M.E.L.

Die chinesische Malerei der Gegenwart
durch „Das grosse Glas“ Duchamps betrachtet

2. Galeriegespräch am 5. Dezember 2000, 19.00 Uhr

Xue En Wei




Xian Wei Yun (VRCH), Rote Trauerweide


"exzentrisches aus dem reich der mitte", M.E.L., 25. 11. 2000



Kalligrafie, Yu Feng


Yu Feng, o.T.



Lesung Eva Linder/Gabriele Stöger



Du Fei (li.) vor ihren Radierungen, Yu Feng



Publikum am 25. 11. 2000



Börnie Kulisz, Fernöstliches Klavier



Publikum am 25. 11. 2000

M.E.L. Kunsthandel KEG
Reinhold Sturm
Hägelingasse 5/6a
1140 Wien

[email protected]

Das Grosse Glas Duchamps („Die Braut von ihren Junggesellen entblößt, sogar“ ....), das 1923 entgültig unvollendet ausgestellt wurde, stellt den künstlerisch realisierten Anspruch Duchamps an die moderne Bildende Kunst dar.

Duchamp lehnt  die „Netzhautmalerei“ ab, das heißt die Objektproduktion der Maler für den „geschmäcklerischen“ Genuss, welche seit dem Impressionismus bis zu Picasso und noch heute - nach Duchamp- die zentrale antiquierte Methode der Kunstproduktion darstellt. Duchamp sieht die künstlerische Realisierung der Produktion von Ideen  als einzig innovative Methodik in seinen Werken realisiert.

Während Picasso als der Künstler der sinnlichen Zeit, der Beschleunigung, der Visionen und Mythen gilt, wird Duchamps Innovation mit der Verlangsamung, der strukturierten Darstellung komplexer Texturen identifiziert. Direkter Vorgänger Duchamps ist kein Maler, sondern der Dichter: Mallarme´.  Duchamps Werk/Artikulation ist die ironische Kritik der Malerei von der Renaissance bis heute, als Malerei, welche den sinnlichen Genuss und dessen Produktion über die „Farbtube“ nach seiner Meinung zum Ziel hat. Octavio Paz sieht mit Duchamp in das Grosse Glas  das letzte große Werk des Okzidents der herkömmlichen Malerei, welche den Weg zur Malerei der Zukunft eröffnet. Radikal  behauptet Duchamp „ Der Betrachter schafft das Bild“ und versucht Kunst und Leben, Werk und Betrachter zu versöhnen.

Während also Picasso und andere Maler der Moderne am Simulacrum, dem Kunstwerk , arbeiten, welches als Erlebnismaschine der Sinnesvorstellungen der Betrachter  funktioniert – produzierte und verweigerte Duchamp die schwierigste Kunst, welchen den Betrachter nötigt ein Künstler zu werden.

Mit der Entwicklung der kapitalistische Gesellschaft und dem beschleunigt erfolgtem Umbau der bisherigen Sozialitäten, deren subjektiven Elementen/Motoren und Energien, wird ein doppeltes Missverständnis in den Kunsttheorien des Westens deutlicher erkennbar:

  • Kunst sei in der Modernen dem hedonistischen Geschmacke verfallen

  • Kunst habe Erkenntnis-/Aufklärungscharakter zu verwirklichen

Duchamp und auch alle anderen bildenden Künstler erzeugen mit ihrem Werk - welche Motivationen und Absichten sie auch immer zu verfolgen meinen – eine Wahrnehmungs-/Erkenntnismaschine, welche mit der aktiven/reflektierten oder „passiv“/genießenden Haltung der Kunstkonsumenten eine virtuelle Erlebnisrealität im Subjekt schafft.

Die ideologischen Konzepte, welche sich die Künstler und deren Interpreten bilden sind – eingebettet in das jeweils dynamisch sich entwickelnde Ideologiesystem unserer Gesellschaft – als marktwirksames Differenzierungspotential wirksam. Insbesondere sind Interpretationssysteme von besonderer Bedeutung, wenn sie weit verbreitet und quasi hermetisch gegen andere Konzepte wirken. So eben die umfassende Rezeption und Interpretationsliteratur über Duchamp in Abgrenzung zu Picasso. Diese Abgrenzung, welche zeitweilig dazu führte, dass Picasso in bestimmten Intellektuellenkreisen der USA und Europa nicht mehr erwähnt wurde, war auch wesentlich durch die ideologischen Kämpfe im „Kalten Krieg“ induziert.

Sex und Erotik als Benzin der Kunstmaschine im Grossen Glas, mit Klossowski im Aufsatz „Lebendige Münze“ wirken nach dieser Auffassung als Kapital (gesellschaftlicher Automat) der Emotionen, welche der Kunst die Energie liefert und sie über das arbeitende Subjekt in die Ökonomie speist.

In der „okkultistischen“ Auffassung Duchamps wird die Kunst  gegen die Dynamik des Kapitals und seiner Menschen gewandt, in gleichzeitig  irrationaler Verbindung mit der herrschenden Ideologie, welche im sexuellen Begehren den Motor des individuellen Habitus sieht. Damit ist Duchamps und seiner Anhänger Auffassung über die Kunst gerade wegen ihrer Ambivalenz gut instrumentalisierbar und bewirkt trotz aller Ironie ein affirmatives Kunstverständnis.

