Schriften und Grafiken von Patrick Fischer

Die traurigen Überreste:
Der Pharao von Berlin

Berlin ist alt und von Geistern verseucht - die Nacht schleicht wie ein Liebender umher in den Gassen der Stadt auf der Suche nach dem süßen Gift des Lebenselexirs das uns alle zusammenbringt zusammenhält - das Elektron muß den Atomkern umkreisen in ewig sehnsüchtiger Liebe - der Mond mit seinen Gezeiten muß mit dem Meer Liebe machen - das Murmeltier sucht tags den Schutz seines Erdlochs und die liebevolle Zuneigung von Partnerin und Nachwuchs - mein Herz muß so lange zu den Brunnen der Liebe gehen bis daß es bricht - tausend Farben werden schillern und die Fanfaren werden weit ins Land hinein schallen auf daß jeder Untertan des Königs sein Haupt erhebe und in den Wind horche mit der Brust vor patriotischem Stolz geschwollen jauchzend - das sind die Signale die den Herren und Gebieter den ehrwürdigen und gottgleichen Pharao Nefir XII. von Berlin auf seinem Weg zu den Göttern begleiten - und so wird die monumentale Subraumrakete - das Lebenswerk der tausend fleißigsten Ingenieure des mächtigen Pharaos - in den Abendhimmel über dem Gelände der zentralen Tempelweihestätte in Treptow ragen - eintausendeinhundertundelf Meter hoch mit den größten bislang erschaffenen Trimäsieplasmapropdüsenaggregaten als Triebwerk für die ewige Reise hinaus in die Weiten des Weltalls - hinaus zu den Göttern die darauf warten den großen mächtigen Pharao als einen der ihren in ihre Reihen aufzunehmen.

Nach den Fanfaren wird ein mächtiger Donner von tausend Pauken erklingen geschlagen von den profiliertesten Perkussionisten der Berliner Philharmoniker - die Trommeln werden den anschwellenden göttlichen Lärm der Plasmaturbinen begleiten bis der Heilige Countdown über der Kultstätte durch die Lautsprecher ertönt begleitet von den frommen Gebeten der Hohepriester - meine mumifizierte sterbliche Hülle wird in einem Sarkophag in der zentralen Grabkammer der Rakete aufgebahrt sein inmitten einer Schar blutjunger Tänzerinnen und Tänzer die mir meine Reise zu den Göttern verkürzen werden - in dieser Grabkammer wird es auch ein mächtiges Buffet geben mjam mjam in der Tat das größte Buffet der Welt noch ein gutes Stück länger als der bisherige Weltmeister im Circus Circus in Las Vegas - da wird es Berge von Austern Kaviar und Champagner geben und die feinsten Gaumenfreuden die je von Menschenhand gekocht wurden - und wehe da geht mir jemand ran! - alles Begleitpersonal an Bord ist mit einer elektronischen Halskrause bestückt die ihn sobald er sich hungrig und frech den Spezereien des pharaonischen Buffets nähert mit einem mächtigen Stromstoß bestraft - hey Leute ihr seid schließlich nicht zum Spaß hier - ihr habt einen heiligen Auftrag also hungert und darbt und sterbt für das hehre Ziel - immerhin wird euren Familien daheim eine lebenslange finanzielle Versorgung von großzügigen hundertvierunddreißig Komma zweisechs Euros gewährt - die erste Investition auf dem mühseligen Weg zu einem Laib Brot oder einem Päckchen Zigaretten - o Isis und Osiris nehmt mich auf in euren Schoß!

