huettenfenster  
  
Das Aug, dunkel:  
als Hüttenfenster. Es sammelt,  
was Welt war, Welt bleibt: den Wander-  
Osten, die  
Schwebenden, die  
Menschen-und-Juden,  
das Volk-vom Gewölk, magnetisch  
ziehts, mit Herzfingern, an  
dir, Erde:  
du kommst, du kommst,  
wohnen werden wir, wohnen, etwas  
  
-ein Atem? ein Name?-  
  
geht im Verwaisten umher,  
tänzerisch, klobig,  
die Engels-  
schwinge, schwer von Unsichtbarem, am  
wundgschundenen Fuß, kopf-  
lastig getrimmt  
vom Schwarzhagel, der  
auch dort fiel, in Witebsk,  
  
-und sie, die ihn säten, sie  
schreiben ihn weg  
mit mimetischer Panzerfaustklaue!-,  
  
geht, geht umher,  
sucht,  
sucht unten,  
sucht droben, fern, sucht  
mit dem Auge, holt  
Alpha Centauri herunter, Arktur, holt  
den Strahl hinzu, aus den Gräbern,  
  
geht zu Ghetto und Eden, pflückt  
das Sternbild zusammen, das er,  
der Mensch, zum Wohnen braucht, hier,  
unter Menschen,  
schreitet  
die Buchstaben ab und der Buchstaben sterblich-  
unsterbliche Seele,  
geht zu Aleph und Jud und geht weiter,  
  
baut ihn, den Davidsschild, läßt ihn  
aufflammen, einmal,  
  
läßt ihn erlöschen-da steht er,  
unsichtbar, steht  
bei Alpha und Aleph, bei Jud,  
bei den andern, bei  
allen: in  
dir,  
  
Beth,-das ist  
das Haus, wo der Tisch steht mit  
  
dem Licht und dem Licht.  
 
 
ES IST ALLES ANDERS, als du es dir denkst, als ich es mir denke 
die Fahne weht noch, 
die kleinen Geheimnisse sind noch bei sich, 
sie werfen noch Schatten, davon 
lebst du, leb ich, leben wir. 
  
Die Silbermünze auf deiner Zunge schmilzt, 
sie schmeckt nach Morgen, nach Immer, ein Weg 
nach Rußland steigt dir ins Herz, 
die karelische Birke 
hat 
gewartet, 
der Name Ossip kommt auf dich zu, du erzählst ihm, 
was er schon weiß, er nimmt es, er nimmt es dir ab, mit Händen, 
du löst ihm den Arm von der Schulter, den rechten, den linken, 
du heftest die deinen an ihre Stelle, mit Händen, mit 
                                                                  Fingern, mit Linien,
- was abriß, wächst wieder zusammen - 
da hast du sie, da nimm sie dir, da hast du alle beide, 
den Namen, den Namen, die Hand, die Hand, 
da nimm sie dir zum Unterpfand, 
er nimmt auch das, und du hast 
wieder, was dein ist, was sein war, 
  
  
Windmühlen 
  
stoßen dir Luft in die Lunge, du ruderst 
durch die Kanäle, Lagunen und Grachten, 
  
bei Wortschein, 
am Heck kein Warum, am Bug kein Wohin, ein Widderhorn 
                                                                                                                hebt dich 
  
- Tekiah! - 
wie ein Posaunenschall über die Nächte hinweg in den Tag, 
                                                                                                                die Auguren 
  
zerfleischen einander, der Mensch 
hat seinen Frieden, der Gott 
hat den seinen, die Liebe 
kehrt in die Betten zurück, das Haar 
der Frauen wächst wieder, 
die nach innen gestülpte 
Knospe an ihrer Brust 
tritt wieder zutag, lebens-, 
herzlinienhin erwacht sie 
dir in der Hand, die den Lendenweg hochklomm, -
wie heißt es, dein Land 
hinterm Berg, hinterm Jahr? 
Ich weiß, wie es heißt. 
Wie das Wintermärchen, so heißt es, 
es heißt wie das Sommermärchen, 
das Dreijahreland deiner Mutter, das war es, 
das ists, 
es wandert überallhin, wie die Sprache, 
wirf sie weg, wirf sie weg, 
dann hast du sie wieder, wie ihn, 
den Kieselstein aus 
der Mährischen Senke, 
den dein Gedanke nach Prag trug, 
aufs Grab, auf die Gräber, ins Leben, 
  
längst 
ist er fort, wie die Briefe, wie alle 
Laternen, wieder 
mußt du ihn suchen, da ist er, 
klein ist er, weiß, 
um die Ecke, da liegt er, 
bei Normandie-Njemen - in Böhmen, 
da, da, da, 
hinterm Haus, vor dem Haus, 
weiß ist er, weiß, er sagt: 
Heute - es gilt. 
Weiß ist er, weiß, ein Wasser- 
  
strahl findet hindurch, ein Herzstrahl, 
ein Fluß, 
du kennst seinen Namen, die Ufer 
hängen voll Tag, wie der Name, 
du tastest ihn ab, mit der Hand: 
Alba.
 
DUNKLES AUG IM SEPTEMBER  

Steinhaube Zeit. Und üppiger quellen  
die Locken des Schmerzes ums Antlitz der Erde, 
den trunkenen Apfel, gebräunt von dem Hauch  
eines sündigen Spruches: schön und abhold dem Spiel, 
das sie treiben im argen  
Widerschein ihrer Zukunft. 

