Die Antwort ist einfach: dasselbe wie die Briten, allerdings in erheblich kleinerem Maßstab was schon am Umfang der beiderseitigen Flottenmacht abzulesen ist und auf etwas anderer Grundlage was für die Beurteilung ihrer Aktion eine erhebliche Rolle spielt.
l. Von einem ökonomischen Nutzen der Falkland-Inseln oder auch des anliegenden Antarktisviertels für Argentiniens Volkswirtschaft kann noch viel weniger die Rede sein als im Falle Großbritanniens und seiner Souveränität über die Malvinas. Im Gegenteil: Nach Auskunft britischer Banken, die über Cash flow und Schuldendienste-Argentiniens allemal noch besser Bescheid wissen als die zuständigen Militärs und Minister in Buenos Aires, geht bereits für die Besetzung und Befestigung der Inseln die letzte halbe Milliarde Dollar an Devisenbeständen der argentinischen Nationalbank drauf; und noch ehe der Krieg überhaupt richtig in Gang gekommen ist, greift die Militärregierung auf die privaten Wertgegenstände ihrer Untertanen zurück und organisiert eine Art nationaler Wohltätigkeitsveranstaltung für die entsandten Truppen: eine Aktion aus nationaler Armut, die dem einzelnen Spender schon gleich gar keine Hoffnung auf künftige Entschädigung läßt, die aber ebensowenig eine Basis abgibt für eine staatliche Spekulation auf künftigen wirtschaftlichen Gewinn. Auch die argentinische Regierung agiert, wie es sich für einen modernen Souverän gehört, frei und in jeder Hinsicht rücksichtslos gegen ihre nationale Ökonomie; nur macht sich diese Rücksichtslosigkeit bei ihr ganz anders geltend als im Falle ihres Gegners, dem die Größe des nationalen Reichtums und die Wucht seiner Produktivität eine "letztlich" zweckmäßige Emanzipation von diesen Gesetzen gestattet. Zwar ist es auch einem argentinischen Kriegsschiff nicht anzumerken, wenn es auf Kredit durch die Weltmeere schwimmt und schießt; die Wucht und erst recht die Dauerhaftigkeit einer Kriegsmaschinerie hängt aber schon davon ab, daß ihr Aufbau und Unterhalt in der Freiheit vorhandenen Reichtums geschieht und nicht unter dem Diktat unfreiwilliger Sparsamkeit. Die souveränen Rechte, die diese Staatsgewalt sich deswegen nicht wirksam und unwidersprechlich herausnehmen kann, wären aus demselben Grund auch kaum zum Vorteil der nationalen Ökonomie auszunutzen: Wo der vom Staat verfügbar gemachte Überfluß schon für die Belange der Souveränität nicht reicht, genügt er schon gleich nicht für den Aufbau einer nationalen Produktion von solcher Effektivität, daß da gleich noch die Antarktis lohnend ins nationale Geschäftsleben einbezogen werden könnte. Indem sie aber genauso agiert wie imperialistische Souveräne, die dadurch die Wohlfahrt ihrer Nation fördern und sichern, nämlich frei gegen geschäftsmäßige Abwägungen von Aufwand und Ertrag, erreicht die argentinische Staatsgewalt bloß das genaue Gegenteil: den Ruin des Restbestandes an nationaler Ökonomie, den sie seit Jahren mit wachsendem Mißerfolg zur Grundlage ihres Materialismus zu "entwickeln" sucht.
2. Jenseits aller Nutzenkalkulation geht es der Regierung Argentiniens mit der Besetzung der Falkland-Inseln um die weltpolitische Freiheit selbst, die sie sich souverän will herausnehmen können; um Maß und Anspruch ihrer Souveränität. Die antibritische "Frechheit", die sie sich da zum höchsten Anliegen macht, ist allerdings eine verräterische Angelegenheit.
