Die Beichte
Seine Schritte hallten in der großen
Halle wider. Das Echo, das erschall, wenn sein schwerer Spazierstock auf
den steinernen Boden aufsetzte, ging in einem stumpfen Klopfen in den hintersten
Reihen der Kirche unter.
Der hagere Mann ging geradewegs auf
die erste Bankreihe zu. Sein aufrechter Gang schien weltmännisch.
Er verbeugte sich in Richtung des Altars, schloß für einen kurzen
Augenblick die Augen und nahm Anfang der Reihe Platz. Sein ausdrucksloses
Gesicht überzeugte von stiller Trauer. Der Mann zu seiner linken,
in ein Gebet vertieft, nahm seine Anwesenheit nicht wahr; die Lippen formten
stumm die Worte, die nur ER hören sollte.
Außer dem betenden Mann waren
nur noch zwei ältere Frauen in der Kirche.
Er stand auf. Auch er hatte gebetet.
Still, anteilnahmslos und nicht den strengen Regeln der katholischen Kirche
entsprechend, aber er hatte gebetet. Auf, daß sie ihren Frieden finden.
Wieder hallten seine Schritte, wieder
das stumpfe Klopfen, wenn sein Stock aufsetzte. Der Beichtstuhl befand
sich an der linken Seite der Kirche, vom Portal aus gesehen, und der hagere
Mann sah, daß er leer war: die Vorhänge waren zurückgezogen.
Er blickte finster drein, doch als er merkte, daß er beobachtet wurde,
nahm sein Gesicht wieder diese Ausdruckslosigkeit an. Es war der Priester
der Kirche, der sogleich die Absicht des elegant gekleideten Herrn erkannte;
zügig kam er die Stufen hinunter, die zum Altar führten und ging
auf den Beichtstuhl zu. Als er an dem Mann mit dem Spazierstock vorbeikam,
nickte er ihm zu. Schweigend erwiderte der Mann dem Gruß und folgte
dem Priester. Er nahm auf der gegenüberliegenden Seite Platz und hörte
das gleichmäßige Atmen des Priesters. Das Gitter, die einzige
Verbindung zwischen den Parzellen, wurde zurückgezogen. Ein schwarzes
Tuch aus Seide nahm nun die Stelle des Gitters ein.
"Im Namen des Vaters, des Sohnes und
des Heiligen Geistes", hörte er den Priester sagen.
"Amen", gab er zurück. Er schloß
die Augen.
"Gelobet sei der Herr, der da vergebet
die Sünden von uns, der sie annimmt und uns mit seinem Segen reinwäscht."
Der Priester hielt inne und lauschte.
"Sie dürfen nun beginnen", sagte er leise durch das dünne Tuch.
"Wie bitte? Ich...entschuldigen sie
bitte, Vater."
"Schon gut, mein Sohn, fangen Sie jetzt
bitte an", sagte er mit sanftem Nachdruck.
Der Mann hielt noch immer die Augen
verschlossen. Die Ausdruckslosigkeit war aus seinem Gesicht verschwunden.
Deutlich sah man die tiefen Ringe unter seinen Augen, die er so geschickt
verborgen hatte. Seine Mundwinkel zuckten. Dann begann er.
"Vater, ich habe einen Mann ermordet,
einen Priester, so wie sie es sind."
Die harten Worte trafen den Priester mitten
ins Herz; entsetzt sprach er:"Was haben sie...getan?"
"Ich habe einen Priester umgebracht. Bitte
hören sie mich an", sagte die trockene Stimme des Mannes.
"Herr, vergib mir und laß nicht
wahr sein, was der Mann da redet", nuschelte der Priester zu sich selbst;
die Augen hatte er zusammengekniffen.
"Vater", hörte er die flehende
Stimme des Mannes zu ihm sprechen, "ich bitte sie, hören sie mich
an. Ich..."
"Halte einen Augenblick inne, mein
Sohn", sagte der Priester. Leise sprach er ein Gebet vor sich hin.
"Nun beichte." Die Stimme des Priesters
hatte einen ernsten Ton angenommen.
Der Mann sprach nur sehr langsam. "Ich
war gerade fünf Jahre alt, als ich..." Er stockte.
"Schon gut", sprang der Priester ein,
"sprich weiter."
Zögernd begann der Mann von Neuen.
"Ich ...war fünf, als das passiert war. Mein Vater war schon lange
verstorben, noch bevor ich überhaupt geboren wurde."
Der Priester hörte die Unbeholfenheit
in der Stimme des Mannes.
