des offiziellen Wissenschaftspluralismus. Jeder Wissenschaftler schreibt ein Buch. Was macht er denn? Er schreibt ein Vorwort. Gut, nichts gegen ein Vorwort. Bloß, was da drinnen steht, der kritisiert sein eigenes Werk. Aber das meint er jetzt nicht so, daß es nichts taugen würde, sondern der will nur gesagt haben, er wüßte schon, daß das eine ganz schöne Schlamperei ist. Er hätte aber auch ganz schön Schwierigkeiten gehabt bei der ganzen Sache und man soll es ihm nachsehen und wenn man Fehler findet, soll man ihm einen Brief schreiben. Der relativiert sein ganzes herausgekommenes Zeug. Er hätte bloß einen Aspekt betrachtet und nur unter diesem Aspekt soll sein Buch gelesen werden und es soll bloß keiner sagen, er würde behaupten, so wäre die Welt. In diesem "ein kritischer Mensch sein" steckt also schon, weil es auch nichts nützt, der Übergang zur Selbstkritik. Gibt es Fragen?
Ich vergleiche mal einen Verrückten mit einem Verbrecher, um deutlich zu machen, daß hier der wirkliche Grund für Verrücktheit angegeben worden ist. Ein Verbrecher wird ein Mensch an der Stelle, wo er sich den Maßstab der Welt selbst anmaßt. Wo er der Welt vorwirft, sie würde die von ihm akzeptierten und gebilligten Grundsätze selber nicht anwenden, so daß er höchstpersönlich zu der Anwendung dieser Grundsätze schreitet. Ein Mörder urteilt eben über sein Opfer: "Der verdient nicht mehr weiter zu leben." Der ganze Käse mit spontanem Mord ist ja höchst selten und die Rechtsanwälte haben ein weites Gefechtsfeld darin, bei Straftaten Affekt nachzuweisen. Eine kleine Erinnerung. Es ist lustig, daß Affekt mindernd auf das Strafmaß wirkt. Das ist das Urteil der Gesetzgeber darüber, daß sich das bürgerliche Subjekt einige Mühe geben muß, um anständig zu bleiben, so das es ihm verziehen werden kann, wenn es sich nach dreiundzwanzig Bieren mal nicht mehr unter Kontrolle hat. Eingestanden wird hier, daß ein anständiges Leben ein Leben voller Selbstkontrolle ist, die durch Recht, Gesetz und Polizei beaufsichtigt wird. Nicht wie in der Sklaverei einer mit einer Peitsche, sondern ob die Selbstkontrolle gelingt, wird beaufsichtigt und geahndet, wenn sie mißlingt. Der Verbrecher macht über die Welt das Urteil: "Ich führe an anderen Menschen (ihrem Eigentum oder ihrer Person) die Grundsätze aus, die gelten und die ich nicht in die Tat umgesetzt sehe, von denen, die eigentlich dafür zuständig sind. Ich werde tatsächlich der Vollstrecker des Urteils an anderen Menschen." Was macht der Verrückte? Der stellt sich ungefähr genauso zur Welt, bloß anders herum. Seine Logik geht so: "Wenn ich in allen Versuchen, den Maßstäben, die ich anerkenne und aus denen ich mir sogar schon längst ein Ideal meiner selbst gebastelt habe, diesen Maßstäben nicht nachkomme, dann bin ich ja unfrei." Erster Schluß. Das sind diese Haupt- und Generalurteile aller psychologischen Bücher und Lehren und Therapien usw. Ja einfach: "Das ist gar nicht sein Werk, was mit ihm angestellt wird." Das nimmt also die Ideologie des bürgerlichen Subjektes ganz ernst und sagt: "Ich als Psychologie und als Wissenschaft helfe dem Menschen bei der Realisierung seines Wahns. Ja, er kann wirklich nicht. Er ist ein kranker Mensch darin, daß er nicht kann." Ja, woran fehlt es ihm denn? Jetzt muß eine Theorie über das Subjekt her. Das kriegt sein Ich, sein Über-Ich, sein Es nicht auf die Reihe. Ein unausgeglichener Seelenhaushalt. Populär