Der Junge und der Tod
"Was geht mich das an", fragte der Junge .Er war zwölfJahre
alt und lebte seit sechs Jahren allein im Bahnhofsviertel; allein mit den
Ratten, dem Ungeziefer und dem Müll.
"Lassen sie mich in Ruhe, Mister."
Ab und zu schaute mal ein Penner bei ihm vorbei; doch nie
wurde er von ihnen mißbraucht - es geschah, wenn! es geschah, immer
von ihm aus: freiwillig, freizügig, freiherzig.
"Was wollen Sie eigentlich von mir?"
Der Mann im Trenchcoat sah ihn aus seinen engen Augenschlitzen
an. "Dich hier 'rausholen, Junge", sagte er.
"Warum? Ich habe hier schon immer gelebt. Und das sehr gut.
Also lassen sie mich jetzt bitte in Ruhe, ja?" Der Junge zog schnell an
seiner Zigarette; er war nervös.
"Ich sagte, hier in der Gegend halten sich nicht einmal verlauste
Straßenköter auf." Der Mann nahm nun seine Hände aus den
Manteltaschen und ließ sie neben sich hängen, als wüßte
er nichts anderes damit anzufangen.
"Und ich sagte, was geht mich das an", gab der Junge trotzig
zurück.
"Das geht dich soviel an, wie es ausdrückt; ich werde
dich mitnehmen." Der Mann ging einen Schritt auf den Jungen zu.
"Fort von hier? Sie spinnen, Mister. Wenn ich ihnen einen
blasen soll, mir soll's recht sein. Hier ist außer uns niem..." Der
Junge spürte seine Wange heiß anlaufen, während der Mann
seine Hand langsam wieder zurückzog. Nun schrie der Junge: "Was wollen
sie von mir Mister!?
Seine Wange wurde nicht von den lauwarmen Tränen abgekühlt.
Als er den salzigen Geschmack auf den Lippen spürte, die seine Zunge
gerade ableckte, wußte er, daß er mitkommen mußte: die
Tränensäcke ließen sich nicht mehr schließen.
"Ich will, daß du mit mir kommst, Junge."
Der sanfte Ton machte den Jungen verlegen. Zögernd griff
er nach der ihm entgegengestreckten rauhen, aber gepflegten Hand.
"Komm, mein Sohn. Keiner kann hier überleben; auch du
nicht."
Der Penner, der den Jungen fand, konnte nicht verstehen,
wie er sterben konnte; er hatte sich doch schon sechs Jahre allein durchgeschlagen...
Nun muß ich mir wohl wieder selbst einen 'runterholen,
dachte der Penner.