M.E.L. |
Die
chinesische Malerei der Gegenwart |
2. Galeriegespräch am 5. Dezember 2000, 19.00 Uhr |
Xue En Wei |
Xian Wei Yun (VRCH), Rote Trauerweide
M.E.L. Kunsthandel KEG |
Das
Grosse Glas Duchamps („Die Braut von ihren Junggesellen entblößt,
sogar“ ....), das 1923 entgültig unvollendet ausgestellt wurde,
stellt den künstlerisch realisierten Anspruch Duchamps an die moderne
Bildende Kunst dar. Duchamp
lehnt die
„Netzhautmalerei“ ab, das heißt die Objektproduktion der Maler für
den „geschmäcklerischen“ Genuss, welche seit dem Impressionismus bis
zu Picasso und noch heute - nach Duchamp- die zentrale antiquierte Methode
der Kunstproduktion darstellt. Duchamp sieht die künstlerische
Realisierung der Produktion von Ideen als einzig innovative Methodik in seinen Werken realisiert. Während
Picasso als der Künstler der sinnlichen Zeit, der Beschleunigung,
der Visionen und Mythen gilt, wird Duchamps Innovation mit der
Verlangsamung, der strukturierten Darstellung komplexer Texturen
identifiziert. Direkter Vorgänger Duchamps ist kein Maler, sondern der
Dichter: Mallarme´. Duchamps
Werk/Artikulation ist die ironische Kritik der Malerei von der Renaissance
bis heute, als Malerei, welche den sinnlichen Genuss und dessen Produktion
über die „Farbtube“ nach seiner Meinung zum Ziel hat. Octavio Paz
sieht mit Duchamp in das Grosse Glas
das letzte große Werk des Okzidents der herkömmlichen Malerei,
welche den Weg zur Malerei der Zukunft eröffnet. Radikal behauptet Duchamp „ Der Betrachter schafft das Bild“ und
versucht Kunst und Leben, Werk und Betrachter zu versöhnen. Während
also Picasso und andere Maler der Moderne am Simulacrum, dem Kunstwerk ,
arbeiten, welches als Erlebnismaschine der Sinnesvorstellungen der
Betrachter funktioniert –
produzierte und verweigerte Duchamp die schwierigste Kunst, welchen
den Betrachter nötigt ein Künstler zu werden. Mit
der Entwicklung der kapitalistische Gesellschaft und dem beschleunigt
erfolgtem Umbau der bisherigen Sozialitäten, deren subjektiven
Elementen/Motoren und Energien, wird ein doppeltes Missverständnis in den
Kunsttheorien des Westens deutlicher erkennbar:
Duchamp
und auch alle anderen bildenden Künstler erzeugen mit ihrem Werk - welche
Motivationen und Absichten sie auch immer zu verfolgen meinen – eine
Wahrnehmungs-/Erkenntnismaschine, welche mit der aktiven/reflektierten
oder „passiv“/genießenden Haltung der Kunstkonsumenten eine virtuelle
Erlebnisrealität im Subjekt schafft. Die
ideologischen Konzepte, welche sich die Künstler und deren Interpreten
bilden sind – eingebettet in das jeweils dynamisch sich entwickelnde
Ideologiesystem unserer Gesellschaft – als marktwirksames
Differenzierungspotential wirksam. Insbesondere sind
Interpretationssysteme von besonderer Bedeutung, wenn sie weit verbreitet
und quasi hermetisch gegen andere Konzepte wirken. So eben die umfassende
Rezeption und Interpretationsliteratur über Duchamp in Abgrenzung zu
Picasso. Diese Abgrenzung, welche zeitweilig dazu führte, dass Picasso in
bestimmten Intellektuellenkreisen der USA und Europa nicht mehr erwähnt
wurde, war auch wesentlich durch die ideologischen Kämpfe im „Kalten
Krieg“ induziert. Sex
und Erotik als Benzin der Kunstmaschine im Grossen Glas, mit Klossowski im
Aufsatz „Lebendige Münze“ wirken nach dieser Auffassung als Kapital
(gesellschaftlicher Automat) der Emotionen, welche der Kunst die Energie
liefert und sie über das arbeitende Subjekt in die Ökonomie speist. In
der „okkultistischen“ Auffassung Duchamps wird die Kunst
gegen die Dynamik des Kapitals und seiner Menschen gewandt, in
gleichzeitig irrationaler
Verbindung mit der herrschenden Ideologie, welche im sexuellen Begehren
den Motor des individuellen Habitus sieht. Damit ist Duchamps und seiner
Anhänger Auffassung über die Kunst gerade wegen ihrer Ambivalenz gut
instrumentalisierbar und bewirkt trotz aller Ironie ein affirmatives
Kunstverständnis. In
den Gesellschaften, welche in ihrer Kultur und Kunst die Adaption an das
kapitalistische System noch nicht/nicht weit genug vollzogen haben, wirken
noch die stabilisierenden Traditionen der Kunst, welche das kontemplative
Ideal der herrschenden Ideologie subjektiv realisieren lassen. Insoweit
