Inhalt

4. Kapitel

Krieg und Innenpolitik

l. Staaten, mit denen die demokratische Weltöffentlichkeit unter globalstrategischen Gesichtspunkten sympathisiert, können sich einiges an weltpolitischen Freiheiten und Frechheiten herausnehmen und dabei doch auf ein breites Verständnis rechnen: Unter dem Taufnamen ,,Sicherheitspolitik" wird ihnen das Streben nach Übermacht gegenüber ihren Nachbarn, so manche Militäraktion in fremde Länder hinein, die Anwendung brutalster "Gewalt als Mittel der Politik" als legitimer Staatszweck zugestanden. Dieses Verständnis verliert sich aber in genau dem Maße, wie die außenpolitischen Aktivitäten einer Nation der parteiischen Weltlagebeurteilung dysfunktional, überflüssig oder schädlich erscheinen. In dem Maße will der demokratische Sachverstand ,,legitime Sicherheitsinteressen" nicht mehr entdecken können und macht für das, was er nicht billigen mag, ein Interesse der zuständigen Regierung verantwortlich, das er sich zu gleichen Teilen aus der demokratieidealistischen Vorstellung einer Abhängigkeit der Regierung von ihrem Volk und aus der Verurteilung ihrer Politik als einer demokratisch gar nicht zu billigenden Machenschaft zusammensetzt. Die herrschenden Figuren hätten mit ihren außenpolitischen Abenteuern eine Ablenkung der Massen, eine Vertuschung innerer Schwierigkeiten im Sinn, um sich auf diese Tour über die nationalistische Begeisterung des Volkes dessen Zustimmung zu ihrer Herrschaft zu sichern — so lautet dann die Diagnose über eine unliebsame Außenpolitik. Kein Wunder, daß die gesamte pluralistische Weltöffentlichkeit von links bis rechts sich ohne weitere Absprachen ganz freiheitlich im Nu auf diese Diagnose als gültige Erklärung der von den argentinischen Militärs befohlenen Besetzung der Malvinas geeinigt hat.

Dabei ist diese Erklärung erstens immer widersprüchlich.

Denn wenn ein Volk schon so nationalistisch gesonnen ist, daß seine Mitglieder für Machterweise ihrer Herrschaft ihr Leben zu opfern bereit sind, dann kann es mit ihrer angeblich zu beschwichtigenden Staatsgegnerschaft ja nicht so sehr weit her gewesen sein; dann müßte ihre Opposition sich schon zuvor in einem Vorwurf zusammengefaßt haben, der einer Militärjunta doch wie Musik in den Ohren klingen muß: die Regierung hätte es am glanzvollen Gebrauch ihrer Macht fehlen lassen! Zweitens paßt diese Erklärung aber erst recht auf solche Fälle regelmäßig besonders schlecht, zu denen sie den demokratischen Sachverständigen immer einfällt. Gerade Argentinien ist doch kein Land, in dem die Staatsmacht die Unbotmäßigkeit ihres Volkes besonders zu fürchten hätte. Den bewaffneten Aufstand hat das Militär zerschlagen; und schon der war keineswegs ein Ergebnis der Schwäche der Regierung, sondern der Hilflosigkeit und Verzweiflung einer Unzufriedenheit, der gerade kein wirkliches Erpressungsmittel gegen die Obrigkeit zu Gebote steht — so wie in Staaten vom Zuschnitt europäischer "Industrienationen", in denen der nationale Reichtum auf einer lückenlosen Benutzung des Volkes als Arbeitskraft oder auch als sorgfältig registriertes und überwachtes Arbeitslosenheer, und folglich die nationale Herrschaft auf einer allgemeinen freiwilligen Loyalität der Massen beruhen. Was als Beleg für die "innenpolitische Schwäche des Generalsregimes" und dessen angebliche Not, sich populär zu machen, angeführt zu werden pflegt: die brutal auseinandergeknüppelte Elendsmanifestation wenige Tage vor der Falkland-Aktion, beweist daher das Gegenteil: Die zunehmend verelendeten Massen Argentiniens haben gar keine Waffen in der Hand, mit denen sie ihre Herrscher gefährden könnten. Streiks sind ein Witz und kein ökonomisches Erpressungsmittel, wenn die Zahl produktiv ausgebeuteter Proleten unter die der von vornherein nutzlosen, niemals angewandten Slumbewohner sinkt und der zur politischen Macht nötige Reichtum nur sehr teilweise von dem organisierten Fleiß der Bevölkerung abhängt. Mit einem solchen ökonomisch weitgehend wehrlosen Aufbegehren — die Gewerkschaften sind schon längst gewaltsam lahmgelegt! — wird ein Militär noch allemal mit nackter Gewalt fertig. Für den Zweck der Herrschaft schadet eine brutal unterdrückte Opposition genausowenig, wie eine nationalistische Begeisterung — die ja doch keine Gelegenheit hat, sich nützlich zu betätigen, ausgenommen als Lieferant von freiwilligem Kanonenfutter! — ihr nützen kann. Und daß diese offenkundig dennoch zu erwecken ist, sogar die Paupers sich an der nationalen Großtat berauschen, über die ihr oberster Machthaber sie entsprechend in Kenntnis setzt — Kenntnisse über Längen- und Breitengrade brauchen sie dafür nicht! —, widerlegt erst recht jedes Gerücht von einem drohenden Aufruhr, den die herrschenden Militärs durch eine außenpolitische Glanztat hätten beschwichtigen wollen oder gar hätten abwenden müssen.