Zum zweitenmal blüht die Kastanie: 
ein Zeichen der ärmlich entbrannten  
Hoffnung auf Orions  
baldige Rückkunft: der blinden  
Freunde des Himmels sternklare Inbrunst  
ruft ihn herauf. 

Unverhüllt an den Toren des Traumes 
streitet ein einsames Aug. 
Was täglich geschieht, 
genügt ihm zu wissen: 
am östlichen Fenster 
erscheint ihm zur Nachtzeit die schmale  
Wandergestalt des Gefühls. 

Ins Naß ihres Auges tauchst du das Schwert.

DER SAND AUS DEN URNEN  

Schimmelgrün ist das Haus des Vergessens. 
Vor jedem der wehenden Tore blaut dein enthaupteter Spielmann. 
Er schlägt dir die Trommel aus Moos und bitterem Schamhaar; 
mit schwärender Zehe malt er im Sand deine Braue. 
Länger zeichnet er sie als sie war, und das Rot deiner Lippe. 
Du füllst hier die Urnen und speisest dein Herz. 

Envoi
 
Aber,
aber er bäumt sich, der Baum. Er,
auch er
steht gegen
die Pest.
  
 
 
IN DER LUFT, da bleibt deine Wurzel, da,  
in der Luft.  
Wo sich das Irdische ballt, erdig,  
Atem-und-Lehm.  
   
Groß  
geht der Verbannte dort oben, der  
Verbannte: ein Pommer, zuhause  
im Maikäferlied, das mütterlich blieb, sommerlich, hell-  
blütig am Rand  
aller schroffen,  
winterhart-kalten  
Silben.  
   
Mit ihm  
wandern die Meridiane:  
an-  
gesogen von seinem  
sonnengesteuerten Schmerz, der die Länder verbrüdert nach  
dem Mittagsspruch einer  
liebenden  
Ferne. Aller-  
orten ist Hier und ist Heute, ist, von Verzweiflungen her,  
der Glanz,  
in den die Entzweiten treten mit ihren  
geblendeten Mündern:  
   
der Kuß, nächtlich,  
brennt einer Sprache den Sinn ein, zu der sie erwachen, sie -:  
   
heimgekehrt in  
den unheimlichen Bannstrahl,  
der die Verstreuten versammelt, die  
durch die Sternwüste Seele Geführten, die  
Zeltmacher droben im Raum  
ihrer Blicke und Schiffe,  
die winzigen Garben Hoffnung,  
darin es von Erzengelfittichen rauscht, von Verhängnis,  
   
dieBrüder, die Schwestern, die  
zu leicht, die zu schwer, die zu leicht  
Befundenen mit  
der Weltenwaage im blut-  
schändrischen, im  
fruchtbaren Schoß, die lebenslang Fremden,  
spermatisch bekränzt von Gestirnen, schwer  
in den Untiefen lagernd, die Leiber  
zu Schwellen getürmt, zu Dämmen, - die  
   
Furtenwesen, darüber  
der Klumpfuß der Götter herüber-  
gestolpert kommt - um  
wessen  
Sternzeit zu spät?
EIN LIED IN DER WÜSTE  

Ein Kranz ward gewunden aus schwärzlichem Laub in der Gegend von Akra: 
dort riß ich den Rappen herum und stach nach dem Tod mit dem Degen. 
Auch trank ich aus hölzernen Schalen die Asche der Brunnen von Akra 
und zog mit gefälltem Visier den Trümmern der Himmel entgegen.  

Denn tot sind die Engel und blind ward der Herr in der Gegend von Akra, 
und keiner ist, der mir betreue im Schlaf die zur Ruhe hier gingen. 
Zuschanden gehaun ward der Mond, das Blümlein der Gegend von Akra: 
so blühn, die den Dornen es gleichtun, die Hände mit rostigen Ringen.  

So muß ich zum Kuß mich wohl bücken zuletzt, wenn sie beten in Akra . . . 
O schlecht war die Brünne der Nacht, es sickert das Blut durch die Spangen! 
So ward ich ihr lächelnder Bruder, der eiserne Cherub von Akra. 
So sprech ich den Namen noch aus und fühl noch den Brand auf den Wangen.

  
 
 TALGLICHT
Die Mönche mit haarigen Fingern schlugen das Buch auf: September.
Jason wirft nun mit Schnee nach der aufgegangenen Saat.
Ein Halsband aus Händen gab dir der Wald, so schreitest du tot übers Seil.
Ein dunkleres Blau wird zuteil deinem Haar, und ich rede von Liebe.
Muscheln red ich und leichtes Gewölk, und ein Boot knospt im Regen.
Ein kleiner Hengst jagt über die blätternden Finger –
Schwarz springt das Tor auf, ich singe:
Wie lebten wir hier?

Die drei langen schmalen Gemälde sind ein Tryptichon von Hieronymus Bosch:
Das jüngste Gericht, ca 1510; o: rechter Teil/Hölle; m: mittlerer Teil/Gericht; u: linker Teil/Paradies (der mittlere Teil ist der größte, wurde hier nur entsprechend angepaßt). Das unterste Gemälde ist "Dreifaltigkeit" von Lucas Cranach; undatiert.
Die Fotografien sind allesamt von "NETPOL - global: Holocaust" (http://www.mediaport.de/proj/netpol/holocaus.htm)
Alle Texte von Paul Celan


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