gibt es eine enge Beziehung zwischen einer Kunstauffassung, welche
Methodik, Stilelemente und Bedeutungselemente mit Bedeutung überdeterminiert
und philosophisch systematisiert – wie in der chinesischen Malerei –
und Duchamps Verständnis der bildenden Kunst. Bildelemente,
Bildkomposition und Text, damit Bedeutungen,
beliebig tiefe Konnotationen werden als eigentliches Ergebnis des
Kunsterlebnisses gesehen. Duchamp
übertrifft seine Ambivalenz des großen Glases mit seiner Assemblage
„Gegeben sei...“ insoweit er damit eine „Maschine“ produzierte,
welche einerseits die virtuelle Realität der heutigen Cyberkunst
mit ihrer Quasiprozessualität vorwegnimmt, andererseits zu
Interpretationen Anlass gibt, welche die Rücknahme des Simulacrums in die
Ideenwelt der Philosophie nahe legen. ..... Dazu
produzierten er und seine zahllosen Interpreten ein unübersehbares
Netz von Ideen und Texten im Sinne der Philosophie des Existentialismus,
der Heideggerschen Fundamentalontologie, des künstlerisch gewendeten
Solipsismus... Nach
dem zweiten Weltkriege hat das kapitalistische System, welches schmerzhaft
seine eigene historische gesellschaftliche Basis in grausamen Krisen
umbaute und nach den Beschleunigungen und Verzögerungen durch die
beiden Weltkriege in den Siebzigerjahren die materielle Produktion zur
Massenproduktion entwickelte und die geistige Produktion als eigenständige
Produktionssphäre etablieren konnte auch die Sphäre der Kunst zu einer
eigenständigen Produktionssparte der Geistigen Produktion
entwickelt und mit
eigenständigen industriellen Produktions-, Distributions- und den
entsprechenden Konsumationsinstrumenten etabliert. Damit
wird auch die Kunst im Sinne eines gesellschaftlichen Automaten
selbstreferenziell in dem Sinne, dass immanente Standards, innerkünstlerische
Expertenurteile institutionalisiert und über die großen industriellen
Aufkäufergruppen (Christies, Sotheby's, Guggenheimmuseums...)
globalisiert werden. Die Kunst stellt somit Stoff, Methode und
Expertenpublikum im Bereiche der Innovations- /Marktspitzenproduktion.
Kunst wird zum Distinktionsmedium der „zugelassenen“ Personengruppen,
Kapitalien und Institutionen im Kampf um das profitable IMAGE. Der
menschliche Kunstsinn (die durch die Kunstprodukte/prozesse angesprochenen
und entwickelten Sinne) wurde quantitativ und qualitativ durch die
gigantische Ausweitung des Kunstmarktes entwickelt, die Kunstindustrie
stellt das aufgeschlagene Buch der menschlichen Sinnlichkeit dar – sie
ist das „Lustbenzin“ der Braut im Grossen Glas. Seit
Torquille wird in den ideologischen Auseinandersetzungen der Versuch
unternommen, die demokratische Entwicklung und die politische Herrschaft
in strukturell (-fatalistischer )Manier derart zu artikulieren, dass die
politische/kulturellen Entwicklungen der Neuzeit als negative
Entwicklungen reflektiert und reaktionäre Schlüsse gezogen werden. Z.B.: zurück zu
elitären politischen Strukturen, gegen demokratische Massenbewegungen und
Massenkultur, Begründung der Sozialität durch das unartikulierbare Erbe
der Volksgemeinschaft, Artikulation der Individualität gegen die Masse
als „eigentliches Selbst“ in der „jemeinigen Besonderheit“
(Heidegger). In
der chinesischen Kunst, insbesondere in der Malerei, ist die genannte
Selbstreferenzialität und strukturelle (-fatalistische) Systemsicht der
Welt schon lange verwirklicht. Bild-Elemente, Techniken, Motive,
Kompositionen .. sind vorhandene Elemente einer Malerei, welche mit
standardisierten ideologischen Bedeutungen versehen sind, das ist typisch
für eine Gesellschaftsformation, welche für sich keine Entwicklung
kennt. Nicht
die kritische Reflexion der Verhältnisse der Herrschenden, die aufrüttelnde
(politische) Anklage mit ihren Bezügen zur Realität (dem Außen) sind
der Gegenstand der Kunst, sondern Differenzierungen, Nuancen aller
genannten Elemente - Harmonie und Ausgewogenheit im Geiste des Produzenten
und Betrachters. Die
Globalisierung des kapitalistischen Systems stellt die Frage nach der Weltkunst
im Weltsystem oder nach den non-kapitalistischen Künsten. Aber gibt es
eine dauerhafte Partialität der Ideologien, wenn sich die materiellen
Bedingungen des Lebens verallgemeinernd angleichen? |