Ganz umgekehrt erweist sich da die Handhabbarkeit dieses Volkes: Obwohl kaum jemals auch nur zum Schein als letztes demokratisches Subjekt der nationalen Herrschaft in Anspruch genommen und behandelt, führt es sich wie deren Massenbasis auf, und seine oppositionellen Wortführer stellen ihre Bedenken gegen den militärischen Unterdrückungsapparat zurück, sobald es zu Demonstrationszwecken — und für sonst nichts! — auf die vielen Untertanen einmal ankommen soll.

Die beliebte Theorie von der "Ablenkung durch Krieg", so wie sie zur ideologischen Bewältigung der "Falkland-Krise" in der demokratischen Öffentlichkeit weltweit aufgetischt wird, verrät nichts über Argentinien und seine weltpolitischen Zwecke, geschweige denn seine inneren Verhältnisse, dafür einiges über ihre eigenen Prämissen. Selbstverständlich ist sie für jeden demokratischen Nationalisten — aber auch nur für einen solchen. Man muß nämlich selber erstens ein sehr bornierter Patriot sein und zweitens sich und seinesgleichen in dieser Eigenschaft für irgendwie ziemlich wichtige Mitglieder der Nation halten, um es für das Selbstverständlichste von der Welt zu befinden, daß Leute über die Vergrößerung des Territoriums, über das ihre Herrscher verfügen, Freude und Begeisterung empfinden, und zwar so viel, daß sie darüber ihre eigenen drückenden Sorgen, ja ihre Existenznot glatt vergessen. Daß einem selber ein Krieg durchaus als Argument für nationale Einigkeit einleuchtet, das ist die eine Mitteilung, die die ,,Ableitung" des Falkland-"Abenteuers" der argentinischen Junta aus der Unzufriedenheit ihrer Volksmassen enthält. Die andere besteht in einem sehr interessanten Vorwurf:

