Vom
Tod - Jean Cocteau
(1947)
Ich hatte derart unerträgliche Zeiten durchzustehen,
daß mir der Tod als etwas Köstliches erschien. Seither ist mir die
Gewohnheit geblieben, ihn nicht zu fürchten und ihn auszuforschen, Auge
in Auge.
Paul Eluard erstaunte mich, als er sein Erschrecken
darüber äußerte, daß ich unter der Maske des Baron Fantôme, der
zu Staub zerfällt, dem Tod die Stirn biete. Leben verwirrt mich mehr als
Sterben. Ich habe weder Garros noch Jean Le Roy, weder Raymond Radiguet
noch Jean Desbordes tot gesehen. Meine Mutter, Jean de Polignac, Jean
Giraudoux, Edouard Bourdet sind die Toten, denen ich letzthin an ihrem
Sterbelager begegnete. Mit Ausnahme von Jean de Polignac habe ich sie
alle gezeichnet, und man ließ mich mit ihnen lange in ihren Zimmern
allein. Ich habe sie ganz in der Nähe betrachtet, um den Konturen mit
dem Blick zu folgen. Ich faßte sie an, ich bewunderte sie. Denn der Tod
arbeitet seine Statuen sorgfältig aus. Er streicht ihre Falten glatt.
Ich konnte mir noch so sehr einreden, daß sie das, was uns beschäftigt,
nichts mehr angehe und daß ungeheuerliche Klüfte sie von mir trennten,
ich verspürte gleichwohl, daß wir uns so nahe waren wie die zwei
Prägeseiten einer Münze, die sich nicht kennen und doch nur durch die
Dicke des Metalls voneinander geschieden sind.
Ginge es mir nicht allzu nahe, geliebte Menschen, die
von mir noch einigen Bestand erhoffen können, zu verlassen, so würde ich
voller Spannung erwarten, daß der Schlagschatten, der dem Tod
vorausgeht, mich erreicht und sich immer mehr verkürzt. Ich würde einen
überraschenden Gnadenstoß nicht schätzen und auch nicht, daß der Tod
sein Geschäft weitschweifig hinzieht, bis zur äußersten Grenze, an der
er uns endlich gnädig den Rest gibt. Ich möchte vielmehr von jenen, die
mir nahestehen, Abschied nehmen können und mich vergewissern, daß mein
Werk sich frohgemut anschickt, meinen Platz einzunehmen.
Von allem, was den Tod betrifft, stößt mich nichts ab, außer dem Pomp,
mit dem man ihn umgibt. Bestattungen verleiden mir die Erinnerung. Beim
Begräbnis von Jean Giraudoux sagte ich zu Lestringuez: "Gehen wir! Er
ist nicht gekommen". Ich stellte mir vor, daß er in irgendeinem Keller
des Palais Royal ins Spiel mit dem Billardautomaten versunken sei.
Die Leichenfeier für Bourdet war eisig. Es
fror und die Fotografen bestiegen die Kanzel, um uns aufzunehmen und ihr
Magnesium abzubrennen.
Das Hinscheiden meiner Mutter war auch für mich sanft
gewesen. Sie war nicht kindisch geworden. Sie war in ihre Kindheit
zurückgekehrt, sah mich wieder in der meinen, wähnte mich im Gymnasium,
sprach mit mir in allen Einzelheiten über Maisons-Laffitte und härmte
sich nicht ab. Der Tod brauchte ihr nur zuzulächeln und sie still bei
der Hand zu nehmen. Aber unsre Begräbnisstätte, der Friedhof auf dem
Montmartre, ist mir ein Ärgernis. Man stellt uns dort ab, wie in einem
Schuppen. Und die Besoffenen, die über die Brücke torkeln, pissen auf
uns herab.