heißt es dann: "Es ist verklemmt." Daß das die freie Tat des Menschen ist, daß der sich soweit hinarbeitet, bis er so einer ist und jetzt an sich selber schier verzweifelt, weil er ja seinen eigenen Maßstäben nicht gehorcht. Das sind ja nicht die der anderen Leute. Die sind es zwar auch, aber er verzweifelt ja an sich selber. Ja, und jetzt wird ihm von der Psychologie angeboten: "Ja, du bist ein solcher. Stimmt, deine Selbstkritik ist berechtigt und wir sind überhaupt die wissenschaftlichen Betreuer deiner Selbstkritik, wenn du soweit bist." Umgekehrt: Was macht denn der Verrückte, wenn er sich die Freiheit rausnimmt, sich seinen Mißerfolg als Unfähigkeit anzurechnen und seine Unfähigkeit zu erklären? Er bildet sich z. B. ein, er wäre Napoleon. Worin besteht denn jetzt die Freiheit? Daß das Subjekt sich einfach eine Identität wählt, die es nicht hat. Übrigens: Sobald der Mann glaubt, er wäre der Napoleon, ist er es auch. Ich sage es mal an einem anderen Beispiel. Die ganzen Phobien. Einer erklärt sich seinen ganzen Mißerfolg, sein Scheitern, seine Unfähigkeit daraus, daß es Spinnen in der Welt gibt. Ja, unvernünftig ist das schon, aber sehr konsequent. Er sucht sich einen positiven Grund frei nach Wahl, nachdem er in der ganzen Welt die wirklichen Gründe seines Elends, seiner Kümmernisse, geleugnet hat. Psychologen leugnen diese Erklärung von Phobien, von Neurosen oder was es auch immer wird. Die sagen: "Nein, da ist was anderes im Spiel. Die Spinne ist eigentlich sein Vater oder seine Mutter." So ist es nicht. Das Subjekt wählt sich einen Grund, an dem es für es ab sofort liegt, daß es so eine beschissene Sau ist. Das kann er sogar mit der Einsicht verknüpfen - und das tut er normalerweise auch -, daß es ziemlich unvernünftig ist, vor Spinnen Angst zu haben. Also geht er zum Psychiater und läßt sich eine Deutung seines freien Entschlusses, vor Spinnen Angst zu haben, geben. Die akzeptiert er dann - er wird also doppelt verrückt - und dann ist er wieder brauchbar. Ich habe jetzt den Begriff des Heilungserfolges in der Psychologie gesagt. Die Akzeptierung und die praktische Befolgung der Deutung, die der Psychologe gibt, wird als Heilerfolg angepriesen. Erstens sind sie sehr spärlich und zweitens: Was ist aus denen geworden, die das übernehmen? Jetzt sage ich mal die Konsequenz des Heilerfolges, wie es jeder kennt. Was ist denn ein Mensch, der psychologisch über sich urteilt? Wie tritt denn der an? Wie redet denn der mit einem? Ja, er redet halt psychologisch mit einem. Erstmal kann er schon keinen geraden Satz mehr, schon nicht mehr geradeaus schauen. Wenn er geradeaus schaut, dann deswegen, weil er sich einfallen läßt, was ihm der Psychologe gesagt hat, was mit ihm los wäre. Und das sind dann vielleicht Blicke. Dann entschuldigt er sich dafür, daß er überhaupt dasteht. Dann erwartet er Verständnis und sagt, er hätte auch viel Verständnis. Ich vermische jetzt bewußt, weil es logisch genau dasselbe ist, die großartigen psychologischen, wissenschaftlichen Schriften mit dem, was jeder popularisiert kennt. Ich meine, es ist identisch in seiner Logik. Wie geht sie? "Ich bin ein ganz extra Mensch darin, daß ich unfähig bin, darin, daß ich ganz gewaltige Schwächen in meiner Natur entdeckt habe. Letztere sind vielleicht auf Erziehung zurückzuführen, aber nun sind es einmal die meinigen. Habe Verständnis für mich." Das gibt es doch auch schon