Genau das, was man für die eigenen »zivilisierten" Verhältnisse durchaus als guten politischen Grund akzeptiert, soll im Falle der argentinischen Gewaltherrscher ein manipulativer Mißbrauch des Patriotismus sein, eine bösartige Machenschaft. Erst stellt man sich die Kriegspropaganda der regierenden Generäle wie die politische "Überzeugungsarbeit" demokratischer Parteien in einem regulären Wahlkampf vor — ein schönes Eingeständnis bezüglich der "Argumente", die man sich dort erwartet! —, um ihnen dann den Vorwurf zu machen, dabei kämen die "eigentlichen Probleme" des Landes, nämlich seine innenpolitischen und ökonomischen, gar nicht vor — ein Anwurf, den Margaret Thatcher von der demokratischen Weltöffentlichkeit kaum zu hören bekommt. Denn das Verdikt über ihre argentinischen Kontrahenten lebt ja von der Überzeugung, daß außenpolitische Ambitionen, wie sie einer klassischen Weltmacht wie Großbritannien wohl anstehen oder zumindest zuzugestehen sind — ihre Fähigkeit, sie machtvoll geltend zu machen, reicht als Grund dafür voll aus! —, sich für ein Land wie Argentinien nicht gehören: Es hat ja nicht einmal das eigene Volk gescheit im Griff und verfügt weder über genügend nationalen Reichtum noch über genügend autonome Militärmacht, um seinen Ambitionen wirklich unwidersprechlich Geltung zu verschaffen. Der in dem "Ablenkungs"-Vorwurf enthaltene höhnische Hinweis, die Generäle sollten sich doch erst einmal um eine ertragreichere Benutzung und produktivere Befriedung ihrer eigenen Untertanen verdient machen, ehe sie sich auf das Feld imperialistischer Konkurrenz wagen, erfolgt vom Standpunkt der Selbstgerechtigkeit eines auf Fleiß und Gehorsam des eigenen Volkes bestens begründeten imperialistischen Erfolgs. Den Qualitätsmaßstäben dieser Selbstgerechtigkeit genügt Argentiniens Regierung nicht; folglich sind imperialistische Aktionen von ihrer Seite ein Abenteuer, das ihr gar nicht zusteht.

Unter diesen Vorzeichen nimmt die sonst so verständnisvolle demokratische Öffentlichkeit sich denn auch mit einem Mal jede Freiheit, die Verwerflichkeit der argentinischen Diktatur, bisher bloß von den Moralisten von "Amnesty International" mit einer öffentlich als mehr oder weniger ehrenwerte Marotte abgebuchten Kritik bedacht, "schonungslos" ans Licht zu zerren. Die regierungstreuen Zeitungen Großbritanniens, dessen Flotte den Argentiniern noch vor Wochen das Raketenschießen beigebracht, dessen Waffenindustrie ihnen Kampfwagen und Gewehre verkauft, dessen Banken ihnen Kredite gegeben haben, dessen Diplomaten bei ihnen als Verbündete aus- und eingegangen sind, empören sich auf einmal über die bislang mit Stillschweigen übergangenen Scheußlichkeiten der militärischen Unterdrückung im Lande — warum? Weil jetzt 1800 britische Seelen den blutrünstigen Herrschern in Buenos Aires anheimfielen — dabei ist die britische Kolonie in Argentinien längst zehnmal so stark, fühlt sich wohl im Lande, und die reaktionären falkländischen Schafzüchter sind unter Garantie die letzten, die zu einem Militärregime in einen freiheitlichen Gegensatz geraten dürften. Die Münchner tz, Boulevard-Blatt der bayerischen Pinochet-Freunde von der CSU, entdeckt jetzt ihr Herz für die wöchentlich protestierenden Angehörigen der verschwundenen Junta-Opfer — warum? Weil sich ein so schöner Hohn über die außenpolitische "Großmannssucht" der zu weit gegangenen Regierung daraus machen läßt:

"Keiner in Argentinien ist tapferer als die .Mütter von der Plaza de Mayo'. Jeden Donnerstag setzen sie ihr Leben aufs Spiel." "In Argentinien stehen die .Mütter von der Plaid de Mayo' jeden Donnerstag vor dem Palast des Präsidenten und erinnern das Land und die Welt daran, daß von diesem Haus Verbrechen ausgehen oder gedeckt werden, die mit vaterländischen Ruhmestaten und Soldatenehre nichts zu tun haben." (tz, 16.4.82)