In den Gesellschaften, welche in ihrer Kultur und Kunst die Adaption an das kapitalistische System noch nicht/nicht weit genug vollzogen haben, wirken noch die stabilisierenden Traditionen der Kunst, welche das kontemplative Ideal der herrschenden Ideologie subjektiv realisieren lassen.

Insoweit gibt es eine enge Beziehung zwischen einer Kunstauffassung, welche Methodik, Stilelemente und Bedeutungselemente mit Bedeutung überdeterminiert und philosophisch systematisiert – wie in der chinesischen Malerei – und Duchamps Verständnis der bildenden Kunst.

Bildelemente, Bildkomposition und Text, damit  Bedeutungen, beliebig tiefe Konnotationen werden als eigentliches Ergebnis des Kunsterlebnisses gesehen.

Duchamp übertrifft seine Ambivalenz des großen Glases mit seiner Assemblage „Gegeben sei...“ insoweit er damit eine „Maschine“ produzierte, welche einerseits die virtuelle Realität der heutigen Cyberkunst  mit ihrer Quasiprozessualität vorwegnimmt, andererseits zu Interpretationen Anlass gibt, welche die Rücknahme des Simulacrums in die Ideenwelt der Philosophie nahe legen. .....

Dazu  produzierten er und seine zahllosen Interpreten ein unübersehbares Netz von Ideen und Texten im Sinne der Philosophie des Existentialismus, der Heideggerschen Fundamentalontologie, des künstlerisch gewendeten Solipsismus...

Nach dem zweiten Weltkriege hat das kapitalistische System, welches schmerzhaft seine eigene historische gesellschaftliche Basis in grausamen Krisen  umbaute und nach den Beschleunigungen und Verzögerungen durch die beiden Weltkriege in den Siebzigerjahren die materielle Produktion zur Massenproduktion entwickelte und die geistige Produktion als eigenständige Produktionssphäre etablieren konnte auch die Sphäre der Kunst zu einer eigenständigen Produktionssparte der Geistigen Produktion  entwickelt  und mit eigenständigen industriellen Produktions-, Distributions- und den entsprechenden Konsumationsinstrumenten etabliert.

Damit wird auch die Kunst im Sinne eines gesellschaftlichen Automaten selbstreferenziell in dem Sinne, dass immanente Standards, innerkünstlerische Expertenurteile institutionalisiert und über die großen industriellen Aufkäufergruppen (Christies, Sotheby's, Guggenheimmuseums...) globalisiert werden. Die Kunst stellt somit Stoff, Methode und Expertenpublikum im Bereiche der Innovations- /Marktspitzenproduktion. Kunst wird zum Distinktionsmedium der „zugelassenen“ Personengruppen, Kapitalien und Institutionen im Kampf um das profitable IMAGE.

Der menschliche Kunstsinn (die durch die Kunstprodukte/prozesse angesprochenen und entwickelten Sinne) wurde quantitativ und qualitativ durch die gigantische Ausweitung des Kunstmarktes entwickelt, die Kunstindustrie stellt das aufgeschlagene Buch der menschlichen Sinnlichkeit dar – sie ist das „Lustbenzin“ der Braut im Grossen Glas.

Seit Torquille wird in den ideologischen Auseinandersetzungen der Versuch unternommen, die demokratische Entwicklung und die politische Herrschaft in strukturell (-fatalistischer )Manier derart zu artikulieren, dass die politische/kulturellen Entwicklungen der Neuzeit als negative Entwicklungen reflektiert  und reaktionäre Schlüsse gezogen werden. Z.B.: zurück zu elitären politischen Strukturen, gegen demokratische Massenbewegungen und Massenkultur, Begründung der Sozialität durch das unartikulierbare Erbe der Volksgemeinschaft, Artikulation der Individualität gegen die Masse als „eigentliches Selbst“ in der „jemeinigen Besonderheit“ (Heidegger).

In der chinesischen Kunst, insbesondere in der Malerei, ist die genannte Selbstreferenzialität und strukturelle (-fatalistische) Systemsicht der Welt schon lange verwirklicht. Bild-Elemente, Techniken, Motive, Kompositionen .. sind vorhandene Elemente einer Malerei, welche mit standardisierten ideologischen Bedeutungen versehen sind, das ist typisch für eine Gesellschaftsformation, welche für sich keine Entwicklung kennt.

Nicht die kritische Reflexion der Verhältnisse der Herrschenden, die aufrüttelnde (politische) Anklage mit ihren Bezügen zur Realität (dem Außen) sind der Gegenstand der Kunst, sondern Differenzierungen, Nuancen aller genannten Elemente - Harmonie und Ausgewogenheit im Geiste des Produzenten und Betrachters.

Die Globalisierung des kapitalistischen Systems stellt die Frage nach der Weltkunst im Weltsystem oder nach den non-kapitalistischen Künsten. Aber gibt es eine dauerhafte Partialität der Ideologien, wenn sich die materiellen Bedingungen des Lebens verallgemeinernd angleichen?