ganz normal, insbesondere unter studierten Leuten, daß man dem anderen sagt: "Du kannst mich doch nicht so anschreien." Warum soll man eigentlich den anderen Menschen mal nicht anschreien. Da tut man ihm doch nichts. Dann soll er halt zurückbrüllen und überhaupt geht es in einem Streit darum, daß was ausgemacht oder festgestellt wird. Nein, man bittet um Rücksichtnahme. Nehmt mal das Beispiel von vorhin. Ich könnte die Aula jetzt unterhalten und zwar besser als jeder Komiker, wenn ich euch nur erzähle, was jeder macht, wenn er sich jemanden angeln will. Das bloße Erzählen dessen, was ihr da alle anstellt - und ich natürlich auch -, das ist zum lachen, wenn man sich selber zum Gegenstand seines eigenen Verstandes macht. Deswegen tue ich es auch nicht, weil es sonst ein Hallo wird. Das Prinzip davon will ich aber nennen. Das geht doch nicht so zu, daß man sagt: "Hey, du gefällst mir, wir könnten es doch mal probieren." Sondern da gibt es doch Techniken des Umweges. Was ist denn ihr Prinzip? Man macht sich als Besonderheit furchtbar vorstellig. Man redet miteinander. Ja, was wird denn dann miteinander geredet? "Ja, weißt du, ich bin so einer, der tut sich schwer artikulieren..." Dasselbe gibt es übrigens auch im öffentlichen Auftreten. Neulich ist hier wieder einer in einer Veranstaltung gekommen und hat gesagt: "Ich will nicht viel sagen, ich will es gar nicht erst probieren, weil ich euch rhetorisch nicht gewachsen bin." Das ist dasselbe wie andernorts: "Ich bin im zweiten Semester und trau mich eigentlich gar nicht." Damit sie sich hinterher nicht zu schämen braucht, hat sie sich vorher schon geschämt, sagt das, und hat sich vorneweg dafür entschuldigt, daß sie sich hinterher blamiert. Ja, bloß wozu das ganze? Wie weit hat sich denn so ein Mensch runter gebracht? Der soll doch sagen, was er will, und wenn es ein bißchen gestottert ist, ist es doch auch scheißegal. Nein, dieses sollen von mir jetzt, daß ist das härteste, was man anderen Menschen zumuten kann. Das gibt es höchstens als Heuchelei. "Sei doch mal ehrlich und geradeheraus." Da geht's auf die andere Tour. Da kommt einer und bevor er seine Heucheleien anzettelt, hält er die Predigt "Ich bin halt einer, der sagt immer alles gerade heraus." Diese Leute gehören übrigens immer der herrschenden Klasse und ihren Funktionären an.
Jetzt ein kleiner Exkurs. Hans Meier schreibt unter der Überschrift "Hilfe, ich bin normal":
"Meine Normalität äußert sich in mehreren Verhaltensauffälligkeiten. Erstens bin ich glücklich verheiratet und erfreue mich einer gesunden Kinderschar. Durch Konrad Lorenz darüber belehrt, wie unmoralisch solches sei, habe ich versucht, Reue zu empfinden. Es ist mir nicht gelungen. Auch meine Frau fühlt sich durch Mutterschaft, Erziehungs- und Hausarbeit nicht geschädigt. Sie behauptet widersinnigerweise sogar, glücklich zu sein. Wahrscheinlich sind wir beide hoffnungslose Fälle. Wahrscheinlich ist unsere ganze Familie unheilbar gesund. (...) Mir schmeckt das Leben, wie es ist. Mir macht sogar mein recht schwieriges Amt Spaß. Daß alles so dreckig, kaputt und hoffnungslos ist, wie in vielen Romanen und Filmen über die Bundesrepublik zu lesen ist und zu sehen, kann ich aus meiner Erfahrung nicht bestätigen. Ich meine sogar, viele Zeitgenossen aus der dritten Welt oder aus sozialistischen Ländern wären ganz dankbar, wenn sie mit unseren Sorgen und Sünden tauschen könnten."