"Meine Mutter hatte sich fest vorgenommen,
wie ich später von Verwandten erfuhr, mich allein großzuziehen.
Dann eines Tages passierte es, daß..." Schweißperlen bildeten
sich auf seiner Stirn.
"Was passierte", wollte der Priester
wissen.
"Ich sah", sprach der Mann weiter,
"wie sich meine Mutter...oh Gott, ich sah, wie sie sich mit einem Mann
liebte...mit dem Priester aus unserem Dorf! Ich wußte nicht genau,
damals, was sie da machten, ich war ja erst fünf, aber", seine Stimme
wurde ernst und ruhig, "Ich wußte, daß es Sünde war. Irgendwie
hatte ich dann das glühende Eisen, das Schüreisen aus unserem
Kamin, in den Händen...meinen kleinen Händen. Ich hielt es fest
umklammert und ging auf die engumschlungenen Körper zu. Sie hatten
mich noch nicht bemerkt, seit ich neugierig ins Zimmer schlich. So ein
Schürhaken ist lang, müssen sie wissen, Vater. Als ich neben
ihnen stand, ging alles ganz schnell; die glühende Spitze, fast zwanzig
Zentimeter lang, drang wie in Butter in den Rücken des Priesters ein,
und", er klang immer aufgeregter, und seine Hände spielten mit dem
Knauf des Stocks, "mein Gott, ich wollte doch niemanden töten - er
kam vorne beim Priester wieder heraus und bohrte sich direkt wieder ins
Fleisch, diesesmal in das meiner Mutter. Ich merkte nur, wie sich der Priester
einmal kurz aufbäumte, nur ein ganz kleines bißchen, und dann
stank alles so widerlich nach verbranntem Fleisch, und ich bin weggelaufen.
Oh, Vater, es ist ja alles so furchtbar, dabei wollte ich doch nur den
Priester bestrafen, ja, nur bestrafen für das, was er meiner Mutter
angetan hat, verstehen sie, Vater, ich wollte ihn nur be...stra...fen",
weinte der Mann leise vor sich hin; mehr zu sich selbst als zu dem Priester.
Kaum wahrnehmbar hörte der Mann
die Worte des Priesters. "Herr, vergib ihm, denn er wußte nicht was
er Tat." Dann wurde seine Stimme lauter, so daß der Mann erkennen
konnte, daß der Priester nun ihn direkt ansprach: "Mein Sohn, du
hast Unrecht getan, und ich muß dir leider sagen, daß ich dir
die Absolution nicht erteilen kann." Der Priester hatte sich wieder völlig
unter Kontrolle und bemühte sich, alle Gefühle, die er diesem
Monstrum eines Menschen gegenüber hegte, zurückzuhalten.
"Ich sehe", sprach der Priester weiter, "du hast in all den Jahren Reue
geleistet und deshalb will ich deinen Fall dem Bischof vortragen. Nur er
kann entscheiden, was zu machen ist."Dann wurde die Stimme des Priesters
wieder vertrauter. "Aber sag', warum hast du nicht eher die Beichte abgelegt?"
Schweigen kam aus der anderen Kabine.
Der Priester konnte nicht sehen, wie die Tränen des Mannes schwanden,
und wie sich seine Finger nun fester um den Knauf seines Stocks schlossen
und den Degen aus dem Inneren des Stocks hervorzogen. Sein Gesicht hatte
wieder diesen leeren Ausdruck angenommen, den er schon beim Betreten der
Kirche hatte.
Die Spitze des Degens bohrte sich zuerst
durch die dünne Pappwand und drang dann tief in die linke Körperhälfte
des Priesters ein. Ein kleines Loch blieb in der Soutane zurück, etwas
rot am Rand.Der Priester starb sofort, als das kalte Metall ins Zentrum
seines Herzens eingedrungen war.
Der Mann hatte den Degen zurück
in die Scheide des Spazierstocks geführt, als er die Vorhänge
seiner Kabine zurückschob und den Beichtstuhl verließ. Er machte
noch eine Verbeugung in Richtung Altar und ging zum Ausgang der Kirche.
Im Beichtstuhl lag ein bestrafter Priester,
erinnerte sich der Mann noch einmal.
Er tauchte seine Finger in das Weihwasser
und schlug das Kreuz vor seiner Brust. Traurig ging er aus der Kirche.
Er wußte, daß es richtig
war, sie zu bestrafen.
Sie - wenn sie ihm nicht die Absolution erteilten.
Wo wohl die nächste Kirche sein mag, dachte
der Mann mit dem Spazierstock.