Die Stadt fiebert derweil einer Entscheidung im Machtkampf entgegen der im Roten Rathaus seit dem Dahinscheiden des altersschwachsinnigen Staatsoberhauptes um seine Nachfolge entbrannt ist - nach einigen Wochen zäher Debatten kristallisieren sich zwei Hauptkandidaten für die kommende Pharaonenwahl heraus - der eine Kandidat hört auf den Namen Drago Kabanosciewicz und ist das Oberhaupt der Stalinistischen Partei Deutschlands die auch den vorigen Pharao beim letzten Amtswechsel vor neunundzwanzig Jahren gestellt hatte - Drago hat sich mit viel List und Tücke der konkurrierenden Kandidaten entledigt indem er sie allesamt von einem dressierten marsianischen Arschkrampenklopfer überfallen und in ihre Einzelteile zerlegen ließ - der andere hoffnungsvolle Anwärter auf das höchste Staatsamt nennt sich Bastian deBeukelaer - schwerreicher Erbe eines Keksfabrikanten und berühmt-berüchtigt als DER Bestechungsgeldverteiler der Nation - hinter ihm steht die junge dynamische Partei Designer der Dekadenz Deutschlands - deBeukelaer empfiehlt sich in seiner Wahlwerbung als pfiffigen Mann von Welt der es versteht die Räder der Regierungsmaschinerie stets gut geschmiert zu halten - zum Wohle des Volkes versteht sich - jetzt mal ehrlich wer übt denn heutzutage die politische Macht aus? wollen wir uns weiter etwas vormachen? na eben - Geld regiert die Welt! - die traditionell manipulierten Wahlen ergeben sowohl eine absolute Mehrheit für die Kommunisten als auch einen Überraschungssieg für die Kapitalisten - eine Folge der Bestechlichkeit der Wahlhelfer und Wahlzettelfälscher welche zu gleichen Hälften von den jeweiligen Parteien kontrolliert werden.

Wenig später erscheint ein sichtlich nervöser Abendschausprecher auf den Berliner Bildschirmen - "sehr verehrte Damen und Herren und geschlechtsneutrale Lebensformen leider müssen wir Ihnen heute abend berichten daß bei den Auseinandersetzungen um die Nachfolge des zur Unsterblichkeit übergetretenen Pharaos Nefir des Dreizehnten die diplomatischen Mittel heute für erschöpft erklärt wurden - führende Köpfe der S.P.D. und der D.D.D. haben heute Mittag auf dem Alexanderplatz vor dem Roten Rathaus offiziell das Kriegsbeil ausgegraben - die Meinungsverschiedenheiten werden von nun an zum bewaffneten Kampf eskalieren - die Bürger von Berlin sind aufgerufen die Ruhe zu bewahren - alle Männer im wehrpflichtigen Alter finden sich in den für ihren Bezirk zuständigen Kreiswehrersatzämtern ein" - die Bullen fahren mit ihren Wannen die Straßen in den Vororten ab um Wehrunwilligen den Weg zur Rekrutenmeldestelle zu zeigen - Alarmsirenen verwirren die Bevölkerung zusätzlich durch ständig wechselnde Signale - vom Feuer- zum Hochwasser- zum ABC-Alarm - stets begleitet von Lautsprecherdurchsagen: "Bürger von Berlin! dies ist kein Test! befolgen Sie peinlich genau die Anweisungen in der Ihnen mit der Post zugegangenen Informationsbroschüre! Zuwiderhandlungen können nicht geduldet werden! Plünderungen werden ohne Vorwarnung mit dem Tode durch Erschießen geahndet! bewahren sie die Ruhe - immer locker bleiben" - "he Bürschchen" feixt ein grün Uniformierter aus der Fahrerkabine eines wuchtigen Mercedes-Busses der Berliner Polizei AG einem nervösen Passanten hinterher - "he ja dich meine ich! du gehst in die falsche Richtung! die Rekrutenmeldestelle ist dort hinunter" - der junge Mann weiß sich keinen besseren Rat als die Beine in die Hand zu nehmen um den Häschern zu entkommen - leider sind die Häscher zur Feier des Tages mit scharfer Munition bewaffnet und strecken den Flüchtling auf dem Gehweg nieder - nur zwei Kugeln eine in jeden Oberschenkel - ist bald verheilt und dann geht’s an die Front voran in die Stahlgewitter - die machen sich bereits in der Ferne bemerkbar.

Kanonendonner hallt hinweg über Plattenbauten und Parkplätze - Flugabwehrrakteten steigen majestätisch in Siebenerformation in den Himmel über Berlin - großes Hallo als der Fernsehturm von Partisanen gesprengt wird - der mächtige Betonlümmel schaukelt kurz im Wind und neigt sich dann nach Westen um die Bronzegüsse von Karlchen und Fritze auf dem Marx-Engels-Forum mit Wucht in den märkischen Sand zu klopfen - Schreie und Schüsse - Feuer - Moderatoren mit frisch aufgefülltem Witzrepertoire versuchen die verstörten Touristen bei Laune zu halten - eine kleine Gruppe von Rebellen versucht die Berliner Mauer wieder aufzubauen wird jedoch an der East Side von einer Horde Skinheads aufgerieben welche die unsichere politische Lage ausnutzt um sich mit Blutrauschpaste aufzuputschen und sich auf die Suche nach Ultra Violence zu begeben.

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