Das reicht jetzt erst mal. Der Mann hat gemerkt, daß er ganz günstig mal Front machen könnte gegen die psychologische Deutung des Geschehens in der Republik, in der er Politiker, also Inhaber von Gewalt usw. ist. Was ist ihm eingefallen. Er sagt: "Warum soll ich mich nicht mal als ein Muster dafür vorführen, daß es doch auch ohne Psycho geht." Und jetzt bedient er sich des Jargons der Psychologie und ihrer Sichtweisen, um zu sagen, er könne sie bei sich nicht finden. Und was stellt er heraus? Daß er ein Liebhaber der Gewalt ist, daß er sich wohlfühlt in seinem Beruf und daß ihm nicht mal seine Familie was ausmacht. Ja klar, in solchen Kreisen ist doch die Familie objektiv gesehen auch was anderes. Sie ist entweder Sphäre des Genusses, mit Fremdgehen (...) usw. Sie ist nicht die zum Berufsleben hinzutretende Belastung des Mannes, sondern er kann sie sich frei einrichten. Der sagt: "Uns geht es doch besser als denen in der dritten Welt." Der sagt "uns" und führt sich als Beispiel dafür vor. Ja klar, mit einem Erdnußbutterneger in Kenia kann sich der Meier sehr gut vergleichen und zu dem Schluß kommen: "Was habt ihr denn, hier gibt es doch nichts zu beklagen." Das ist die Form der politischen Heuchelei von oben. Die Welt als "wir" angesprochen und das alles als Polemik gegen die Psychologie verwendet. Ich versuche jetzt demgegenüber mal die richtige Polemik gegen die Psychologie als Wissenschaft anzubringen. Sie ist natürlich eine Wissenschaft, die praktische Anlässe findet, so viele sie will. Die hat natürlich nicht den Meier zum Gegenstand, sondern all die Leute, die sich bis zum Punkt 10 vorgearbeitet haben, und jetzt an sich rumfummeln. (...) Das sind Leute, die sagen: "Mein Ich ist geschädigt." Die reden nicht mehr über die Welt. Auch nicht dem Schein nach, sondern die sagen: "Ich muß mich mit mir beschäftigen, weil sonst gar nichts mehr geht." Diese Beschäftigung mit sich als Übergang zur Phobie oder sonst was heißt halt nur, daß die sich einen Grund dafür suchen, weshalb sie so beschädigt sind. Das ist nicht mehr das Subjekt, das von Mißerfolg spricht, oder sich für unfähig erklärt sondern das erklärt sich für beschädigt und beansprucht Rücksichtnahme auf diesen Schaden. Der tut vieles, was andere auch tun, aber ständig mit psychologischen Begleiturteilen und Umständen. Ich will noch einen ganz wichtigen Punkt anfügen. (...) Die Psychiatrie sagt, daß Psychose und Neurose Stufen voneinander sind. Bei der Psychose ist die verständige Seite des Subjektes nicht mehr vorhanden. Ein Neurotiker ist noch so verständig, daß er seine eigene Selbstinterpretation und Praxis mit sich noch interpretiert und zum Psychiater rennt und sagt: "Schaff' mir das weg." Ein Psychotiker hat das schon vergessen. Da ist die Vernunft schon ganz erledigt. Das sind dann auch Krankheitsfälle, die sich gewaschen haben. Aber wodurch unterscheiden sich denn diese Verrückten tatsächlich von den Normalen? Überlegt mal im Verhältnis der Ableitung. Die machen einen Schritt mehr als alle anderen. Sie gehen zur Selbstbezichtigung praktisch über. (...) Die Urteile, die sie über die Welt und über sich fällen, die unterscheiden sich rein logisch - ihrem Inhalt, ihrem Sachgehalt nach - vom Rest der Welt nicht dadurch, das der Rest sauvernünftig wäre. Also die paar Beispiele genügen ja. Überlegt mal, wie die Leute über ihr Liebesleben quatschen, was es da für Erfindungen gibt. Also denkt mal den Übergang, auf die Spontaneität käme es an. Denkt mal an die politischen Urteile, die die Leute so fällen. Da gibt es echt Bürger, die sagen, der Schmidt wäre sympathischer als der Strauß. Statt zu sagen: "Bei der Wahl geht es um dies und jenes, zwei Kandidaten gibt's, die gehören von einer Partei aufgestellt, das ist so geregelt bei uns, das hat folgenden Grund. Der Schmidt und der Strauß sind folgende Geier. Die lassen sich sogar als Persönlichkeiten charakterisieren." Das sagen die ja alles gar nicht. Die sagen: "Der ist sympathischer als der andere." Und dann sagen sie: "Das ist ein Anlaß für mich, ihn zu wählen." Das soll es geben. Ja, die Leute sind nicht beim Psychiater. Das sind anständige Bürger und zwar mündige. (...)
Meldung aus dem Publikum: Der Mensch braucht Anerkennung.