Ein Staat, dessen weltpolitische Interessen sich schlüssig in dem Willen zusammenfassen, die Herrschaft eines anderen über ein benachbartes Gelände als "Überrest des Kolonialismus" 'zu definieren und diese paar hundert Quadratkilometer unter die eigene Hoheit zu bringen, der gesteht damit praktisch ein, daß er ganz gewiß nicht zu den Machern und Nutznießern der erreichten imperialistischen "Weltordnung" gehört. Denn Staatsgrenzen sind für ihn ja offensichtlich nicht die rechtliche Grundlage, auf der er seine Ansprüche an und Einflußnahme auf fremde Souveräne abwickelt, sie zur Kooperation bewegt oder unter Druck setzt, sondern die wirklichen harten Schranken aller Kalkulationen, zu denen er in der Lage ist. Das heißt aber: Er hat nichts als sein Gebiet in die internationale Konkurrenz einzubringen. Und das heißt wiederum: Das weltpolitische Interesse, für das er einsteht, ist seiner Grundlage nach nicht eines, das von seiner eigenen nationalen Gesellschaft ausgeht und sich auf fremde Weltgegenden erstreckt, sondern ist eines, das an ihm und seinem Staatsgebiet genommen wird. Sein "Anti-Kolonialismus" ist tatsächlich der Wille, autonom die Erbschaft des Kolonialismus anzutreten: sich zum Souverän über ein Interesse zu machen, das ganz woanders zu Hause ist, sofern und soweit es sich auf den eigenen nationalen Zuständigkeitsbereich erstreckt.
Deswegen war auch die argentinische Okkupation der Falkland-Inseln von Anfang an nicht darauf berechnet so wie die britische Reaktion , an ihnen aus eigener Machtvollkommenheit die nationale Zuständigkeit für ein Prinzip der internationalen "Rechtsordnung" zu vollstrecken, sondern ganz auf Duldung durch die für die "Weltordnung" in erster Linie zuständige Macht, nämlich durch die USA. Schon die "klassischen" antikolonialistischen Befreiungskriege konnten ja überhaupt bloß geführt werden, weil es ein auswärtiges, den Zwecken der Kolonialmächte überlegenes Interesse gab, diese alte Form wohlgeordneter Weltherrschaft zugunsten einer Welt von benutzbaren autonomen Souveränen zu überwinden; und auf etwas anderes als dieses auswärtige Interesse an ihnen konnten die so entstandenen Souveräne auch gar nicht als ihre Existenzgrundlage zählen. Argentinien vollführt seinen "antikolonialistischen Befreiungsschlag" mit eigenen Machtmitteln; Grundlage seiner Hoffnung auf Erfolg ist aber ebenfalls nicht die Gewißheit, der britischen Macht ernstlich standhalten zu können, sondern die Kalkulation auf ein Interesse an der eigenen nationalen Souveränität, um dessentwillen die britische Macht gar nicht erst zum Einsatz käme.
Auf welches Interesse an ihr und ihrem Erfolg die argentinische Regierung sich da verlassen- hat, geht aus ihrer Beschwerde über mangelnde Solidarität der Vormacht der eigenen "Hemisphäre", der USA, und ihrer Selbstdarstellung als "westliche Macht" ebenso deutlich hervor wie aus der Selbstverständlichkeit, mit der die westliche Weltöffentlichkeit den Krieg wenig begeistert als "Streit unter Freunden" rubriziert. Die Staaten Südamerikas gelten nicht mehr als problematische Freunde der USA, die jenseits des Ost-West-Konflikts als fraglose westliche Einflußsphäre mit besonderen Chancen und Schwierigkeiten zu behandeln und zu benutzen sind. Diese vom alten US-Präsidenten Carter unter dem idealistischen Obertitel der Durchsetzung der "Menschenrechte" sowie der Kritik undemokratischer Verfahrensweisen auch von Verbündeten betriebene Politik einer "Entwicklung", die auf eine eigenständige ökonomische und politische Zukunft dieser Staaten spekulierte, ist mit der Reagan-Linie der antikommunistischen Formierung der Staatenwelt abgelöst. Die neue ideologische Sprachregelung, derzufolge es sich bei prowestlichen Gorilla-Regimes um "autoritäre" Staaten handele, die allemal zehnmal besser wären als die "totalitären" des "Ostblocks", war das öffentliche Signal für die neue Sorte von Ansprüchen, die die Vormacht der freien Welt seither tatsächlich an diese Staaten stellt: Sie sollen sich nützlich machen für das absolut übergeordnete Anliegen, die ganze Welt zu einer einzigen feindlichen Bedingung für sowjetische Selbstbehauptungsinteressen auszugestalten. Der Erfüllung dieses Auftrags ist fortan jede Spekulation auf diese Länder als nützliche Anlagesphäre für westlichen Reichtum, als zukunftsträchtige Zulieferer und Kunden, Schuldner und Rohstofflieferanten strikt untergeordnet.
