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10 Stufen des Alkohols

Vom Tod (J Cocteau)

 

Vom Tod - Jean Cocteau
(1947) Seite 2

Gestern besuchte ich einen Bergfriedhof. Mit seiner Handvoll Gräbern lag er unterm Schnee. Von ihm aus folgt der Blick der ganzen Alpenkette. Zwar erscheint's mir
lächerlich, seine letzte Ruhestätte auszusuchen, aber ich dachte an mein Montmartreloch und bedauerte, daß man mich nicht hier oben in die Erde legt.
Nach dem Ableben von Jean Giraudoux veröffentlichte ich einen Abschiedsbrief, der mit den Worten schloß: "Ich werde nicht lange brauchen, um dich einzuholen". Man schalt mich wegen dieses Satzes, den man pessimistisch und mutlos fand. Er war es ganz und gar nicht. Ich wollte damit nur sagen, daß es sich, sollte ich auch hundert Jahre alt werden, nur um Minuten handeln kann. Das aber wollen die wenigsten Leute zugeben, die anderen sehen nicht, daß wir unseren Beschäftigungen nachgehen und Karten spielen in einem Expreßzug, der dem Tod entgegenjagt.

Wenn selbst Mutter Angelika in den Mauern von Port-Royal den Tod fürchtet, wer sollte ihn dann noch als Segen empfinden? Da ist's schon besser, ihn festen Fußes zu erwarten. Es ist Selbsterniedrigung, wenn man nur ihn im Sinne hat, und schnöder Undank, wenn man sich entschuldigt, daß man existiere, als ob das Leben nur ein Versehen des Todes wäre. Werden denn diejenigen besser daran sein, die sich in eine Zelle einschließen und angstzitternd die Akten ihres Prozesses durchforschen? Das Gericht wird nicht danach fragen. Sein Urteilsspruch liegt von vornherein fest. Sie werden nur ihre Zeit vertrödelt haben.
Am besten verhält sich, wer die ihm zugestandene Zeit nützt und sich nicht damit abgibt, über sich selbst zu Gericht zu sitzen. Menschliche Dauer wird nur dem geschenkt, der sich den Augenblick zurechtknetet und ihm Bildgestalt verleiht und sich im übrigen nicht um den Urteilsspruch kümmert.
Ich hätte gar manches noch zu diesem Thema zu sagen und wundere mich nur, daß so viele Leute es sich über das Maß zu Herzen nehmen, denn schließlich wohnt der Tod ja beständig in uns, und so sollte man sich mit ihm abfinden. Weshalb denn dieses Heulen und Zähneklappern gegenüber einer Person, mit der man zusammenlebt und die unserem Wesen aufs innigste verbunden ist? Der Grund liegt auf der Hand. Man hat sich daran gewöhnt, aus dem Tod ein Schreckgespenst zu machen und ihn nach dem äußeren Anschein zu beurteilen. Man tut besser daran, wenn man sich sagt, daß man von Geburt an mit ihm verschwägert und verschwistert ist, und wenn man seine Wesensart hinnimmt, so hinterhältig sie auch sein mag. Denn er versteht's, sich zu verheimlichen und uns glauben zu lassen, er bewohne nicht mehr sein Haus. Und doch beherbergt jeder seinen Tod und tröstet sich darüber mit dem Wahn hinweg, der Tod sei nur eine allegorische Figur, die erst am Schluß des letzten Akts erscheint.

Als erprobter Meister der Mimikry ist er selbst dann gegenwärtig, wenn wir ihn am fernsten glauben: in unserer Lebenslust. Er ist in unsrer Jugend. Er ist in unsrer Reife. Er ist in unsrer Liebe.
Je weniger Zeit mir noch verbleibt, desto mehr reckt er sich auf. Desto mehr macht er sich breit. Desto mehr hat er die Hand im Spiel. Desto emsiger geht er an seine Tüftelarbeit. Er gibt sich immer weniger Mühe, mich hinters Licht zu führen.
Sein großer Tag aber ist, wenn man Schluß macht. Dann tritt er aus uns heraus und schließt uns hinter sich ab.

Jean Cocteau

 

 

 

 

 

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