Die ganze Logik, die Moral und die Wucht dieser kritischen Aufmerksamkeit, der die "Menschenrechtsverächter" auf den argentinischen Regierungssesseln sich so plötzlich erfreuen — ausgerechnet die "Frankfurter Allgemeine" möchte sich wünschen,

"daß den rabiaten Militärs in Buenos Aires, stellvertretend für manches andere dieser rechtsverachtenden Generalsregime in aller Welt, eine heilsame Lehre erteilt" wird (FAZ vom 5.4.81)

liegt in ihrer imperialistischen Klarheit und Entschiedenheit;

Die Dienste Argentiniens sind willkommen, und dafür hat seine Regierung, nach US-Lesart eine "befreundete autoritäre Herrschaft", freie Hand: Ansprüche, gar solche gegen die Interessen ehrbarer Westmächte, sind daraus aber nicht abzuleiten, andernfalls handelt es sich bei den Junta-Generälen um blutrünstige Diktatoren, die bestraft gehören.

2. Was der demokratische Sachverstand den argentinischen Generälen gerne als Machenschaft unterstellt — sie hätten mit einer außenpolitischen Glanztat ihr unzufriedenes Volk wieder zur Loyalität bewegen wollen —, das stellen sich Skeptiker des britischen Vorgehens im Falle der britischen Demokratie mit Vorliebe genau andersherum vor: als Zwangslage der Regierung, der ihre Basis keine andere Wahl ließe. Insbesondere in den ersten Tagen des Konflikts, ausgerechnet als mit dem Entschluß der Entsendung der Flotte die Entscheidung für den Krieg fiel, war das Gerücht recht beliebt, die Premierministern! hätte dem Drängen ihres erzkonservativen Parteiflügels "weichen" müssen; die "Opferung" des "maßvollen" Außenministers Callaghan beweise dies. Tatsächlich ist ja auch nicht zu leugnen, daß eine radikale Fraktion innerhalb der Regierungspartei mit der Forderung nach prompter äußerster Gewaltanwendung sofort bei der Hand war. Dies ernst zu nehmen, ja überhaupt dem argentinischen Gewaltakt die Qualität eines nicht hinnehmbaren Angriffs auf die britische Souveränität zuzusprechen, war aber dennoch eine von niemandem erzwungene Entscheidung der politischen Führer des Landes. Wer hätte die Regierung denn ernstlich daran hindern können — wenn ihr das besser in ihre außenpolitischen Pläne gepaßt hätte —, den südatlantischen Inselbesitz für total uninteressant, ja für eine jetzt glücklich liquidierte Last zu erklären und diese "Sicht der Dinge" durchzusetzen? Schon zu Ostern wäre der "Konflikt" abgehakt und vergessen gewesen. Gleiches gilt erst recht für "den" konservativen Wähler, unter dessen Druck demokratische Beobachter, die für die britische Aktion selbst nicht genügend Verständnis aufbringen mögen, die Regierung wähnen. Der größte nationalistische Eifer, die Inseln mit Gewalt zurückzuholen, hätte sich schnell blamiert, wäre die Regierung zu anderen Themen übergegangen. Stattdessen hat sie genau das Gegenteil getan, mit ihrer Selbstkritik, diplomatische und militärische "Versäumnisse" betreffend, das nötige Signal gegeben und mit der Entlassung des Außenministers nicht etwa einem autonomen Volkszorn recht und nachgegeben, sondern die Maßstäbe für imperialistische Entschlossenheit gesetzt, an denen sie fortan gemessen werden wollte. Mit welchem Erfolg, das zeigt sich am deutlichsten an der innerbritischen Opposition — die, wie es sich für eine klassische Demokratie gehört, natürlich auch im Krieg nicht schweigt, sondern den Standpunkt konstruktiver Kritik erst recht hochleben läßt.

— Die rechte Opposition hat die von der Regierung benannten und mit jeder ihrer Maßnahmen gleich entsprechend aktualisierten Kriterien britischer Selbstbehauptung radikalisiert, " Bomben aufs Festland" verlangt und so der Regierung Gelegenheit gegeben, ihren bedingungslosen, aber auf ein bestimmtes Einsatzgebiet begrenzten Kriegsbeschluß als Dokument ihrer Mäßigung und Resultat einer vorsichtigen Abwägung hinzustellen.