Die argentinische Regierung hat diesen Auftrag von Anfang an klar begriffen, als Beilegung der von Präsident Carter angezettelten Streitigkeiten um "Menschenrechte" begrüßt und mit einer entschieden prowestlichen Linie in ihren Beziehungen zu anderen "blockfreien" Staaten der "3. Welt" honoriert. Mit derAusbildung und militärischen Unterstützung salvadorianischer Regierungstruppen wie nicaraguanischer Regierungsgegner hat sie den von der Reagan-Administration angeordneten lateinamerikanischen Antikommunismus in die Tat umsetzen helfen. Unter diesen neuen Kriterien hat sie -ihre weltpolitische Nützlichkeit und Wichtigkeit so hoch eingeschätzt, daß es ihr offenbar fällig erschien, mit der Besetzung der Falkland-Inseln diese für ihre Macht beanspruchte Unentbehrlichkeit und Wichtigkeit praktisch zu dokumentieren und anerkannt zu bekommen. Nicht, als ob die regierenden Militärs durch die Eroberung der südatlantischen Inseln zur lateinamerikanischen Führungsmacht hätten werden wollen. Umgekehrt: In dieser- Aktion haben sie -vom Standpunkt einer zuständigen regionalen "Ordnungsmacht" aus gehandelt, sie 'haben ein Faktum geschaffen, das ein Staat sich nur auf einer solchen Grundlage leisten kann, und damit haben sie ihren Anspruch angemeldet, als südatlantische "Ordnungsmacht" respektiert zu werden. Sie wollen mit der blanken Präsenz ihrer Macht, darin eingeschlossen die Kontrolle über ein strategisch interessantes Seegebiet, die "Verantwortung" "erben", die die alte britische Weltmacht nicht mehr wahrnimmt, und so die souveränen Mitmacher bei der neuen sowjetfeindlichen Ordnung der Welt durch den Westen sein. Das Rätsel der "Neuen Zürcher Zeitung":
"Das Kriegsabenteuer auf den Falkland-Inseln geht überdies zu einer Zeit vor sich, da sich Argentinien um eine Neuorientierung seiner Außenpolitik in prowestlichem Sinne zu bemühen schien, vor allem um einen Schulterschluß mit Washington ... Erst unter Galtieri begann man sich seit Jahresanfang aus der Gemeinschaft der Dritten Welt zu lösen. Wie der Handstreich vom letzten Freitag mit Galtieris prowestlicher Neuorientierung in Übereinstimmung gebracht werden kann, ist allerdings schwer ersichtlich. "(NZZ vom 7.4.).
löst sich damit andersherum leicht auf: Wie "prowestlich", also dienstbar und funktional für die globalen Interessen des Imperialismus die argentinische Regierung sein will, das stellt sie, mehr noch als mit ihren Militärhilfen für die Kollegen in El Salvador und gegen die regierenden "Kommunisten" in Nicaragua, durch die antibritischen Frechheiten klar, die sie sich im Namen dieser-ihrer Nützlichkeit meint herausnehmen zu dürfen.