Das war jetzt eine Rede im Namen einer psychologischen Kategorie, nämlich die der Anerkennung. Wer wirklich so, wie es der Redner jetzt gesagt hat, auf Anerkennung aus ist, der ist schon sehr weit, sehr weit in Punkt C gelangt. Der sagt: "Alle Unkosten, die ich bei meinem wirklichen Leben habe, alle Mißerfolge, alle Formen des Scheiterns, die ich durchmache, sind kompensierbar, und möchte ich deswegen auch kompensieren, dadurch, das ich trotzdem und dennoch Anerkennung kriege." Diese Abstraktion ist das pur psychologisch herausgefilterte Zeug, mit dem sich ein Mensch verrückt macht. Wer seine eigenen Aktionen soweit von seinem Interesse abtrennt, daß er sagt: "Auf die Verwirklichung meiner Interessen kommt es mir schon gar nicht an. Ich habe die Abstraktion des verwirklichten Interesses pur als Ziel, nämlich die Anerkennung als Mensch überhaupt." - der hat schon halb einen Klaps weg. Was verlangt er denn eigentlich von der Welt? Daß sie ihn nicht beurteilen soll. Er verlangt Verständnis jenseits dessen, was er tut.
Meldung aus dem Publikum: (Ein Versuch zu beweisen, daß sich jeder Mensch vom "Urgrund" her nach Anerkennung sehnt.)
Ich erledige das schnell. Weißt du, was das Argument dagegen ist? Hier ist die psychologische Interpretation von dem, was Leute tatsächlich tun und treiben unter Berufung auf das, was sie tun und treiben, angeboten worden. Während bei uns in Punkt 10 der Übergang zur Verrücktheit stattfindet, nämlich dann, wenn alles gescheitert ist, was die Leute vorher angestellt haben, dann fangen sie an und sagen: "Jetzt bin ich aber auf Verständnis und Anerkennung - als den letzten Rest, den ich mir in dieser Welt, die doch Wohl mein Mittel zu sein hat, angewiesen." Diese tatsächlich vorgenommene Selbstinterpretation wird hier psychologisch umgedreht und als Erklärung all dessen, was die Leute überhaupt machen, ausgegeben. Das ist natürlich eine Gefahr, die wir uns mit dem Referat überhaupt eingehandelt haben. Denn hier wird ja nicht die Welt erklärt, sondern der Umgang von Leuten, die sich entschlossen haben, in dieser Welt zurecht zu kommen und nichts gegen sie zu haben. Das ist was ganz anderes vom Gegenstand her. Hier wird die subjektive Verarbeitung von Herrschaft besprochen, von einem freien mündigen Bürger, bis zu dem Punkt, daß er sich verrückt macht. Die Psychologie kommt her und sagt, der Mechanismus des Verrücktwerdens, die pure Beschränkung auf die Anerkennung des Ich, jenseits all dessen, was es tut und treibt, ohne jeglichen Inhalt, das wäre überhaupt das Treiben bei einem Menschen und so wäre er zu sehen und zu erklären. Das war jetzt erst einmal zum Fehler. Jetzt noch einmal zur Verrücktheit. Ich hatte vorhin damit aufgehört, daß ich gesagt habe, daß die Freiheit zur Verrücktheit, die sich einer nimmt, wenn er sich einen ganz individuellen, frei herausgesuchten Grund wählt, warum er so ein Beschädigter wäre, - also nicht bloß erfolglos, unfähig, sondern auch gleich beschädigt -, das hinterletzte Relikt der ganzen bürgerlichen Freiheit ist, das übrigbleibt, wenn ein Mensch sein Scheitern ganz ernst nimmt und zwar, indem er sein unterstreicht. Er sagt nicht: "Man hat mir folgendes angetan, vorenthalten und dafür gibt es Gründe in der Welt." Sondern er erklärt es immer zu seinem Scheitern. Übergang zur Selbstbezichtigung. Dann hat er nur noch die Freiheit, verrückt zu spielen. Der Unterschied zwischen Verrückten und Normalen ist nicht der, daß die Normalen wahre Sachen sagen und die anderen ganz verrückte Sätze basteln, sondern der muß woanders liegen. Und darüber ist erstmal eins zu bemerken. Der liegt darin, daß einer, der den Übergang zu Punkt 11 gemacht hat, für seine Umgebung nicht mehr funktional ist, ja sogar störend sein mag. Der logische Unterschied ist da partout nicht festzumachen, aber es ist ein funktionaler, ein praktischer Unterschied, wie sich die Leute in der Welt aufführen, festzustellen. Und deswegen hast du ja auch das Ideal und nicht die Praxis oder die Realisierung. Das Ideal des Psychologen, er wäre Hilfe für Brauchbarkeit. Was aber herauskommt, sind nur psychologisch denkende und handelnde Individuen. Das war die Behauptung.