— Die sozialliberale und die mehrheitssozialistische Opposition hat die regierungsamtlich definierten Aufgaben und Maßstäbe übernommen —

"Brutale, verruchte Aggression muß zurückgewiesen werden durch Taten und nicht nur durch Worte, wo immer sie ihr Haupt erhebt": so Michael Foot, Chef der Labour Party, nach eigenen Worten ein "unverbesserlicher Friedenshetzer", in seiner ersten Unterhausrede zum Thema, die einhellig als schönster und gelungenster Beitrag zur nationalen Scharfmacherei gewürdigt und gefeiert wurde —;

sie ist mit geheucheltem Verständnis, wie das so üblich ist unter Demokraten, auf die Selbstkritik der Regierung eingestiegen -

"Die Regierung mußte einen niederschmetternden Schlag hinnehmen. Allerdmgs auch unser Land; deshalb kann sich meiner Meinung nach niemand freuen oder die Hände reiben": so offen taktisch der Kommentar des früheren Außenministers und sozialliberalen Mit-Parteigründers David Owen —;

und unter den damit gesetzten und bestätigten Kriterien meldet sie Zweifel an der Kompetenz der Regierung an, diesen gerecht zu werden, insbesondere den unter Demokraten besonders tödlichen Verdacht, die herrschenden Figuren möchten womöglich darauf bedacht sein, denen zu gefallen, von denen nach demokratischer Ideologie "alle Staatsgewalt ausgeht", und nicht den "Mut" aufbringen, in der gehörigen Souveränität auch gegen ihre "Basis" "das Nötige" zu tun:

"Die große Gefahr ist, daß sie (sc. die Regierung) in den nächsten Wochen und Monaten im Südatlantik Entscheidungen treffen könnte, um ihr politisches Ansehen daheim aufzupolieren, statt sich nach den objektiv notwendigen Kriterien zu richten": ebenfalls David Owen, der eben offenkundig weiß, wie beliebt unter demokratischen Wählern der Verdacht gegen demokratische Wähler ist, sie wären politische Idioten.

"Beweismittel" für eine Inkonsequenz der Regierung vor ihren selbstdefinierten Zwecken und Pflichten und damit für den angestrebten Schluß, man dürfe das Schicksal der Nation keinesfalls in so schwächlichen und unzuverlässigen Händen lassen — eine Schlußfolgerung, die von den rechtsoppositionellen Forderungen nicht allzu weit entfernt ist —, sind allemal leicht aufzutun:

"Zögert Mister Pym, die Art von Druck auf Argentinien auszuüben, die nötig ist? Denkt er ernsthaft über Alternativen zum Krieg nach? Eine Alternative könnte wirksame finanzielle Sanktionen sein, auch wenn sie die Banken schädigen": so die notorische Parlaments-"Linke" Judith Hart; "Können Sie die Zusicherung geben, daß die Regierung die Truppen, die gegenwärtig zur Verteidigung Belizes eingesetzt sind, nicht reduzieren wird, solange es von Seiten Guatemalas bedroht ist?" — so der Labour-Fraktionssprecher und Schatten-Außenminister Denis Healy.

— Die "linke" Opposition, deren Einfälle bisweilen auch von den Mehrheitssozialisten verwendet werden, meldet schließlich Zweifel an den regierungsamtlichen Kriterien nationaler Außenpolitik selber an — bloß wie! Nicht den regierungsamtlichen Zweck, jeden Übergriff gegen britische Zuständigkeit zurückzuweisen, will sie kritisieren; sie radikalisiert das konstruktive Bedenken, ob denn diese Regierung einer solchen Aufgabe gewachsen sei, bloß zu der Vermutung, diese Aufgabe möchte in der Welt von heute überhaupt etwas zu hoch angesetzt sein

— wenn man sie ernst nimmt, noch ernster als die Regierung selbst:

"... was ist mit der Tatenlosigkeit der Regierung gegen eine andere faschistische Junta, die in der Türkei, die noch immer einen Teil des Commonwealth-Landes Zypern besetzt hält? ... Was gedenken Sie zu tun, um diese Truppen zu entfemen? Was werden sie tun, wenn die Generäle in Ankara sich weigern, ihre Truppen zurückzuziehen?" — so der Labow-Linke Thomas Cox.