Um der souveränen, eigenverantwortlichen Wahrnehmung und .nationalen Ausnutzung ihres imperialistischen Auftrags willen tut sich eine Staatsmacht als Aggressor hervor. Was beispielsweise Israel kann und darf oder auch Südafrika, das möchte Argentinien auch: zum leibhaftigen Beweis dafür werden, wie gut eine Staatsmacht es hat in der Staatenwelt, wieviel sie sich herausnehmen darf als nützlicher Freund der USA.
Gemünzt ist dieser- Beweis nicht zuletzt auf die Konkurrenten um die Position derjenigen südamerikanischen Macht, an der das imperialistische Interesse an der Region sich respektvoll zu orientieren, d. h. deren Geltungsbedürfnis es vor allem zu pflegen und auszunutzen hat. Mit Chile wäre es im Verlauf dieser- bereits traditionsreichen Konkurrenz schon fast zum Krieg um ein paar Landstriche gekommen, durch deren Besitz Argentiniens westlicher Nachbar überhaupt in der glücklichen Lage ist, auch eine atlantische Macht zu sein hätte sich nicht der Papst mit seinem weisen Richterspruch, fast wie einst bei der Aufteilung Südamerikas zwischen dem spanischen und dem portugiesischen Herrscherhaus, als Äquivalent für einen Krieg bewährt. Und auch im Vergleich mit Brasilien will Argentiniens Staatsmacht als diejenige dastehen, an der niemand vorbeikann, der sich um Einfluß in der Region bemüht.
3. Dummerweise - eine Art historisches Pech für das Land ist Argentinien mit seiner Aktion allerdings nicht, wie Israel oder Südafrika, auf einen Kontrahenten gestoßen, den die westlichen Mächte selber schon halb und halb zum Feind erklärt oder doch als nur bedingt nützlichen Gesellen eingestuft haben, sondern ausgerechnet auf eine der drei bis fünf Nationen, die neben den USA und der Sowjetunion noch einige autonome Macht besitzen. Noch dazu eine fast tragische Ironie der Geschichte ist die argentinische Regierung mit ihrem Versuch, die von den USA gewünschte und eingeleitete kriegsvorbereitende Sortierung, Formierung und Durchorganisation der Staatenwelt für sich zur Gelegenheit zu machen, auf einen Kontrahenten gestoßen, der genau dieselbe Situation seinerseits als Chance nimmt, die Wichtigkeit der eigenen Macht für diesen Zweck in eine Erneuerung seiner weltweiten politischen und militärischen Zuständigkeit umzumünzen, und der deshalb den argentinischen Übergriff als Gelegenheit für eine entsprechende Klarstellung wahrgenommen hat. Und schließlich dies der dritte Witz an der Angelegenheit verbietet sich mit genau dieser "Weltlage", die da Argentiniens Herrscher für sich nutzen wollten, für die maßgeblichen imperialistischen Mächte die positive Spekulation auf den so leicht ausnutzbaren Nationalismus nachkolonialer und antikolonialisti-scher Staatswesen, wie sie zu Zeiten der »Entkolonialisierung" den alten Mutterländern wie deren Konkurrenten so geläufig war und auch gelungen ist. Es stehen eben keine für den modernen Imperialismus dysfunktionalen Kolonialreiche mehr zur Auflösung an, sondern die Klarstellung eindeutiger Ein- und Unterordnungsverhältnisse im Rahmen der einen entscheidenden Weltfeindschaft. Deswegen ist für die USA der Falkland-Krieg keine "Suez-Krise", sondern der Machtbeweis eines Verbündeten, auf dessen Macht sie zählen; und für die Sowjetunion gibt es schon überhaupt nichts auszunutzen.
Über den Ablauf der Auseinandersetzung ist damit alles Wesentliche vorentschieden.