Zweiter Referent: Ich will nur noch einen
Unterschied kennzeichnen, gerade weil dieser Beitrag vorher das etwas vermischt hat. Was
hier vorgetragen wurde, ist das Gegenteil eines Ideals, das den bürgerlichen Verstand
angesichts von Verrückten und angesichts des anderen Übergangs, der von dieser Deutung
des eigenen Scheiterns, als die ureigenste Angelegenheit, die das Individuum
disqualifiziert, ebenso möglich ist. Dieser andere Übergang ist der des
sich-selber-aus-dem-Verkehr-ziehens. Es gibt genau diese beiden Übergänge aus dem
Urteil: "Ich passe nicht zur Welt, die Welt paßt nicht zu mir." Dieses Urteil
über sich selbst ("Ich bin ein kaputter Mensch") ernst genommen, führt
entweder in das Reich der Versöhnung - nämlich in der Form der Verrücktheit (man macht
sich halt die Welt, die zu einem selber paßt und streicht darin wirklich und konsequent
die andere Welt durch.) - oder man macht aus diesem Urteilsspruch, den man über sich
gefällt hat - "Ich und die Welt, wir passen nicht zusammen" - eine Verurteilung
der eigenen Person und zieht sich selber aus dem Verkehr. Beide Sorten, den letzten
Übergang vom bürgerlichen Ich dahin zu machen, daß man mit der Welt, an der man immerzu
scheitert, dennoch irgendwie zurande kommt, sind Anstrengungen der Freiheit, sich gegen
die Welt zu behaupten. Beiden Übergängen begegnet der bürgerliche Verstand mit
Verständnis. Das sieht man daran, daß er ihnen andererseits mit Unverständnis begegnet.
Das heißt nur, er behält sich die Freiheit vor, das zu verurteilen oder für diesem
Übergang, der natürlich nicht passieren darf, mildernde Gründe gelten zu lassen,
Verständnis zu entwickeln. Dann kommen Sachen, wie die eben von dem Zwischenredner
angedeutete, raus. "Der arme Bursche kann letztlich nicht anders. Es ist doch eine
richtige, wahre Sehnsucht, die ihn umtreibt." Das ist die Aussage hier nicht, sondern
genau das Gegenteil. Das Urteil, das hier über das Individuum gefällt ist, heißt: Er
macht sämtliche Anstrengungen, die die bürgerliche Gesellschaft bisher erfunden hat, um
mit der Herrschaft zurecht zu kommen; und darin ist die Erklärung, wie er zu solchen
letzten Übergängen kommt, auch zugleich die Kritik an der Person. Immerzu macht er die
Konsequenzen der Herrschaft, der er unterliegt, zu seinem ureigensten Problem. Diese
Anstrengung ist damit natürlich kritisiert und es ist nichts verkehrter, als solchen
Menschen mit Verständnis zu begegnen, weil das ja nur heißt: "Du hast schon
recht." Darin hat gerade überhaupt niemand Recht und zwar vom ersten Punkt
angefangen (Die Welt sei eine Chance, die man sich per Anstand zu eigen zu machen hätte)
bis hin zum letzten Punkt (Sich die Welt nach Maßgabe einer verfügbaren Spielerei
erfinden. Da kommt der Verrückte natürlich auch auf keine neuen Ideen gegenüber dem,
was die Wissenschaft ihm als Alternativen präsentiert.) Vom ersten bis zum letzten Punkt
gibt es überhaupt nichts, was da Rechtfertigung oder Verständnis erwecken könnte. Das
sind genau die Formen, in denen bürgerliche Individuen sich mit der Herrschaft, die ihnen
begegnet, einverstanden erklären, so als wären alle Schwierigkeiten, die die Herrschaft
ihnen bereitet, ihr ureigenstes Problem.
Der Vortrag (inkl. Gliederung) bezieht sich auf das Buch "Die Psychologie des bürgerlichen Individuums", daß es über den Gegenstandpunkt Verlag zu beziehen gibt.