Mit den ersten britischen Leichen des Krieges ist dieser Opposition ihr "schlagendstes" Beweismittel in den Schoß gefallen — für ihren furchtbaren moralischen Vorwurf an die Regierung, deren Kriegspolitik wäre ... übertrieben! Diesen Vorwurf, sich übernommen zu haben und nicht mehr Herr der Lage zu sein, liebt die Linke so sehr — einen anderen hat sie doch wirklich nicht! —, daß sie ihn übertreibt bis zu einer geradezu klassischen politologischen Entschuldigung ihrer Regierungschefin:

"Die Wahrheit ist, daß die Premierministerin gar nicht länger in der Verantwortung ist. Sie ist eine Gefangene ihrer Politik, ein Zuschauer der Tragödie, die sie im Begriff ist über das Land zu bringen. ... Mit der Entsendung der Task Force verlor sie die Kontrolle": Tony Benn, Labour-Linker, den rechte Parlamentskollegen am liebsten wegen Hochverrat aufhängen möchten.

— Die Regierung hat es allen diesen Anwürfen gegenüber leicht. Gegen jede Opposition hat sie ja den unschätzbaren Vorteil in der Hand, die Kriterien ihrer Politik nicht bloß theoretisch aufzustellen, sondern durch ihre kriegerische und diplomatische Praxis praktisch so zu verdeutlichen, daß der geneigte Untertan den Geschehnissen entnimmt, was fällig ist, und nach den so gewonnenen Vorstellungen über das Fällige das Geschehen beurteilt. Zwischen diesen beiden Seiten einen Widerspruch auftun zu wollen, das läuft immer auf Hilflosigkeit der folgenden Art hinaus:

"War es notwendig oder klug oder richtig, daß Downing Street diesen Befehl (sc. zur Bombardierung von Port Stanley) gab, bevor der Außenminister den Generalsekretär der Vereinten Nationen getroffen hat?" (Michael Foot)

Eine Frage, die kleinlich erscheinen muß, deswegen mit einem dreimaligen ,Ja, natürlich!" auch leicht abzuschmettern ist, weil sie ja an dem Bombardicrungsbefehl selbst gar nichts auszusetzen hat. Erst recht läßt sich so der "linke" Vorwurf, mit der Produktion wirklicher Leichen schließlich doch zu weit gegangen zu sein, glanzvoll zurückweisen.

"Es ist gänzlich inkonsequent, die Entsendung der Einsatzflotte zu unterstützen und nun dagegen zu sein, sie auch einzusetzen. Mehr noch: Es wäre höchst gefährlich, auf diese Weise zu bluffen. Britische Soldaten und Schiffe würden feindlichen Angriffen ausgesetzt, Argentinien würde an unserer entschiedenen Entschlossenheit zweifeln." (Margret Thatcher)

Deutliche Worte — neben denen der "linke" Verdacht, die Regierung hätte womöglich die Kontrolle über ihre kampfwütigen Kapitäne im Südatlantik verloren, sich ausgesprochen albern ausnimmt. Im Krieg gilt nun einmal unbestritten, daß Brutalität das beste Mittel des Erfolgs und ein rascher Erfolg das einzige Mittel ist, die eigenen Opfer kleinzuhalten. Nach dieser Logik enthalten britische Leichen eine ganz andere Botschaft an die Nation als die "linke", hier wäre der Kriegseinsatz zu weit gegangen: Jetzt erst recht und noch gründlicher zuschlagen, ist die konsequente Parole — damit die entsandten Kampftruppen mangels kampffähiger Gegner sicher sind. (Schließlich ist auch die Atombombe gegen Japan nach freiheitlicher Lesart nur eingesetzt worden, um langwieriges Blutvergießen zu vermeiden und Menschenleben zu sparen!) Daß diese Parole demokratisch-parlamentarisch breitdiskutiert wird, schadet ihrer konsequenten Umsetzung keineswegs. Die beliebte Ansicht, daß Streitigkeiten zwischen Regierung und Opposition der Entschlußkraft eines in außenpolitischen Konflikten engagierten Staates im Wege seien, wurde in England zum vorläufig letzten Male praktisch widerlegt — was angesichts der Tatsache, daß sich demokratische Parteienkonkurrenz auf die beste Erledigung der Staatsmacht richtet, eben höchstens Ideologen der Demokratie "überrascht". Diese ihre "Überraschung" tun sie denn auch in Form der Bewunderung für die "Geschlossenheit" der hohen Herrn im Parlament kund, weil sie — zumindest beim eigenen Staat — die Schädigung des Staatszwecks durch den Streit der Parteien eher fürchten denn "offene Auseinandersetzung" schätzen.

— Vorausgesetzt ist bei diesem demokratischen Meinungsstreit mitten im Krieg nur eins: ein bombenfester demokratischer Nationalismus im "Publikum"; ein Volk also, das in Wirklichkeit genau so beschaffen ist, nämlich "nationale Großtaten" fordert, wie die "Ableitung" der argentinischen Inselbesetzung aus einer zu beschwichtigenden inneren Unruhe es den Argentiniern unterstellt — was keineswegs heißt, was von "kritischer" bundesdeutscher Seite ja auch der Regierung Thatcher unterstellt wird, Großbritannien wäre zwecks "Ablenkung" von einer inneren und wirtschaftlichen Misere in den Krieg gezogen. Praktisch erweist das britische Volk sich als eines, das allemal zwischen seiner privaten Misere und den öffentlichen Angelegenheiten erstens falsch zu unterscheiden weiß, nämlich so, als wäre es mit seinem ökonomischen Einsatz und seiner staatsbürgerlichen Fügsamkeit nicht die Grundlage für all die — friedlichen wie kriegerischen — Zumutungen, die die Regierung ihm bereitet und als seine zu bewältigende Aufgabe vorträgt; zweitens findet es sich konsequenterweise auch dazu bereit, die nötige falsche Beziehung zwischen den nationalen Erfordernissen und dem eigenen Dasein herzustellen, nämlich die Übersetzung der Abhängigkeit vom Gemeinwohl, in die die Regierung mit ihrer Rechtsgewalt das Privatleben jedes einzelnen Untertanen bringt, in einen höchstpersönlichen Auftrag, den man im Interesse des eigenen Wohlergehens zu erfüllen hätte. Dieser Elementarfehler staatsbürgerlicher Gesinnung treibt die demokratische Debatte in allen ihren Spielarten hervor — einschließlich der darin enthaltenen Garantie für die reibungslose Durchsetzung und Abwicklung des "Nötigen". Das aus bundesdeutscher Distanz gepflegte verhaltene Mißfallen am »typisch britischen" Chauvinismus, der da zutage tritt, an Militanz und .Jingoism", gilt lediglich der. umstandslosen Demonstration des Nationalismus, nicht aber seiner geschätzten und vertrauten Grundlage: Was wäre wohl ein britisches Volk ohne Verteidigungs-, also Kriegsbereitschaft einem deutschen "Beobachter" wert? Die nationalistische Erz-Idiotie unter dem Titel eines "demokratischen Verantwortungsbewußtseins" und "Freiheitswillens" teilt er doch allemal! Und an Verrücktheit steht das gebildete Mißfallen an der "rohen" englischen "Kriegslüsternheit" den damit bedachten Einfällen der britischen Öffentlichkeit auch nicht nach. Oder was soll man von einer Geschmackskritik am Krieg halten?!